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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.1999

Umsäuselt lächelt Vergil
Größer war keiner: Robert Cramer erinnert an die Georgica

Vergil, das darf man ohne Einschränkung behaupten, war der wirkungsmächtigste Schriftsteller der westlichen Welt. Neben seinen Einfluß gehalten, wird Homer zum griechischen Sonderfall, Horaz zum Vertreter der Kleinkunst, und die ganze Schar der Neuzeit, von Dante angefangen über Cervantes und Shakespeare zu Goethe und Tolstoi, leidet an dem doppelten Nachteil, sich durch die Sprache einer je partikularen Nation zuzuordnen - und dann, so furchtbar spät aufgetreten zu sein, daß ihr Werk nur einen Bruchteil jener zweitausend Jahre zu füllen vermocht hat, die der Ruhm Vergils schon unangefochten dauert.

Aber dieser Ruhm, obschon gewaltig, scheint kaum mehr produktiv. Er gleicht einem massigen Gebäude, um dessen Bestand man sich keine Sorgen mehr zu machen braucht, aber an dem schon lange nichts mehr gerichtet worden ist, so daß es sich zum Bewohnen nicht mehr recht eignet. Es steht an dem Punkt, wo aus einem Haus eine eindrucksvolle Ruine zu werden droht. Im dreigeteilten Werk Vergils droht diese Gefahr am stärksten nicht seinem Heldengedicht, der Aeneis, nicht den Hirtengesängen der Bucolica, sondern den Georgica - das Lehrgedicht über die Landwirtschaft tritt dem heutigen Leser am fremdesten gegenüber.

Das war nicht immer so. Noch für Wilhelm Busch ist Vergil vor allem der Autor dieses Werks. Ihm hat er in "Schnurrdieburr oder Die Bienen" ein Denkmal in Form einer ganzseitigen Vignette gesetzt, worin der Dichter, heiter wie ein Gott, inmitten seiner Bienenkörbe thront, während die stechlustigen Schwärme ihm eine Horde plündernder Soldaten vom Leib halten, das Ganze geschmückt mit einem makellosen Distichon: "Friedlich lächelt Vergil umsäuselt von brummenden Bienen. / Aber die runzlichte Schar bärtiger Krieger entweicht."

Wilhelm Busch hat diese Episode frei erfunden, und Vergil, der scheue und grüblerische Dichter, erscheint hier allzu selbstzufrieden. Aber Wesentliches vom Geist der Dichtung ist gleichwohl getroffen: das Zutrauen, daß die Sorge um die Erde und ihre Produkte länger währen wird als alle gewalttätigen Wirren der Geschichte. In einer Zeit, in der sich der Begriff "Kultur" inflationär immer weiter ausdehnt, bis er alle menschlichen Lebensäußerungen überwuchert hat, ist es nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, was er ursprünglich, und ganz gewiß für Vergil, bedeutet hat: die Bestellung des Landes. Sie ist ihm Wurzel der Zivilisation, das Rückgrat der Staatlichkeit, sie ist die einzig autarke und schuldlose Betätigung - zumindest für den echten Römer, der aus ihr die Kraft bezieht, den schlauen Händler des Ostens wie den rohen Jäger des Nordens zu bezwingen, die den Landbau nicht mehr oder noch nicht betreiben. Aus dieser Überzeugung erwächst der römische Erzkonservativismus. Wo er mit den Fakten des historischen Wandels zusammenprallt, bleibt er unbeeindruckt und verhärtet sich zum zänkischen Charakter des älteren Cato und zur Heuchelei der augusteischen Sittengesetze. Aber er gibt nicht nach.

Beides liegt Vergil fern, der es unternimmt, in einer Zeit der Bürgerkriege die Einheit der römischen Welt - und das heißt: der Welt überhaupt - aus dem Landbau zu begründen. Durch die vier Bücher entfaltet er sich in aufsteigender Linie: zuerst kommt der eigentliche Ackerbau, dann die Aufzucht und Veredelung fruchttragender Bäume einschließlich des Weinstocks, darauf die Viehzucht und zum Schluß - scheinbar nur ein kleines Spezialgebiet, tatsächlich Herzstück des Ganzen - die Bienenhaltung. Die Form des Lehrgedichts dient dabei als Mittel, das, was sonst langweilige Beschreibung wäre, in einen Vorzug zu verwandeln.

Dennoch sind die Georgica sicher nicht mehr in allen ihren Teilen gleichermaßen genießbar. Die Passagen zum Beispiel, wo von den verschiedenen Arten, Bäume zu okulieren, gehandelt wird, bleiben dem Laien dunkel und werden teilweise, wie sich den Kommentaren entnehmen läßt, offenbar auch den Fachleuten nicht völlig klar. Am meisten Kraft besitzen die Georgica heute da, wo sie sich von der Lehre weg- und hin zur Erzählung wenden, die nicht etwas zu tun auffordert, sondern ein Geschehen ruhig hinnimmt, etwa in dem berühmten Schluß des Dritten Buchs, der Norischen Viehseuche: "Sieh nur, der Stier, der unter dem drückenden Pflug dampft, stürzt nieder, speit blutigen Schaum und stöhnt ein letztes Mal ..."

Über die Anleitung, wie das Wachstum zu fördern sei, senkt sich der Schatten der Todverfallenheit alles Lebendigen, kontinuierlich oder in katastrophischen Schüben. Wunderbar wird das durch das Motto von Schalom Ben-Chorin erfaßt, das Robert Cramer seinem Buch "Vergils Weltsicht" voranstellt: "Daß das Leben nicht verging, / soviel Blut auch schreit, / achtet dieses nicht gering / in der trübsten Zeit." Der Untertitel jedoch, "Optimismus und Pessimismus in Vergils ,Georgica'", verkürzt diese Einsicht und zerschlägt den schmerzlichen Gegensatz, den Vergils Werk aushält, in zwei schmerzlose Hälften.

Daß ein Dichter vom Rang Vergils die Partei des Augustus ergreifen könne, dieses blutgetränkten Friedensfürsten, der Cicero schlachten ließ und den Bürgern von Perugia, als sie sich ihm auf Gnade und Ungnade ergaben und um nichts als ihr Leben baten, den Bescheid erteilte: "Nunc est moriendum" - "Jetzt wird gestorben", bleibt gewiß erstaunlich. Aber man kommt dem Zugleich von Trauer und Bekräftigung kaum näher durch eine Diskussion, die zwischen "Optimismus", "Pessimismus" und nun wieder "Optimismus" in unfruchtbarem Pendelschlag hin und her fährt. Wenn Schopenhauer recht hat, daß der Optimismus, nebst einem Irrtum, vor allem eine Ruchlosigkeit sei, so gilt doch auch, daß ein grundsätzlicher Pessimismus, dessen Urteil über die Welt ein für allemal feststeht und der für jeden Fall immer dieselbe Geste bereithält, sich seine eigene Bequemlichkeit zulegt. Mit beidem ist Vergils Werk nicht angemessen beschrieben.

Cramers Band macht sich jedoch von dieser Alternative, die im Vorwort exponiert und im Schlußwort nochmals bestätigt wird, in der Durchführung weitgehend frei und arbeitet in detailgenauer Interpretation den komplexeren Sachverhalt heraus: daß eine nicht unfreundliche Erde dem Menschen die Mühsal auferlegt hat. Erfreulich ist besonders, daß die Untersuchung ihr Volumen begrenzt - Vergils rund 2200 Verse werden von nicht mehr als 250 Seiten eigentlichem Text begleitet - und bei der Heranziehung von Parallelstellen nicht den Zweck aus den Augen verliert, etwa wenn sie im Vergleich mit Hesiod und Lukrez betont, getrieben werden müsse der Ochse in jedem Fall, aber Vergil komme dabei "ohne Schläge" aus. Bloß gelegentlich läßt sich Cramer etwas zu tief ins Handgemenge mit der Forschungsliteratur ein, besonders dann, wenn er glaubt, Vergil gegen dumme Vorwürfe in Schutz nehmen zu müssen.

Den originellsten und scharfsinnigsten Teil der Bonner Dissertation stellen Cramers Überlegungen dar (im Anschluß an seinen Lehrer Zwierlein), welche Verse der Georgica möglicherweise unecht sind und daher "athetiert", getilgt werden sollten. Er benutzt dabei vorwiegend kompositorische Elemente, oft überzeugend. Das schmale Werk verringert sich dabei um etwa fünf bis zehn Prozent seines Umfangs, und es fallen auch so schöne Stellen weg wie die Beschreibung der zwei Bienenkönige, deren einer von rötlichen Schuppen funkelt, während der andere, durch Faulheit struppige, ruhmlos den breiten Wanst nachschleppt. Gewißheit wird dabei kaum zu erlangen sein, aber das Verfahren ist doch geeignet, den Blick, statt ihn auf einer gleichsam heiligen Schrift verweilen zu lassen, auf die Frage nach den Qualitäten des Werks zu lenken.

Diese sind untrennbar von seiner Zwiespältigkeit. Das vierte und von jeher am höchsten geschätzte Buch der Georgica ist das von der Bienenzucht. Nach der Plackerei auf den steinigen Ackern erscheint zu guter Letzt der süßeste, nur den Bienen abgewonnene Überschuß, der sich fast von selbst in den Waben sammelt. Das letzte Wort der Georgica ist die Geschichte von Aristaeus, der alle seine Bienenschwärme verloren hat und darum mit den Göttern hadert. In sie ist kunstvoll die andere verflochten, wie Orpheus seine Frau Eurydike verliert, errettet und wieder verliert. Aristaeus erhält die Auskunft, er solle vier Tiere schlachten und ihre Kadaver verrotten lassen, und dann begibt sich das Wunder der "Bugonie", der Bienenzeugung. "Hier aber sehen sie plötzlich, wie Bienen im ganzen Bauch der Rinder in den zerflossenen Gedärmen schwirren, zwischen geborstenen Rippen hervorschäumen, in unendlichen Wolken dahinziehen, sich schon im Baumgipfel ballen und an biegsamen Zweigen als Traube herabhängen." Blut und Honig sind die beiden Säfte der Kultur, und sie lassen sich nicht entmischen.

BURKHARD MÜLLER

Robert Cramer: "Vergils Weltsicht". Optimismus und Pessimismus in Vergils "Georgica". Walter de Gruyter Verlag, Berlin 1998. 309 S., geb., 198 ,- DM.

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