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1996 gab Otto F. Kernberg die deutsche Ausgabe seines Buches "Narzisstische Persönlichkeitsstörungen" in der Übersetzung aus dem Amerikanischen heraus. Das Buch wurde ein Bestseller; jetzt ist - unter Beteiligung deutschsprachiger Wissenschaftler eine Neubearbeitung des Themas erschienen. Es behandelt alle Facetten einer Persönlichkeitsstruktur und Störung, die für Psychiater und Psychotherapeuten eine der größten Herausforderungen darstellt - und die auch gesellschaftlich/forensisch eine zunehmend problematischere Rolle spielt.
Die neuen "wissenschaftlichen Variationen" über das Thema
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Produktbeschreibung
1996 gab Otto F. Kernberg die deutsche Ausgabe seines Buches "Narzisstische Persönlichkeitsstörungen" in der Übersetzung aus dem Amerikanischen heraus. Das Buch wurde ein Bestseller; jetzt ist - unter Beteiligung deutschsprachiger Wissenschaftler eine Neubearbeitung des Themas erschienen. Es behandelt alle Facetten einer Persönlichkeitsstruktur und Störung, die für Psychiater und Psychotherapeuten eine der größten Herausforderungen darstellt - und die auch gesellschaftlich/forensisch eine zunehmend problematischere Rolle spielt.

Die neuen "wissenschaftlichen Variationen" über das Thema Narzissmus und Persönlichkeitsstörungen sind nunmehr konsequent auf die gesellschaftlichen, strukturellen, therapeutischen und gesundheitsökonomischen Verhältnisse im deutschsprachigen Raum zugeschnitten und bereichern die einschlägige Literatur um ein neues Standardwerk.
Autorenporträt
Prof. Dr. med. Otto F. Kernberg; Psychiater und Psychoanalytiker; Direktor des Instituts für Persönlichkeitsstörungen des NewYork-Presbyterian Hospital, Westchester Division; Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York; Past President der International Psychoanalytical Association.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Die Unfähigkeit zur Zukunft
Das grandiose Selbst als verschärfte Variante eines Erfolgsmodells: Analysen der narzißtisch gestörten Persönlichkeit / Von Eberhard Rathgeb

In den siebziger Jahren ging in der Bundesrepublik eines Tages die Tür des avancierten öffentlichen Bewußtseins auf, und vor der Tür stand keck das Selbst. Kaum war die Tür auf, trat das Selbst ein und machte sich in den Gemütern breit. Es war auf seine Art "handsome", wie die Amerikaner sagen würden, und gewann in der Bundesrepublik vor allem unter der Jugend und den Beobachtern der Empfindlichkeiten und Seelenlagen, schlicht Therapeuten genannt, schnell Freunde. Im Jahr 1973 war Heinz Kohuts Buch "Narzißmus" auf deutsch erschienen.

Das Selbst war nicht vom Himmel gefallen. In der deutschen idealistischen Philosophie hatte es als Selbstbewußtsein sehr gute Zeiten erlebt. Doch die guten Zeiten der deutschen idealistischen Philosophie waren kurz, und wenig bis nichts, was dort verhandelt worden war, konnte in der Bundesrepublik wirklich Fuß fassen - abgesehen von den seminaristischen Hegelrekursen der Kritischen Theorie in den sechziger Jahren. Mit dem Selbstbewußtsein ließen sich keine Befindlichkeiten und Seelenlagen packen. Die Anwendung der Psychoanalyse versprach hier mehr.

Der Freudsche Drilling Ich-Es-Über-Ich beschrieb vor allem psychische Konflikte und korrelierte mit der damals virulenten Gesellschaftskritik, die sich an den kleinen und großen Widersprüchen, den individuellen Konflikten mit sich und der Gesellschaft einerseits und den allgemeinen Konflikten innerhalb der Gesellschaft andererseits, entzündete. Doch nachdem einmal alle wesentlichen Konflikte benannt waren und sich keine Veränderungen einstellen mochten, sank die Hoffnung auf die erlösende Kraft der Kritik dahin.

Das war der Zeitpunkt, als das Selbst seinen Koffer packte und in die Welt zog. Es hatte alle Chancen, zu reüssieren. Das Ich war klar und hell gewesen wie die Kritik. Aber von der klaren und hellen Kritik allein ließ sich nicht gut mit sich leben. Die eigene Person kam dabei viel zu kurz, denn die eigene Person war nicht klar und hell, sondern dunkel und geheimnisvoll, eben individuell. Da kam das Selbst gerade recht, denn auch das Selbst war dunkel und geheimnisvoll, eben individuell, und paßte damit gut zum persönlichen Kern. Das war der begriffliche Beginn des langen Weges zur Selbstverwirklichung.

Der Psychoanalytiker Heinz Kohut, 1913 in Wien geboren, war Jude, und er floh deshalb 1939 über England in die Vereinigten Staaten. Dort begründete er die Selbstpsychologie, eine sehr eigenständige Richtung innerhalb der Psychoanalyse und deren Ich-Psychologie. Kohut schaute nicht auf die Konflikte zwischen dem psychoanalytischen Drilling Ich-Es-Über-Ich, sondern auf das Selbst, das mit ihm neu zu Ehren kam, und dessen Erfüllungen. Er unterschied zwischen einem gesunden und einem pathologischen Narzißmus. Ende der siebziger Jahre veröffentlichte er sein zweites Buch: "Die Heilung des Selbst".

Narzißtische Persönlichkeitsstörungen (NPS) werden nicht nur von den Selbstpsychologen beschrieben und behandelt, sondern auch von den traditionellen Psychoanalytikern, zum Beispiel von dem Großmeister Otto F. Kernberg, dessen Buch "Borderline-Strörungen und pathologischer Narzißmus" ebenfalls in den siebziger Jahren erschienen war. Der Narzißmus stand auf der psychischen Tagesordnung.

Narzißtische gestörte Menschen übertreiben ihre eigenen Leistungen und Begabungen und konzentrieren sich gerne und ausschließlich auf ihre Probleme. Sie beschäftigen sich ausgiebig mit Erfolg und Macht und fordern von anderen Menschen anhaltende Aufmerksamkeit und Bewunderung für ihre werte Person. Sie sind unfähig, sich in andere einzufühlen, sie mißachten die Rechte und die persönliche Integrität anderer Menschen, ja sie versuchen ständig, andere zu übervorteilen, um ihre eigenen Interessen und Wünsche durchzusetzen. Sie erwarten besondere Vergünstigungen im Leben, ohne dafür irgendwelche Verpflichtungen übernehmen zu wollen. Sie reagieren auf Kritik mit Wut und sind der Ansicht, daß sie unter ganz besonderen Problemen leiden, die von anderen Menschen gar nicht verstanden werden können. Sie sind arrogant, und sie versuchen, mit Wissen, das letztendlich nur ein sogenanntes Schlagzeilenwissen ist, und mit Eloquenz, die zur Aufrechterhaltung ihres wackeligen Selbstgefühls eingesetzt wird, andere Menschen zu beeindrucken. Sie nehmen dabei die Realität völlig egozentrisch wahr. Sehr gerne geben sie sich bescheiden und verachten das Geld, sind aber im Gegenteil ganz und gar materialistisch orientiert. Ihrer zur Schau gestellten Grandiosität entspricht in ihrem Innern eine dadurch verdeckte Minderwertigkeit. Sie sind ehrgeizig, gleichzeitig aber von Dilettantismus und chronischer Langeweile angegriffen. Sie suchen sexuelle Erfüllungen und gehen zahlreiche Beziehungen ein, ohne an die erotischen Wünsche des Liebespartners auch nur zu denken. Ihr emotionales Leben ist im Grunde schal. Sie suchen ständig eine Bühne, um sich in Szene zu setzen.

Alles in allem muß man sagen: Sie sind keine angenehmen Menschen. Narzißtische Persönlichkeitsstörungen kommen auch bei Kindern und Jugendlichen vor, vor allem wenn sie narzißtisch gestörte Eltern haben. Auch der genetische Einfluß darf nicht vernächlässigt werden.

Nicht immer helfen nur die Psychotherapeuten aus der Sackgasse. Wie aus Saulus ein Paulus wurde, als ihm eines Tages, an dem er sich wieder zur Verfolgung von Christen aufgemacht hatte, der Herr erschien, so können narzißtische gestörte Persönlichkeiten durch bestimmte Ereignisse auch wieder einigermaßen ins Lot gebracht werden. Darüber berichtet ein interessanter Aufsatz in dem materialreichen Band, der mit allen Facetten der NPS bekannt macht. Drei Formen korrigierender Ereignisse werden hier unterschieden: Der Patient erreicht endlich Ziele, die er sich gesetzt hat, aber bislang leider nicht erreichen konnte; der Patient geht eine neue dauerhafte Beziehung ein; oder der Patient wird gleichsam kathartisch enttäuscht und desillusioniert.

Ende der siebziger Jahre wurde durch Christopher Lasch mit seinem zeitdiagnostischen Beststeller das "Zeitalter des Narzißmus" eingeläutet. Lasch sah nur noch Menschen, die unfähig oder nicht willens waren, Familien zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen. Sie dachten statt dessen lieber an sich und die Erfüllung ihrer Wünsche, drückten sich vor einem Blick über den eigenen Tellerrand und bemühten sich, jung zu bleiben. Der Narzißmus als Charakterstruktur, meinte Lasch, sei typisch für eine Gesellschaft, die jedes Interesse an der Zukunft verloren habe. Aus dem Zweifel an der Fortpflanzung spreche die grassierende Unsicherheit, ob es überhaupt wünschenswert sei, daß die Gesellschaft weiterbestehe.

Vielleicht ist es so: Die Ankunft des Selbst im westlichen Seelenleben fiel mit einer argen Formierung und Aushöhlung der Gesellschaft und der sozialen Akteure zusammen. Das Selbst sitzt in einer Runde von Menschen fest, die ausschließlich an ihr Fortkommen denken (müssen). Wahrscheinlich werden auch hier nur noch korrigierende Ereignisse eine allgemeine Veränderung der Wahrnehmungen und eine Erlösung aus dem zwanghaften Selbstbezug bewirken - zum Beispiel eine Desillusionierung über die individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten.

Otto F. Kernberg, Hans-Peter Hartmann (Hrsg.): "Narzißmus". Grundlagen - Störungsbilder - Therapie. Übersetzungen der englischen Beiträge von Petra Holler. Schattauer Verlag, Stuttgart 2006. XXIV, 766 S., 13 Abb., geb., 79,- [Euro].

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