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Ein mittelalterliches japanisches Fischerdorf am Fuße eines unwegsamen Gebirges. Die Bewohner sind fast gänzlich von der Welt abgeschnitten und kämpfen gegen den Hunger. Immer wieder muß jemand sich in die Knechtschaft verkaufen und kehrt oft erst nach Jahren aus der Fremde zu seiner Familie zurück. Als auch Isakus Vater gehen muß, übernimmt der Neunjährige als ältestes Kind die Rolle des Ernährers. Er lernt Schwäche und Schmerz zu bezwingen, um in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen zu werden, die etwas Ungeheuerliches verbindet: ein Geheimnis, über dem das Schweigen liegt wie über…mehr

Produktbeschreibung
Ein mittelalterliches japanisches Fischerdorf am Fuße eines unwegsamen Gebirges. Die Bewohner sind fast gänzlich von der Welt abgeschnitten und kämpfen gegen den Hunger. Immer wieder muß jemand sich in die Knechtschaft verkaufen und kehrt oft erst nach Jahren aus der Fremde zu seiner Familie zurück. Als auch Isakus Vater gehen muß, übernimmt der Neunjährige als ältestes Kind die Rolle des Ernährers. Er lernt Schwäche und Schmerz zu bezwingen, um in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen zu werden, die etwas Ungeheuerliches verbindet: ein Geheimnis, über dem das Schweigen liegt wie über einem Unrecht. Vom Fischfang allein kann das Dorf nicht leben. Ohne die Schiffe, die, mit Reis, Öl und Wein beladen, an den gefährlichen Riffen vor der Küste stranden und brutal geplündert werden, wäre die Not ausweglos. Langsam und unabweisbar beginnt Isaku zu ahnen, daß die mächtigen Feuer, die er an stürmischen Abenden hüten muß, nicht nur der Salzgewinnung dienen. Als nach langer Zeit wieder ein Schiff strandet, finden die Männer statt der erhofften Lebensmittel zwanzig Tote an Bord, alle in roten Anzügen. Auf Rat eines Alten, der in der Welt herumgekommen ist, entkleiden sie die Leichen und übergeben die aus gutem Stoff gefertigten Anzüge den Frauen zur Verwendung. Nach wenigen Tagen beginnt eine Pockenepidemie unter den Dorfbewohnern zu wüten. Mit großer Eindringlichkeit, ohne zu werten und das Fremdartige zu deuten, beschreibt der japanische Romantiker das karge, aufs Elementare beschränkte Leben eines Dorfes, in dem die Not das Verbrechen hervorbringt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.1998

Strohseile für die Fische
Ein bißchen Völkerkunde: Akira Yoshimuras Roman "Schiffbruch"

Mit den Fischschwärmen wechseln die Jahreszeiten: "Nach den Sardinen kamen die Tintenfische." Der Frühsommer bringt reiche Makrelenfänge, der Herbst verheißt Oktopusse, bis dann, wenn das Schilfgras in voller Blüte steht, auch diese Nahrungsquelle versiegt. Ein namenloses Dorf an der Küste irgendeiner japanischen Insel, nicht mehr als siebzehn Häuser, bewohnt von Menschen, die angesichts des Hungers ständig ums Überleben kämpfen müssen. Die Zeit? Irgendwann, vielleicht im siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert. Doch was in der Welt geschieht, dringt ohnehin nicht durch bis zu diesem gottverlassenen Nest, dessen Bewohner uralte Fischfangtechniken anwenden und die Pflaumenblüte in den Bergen nur vom Hörensagen kennen. Einzig die Unglücklichen, die das Dorf auf Jahre verlassen müssen, um sich in der Fremde als Magd oder als Schiffsarbeiter zu verdingen und die halsabschneiderischen Vermittlergebühren abzuarbeiten, mögen etwas mehr gesehen haben. Doch wenn sie schließlich, von der Fron gezeichnet, wieder heimkehren, bleiben sie stumm.

Es gibt Gründe, weshalb die Dorfleute den Kontakt mit der Außenwelt regelrecht fürchten, und die hängen mit dem Feuer zusammen, das sie nachts am Strand unter den Kesseln schüren und für das die Familien reihum verantwortlich sind. Denn weshalb sollte man das Salz, das die Bewohner für den eigenen Gebrauch und zum Tausch gegen Getreide und andere Nahrung am Strand gewinnen, stets nachts kochen, aber nur bei rauher, nicht bei ruhiger See? Mit dem Feuer locken die Dörfler Schiffe an, die im Sturm in Seenot geraten und dann auf die vermeintlich rettende Küste zusteuern. Doch werden sie dabei auf ein tückisches Riff gelotst, an dem ihr Schiff zerschellt. Die Ladung - Handelswaren, Alkohol, Reis - verteilen die Bewohner gleichmäßig untereinander, und damit niemand von ihrem Geheimnis erfährt, werden die überlebenden Seeleute anschließend umgebracht. Dennoch lebt das Dorf in steter Angst, die eigenen Überlebensmaßnahmen könnten durch Nachforschungen der Schiffseigner und der Behörden aufgedeckt werden.

Archaisch muten die Rituale an, die das Leben der Dörfler bestimmen - die Totenverbrennung, die Hochzeiten, das Neujahrsfest und die Ofune-sama-Zeremonie: "Von dem schmalen Strand legte ein Boot ab, in dem eine schwangere Frau von achtundzwanzig Jahren saß; ihr Mann ruderte. Den Blick zum Horizont gewandt, hielt sie ein geweihtes Strohseil in den Händen, während das tanzende Boot immer weiter ins Meer hinausglitt. Nachdem der Mann es geschickt um die Klippen herummanövriert hatte, hielt er inne. Die Hände zum Gebet zusammengelegt, schauten die Dorfbewohner vom Strand aus zu, wie die Frau das Seil ins Meer warf. Die schwangere Frau im Boot war das Sinnbild für ihrer aller Bitte um einen reichen Fischfang, während sich an das Auswerfen des Seils die Hoffnung knüpfte, eines der vorbeifahrenden Schiffe werde an dem vorgelagerten Riff zerschellen." Anschließend wird die Frau im Haus des Dorfvorstehers empfangen, wo sie vor den Repräsentanten aller Familien den Saum ihres Kimonos lüftet und einem Tischchen mit aufgereihten Speisen einen energischen Tritt versetzt. Diese Geste drückt den Wunsch aus, ein Schiff möge an der Küste kentern.

Doch was die Dorfbewohner nicht ahnen - es gibt neben den Schiffen, die Nahrung und damit Lebenshoffnung spenden, auch solche, die Unheil bringen in Form einer todbringenden Seuche. Und wer diese überlebt hat, muß dennoch das Dorf verlassen und in den Bergen dem sicheren Hungertod entgegengehen. Das von religiösen Riten begleitete Aussetzen der von den Pocken Genesenen erinnert an die in Volkssagen und moderner Literatur, im Noh-Theater wie in Kinofilmen immer wieder verarbeiteten Brauch des "Obasute", des Aussetzens der Alten, besonders alter Frauen, in Zeiten, in denen jeder Esser, der nicht mehr selbst zum Familienunterhalt beitragen konnte, seinen Platz für Jüngere räumen mußte. (Allerdings ist sich die heutige Ethnologie nicht sicher, ob es diesen Brauch wirklich gegeben hat.)

Akira Yoshimura, Jahrgang 1927, ist ein in Japan populärer Autor dokumentarischer und historischer Romane, der mit diesem im Jahre 1982 erschienenen Werk erstmals in westliche Sprachen übersetzt wurde. Vieles an dem knapp und anschaulich, doch ohne jedes Pathos erzählten Roman erinnert an die Schilderungen eines Volkskundlers wie Yanagita Kunio, dessen Beschreibungen dörflicher Lebensart und traditionaler Gemeinschaft aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert die Literaten inspirierten. Wir finden uns lesend im Rhythmus des kargen Fischerlebens wieder, das im Glauben an die Seelenwanderung Halt und eine Erklärung für das harte Schicksal findet. Ist es das uns fremde Gefühl der Geborgenheit im Unvermeidlichen, Unveränderlichen, das der Schilderung dieses eigentlich trostlosen Lebens eine seltsame Faszination verleiht? IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT

Akira Yoshimura: "Schiffbruch". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Sabine Mangold. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1998. 223 S., geb., 34,- DM.

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