Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • ISBN-13: 9783701710515
  • ISBN-10: 3701710511
  • Artikelnr.: 24598981
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.1999

Sein Stil wurde noch eleganter
Monika Mertl porträtiert Alice und Nikolaus Harnancourt

Er entstammt Österreichs Hochadel, doch er interessiert sich nicht sonderlich für die noble Herkunft. Unbefangen verlegt der Ururenkel von Erzherzog Johann diesen in die "erste Hälfte des 18. Jahrhunderts". Vielleicht ist's nur ein Druckfehler in der Biographie des Nikolaus de la Fontaine Graf von Harnoncourt und Unverzagt. Aber die scheint sonst von solcher Plage der Gegenwart erfreulich frei.

Auch abgesehen davon läßt sich Monika Mertls Arbeit eine Menge Gutes nachsagen. Sie hat ein gründlich recherchiertes, sehr sympathisches Buch verfaßt - aus respektvoller Nähe, ohne je die nötige Distanz zu verlieren. Gewiß, Klischees genug sind über den bedeutenden Dirigenten im Umlauf. Zum Beispiel das vom "Gegenkarajan" oder jenes vom "Originalinstrumentenapostel". Und wie bei allen Klischees steckt auch in diesen ein wahrer Kern. Ihn schält die Autorin ebenso geduldig wie sachkundig heraus. Ihre Beschreibung hat Takt in jedem Sinne. Harnoncourt selbst läßt Monika Mertl häufig und ausführlich zu Wort kommen. Die vielen Orginalzitate in unverwechselbarem geistigem Tonfall verleihen den dreihundert Seiten Farbe und einen Hauch von altösterreichischer Atmosphäre. Daß auch Alice Harnoncourt im Bild des Musikers nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. Allein, das Doppelporträt gerät nicht zur Pflichtübung, sondern wird zur verdienten Würdigung einer Gefährtin über Jahrzehnte hinweg, ohne deren ausgleichendes Temperament, organisatorische Hintergrundtätigkeit und künstlerische Partnerschaft Harnoncourts Karriere gewiß anders verlaufen wäre.

Kindheitserinnerungen an eine traditionsreiche, buchstäblich große, indes keineswegs im Überfluß lebende Familie stehen am Anfang des Rückblicks. Ein Charakterzug wird schon in frühen Tagen sichtbar: Widerspruchsgeist, also die Unlust, überlieferte Meinungen und Urteile kritiklos zu übernehmen. Deshalb beeindruckte den jungen Nikolaus Harnoncourt auch der unorthodoxe Kulturhistoriker Egon Friedell in besonderem Maße. Bescheidenheit in materiellen Dingen hat sich Harnoncourt bewahrt. Als Student pflegte er sich mehr nachlässig als lässig zu kleiden. Aus der Not machte er später naturgemäß eine Tugend.

Der Weg vom Cellisten der Wiener Symphoniker - Karajan persönlich hatte ihn engagiert - bis zum Pultstar ohne Glamour war in doppelter Hinsicht lehrreich. Das Handwerk des Dirigierens lernte er auf eigene Faust, und die Leiden und Leidenschaften der Orchestermitglieder, das Tuttisten-Schicksal, kannte er aus schmerzhafter Erfahrung. Derlei vergißt sich nicht. "Man ist gegen jeden Dirigenten, irgendwie", sagt er heute noch.

Der Pionier einer gleichsam philologisch exakten, freilich nie trocken archivalischen Aufführungspraxis wurde zum Entdecker versunkener Musikkontinente. Ein passionierter Instrumente-Sammler und -Restaurator, ging er beim Erwerb von Kostbarkeiten zwar nicht über Leichen, die Bestimmungen des Zolls dürfte er einst jedoch großzügig ignoriert haben. Daß der Name für sein mittlerweile weltberühmtes Ensemble "Concentus Musicus Wien", wo Harnoncourt als primus inter pares regiert, von dem befreundeten Regisseur Federik Mirdita erfunden wurde, wußte wohl kaum jemand. Auch die Initialzündung für Harnoncourts Entschluß, Musiker zu werden - die Rundfunkübertragung von Furtwänglers Interpretation einer Beethoven-Symphonie 1947 -, war weithin unbekannt. In fortgeschrittenen Jahren sollte seine romantische Ader aber immer stärker hervortreten. Sein Verständnis der Tonsprachen aller Epochen hat er in zwei rechtens gepriesenen Bänden dargelegt. Ihr Titel ist Programm zugleich: "Musik als Klangrede" und "Der musikalische Dialog". Auch den philosophischen Kunstschriftsteller Harnoncourt, der an Pascals "Logik des Herzens" glaubt, zeichnen die Vorzüge des meisterlichen Musikanten Nikolaus Harnoncourt aus: Intensität, Wahrhaftigkeit, Ernst. Und Musikant ist, nach einem Diktum Franz Schmidts, "der Superlativ von Musiker".

ULRICH WEINZIERL

Monika Mertl: "Vom Denken des Herzens". Alice und Nikolaus Harnoncourt. Eine Biographie. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 306 S., Abb., geb., mit CD, 54,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Diese Würdigung des Musikerehepaars, gerade rechtzeitig zum 70.Geburtstag von Nikolaus Harnoncourt erschienen, will offenbar schon im Titel historische Gerechtigkeit herstellen, schreibt Götz Thime. Denn ohne Alice Harnoncourt, Geigerin und Assistentin ihres Mannes, ist sein beruflicher Erfolg undenkbar. In diskreter und kluger Montage, lobt Thime, hat die Autorin Daten und Gesprächsaussagen zusammengestellt, auf eine Chronologie dabei verzichtet und stattdessen Schwerpunkte gesetzt, beispielsweise den des Aufbaus des Ensemble "Concentus Musicus" seit 1953. Der Rezensent zeigt sich nur am Ende überrascht davon, dass Harnoncourts Musizierstil als "wienerisch" bezeichnet wird, wo dem luxemburgisch-lothringischen Adelsspross doch sonst eher "Nüchernheit" nachgesagt wird.

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