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Es ist das Berlin der glanzvollen 20er Jahre. Inmitten von Künstlern und Bohemiens einer euphorisch bewegten Zeit begegnen wir dem Maler und Philosophen Sabri Mahir. Über Istanbul und Paris hat ihn sein Weg schließlich nach Berlin geführt, ins Berlin von Bertolt Brecht und Emil Jannings, Marlene Dietrich und Max Schmeling. Nebenbei arbeitet Sabri als Boxlehrer und eröffnet schon bald nach seiner Ankunft ein "Studio für Boxen und Leibeszucht". Bald auch lernt Sabri Luise kennen, die sich sehr zu dem phantasievollen, eingenwilligen Künstler hingezogen fühlt. Als der gefeierte Boxer Franz Diener…mehr

Produktbeschreibung
Es ist das Berlin der glanzvollen 20er Jahre. Inmitten von Künstlern und Bohemiens einer euphorisch bewegten Zeit begegnen wir dem Maler und Philosophen Sabri Mahir. Über Istanbul und Paris hat ihn sein Weg schließlich nach Berlin geführt, ins Berlin von Bertolt Brecht und Emil Jannings, Marlene Dietrich und Max Schmeling. Nebenbei arbeitet Sabri als Boxlehrer und eröffnet schon bald nach seiner Ankunft ein "Studio für Boxen und Leibeszucht". Bald auch lernt Sabri Luise kennen, die sich sehr zu dem phantasievollen, eingenwilligen Künstler hingezogen fühlt. Als der gefeierte Boxer Franz Diener Sabris Schüler wird und die beiden eine Einladung nach Amerika erhalten, scheint Sabris lebenslanger Traum vom Erfolg endlich in Erfüllung zu gehen. Ein Porträt eines schlitzohrigen Überlebenskünstlers und das Schicksal eines von Sehnsucht nach seiner Heimat und der Leidenschaft zur Kunst getriebenen Menschen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.1999

Das sachliche Matschauge
Ein Fall von Leibeszucht: Güney Dals "Teestunden am Ring"

Es war das Sportereignis des Jahres und ein legendärer Kampf. Als bei der deutschen Meisterschaft im Schwergewicht am 4. April 1928 Franz Diener gegen Max Schmeling antrat, vibrierte die Menschenmenge auf den Zuschauertribünen des Berliner Sportpalasts. Bereits Stunden zuvor war das Stadion bis auf den letzten Platz besetzt. Das Fünf- und Sechsfache der regulären Preise hatte man draußen an der Potsdamer Straße für ein Billett geboten, um am großen Ereignis in der Arena der Leidenschaften teilhaben zu können. Der Boxkampf war das Drama der Epoche.

Erst durch Schmelings Wechsel ins Schwergewichtslager hatte sich die Begegnung der beiden Kämpfer ergeben. Diener, von dem Türken Sabri Mahir in dessen Berliner "Studio für Boxen und Leibeszucht" trainiert, wies allerdings nicht nur rund zehn Pfund mehr auf. Seine robustere Konstitution und vor allem die Routine seiner amerikanischen Kämpfe machten ihn zum bisher gefährlichsten Gegner des jungen Profis. Durch kaum einen Konter zu stoppen, griff er unentwegt an. Schon in der ersten Runde zog sich Schmeling dabei eine Splitterung des Daumens zu. Dennoch gab das Kampfgericht nach voller Distanz seinen Sieg nach Punkten bekannt. "Da kämpfst du fünfzehn Runden gegen zwei Max Schmelings, und dann stecken sie ihm die Punkte zu, die sie dir geben müssten!", soll Diener gesagt haben. Wegen einer Verletzung seines Sehnervs klagte er unaufhörlich darüber, dass er Max doppelt sehe und sich dauernd frage, in welches der beiden Gesichter er zu schlagen habe. Schmeling wurde an diesem Tag deutscher Meister in allen Klassen.

Immer wieder haben Zeitgenossen den Boxkampf mit dem Theater verglichen: "Mehr guten Sport" forderte Bertolt Brecht für das Schauspiel. Und Fritz Kortner begriff den Ring metaphorisch als Schauplatz des theatralen Kampfes um Leben und Tod. Kein Drama allerdings, sondern einen Roman hat der türkische Schriftsteller Güney Dal jetzt über die Boxszene der zwanziger Jahre geschrieben. Er nennt ihn "Teestunden am Ring" und zeichnet das Porträt einer Epoche. Die Begegnung zwischen Diener und Schmeling am 4. April macht er dabei zum zentralen Ereignis, zum Bühnengeschehen in der Arena des Kampfes mit dem Wort. Boxen ist Ästhetik und eigene Kunstform. Der Roman sportliche Anstalt.

Vom Boxfieber ergriffen waren in den zwanziger Jahren prominente Künstler und Schauspieler, Showgirls und Journalisten. Kein Wunder also, wenn Dal so manches vertraute Gesicht vorführt: Marlene Dietrich und Carola Neher finden sich im Trainingsstudio ein; Alfred Flechtheim, Kunsthändler und Begründer des Magazins "Der Querschnitt", lobt die stilistische Schönheit des Boxsports; Brecht spricht über seinen Romanentwurf "Das Renommee"; und in der Eden-Bar tanzt - damals noch - "Billie" Wilder als einer von fünf Gigolos. Trotz einer solchen Parade zeitgeschichtlicher Figuren und der historischen Wirklichkeit der Ereignisse ist "Teestunden am Ring" aber kein dokumentarischer Roman, keine Collage aus überlieferten Dokumenten, Briefen und Gesprächen. Seine Quellen hält der Text ebenso verborgen, wie er die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschleiert: In hünenhafter Gestalt taucht einmal Döblins Franz Biberkopf am Boxring auf, entschlossen, von nun ein anständiges Leben zu führen. Literatur und Geschichte verschmelzen hier im Mythos der zwanziger Jahre. Sie bilden ein bizarres Amalgam.

Eingebunden in den mythischen Kontext erzählt Güney Dal vor allem aber die Biographie eines Trainers. Es ist die Geschichte des Türken Sabri Mahir, dessen bekanntes Boxstudio sich damals im Gebäude des Neuen Westens befand. Regelmäßig lud er zu so genannten "Teestunden am Ring" ein, bei denen ein jeder, der Lust verspürte, in den Ring steigen und statt des Faustkampfes aus dem Stegreif Reden und Vorträge halten durfte. Die Ringzeit war dabei genau festgelegt und bildete eine Runde. Zahlreich kamen die intellektuellen Freunde des Studios direkt aus dem Romanischen Café und sprachen über die "Neue Sachlichkeit" und ihren Bezug zum Sport. Einübung ins Boxen, das war die Einübung in die Moderne.

"Was aber war diese Neue Sachlichkeit?", fragt im Roman Sabri Mahir und entwirft seine eigene, kleine Theorie: Wenn der Boxer nach ihren Regeln kämpfen wollte, musste er so kalt und gefühllos sein, dass ihn all das Geschrei der Zuschauer in keiner Weise beeinflusste; seine Kühle musste Eiseskälte sein. Natürlich erinnern solche Worte an die zeitgenössischen Verhaltenslehren der Kälte, nicht zuletzt aber auch an Brechts Charakteristik des Boxstils seines Freundes Paul Samson-Körner: "Was mir bei Samson-Körner zuerst auffiel", schrieb er einmal, "war, dass er nach einem nichtdeutschen Prinzip zu boxen schien. Er boxte sachlich. Das hat einen großen plastischen Charme." Wenn sich Sabri Mahir im Roman allerdings so sehr um sachliche Kühle bemüht, bleibt es doch bei der bloßen Aneignung eines theoretischen Gestus. Dal zeichnet den Trainer zugleich als Träumer fern aller Sachlichkeit, als hitzigen Osmanen, aufbrausend und eifersüchtig.

Sicher verdankt der Roman solchen Temperaturschwankungen, der Distanz also zwischen Berlin und dem Ufer des Bosporus, seine ganz besondere Tonlage. Spätestens dort aber, wo - anlässlich einer Amerikareise Sabri Mahirs - der Erzählfluss unterbrochen und durch Briefe des Trainers an seine Frau ersetzt wird, verpufft die produktive Spannung. Im Feuerwerk überschäumender (auf die Dauer wirklich strapazierender) Beschwörungen kommt dem Buch das Neusachliche abhanden: "Meine Luise mit den umwölkten Augen, ach!", heißt es da, "mein blindes Mohnfeld, meine Liebe mit dem Nelkenhaar", "mein Seidenkokon und Feld voller Weizenähren", während Auslassungspunkte weitschweifig ins Unendliche verweisen. Gerade diese erzählerisch ungebrochene Intimität lässt dabei eine Diskrepanz zwischen Lebensgeschichte und historischer Rekonstruktion entstehen. Was der Roman zusammenführen will, bricht hier auseinander.

Warum faszinierte der Boxsport die Epoche, und was machte den Boxer zum Inbegriff des modernen Mannes? Nicht zufällig sei das Boxfieber erst nach dem Ersten Weltkrieg aufgekommen, bemerkte Kortner einmal gegenüber Max Schmeling: "Warum laufen euch denn alle nach? Warum glotzen wir denn so gebannt, wenn ihr aufeinander eindrescht? Weil wir alle Bonaglias sind und alle diese Angst kennen. Geh doch mal über die Straße und sieh in die Gesichter der Leute! In allen Augen ist was drin!" Der Gedanke äußersten Einsatzes und das Pathos des Einzelkämpfers gehen hier Hand in Hand.

Auch Güney Dal spricht von den "Jahren des Krieges", wenn er am Beispiel Mahirs die Veränderung eines "verletzlichen, feinen Menschen" hin zur "groben und dickfelligen Persönlichkeit des wütenden Boxers" betont. Er begleitet den Trainer bis in eine Zeit hinein, in der das Boxen von Deutschnationalen und Faschisten bereits für die "Wege zur Kraft und Schönheit" in Anspruch genommen und als charakterbildender Volkssport propagiert wird. Dabei ist sein Verfahren vor allem deskriptiv. Offenbar geht es nicht darum, die historische Distanz der auktorialen Stimme zugleich für die Durchleuchtung des Mythos oder genauere Bestimmung des großen Fiebers zu nutzen. Auf diese Weise bleiben die "Teestunden am Ring" an vielen Stellen aber museal. Güney Dal führt die Mythen der zwanziger Jahre nicht vor. Passioniert schreibt er sie fort. Sein Roman wird so zur Reise in ein facettenreiches und schillerndes Museum. Jenseits des großen Kampfes zwischen Diener und Schmeling allerdings steht die Zeit hier still.

JULIA ENCKE

Güney Dal: "Teestunden am Ring". Roman. Aus dem Türkischen übersetzt von Carl Koß. Piper Verlag, München 1999. 300 S., geb., 38,- DM.

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