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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2002

Der Sieg der Illusionen?
Stefan Luft über die Wirklichkeit deutscher Ausländerpolitik

Stefan Luft: Mechanismen, Manipulation, Mißbrauch. Ausländerpolitik und Ausländerintegration in Deutschland. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 2002. 211 Seiten, 20,- Euro.

Der Titel des Buches läßt aufhorchen. Bei seiner Abfassung ist offensichtlich kein multikulturell gesinnter Schönredner, kein illusionärer Schwärmer am Werke gewesen. Der Verfasser hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert, war dann journalistisch tätig und von 1995 bis 1999 persönlicher Referent und Pressesprecher des damaligen Bremer Innensenators Bortscheller, der durch die ungeschminkte, realitätsnahe Offenlegung seiner negativen Erfahrungen mit der üblichen Ausländerpolitik einiges Aufsehen erregte.

Stefan Luft sind offenbar in jenen Jahren die Augen geöffnet worden. Daher nimmt er kein Blatt vor den Mund. In Zeiten des Wahlkampfes und im Zeichen des Zuwanderungsgesetzes hätte er keinen günstigeren Augenblick für seine Veröffentlichung wählen können. Denn die einschlägige Literatur enthielt bisher in der Regel entweder abstrakte sozialwissenschaftliche Abhandlungen oder aber Kampfschriften, interessengeleitete Traktate kleiner Lobbygruppen, die sich durchaus nicht uneigennützig oder naiv die Sichtweise der Zuwanderer zu eigen machten, oft lautstark eine angebliche Ausländerfeindlichkeit in Deutschland beklagten. Was hingegen bisher fehlte, war eine zusammenfassende Darstellung der Erfahrungen staatlicher Instanzen, die seit Jahrzehnten tagtäglich dem grauen Alltag deutscher Asylpolitik ausgeliefert sind und sich mit den vielfältigen Mißbräuchen des Asylrechts sowie der Desintegrationsdynamik in Deutschland, vor allem in unseren Großstädten, auseinandersetzen müssen.

Schon auf den ersten Seiten ist hier vom "mangelnden politischen Willen" die Rede, die Zuwanderung nach Deutschland zu steuern, auch von den "Pressionen, denen die ausführenden Behörden und verantwortlichen Politiker ausgesetzt sind". Luft erwähnt gleichzeitig deren mitunter verantwortungslose Redensarten. So habe Gerhard Schröder 1997 gesagt: "Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell!" Gleichzeitig habe er aber eine entgegengesetzte Politik betrieben. "Der Entstehung ethnischer Kolonien in den Großstädten" sei bislang zuwenig Aufmerksamkeit zuteil geworden, obwohl sie sich bereits seit mehr als einem Vierteljahrhundert abzeichne. Wirtschaftsverbände, Parteien, Wissenschaftler und Publizisten erklärten unaufhörlich, aber zu Unrecht, "Deutschland sei längst zum multikulturellen Einwanderungsland geworden, man solle dies endlich akzeptieren und kleinbürgerliche Vorbehalte beiseite schieben". Es frage sich, ob Deutschland bisher wirklich in der Lage sei, die Zuwanderung so zu steuern, wie es in klassischen Einwanderungsländern - etwa den Vereinigten Staaten und Australien - selbstverständlich sei. "Die öffentliche Debatte (in Deutschland) ist durch Realitätsverweigerung, eine Tendenz zur wirklichkeitsfernen Abstraktion, durch den Moralismus offensiver Lobbyisten und durch eine ausgeprägte Hilflosigkeit hinsichtlich politischer Lösungen gekennzeichnet . . . Eine teilweise aggressive Lobbyarbeit mit geradezu missionarischem Impetus verschiedener professionell vernetzter Organisationen findet eine Medienresonanz, die in keinem Verhältnis zur Größe ihrer Anhängerschaft steht." Das gesellschaftliche Konfliktpotential der Zuwanderung sei beträchtlich, da es bei ihr nicht nur um die Verteilung öffentlicher Gelder, sondern auch um nationale und kulturelle Identitäten gehe. Entsprechende Auseinandersetzungen würden sich "- mit oder ohne islamistische Terroristen - in den kommenden Jahren verschärfen. Integration und Zuwanderung sind zu wichtige politische Themen, als daß die Darstellung der Wirklichkeit auf Dauer einer selbsternannten ,migrationspolitischen Fachöffentlichkeit' überlassen werden darf."

Diese Wirklichkeit kommt bei Luft ausführlich zur Sprache. Er unterstreicht, daß Deutschland bei der Zuwanderung einen Spitzenplatz einnehme. So habe es zwischen 1990 und 2000 zwei Millionen Zuwanderer bei uns gegeben, während die Vereinigten Staaten im gleichen Zeitraum nur eine Million Menschen aufgenommen hätten. Luft betont, wie winzig klein die Anerkennungsquoten bei Asylverfahren seien, erwähnt "Anweisungen", Ratschläge, die interessierte Organisationen Asylbewerbern zukommen lassen, berichtet von der beklagenswerten Rolle, die einschlägig interessierte Rechtsanwälte spielen. Von der gängigen Verschleierung der eigenen Identität durch Asylanten ist ebenso die Rede wie von Scheinehen in ihren Kreisen, dem Untertauchen abgelehnter Bewerber, dem problematischen, ja oft haarsträubenden Kirchenasyl. Die erschreckend hohe Sozialhilfequote der Zuwanderer kommt ebenso zur Sprache wie die häufige Arbeitslosigkeit unqualifizierter Jugendlicher, obwohl deren Eltern oder sogar Großeltern schon lange in Deutschland leben. Mangelnde Schulbildung junger Zuwanderer ist ebenso ein Thema wie die vergleichsweise hohe Ausländerkriminalität einschließlich ihrer organisierten, auch der politisch motivierten Formen.

Breite Aufmerksamkeit wird dem Islamismus zuteil, dessen Gefährlichkeit man nach dem 11. September vergangenen Jahres wohl niemandem mehr beweisen muß. Luft weist nachdrücklich darauf hin, daß es sich hier, ganz abgesehen vom Terrorismus, um ein im Ansatz "totalitäres Herrschaftssystem" handelt, "das den Anspruch erhebt, eine Gottesordnung zu sein". Kapitelüberschriften wie "Realitätsverweigerung hilft nicht" oder der nachdrücklich geforderte "Abschied von Illusionen" könnten über dem ganzen Buch stehen. Solche Aufforderungen sind allen Landsleuten dringend ans Herz zu legen. Man muß Zuwanderern (auch da hat Luft völlig recht) nicht nur Integrationsangebote machen, sondern eine "Integrationspflicht" auferlegen.

ARNULF BARING

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit sichtlicher Genugtuung hat Arnulf Baring Stefan Lufts Buch über die deutsche Ausländerpolitik gelesen: Hier schreibe kein multikulturell gesinnter Schönredner, kein illusionärer Schwärmer, sondern einer, der vier Jahre lang als Referent des Bremer Innensenators gearbeitet habe und nun seine negativen Erfahrungen "ungeschminkt" und "realitätsnah" offenlegen möchte. Eine solche Zusammenfassung des "grauen Alltags deutscher Asylpolitik", des vielfältigen Missbrauchs und der Desintegrationsdynamik hat lange gefehlt, meint Baring. Die einschlägige Literatur sei doch bisher allein von ideologischen Kampfschriften oder interessegeleiteten Traktaten gekennzeichnet gewesen, wie auch die öffentliche Debatte durch wirklichkeitsferne Abstraktion, Moralismus oder aggressive Lobbyarbeit. Dagegen, lobt der Rezensent, kommt bei Luft die Wirklichkeit zur Sprache: Verschleierung der eigenen Identität durch Asylbewerber, Scheinehen, Kirchenasyl, die ethnischen Kolonien in den Großstädten. Lufts Aufforderungen, sich von Illusionen zu verabschieden, meint Baring schließlich, seien allen Landsleuten dringend ans Herz zu legen.

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