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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.1997

Zum Beispiel der Fall Eintracht Frankfurt
Mikroökonomie - Ein Lehrbuch mit praktischen Bezügen

Eberhard Feess: Mikroökonomie: Eine spieltheoretisch und anwendungsorientierte Einführung. Metropolis-Verlag, Marburg 1997, 779 Seiten, 68 DM.

Wie hoch schätzt ein Fußballfan die Wahrscheinlichkeit ein, daß es ein Trainer schafft, Eintracht Frankfurt innerhalb eines Jahres von einer Spitzenmannschaft zur grauen Maus zu mutieren? Angenommen, der Fan erhielte das Signal "Jupp Heynckes": Wie wird der Fußballfan nun seine zuerst erfragte Wahrscheinlichkeit über die Metamorphose zur grauen Maus verändern? Und schließlich: Was haben diese beiden Fragen mit einem Lehrbuch zur Mikroökonomie zu tun?

Die letzte Frage ist leicht zu beantworten: Für Eberhard Feess ist die im Titel angekündigte Anwendungsorientierung seines mikroökonomischen Lehrbuches keine leere Versprechung, sondern ein Prinzip, an das er sich auch in komplexen Abschnitten hält. So werden beispielsweise dynamische Spiele bei unvollständiger Information mit dem anschaulichen Eintracht-Frankfurt-Beispiel erklärt. Doch rechtfertigen Anwendungsorientierung und Anschaulichkeit ein weiteres, mehrere hundert Seiten starkes Lehrbuch, da doch schon eine Vielzahl von deutschen Lehrbüchern auf dem Markt ist?

Ein Dilemma des traditionellen mikroökonomischen Stoffes liegt darin, daß er zwar relativ leicht zu vermitteln ist, jedoch häufig die Praxisrelevanz vermissen läßt. Der moderne Stoff hingegen, wie er vorrangig in amerikanischen Lehrbüchern vermittelt wird, ist für die überwiegende Mehrzahl der deutschen Studenten kaum zugänglich. "Für ,normalinteressierte' Studenten ist der moderne Stoff aber viel wichtiger als der traditionelle, weil beispielsweise die Praxisrelevanz der Principal-Agency-Theory erheblich höher ist als die Theorie vollständiger Konkurrenz", schreibt Feess in seinem Vorwort und repräsentiert damit eine Meinung, die von vielen Mikroökonomen geteilt wird. Diese Diskrepanz zwischen dem tendenziell praxisfernen traditionellen Lehrstoff und dem modernen, eher praktischen, dafür aber oft mit formalen Inhalten rechtfertigt ein neues Lehrbuch durchaus. Am Anfang unterscheidet sich Feessens "Mikroökonomie" kaum vom Aufbau anderer Lehrbücher. Genauso wie vergleichbare Werke geht der Autor von der Produktionstheorie zur Nachfragetheorie und dann zur vollständigen Konkurrenz. Danach stellt er Theorien unvollständiger Märkte dar. Anschließend geht Feess über diesen selbstverständlichen Stoff hinaus, indem er neben preis- und wettbewerbstheoretischen Fragen auch neuere Anwendungsgebiete wie Informationsasymmetrien, die ökonomische Theorie des Rechts oder die Verhandlungs- und Auktionstheorie systematisch und ausführlich behandelt. Für den Praktiker interessant sind die anwendungsorientierten Abschnitte in fast jedem Kapitel. All jene, die Mikroökonomie noch dunkel als weltfremdes Gebiet in Erinnerung haben, werden überrascht sein, wie vielfältig diese Anwendungsbezüge sind. Einige Beispiele seien hier genannt:

Die Partialanalyse vollständiger Konkurrenz wird durch eine Darstellung der Agrarmarktpolitik der Europäischen Union abgerundet. Innerhalb der Faktornachfragetheorie findet sich ein Abschnitt zur Beurteilung der Tarifpolitik durch den Sachverständigenrat. Innerhalb der Elastizitäten wird eine empirische Untersuchung zur Schätzung der Nachfrageelastizitäten im Transport herangezogen. Und wenn Feess die Abgrenzung von Märkten und die Marktformen erörtert, veranschaulicht er dies mit dem Gruner+Jahr-Urteil, bei dem die Abgrenzung von Märkten durch das Kartellamt entscheidend für die Ablehnung der Beteiligung von Gruner+Jahr am "Zeit"-Verlag gewesen ist. Abgerundet wird das Buch durch ein Glossar mit Register, das allerdings ein ausführliches Stichwortverzeichnis nur unzureichend ersetzt.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die "Mikroökonomie" von Feess gleichermaßen für den Lehrbetrieb wie auch für den an theoretischen Fragen grundsätzlich interessierten Praktiker geeignet ist. CHRISTIANE NICKEL

(Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung, Koblenz)

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