Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Seitenzahl: 190
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 314g
  • ISBN-13: 9783351029265
  • ISBN-10: 3351029268
  • Artikelnr.: 09873676
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2002

Morgen wird wie heute sein
Im Klammergriff der Vergangenheit: Ein Krimi von Richard Wagner

Spannend, von der ersten bis zur letzten Seite, ist der neue Roman von Richard Wagner. An dramatischen Ereignissen besteht kein Mangel. Es geht um verbotene Geschäfte, um Liebe und Verrat, um Mord und das Begleichen alter Rechnungen. Agenten, aktive und abtrünnige, jagen sich gegenseitig. Andere müssen dabei sterben. Wenig zu lachen hat ein alternder Privatdetektiv. Etwas zerknittert und gezeichnet von der Banalität seiner Aufträge, entspricht er den Konventionen des Detektivromans: Raymond Chandler und Georges Simenon könnten Wagners Figuren Pate gestanden haben. Eher an Dürrenmatt dagegen erinnert das intellektuelle Raffinement der Konstruktion. Aus drei verschiedenen Perspektiven wird die Handlung erzählt, zuerst aus der des Detektivs, dann aus der eines befreundeten Schriftstellers und schließlich aus der eines jungen Mannes, des Sohns des Detektivs.

Alle drei sind vom Geschehen betroffen, alle müssen erkennen, daß man der Vergangenheit nicht entkommen kann. In anderen Zeiten noch hat die Geschichte begonnen, damals im verschlossenen Rumänien. Bevor Dino Schullerus Privatdetektiv wurde, bevor er sich in West-Berlin an die Fersen untreuer Ehegatten heften mußte, hatte er noch Dinu Matache geheißen; als Offizier hatte er im Dienst der Securitate gestanden, bis es ihm endlich gelang, mit seiner Frau, einer Siebenbürger Sächsin, das Land zu verlassen. Vorher bereits hatte die Geliebte, die einstige "Miss Bukarest", durch eine Heirat nach Deutschland entkommen können. Gesehen haben sich die beiden danach nie mehr. Erst ein Zufall, der keiner war, sollte sie wieder im Berlin der neunziger Jahre zusammenführen.

Doch mit der schönen meldet sich zugleich auch die schlimme Erinnerung; auch die Kollegen von damals, die Agenten des rumänischen Geheimdienstes, sind plötzlich wieder da, noch immer auf der Spur der Freundin. Als man sie wenig später tot auffindet, beginnt der Privatdetektiv mit den Recherchen in eigener Sache. Die Ermittlung wird zur Selbsterforschung; zum Roman fügen sich ihre Ergebnisse. Festgehalten werden sie in einem Manuskript, das dann auf geheimnisvolle Weise die Runde macht. Auch der Schriftsteller Klaus Richartz, der einstmals bespitzelte Freund, wird noch daran arbeiten, ehe es Christian, der Sohn des Detektivs, abschließt.

Wie, das sollte man hier nicht vorwegnehmen. Es ist schnell genug nachzulesen. Für die kaum zweihundert Seiten, die das schmale Buch umfaßt, wird niemand lange brauchen. Mit seinem ständig steigenden Erzähltempo treibt der Autor zur Eile. Daß sie durch umständliche Abschweifungen gelangweilt werden könnten, brauchen die Leser nicht befürchten. Wo sich retardierende Momente, reflektierende Längen trotz allem einschleichen, hat man schnell darüber hinweggelesen.

Der zwischen den Zeilen verborgene Geschichtskommentar ist wohl ohnehin nur von denen zu verstehen, die das Schicksal Richard Wagners, des rumäniendeutschen Schriftstellers, teilen: eines Intellektuellen, der von den Umständen, aus denen er seinerzeit in den Westen geflohen ist, nicht loszukommen vermag. Noch der Untergang der kommunistischen Diktatur will ihm am Ende wie ein Planspiel des allmächtig erlebten Geheimdienstes vorkommen. Unvorstellbar scheint nach der Erfahrung des Totalitarismus die grundlegende Veränderung der Verhältnisse, die Erfüllung der Sehnsucht. Über die spontane Freude legen sich schnell wieder die Schatten mißtrauischen Zweifels. Und naiv nur kann dabei die Selbstverständlichkeit anmuten, mit der die westliche Welt von demokratischem Wandel ausgehen wollte.

Staunend, kopfschüttelnd mitunter sieht der zweite Erzähler des Buches, der ebenfalls ausgereiste Schriftsteller Klaus Richartz, wie schnell die Menschen hierzulande das Gewesene vergessen konnten, wie wenig sie sich für seine Vergangenheit interessierten, für das, was ihn dazu gebracht hatte wegzugehen. "Die meisten Frankfurter Kollegen", sagt der Emigrierte, "nahmen uns nicht ernst. Sie waren viel zu sehr mit der Pflege ihres Sozialismus-Bildes beschäftigt. So konnten sie unsere Warnungen vor dem Zustand im Osten nicht ernst nehmen." Sarkasmus ist seine Art, sich in die Spaßgesellschaft einzufügen.

Bitternis mischt sich von Fall zu Fall in die Ironie seiner Sprache, in einen Ausdruck, der mehr noch verrät als die Haltung der redenden Figur. Wenn sie von den "Ostmitleids-Stipendien", vom "schmissigen Antifaschismus" oder davon spricht, daß sie hier der "Nick-Neger" hätte sein können, dann geht das so weit über den Anlaß der Handlung hinaus, daß man meinen möchte, den Erfinder des Ganzen, Richard Wagner, selbst zu hören. Fast scheint es manchmal, als wolle er mit der eigenen spöttischen Distanz noch über die Leichtfertigkeit der anderen triumphieren, sich locker die ganze Vergangenheit vom Hals schreiben. Das aber geht so einfach nicht. Dafür liegt ihm das Überwundene noch zu nah, zu groß ist der Affekt, weshalb wir sicher froh sein dürfen, daß Richard Wagner doch genug von sich absehen kann, um der spannenden Erzählung Raum zu geben.

THOMAS RIETZSCHEL

Richard Wagner: "Miss Bukarest". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2001. 190 S., geb., 16,50 .

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Für ein großartiges Buch hält Anita Kugler diesen Roman, der spannend sei wie ein Krimi, weil er ja auch ein Krimi ist, und zugleich komplex erzählt, weil die Geschichte, von der er handelt, kompliziert ist. Es geht um den rumänischen Geheimdienst, stellvertretend für alle Geheimdienste und Diktaturen der Welt, der selbst im nachhinein und im Exil auf ehemalige Mitarbeiter und Opfer einen negativen Einfluss ausübt. Kugler zitiert den Autor: "Die Macht der Geheimdienste besteht im Zerstören der Gefühle". Eine exilierte schöne Rumänin taucht als Wasserleiche in Berlin auf, berichtet Kugler, in ihrem Umfeld einige Männer, die aus verschiedener Perspektive und höchst widerwillig mit der Vergangenheit abrechnen. Die schöne Tote kommt Kugler in der Handlung allerdings zu makellos weg, wo doch sonst für alle Beteiligten des Kriminalromans gelte: jeder ist vergiftet, jeder hat Dreck am Stecken, jeder ist gezeichnet für immer.

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