Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 9,00 €
  • Broschiertes Buch

Zehn Jahre beschäftigte sich Jean Genet mit dem Maler Rembrandt und besuchte die Museen, in denen sein Werk vertreten war. Unter dem Titel "Das Geheimnis Rembrandts" sollte früher oder später ein Buch über Rembrandt erscheinen. Tief erschüttert vom Tod des Freundes Abdallah, dem Genet sein Prosagedicht "Der Seiltänzer" gewidmet hatte, vernichtete er die Aufzeichnungen. Der vorliegende Text ist ein Fragment der ursprünglichen Fassung. "Wunderbare Schnipsel einer Auseinandersetzung. In einer wunderschön aufgemachten deutschen Ausgabe." (Thomas Plaichinger in der taz).

Produktbeschreibung
Zehn Jahre beschäftigte sich Jean Genet mit dem Maler Rembrandt und besuchte die Museen, in denen sein Werk vertreten war. Unter dem Titel "Das Geheimnis Rembrandts" sollte früher oder später ein Buch über Rembrandt erscheinen. Tief erschüttert vom Tod des Freundes Abdallah, dem Genet sein Prosagedicht "Der Seiltänzer" gewidmet hatte, vernichtete er die Aufzeichnungen. Der vorliegende Text ist ein Fragment der ursprünglichen Fassung. "Wunderbare Schnipsel einer Auseinandersetzung. In einer wunderschön aufgemachten deutschen Ausgabe." (Thomas Plaichinger in der taz).
Autorenporträt
Genet, Jean
Jean Genet, geb. am 19. Dezember 1910 als uneheliches Kind in Paris und von der Mutter ausgesetzt, wächst bis zum 13. Lebensjahr bei Pflegeeltern im Morvan auf. Mit Ende der Pflegschaft beginnt die Odyssee Genets durch die Institutionen der öffentlichen Fürsorge, bis er in der berüchtigten Besserungsanstalt von Mettray landet. 18-jährig verpflichtet sich Genet zum Militärdienst und wird in den Nahen Osten, später nach Marokko versetzt. Seit dem fühlt er sich von der arabischen Welt und den Men schen dort stark angezogen.In den 40er Jahren beginnt Genet zu schreiben, zunächst Gedichte und Romane, später Theaterstücke. Seit den 60er Jahren veröffentlicht er zahlreiche politische Essays und Artikel, in denen er sich für die Sache der Benachteiligten engagiert. 1983 wird Genet mit dem Französischen Nationalpreis ausgezeichnet. Er stirbt in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1986.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Kein Mensch war mein Bruder
Zum ersten Mal auf deutsch: Jean Genet über Rembrandt / Von Ina Hartwig

Der französischen Leserschaft sind Jean Genets literarische Essays über Rembrandt nicht erst bekannt, seit der Verlag Gallimard sie, versehen mit vielen farbigen Abbildungen, letztes Jahr unter dem schlichten Titel "Rembrandt" zusammenbrachte. "Rembrandts Geheimnis" (1958) war vorher schon in Band V der "OEuvres Complètes" zugänglich, der Essay mit dem abenteuerlichen Titel "Was von einem Rembrandt geblieben ist, der säuberlich in kleine viereckige Fetzen zerrissen und ins Klo geschmissen wurde" (1957) in Band IV. Der Merlin Verlag, der eine deutschsprachige Gesamtausgabe der Werke Genets vorbereitet, hat den neuen, offenbar für bibliophile Käufer gedachten Rembrandt-Band übernommen. Damit liegen Genets enigmatische, derbe Texte über den holländischen Maler, die für das Verständnis seiner Ästhetik durchaus bedeutend sind, erstmals auf deutsch vor; leider in einer Übersetzung, die man kaum professionell nennen kann.

Noch ein bedauerliches Manko sei erwähnt, das allerdings Gallimard anzulasten ist: der Verzicht auf die ursprüngliche graphische Gestalt. Der später entstandene der beiden Texte, "Ce qui est resté d'un Rembrandt déchiré en petits carrés bien réguliers, et foutu aux chiottes", ist nämlich zweispaltig angelegt, so, daß eine Kolonne - über Genet - die gegenüberliegende - über Rembrandt - jeweils wechselweise kommentiert. (Ein äußerst reizvolles Experiment, das Jacques Derrida in seinem Buch "Glas", in dem er Betrachtungen über Genet mit solchen über Hegel konfrontiert, bereits als Hommage an den befreundeten poète maudit pastichisierend nachgeahmt hat.) In dem neuen "Rembrandt" sind die Kolonnen nun als Fragment I und II hintereinander gedruckt.

Damit ist dem komplizierten Essay nicht nur das Erkennungszeichen genommen, er wird auch unverantwortlich reduziert. Genet hatte natürlich seinen Grund, den Text wie einen Spiegel zu gestalten, genauer: wie einen Spiegel mit Riß. Denn nichts anderes wird hier in Szene gesetzt als - eben gebrochene Spiegelungen: Genet spiegelt sich in Rembrandt, spiegelt Rembrandt in Genet, spiegelt sich in sich selbst, schließlich Rembrandt in Rembrandt. Keines dieser Spiegelverhältnisse ist geeignet, die Einzigartigkeit des Individuums zu bestätigen. Was statt dessen ans Licht kommt, ist eine "universale Identität aller Menschen", die kränkende, schockartige Erfahrung, sich von niemandem zu unterscheiden. "Kein Mensch war mein Bruder: jeder Mensch war ich selbst."

Im übrigen ist Rembrandt nicht der einzige Künstler, der Genet dazu dient, eigene poetisch-existentielle Erfahrungen darzulegen. In einem Essay von 1957 über den Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti, in dessen Atelier er ein und aus ging, nennt er als Quelle der menschlichen Schönheit die Verwundung ("blessure"). Ähnliches steht in dem fast gleichzeitig entstandenen Prosastück über "Rembrandts Geheimnis": "Alle seine Figuren wissen von der Existenz einer Verletzung, und sie nehmen dorthin Zuflucht." Wer Genets Romane kennt, in denen Helden mit so klingenden Namen wie Querelle de Brest oder Notre-Dame des Fleurs an ihren Blessuren leiden, die sämtlich auf einen (inneren) Kampf zwischen Scham und Ehre, Verlangen und Angst zurückgehen, ahnt, daß hier nicht nur von Rembrandts Werk die Rede ist.

Gern spricht Genet vom Fleisch - und meint das lebende ebenso wie das gemalte, wobei das Französische ihm zwei Wörter zur Verfügung stellt: Während das eine mit der Zeit verfällt ("viande"), könnte man das andere - mit Blanchot - die fühlbare-fühlende Materie aller Dinge und Menschen nennen, in der jeder aufgehoben ist ("chair"). Die Feierlichkeit, die Genet in Rembrandts Malerei erkennt, führt er auf das Leuchten des - oft faltigen - Fleisches zurück; die Zerstörung der individuellen Singularität darauf, daß jedes Fleischs von Rembrandt "gleich" gemalt werde. Tatsächlich ist die fehlende Ähnlichkeit zwischen den lebenden Modellen und Rembrandts gemalten Porträts notorisch, oft soll es von seiten der Auftraggeber Beschwerden gegeben haben. Die Kunsthistorikerin Svetlana Alpers sieht darin ein Prinzip, das Genets Deutung erstaunlich nahekommt: Als Erfinder der sich selbst gründenden Individualität porträtiere Rembrandt in jedem sich selbst, ja sei geradezu ein "Unternehmer in Sachen Selbst".

Die - negative - "Offenbarung", nicht einzigartig zu sein, will Genet in einem Zugabteil der dritten Klasse gemacht haben, als er seinem heruntergekommenen männlichen Gegenüber, einem fremden Fahrgast, in die Augen geschaut habe. Das soll offenkundig auch eine Spiegelung sein, eine, die der analytischen Psychologie natürlich bestens bekannt ist. Doch der Blick des anderen sagt Genet nicht, wer er ist beziehungsweise zu sein meint, im Gegenteil. Der Blick des anderen löscht die Erfahrung aus, überhaupt unterscheidbar zu sein. Das Gefühl des Ekels, das damit einhergeht, führt endlich - wir haben es schließlich mit Genet zu tun - zur Frage der Erotik: Kann man überhaupt begehren, wenn jeder mit jedem identisch ist? Genets Dialektik will nun, daß dieser erotischen Aussichtslosigkeit Rembrandts artistische Entdeckung entgegensteht, jedes Ereignis könne in jedem Moment wertvoll sein: "Darüber unterrichtet ihn seine eigene Einsamkeit." Rembrandt, soviel steht wohl fest, ist nichts weniger - aber auch nicht mehr - als Genets positives Selbstporträt.

Jean Genet: "Rembrandt". Aus dem Französischen übersetzt von Katharina E. Meyer und Marc Bastet. Merlin Verlag, Gifkendorf 1996. 95 S., br., ill., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr