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Venedig. Im achtzehnten Jahrhundert ist kein praktischer »Reiseguide«. Es ist die Lektüre davor oder danach. Philippe Monnier hat anderes, Anschaulicheres, Atmosphärisches vor Augen: Er schreibt vor dem Hintergrund der genauen Kenntnis von vierzehn Jahrhunderten Republikgeschichte über ihr letztes - als nach der Abdankung des letzten Dogen in 7der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1797 »3231 Mann« napoleonischer Regimenter auf »vierzig Schaluppen« anlandeten. »Wer die zehn Jahre vor der Revolution nicht gekannt hat, hat das Glück zu leben nicht gekannt«, versicherte Talleyrand. »In Venedig, der…mehr

Produktbeschreibung
Venedig. Im achtzehnten Jahrhundert ist kein praktischer »Reiseguide«. Es ist die Lektüre davor oder danach. Philippe Monnier hat anderes, Anschaulicheres, Atmosphärisches vor Augen: Er schreibt vor dem Hintergrund der genauen Kenntnis von vierzehn Jahrhunderten Republikgeschichte über ihr letztes - als nach der Abdankung des letzten Dogen in 7der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1797 »3231 Mann« napoleonischer Regimenter auf »vierzig Schaluppen« anlandeten. »Wer die zehn Jahre vor der Revolution nicht gekannt hat, hat das Glück zu leben nicht gekannt«, versicherte Talleyrand. »In Venedig, der Heimat des leichten Lebens und dem Spiegelbild Italiens, scheint dieses Glück zu leben beseligender gewesen zu sein als anderswo.« Monnier schreibt nicht Geschichte von Ereignis zu Ereignis - er erzählt in eleganter, stilvoller, ganz eigensinnig worttrunkener Prosa und dabei zugleich auch präzis informierend in 14 Kapiteln vornehmlich, was wir heute wohl »Kultur- und Sozialgeschichte« nennen. Nach dem Ersten Kapitel, das das verzaubernde Venedig als ein Eden, die anziehende Oase einer alten europäischen Lebensform beschreibt, folgen Kapitel wie etwa: »Das leichte Leben«, »Die Feste, der Karneval und der Landaufenthalt«, »Die Frauen, die Liebe und der Cicisbeo«, »Die Schriftsteller, Gasparo Gozzi«, »Die musikalische Leidenschaft«, »Die venezianischen Meister (der Malerei)«, »Das venezianische Theater und das italienische Lustspiel«, »Die Abenteurer und Casanova«, »Die Bürger« und »Das Volk«. Venedig. Im achtzehnten Jahrhundert ist ein einzigartiges Buch - und bis auf den heutigen Tag unbekannt. Verfasst wurde es von dem aus Genf stammenden Philippe Monnier, Rechtwissenschaftler und literarischer Autor, der mit seinen Genfer Chroniken bekannt wurde (1864-1911).Die Kenntnis der Quellen, der Literatur, des Theaters und der Malerei sind immens; es scheint nichts zu geben, was dieser Autor nicht kennt und in einem weiten Anmerkungsapparat auflistet; hinzu kommen ein Glossarzum venezianischen Dialekt und ca. 50 Abbildungen aus dem 18. Jahrhundert. Das Nachwort schreibt Hanns-Josef Ortheil, nicht zuletzt ein großer Kenner Venedigs im 18. Jahrhundert (»Im Licht der Lagune«).
Autorenporträt
Monnier, Philippe§
Philippe Monnier (geb. 2. November 1864 in Genf, gest. 21. Juni 1911 in Plainpalais) war ein Schweizer Journalist und Schriftsteller. Seine literarischen Werke lassen sich in drei Bereiche gliedern: die Poesie Rimes d'écolier (1891), die Novellensammlungen Vieilles femmes (1895) und Jeunes ménages (1899) sowie die Chroniken der Stadt Genf. Vor allem die Genfer Chroniken verhalfen ihm zur Bekanntheit.
Ortheil, Hanns-Josef§
Hanns-Josef Ortheil (geb. 1951) ist renommierter, vielverlegter und vielfach ausgezeichneter Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm "Der von den Löwen träumte. Hemingway in Venedig" (2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2021

Wo die Lust zu leben so beseligend gewesen sein muss

Eine Wiederentdeckung: Nach fast hundert Jahren erscheint Philippe Monniers Beschwörung von Venedigs spätem Glanz in einer neuen Ausgabe.

Wer die zehn Jahre vor der Revolution nicht gekannt hat, hat das Glück zu leben nicht gekannt", so Talleyrands berühmter Seufzer über den Epochenbruch, der dem aristokratischen Ancien Régime ein Ende setzte. Natürlich, die reizvollen Güter, die dieses "Glück zu leben" so groß und unvergesslich machten, waren keinesfalls sehr gerecht verteilt und jene Tage, da die im Dunkel denen im Lichte beim Glücklichsein zuschauten, deshalb gezählt. Doch die Französische Revolution von 1789 ist nicht nur der politische Markstein der modernen Welt, sie trennt ebenso die farbige Kultur des aristokratischen Lebens von der bürgerlichen Gesellschaft, die sich jetzt in neuem Gewand auf ihren höchst erfolgreichen Weg macht: Der Bürger trägt Schwarz, trägt Frack und Gehrock "als Ausdruck der universalen Gleichheit", wie Charles Baudelaire bald anmerken wird, und auch "als Ausdruck der öffentlichen Gemütsverfassung; - unabsehbarer Heereszug von Leichenbittern, politischen Leichenbittern, verliebten Leichenbittern, bürgerlichen Leichenbittern. Wir tragen jeder etwas zu Grabe. Eine einförmige Livree der Verzweiflung bezeugt die Gleichheit." Zu Grabe getragen wird jene Welt, deren Lebensgrundlage die universale Ungleichheit war.

"In Venedig, der Heimat des leichten Lebens und dem Spiegelbild Italiens, scheint dieses Glück zu leben beseligender gewesen zu sein als anderswo" - mit der Anknüpfung an Talleyrand skizziert Philippe Monnier bereits den Rahmen für sein großartiges "Venedig im achtzehnten Jahrhundert", das nun nach weiteren hundert Jahren eine ganz unerwartete, faszinierende Neuentdeckung ist: Das opulente, bilder-, klang- und geschichtenreiche Porträt der Wunderstadt an der Lagune in ihrer "Belle Époque" und zugleich eine historisch präzise Szenerie des alten Europas kurz vor dem Zusammenbruch - der letzte Tanz auf dem Vulkan und damit eine Blaupause für die Endspiele des kommenden Jahrhunderts.

Schon der Autor ist eine Entdeckung. Philippe Monnier wird 1864 in Genf geboren, in eine Familie von Gelehrten und Literaten, die seit drei Generationen unterwegs ist zwischen der französischen Schweiz und Italien. Philippe Monnier wird diese Lebensthemen aufnehmen und auf seine Weise weiterführen. Nach literarischen Anfängen findet er zu jener zwischen Essay und Wissenschaft changierenden Form, in der er seine größten Werke schafft: "Le Quattrocento" erscheint 1901 und 1907 "Venedig im achtzehnten Jahrhundert" - zwei Bücher eines inzwischen fast ausgestorbenen Genres: historische Monographien auf der Basis gründlichen Quellenstudiums, geschrieben jedoch mit dem ganzen stilistischen Können und der Lust des Erzählers und Poeten. 1911 stirbt Philippe Monnier, drei Jahre bevor ein neuer Epochenbruch auch sein Fin de Siècle beendet.

Monnier wählt die Serenissima ganz bewusst als Extremfall: "Im 18. Jahrhundert ist Venedig eine verzauberte Insel, ein Eden, ein Schlaraffenland." Einst war diese Insel durch den Verkehr auf den Weltmeeren eine Großmacht, doch die Verschiebung der Handelswege hin zum Atlantik machte aus dem Knotenpunkt langsam ein Abseits. Der Bedeutungsverlust der streng organisierten Republik ist also bereits Vorbote jener Modernisierungsschübe, die Europa dann am Ende des achtzehnten Jahrhunderts auf den Kopf stellen werden. Doch folgt man Monnier, so hat sich die Kultur des alten Europas kaum sonst so lange halten können wie in dieser Exklave im Mittelmeer, und auch Goethe hat auf seiner italienischen Reise "das reiche, sonderbare, einzige Bild" der gleichsam übrig gebliebenen Stadt noch in diesem Sinne aufgenommen, wenige Jahre bevor der Krieg ihm die "neue Epoche der Weltgeschichte" in Frankreich mit Kanonendonner vor Augen führte.

Diesen historischen Horizont macht "Venedig im achtzehnten Jahrhundert" überall spürbar: den Horizont des bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts, das allem widersprechen wird, was die alte Welt ausmacht: "Ja, Schönheit und Heiterkeit! Der schöne Traum mit den buntfarbigen Täuschungen! Die Gondel, die am Bug ihren kleinen Lichtstern trägt", Monnier beschreibt all das mit tiefer Sympathie, mit dem unerschöpflichen Vergnügen an Liebe und Politik, Bürgern und Volk, an den Fresken Tiepolos, der Musik Galuppis, den Komödien Goldonis, am Karneval, diesem Maskenspiel, das ein halbes Jahr lang dauert. Und dennoch: "Die Quellen des Lebens ziehen sich von dem großen, erschöpften Herzen zurück. Dem stumpfsten Reisenden offenbart sich der drohende Untergang." Das Finale wird denn auch zum Meisterstück. Als 1797 die Truppen des revolutionären Frankreichs unter Napoleon Bonaparte anrücken, hat die alte Welt der neuen nichts mehr entgegenzusetzen. Venedig kapituliert, und wie es das tut, das muss man bei Monnier nachlesen.

Seine Sprachverliebtheit, seine üppigen Schilderungen, seine farbigen Details machen das Buch zu einer hinreißenden Lektüre, aber trotz des Autors Sympathie mit dem Untergang nicht nur für Venedig-Nostalgiker. Denn nach einem weiteren Jahrhundert der Distanz erkennt man bereits alle Probleme des späteren Venedigs. Das Überbleibsel des Ancien Régime konnte nicht ankommen in der Welt der "bürgerlichen Leichenbitter", die ewig untergehende Pracht war nicht modernisierbar, und die allermodernsten Futuristen hätten die Stadt am liebsten abgerissen.

Venedig blieb die "verzauberte Insel" am Rande des Untergangs, bis dann das spätbürgerliche Fernweh diese "letzte Glut des Sonnenuntergangs" gerade deshalb von Neuem entdeckt und konserviert. 1846 erreicht die Eisenbahn, der Fetisch der modernen Welt, die Stadt, zwar durch die Hintertür, zu Thomas Manns Missvergnügen, aber mit dem brutalen Massentourismus ist die Stadt dann doch in jener modernen Welt angekommen, der sie sich so lange widersetzt hat. Je moderner die Welt, desto dringender braucht sie ihre verzauberten Inseln. Lange hat man das nicht so schön nachlesen können wie bei Philippe Monnier - und so klug.

WOLFGANG MATZ

Philippe Monnier:

"Venedig im achtzehnten Jahrhundert".

Aus dem Französischen von Rudolf Engel, Nachwort von Hanns-Josef Ortheil. Die Andere Bibliothek, Berlin 2021. 488 S., Abb., geb., 44,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Thomas Steinfeld erliegt nicht ganz dem "kunst- und kulturhistorischen Vollrausch", den der Genfer Journalist Philippe Monnier in diesem erstmals 1907 erschienenen Werk inszenierte. Nicht als Roman oder Sachbuch liest er das Buch, sondern als "Lobrede" auf eine untergegangene Welt, ganz in jener Tradition stehend, die den Untergang Venedigs betrauert. Vor allem von Monniers Redseligkeit, seiner "metaphorischen Pracht" und den vielen Manierismen über vernezianische Kunst, Kultur und Geschichte will sich der Rezensent nicht recht mitreißen lassen. Wenn Hanns-Josef Ortheil im Nachwort den Vergleich zu Prousts Erinnerungstechnik zieht, wendet Steinfeld harsch ein: Monnier "sucht die Sinnlichkeit, weil er darüber hinaus keinen Gedanken hat". Mit der prächtigen Aufmachung und der üppigen Bebilderung des Bandes ist der Kritiker allerdings zufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2021

Vollrausch mit Fußnoten
Die Schönheit preisen, bevor sie stirbt: Philippe Monniers „Venedig im achtzehnten Jahrhundert“
Gerettet werden muss Venedig, so scheint es, immer wieder aufs Neue, wobei die entsprechenden Versuche immer gewaltiger und zahlreicher werden, in Reaktion auf die sich steigernden Bedrohungen. Aber seit wann ist das so, und wer fing an, die Stadt vor ihrem Untergang bewahren zu wollen? „Noch“, schrieb ein Besucher im Herbst 1849, kurz nachdem die Österreicher den Versuch, den venezianischen Staat als revolutionäre Republik neu entstehen zu lassen, mithilfe von Kanonen und Granaten niedergeschlagen hatten, „bietet sich Venedig der Anschauung in der letzten Phase des Verfalls dar: ein Geist über dem Sand des Meeres, so schwach, so still, allem beraubt außer der Schönheit…“
Dabei hatte der Autor dieser Zeilen, der englische Kunstkritiker John Ruskin, zur Entstehung der Vorstellung, Venedig sei dem Untergang geweiht und müsse gerettet werden, wesentlich beigetragen. Und mehr als das: „Ich würde mich darauf einlassen, die Umrisse dieses Anblicks festzuhalten, bevor er verschwindet.“ Aus diesem Vorsatz ging ein dem Widerstand gegen die Zeit gewidmetes Unternehmen hervor, wie es in der Kunstgeschichte kein zweites gibt: eine auf Vollständigkeit angelegte Dokumentation der vermeintlich bald verlorenen Stadt in Zeichnungen, Aquarellen, Stichen, Fotografien und Essays, die John Ruskin zu einem großen Teil in dem dreibändigen Werk „The Stones of Venice“ (1851 bis 1853) veröffentlichte.
Die Inszenierung eines überwältigend schönen, aber dem Untergang preisgegebenen Gemeinwesens bildet seitdem einen festen Topos im Umgang mit dieser Stadt, festgehalten in Hunderten Büchern, beschworen in unzähligen Filmen, besungen und orchestriert. Immer geht es dabei darum, die Stadt im letzten Augenblick vor ihrem Untergang zu bewahren, und sei es in der Kunst. Dabei oszilliert das Bild zwischen den Beschwörungen von Melancholie und Wehmut, wie sie die Gemälde William Turners zu beseelen scheinen, und den Huldigungen an einen Ort der befreiten Sinnlichkeit und des heiteren, verantwortungslosen Lebens in einer Welt, die es eigentlich gar nicht geben kann: „Wie ein verwirklichter Traum begrüßt dich das bunte Venedig“, heißt es in einem Gedicht Friedrich Hebbels aus dem Jahr 1848, und auf dieser Behauptung gründet eine lange, immer wieder neu illustrierte Tradition, in der von Masken und Festen, Theatervorstellungen, Konzerten, Bällen und Umzügen berichtet wird, so als hätten Galeeren nie gebaut, Sklaven nie verkauft, Steine nie gesetzt, Früchte nie gezüchtet werden müssen, sondern als wäre der Reichtum von allein gekommen und hätte stets der ganzen Stadt zur Verfügung gestanden.
In diese Tradition fügt sich ein Werk, das nicht Sachbuch ist und nicht Roman, nicht Erzählung und nicht Denkstück, sondern vielmehr eine lange, ja überlange Lob- und Preisrede auf eine verschwundene Welt. An rhetorischem Glanz und metaphorischer Pracht wird nicht gespart. Im Gegenteil, es wird alles aufgeboten, was ein ebenso redseliges wie gründlich gebildetes spätes 19. Jahrhundert zu bieten hat. Über die Entstehung einer venezianischen Musik heißt es etwa: „Eine Ecke am Rio. Ein Fenster mit Säulchen, daran Jasmin hinaufklettert. Eine vorüberfahrende Gondel, die mit ihrem Ruder einen Silberregen aufsprühen lässt: premi! Fast ohne Geräusch gleitet die Gondel vorbei, ein Stückchen im Schatten, ein Stückchen in der Sonne: stali! Wenn sie an einer Biegung des Kanals verschwunden ist, fällt ein Jasminstern in das friedliche Wasser, und man hört dieses Auffallen der Blumenkrone, so groß ist das Schweigen. So wird die Musik von selbst geboren.“ Mit der Malerei wollen es solche Zeilen aufnehmen, mit einer vollendeten Bildtechnik, die nervös sein kann und präzis zugleich, sprühend, doch zugleich ins Detail vertieft.
Philippe Monniers Buch „Venedig im achtzehnten Jahrhundert“ erschien zuerst im Jahr 1907. Es liefert das historische Panorama einer Stadt, die nicht mehr die Macht besitzt, die sie einst darstellte, als sie das Mittelmeer beherrschte und die Handelsmetropole der halben Welt war. Sie lebt von vergangenen Errungenschaften, während das ökonomische und politische Fundament erodiert, nein: schon seit langer Zeit nicht mehr vorhanden ist.
In einem Aufbäumen, das als letzte Anstrengung der alten Welt angeblich nicht bewusst ist, aber noch einmal alles aufbietet, was man an Kunst, Schönheit, Geschmack und Verfeinerung zu bieten hat, soll Venedig seiner Bedeutungslosigkeit entgegengegangen sein, erzählt Monnier. Er tut es mithilfe zahlloser Quellen aus jener Epoche, mit einem seiner Zeit gemäßen Akademismus, der stets gegenwärtig ist, sich aber gleichsam in den Falten der Seidenkleider versteckt. Woher bezieht die Mühe einer solchen Schilderung die Kraft, noch einmal eine längst verschwundene Pracht inszenieren zu wollen? In Venedig findet Monnier, im Zivilberuf Journalist in Genf, die „ganze Zärtlichkeit“ eines „alten, überlebten, unkriegerischen, reizenden Landes“. Eine gesellschaftliche Utopie ist dieses Werk, doch rückwärts, in die Vergangenheit gewandt.
Im Nachwort dieses angemessen opulent aufgemachten, sinnvoll bebilderten und geschmackvoll gestalteten Buchs zieht der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil eine Verbindung zwischen Philippe Monniers großer Schwärmerei für Venedig und der Erinnerungstechnik Marcel Prousts. Das Werk sei verfasst, meint Ortheil, als schriebe der Verfasser „gleichsam an der Seite Prousts und als ginge er mit ihm gemeinsame Wege“. Doch so naheliegend der Vergleich zu sein scheint, der Kultivierung von Sinnlichkeit wegen, so gründlich führt er in die Irre: Wenn Marcel Proust sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit begibt, dann ist die Vergangenheit ganz aufgelöst ins Seelische, auch ins Gedankliche. Wenn Philippe Monnier hingegen Venedig beschreibt, feiert er eine Stadt, weil sie „Theaterbühnen (errichtet), wie andere Theorien aufbauen“.
Er sucht die Sinnlichkeit, weil er darüber hinaus keinen Gedanken hat, und die Literatur, die so entsteht, hat viel mehr mit Lawrence Alma-Tadema zu tun, mit einem Historismus, der alles ausplaudern will, als mit der ungleich feineren Kunst des Impressionismus oder der reflektierten Evokation, mit der es Marcel Proust hält. Einen kunst- und kulturhistorischen Vollrausch mit Fußnoten will Philippe Monnier liefern. Und siehe da, es gelingt ihm.
THOMAS STEINFELD
Er sucht die Sinnlichkeit,
weil er darüber hinaus
keinen Gedanken hat
Philippe Monnier:
Venedig im achtzehnten
Jahrhundert. Aus dem Französischen von Rudolf Engel. Die Andere
Bibliothek, Berlin 2021.
488 Seiten, 44 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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