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"Nun endlich erscheint das eine dicke, das lang erwartete Buch von Jürgen Fuchs über die Täter im Ministerium für Staatssicherheit und über ihre Opfer: 'Magdalena' - was als Titel so romantisch daherkommt, war im Osten einer der Spottnamen für das MfS in der Magdalenenstraße in Berlin, ein Name allerdings, bei dem uns der Spott verging. Jürgen Fuchs beschreibt... nicht nur die technischen Herrschaftsinstrumente der Firma 'Horch und Guck'... Fuchs liefert den tieferen Einblick in das Innere dieses totalitären Kadavers..." (Wolf Biermann über den in der DDR inhaftierten und später ausgebürgerten Schriftsteller Jürgen Fuchs.)…mehr

Produktbeschreibung
"Nun endlich erscheint das eine dicke, das lang erwartete Buch von Jürgen Fuchs über die Täter im Ministerium für Staatssicherheit und über ihre Opfer: 'Magdalena' - was als Titel so romantisch daherkommt, war im Osten einer der Spottnamen für das MfS in der Magdalenenstraße in Berlin, ein Name allerdings, bei dem uns der Spott verging. Jürgen Fuchs beschreibt... nicht nur die technischen Herrschaftsinstrumente der Firma 'Horch und Guck'... Fuchs liefert den tieferen Einblick in das Innere dieses totalitären Kadavers..." (Wolf Biermann über den in der DDR inhaftierten und später ausgebürgerten Schriftsteller Jürgen Fuchs.)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Dreht euch doch weg, und lest das Feuilleton
Wo die Gespenster nie zur Ruhe kommen: Jürgen Fuchs reist in das finstere Herz der Gauck-Behörde / Von Mark Siemons

Um in das Innere der Behörde zu gelangen, mußte der Psychologe und Schriftsteller Jürgen Fuchs selber ein Teil von ihr werden. Er bedurfte eines grünen Ausweises mit Paßbild, mit dem er sich in der Normannenstraße in Haus 6 bei Dr. Rolle melden sollte, dem Referatsleiter AU II.4. So beginnt die Reise in das Herz der Finsternis, über die Fuchs jetzt einen Rechenschaftsbericht vorgelegt hat. Es ist eine Reise zu den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die heute von der Behörde eines Bundesbeauftragten gehütet werden. "Unsere Feinde verlassen die Hölle, und wir betreten sie", schreibt der Autor eingangs.

Fuchs wollte nicht nur seine eigenen Akten lesen; er wollte etwas viel Grundsätzlicheres herausfinden: Was hat "Zersetzung", was "Liquidierung von feindlich-negativen Personenzusammenschlüssen" wirklich bedeutet? Fuchs hatte durchaus schon eine praktische Vorstellung von diesen Begriffen. Nach Lesungen aus seinen ersten literarischen Arbeiten in Jena war er 1975 aus SED, FDJ und der Universität ausgeschlossen sowie mit Publikationsverbot belegt worden. Kurz nach der Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann wurde er 1976 verhaftet und nach neun Monaten Untersuchungshaft nach Westberlin abgeschoben. Über diese Erfahrungen hat er mehrfach geschrieben, unter anderem in den "Gedächtnisprotokollen" von 1977 und den "Vernehmungsprotokollen" von 1978. Nun wollte er den Apparat von innen sehen, der ihn gepeinigt hat. Biermann und Sarah Kirsch, schreibt er, hätten ihn dazu gedrängt - "sie selbst hätten dazu weder Zeit noch Nerven". So meldete er sich mit seinem Dienstausweis vorschriftsgemäß in Haus 6 bei Dr. Rolle.

Vom ersten Tag in der Behörde an fühlt sich das Ich dieses "Romans", das aber, da der Roman ein Bericht sein will, in Wahrheit mit dem Autor identisch ist - vom ersten Tag an also fühlt sich Fuchs beobachtet, und er seinerseits beobachtet zurück; nichts entgeht seinem lauernden, von vornherein mißtrauischen Blick. Er läßt von Anfang an keinen Zweifel daran, daß er die Rolle des emsigen Sachbearbeiters nur spielt, und auch der Behörde scheint das nicht lange verborgen geblieben zu sein. Es zeigte sich, daß man alles Nötige über ihn wußte, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Das ist die Konstellation, die dem Buch eine untergründige Spannung gibt. Was zum Beispiel hat es eigentlich mit diesem Dr. Rolle auf sich, dem "Referatsleiter", bei dem man sich melden muß? Er "geht mit dir", schreibt Fuchs drängend-dräuend, ins Haus 7: "Der bemühte Vorgesetzte, der nette Gesprächspartner, der tolerante, gebildete Mensch, der nicht alles so ernst nimmt und doch recht viel wissen will, welche Recherchen? Welche Akten? So sehen Sie das? Kennen Sie den und den? Dazu ein gewinnendes Lächeln, eine Zugewandtheit, die angenehm ist in diesen Gefilden."

Fuchs braucht nur wenige Sätze, um dem Unauffällig-Sympathischen die Charaktermaske vom Gesicht zu reißen. In dieser Behörde, suggeriert er, ist nichts so, wie es sich dem naiven, von jeglichen historischen Untiefen verschonten Altbundesbürger darstellen würde. Hinter jedem verbindlichen Lächeln, jeder amtlichen Abkürzung, jeder Redensart verbirgt sich möglicherweise das andere, eine dämonische Wiederkehr des Immergleichen. "Mein Gefühl, im Sumpf zu waten", fährt Fuchs fort. "Stickstoff. Taumel . . . Was geschieht hier? Es ist diese Atmosphäre, nichts anderes als das Abziehbild der Verhältnisse, der zurückliegenden Jahrzehnte, wie sollte es jetzt auch anders sein? Schau hin, hör zu, koste den Kuchen, das Kompott, die verbliebene Soße der Diktatur . . ." Man war vorzüglich eingerichtet. Im einzelnen überraschte es Fuchs, im ganzen hatte er es freilich erwartet.

Nach ein paar Seiten hat Fuchs den Leser in seinen Strudel des Verdachts hineingezogen. Wie nebenbei streut er bei Bedarf Informationssplitter ein, die das nur dunkel Geahnte plötzlich in die Helligkeit eines nachweisbaren Faktums zu heben scheinen, auch im Fall des Referatsleiters Rolle etwa, aber noch im selben Satz sinkt das konkrete Indiz wieder in die Diffusität der allgemeinen Verschwörungserwartung zurück: "Rolles HVA-Erfassung als IM war noch geheim und vergangen, ein paar papierne Reste werden gefunden, winzige Hinweise, Schnipsel aus dem Vernichtungspott, nicht alles ist weg und verbrannt und zerhäckselt." War also Dr. Rolle ein IM gewesen, oder ist das bloß Spekulation aufgrund ungenügender Beweismittel? Es wird nicht geklärt; der Monolog bleibt im Zweifel in nicht justitiabler Vagheit und treibt schon wieder neuen Verdächtigungen zu. Haften bleibt allemal der Eindruck, ganze Eisberge verbörgen sich unter der stillen Oberfläche der gemächlich ihren Gang gehenden Administration.

Gleich zu Beginn begegnen Fuchs die ehemaligen MfS-Offiziere Bäcker und Hopfer "als Mitarbeiter der ,Spezialrecherche' in ihren renovierten Dienstzimmern": Da weiß er schon, "daß nun wieder ein fast aussichtsloser Tanz begonnen hat in amtlichen, geheimen Räumen". Alte Gefühle der Bedrohung stellen sich ein. Fuchs sieht den "harten, verwüsteten, umgänglichen Blick", und alles kehrt zurück, die "ganze alte Scheiße". Mit diesem Auftakt vor Augen weiß der Leser die auf den restlichen fünfhundert Seiten ausgebreiteten Beobachtungen richtig zu lesen - an Harmlosigkeit vermag er nicht mehr zu glauben. Im Speisesaal sieht Fuchs zum Beispiel Wanderer an einem Ecktisch sitzen, "wer kann etwas gegen einen Wanderverein haben?" O Gott, denkt der Leser, Wanderer! Welche Infamie mag sich dahinter verbergen? Und richtig, schon öffnet sich Fuchs ein ganzes Panorama von Verstellung und Verrat: "Wache, rüstige Rentner bei einer Dienstbesprechung unter veränderten Lagebedingungen, wir sagen, was wir denken, was denken denn Sie?"

Die Apotheke, das Lebensmittelgeschäft, der Bücherladen - noch die prosaischsten Orte verlieren unter Fuchs' durchdringendem Blick ihre Unschuld und werden zu Stätten düsterster Konspiration. Erst in der Zusammenstellung zeigen sie ihren wahren Charakter. Da telefoniert Rolle mit Richter, Bäcker und Hopfer. Was mag das bedeuten? Fuchs läßt es mit drei vielsagenden Pünktchen bewenden und berichtet dann im nächsten Satz, daß Rolle in der Mittagspause zwei Stationen mit der U-Bahn fährt und sich mit "heimlichen Freunden" trifft. Offenbar ist ihm der Autor nachgefahren, um das herauszufinden. Nächster Satz: "Gauck plaudert während der Fahrt nach Bonn mit seinem Fahrer, der in einer Pause, vor einem Ministerium, über Funktelefon kurz Bericht erstattet." Was bedeutet das nun wieder? Als Antwort folgt das nächste Puzzlestück: "Wir haben keinen Befehl, sagt Bäcker, und putzt seine Waffe." Und so weiter und so fort. Vereinzelt befällt Fuchs selbst die Sorge, er könne einem Wahn erlegen sein, etwa wenn ein Mann ihn anruft, der Beweise für weltweite gemeinsame Manipulationen von Stasi, CIA und BND zu haben vorgibt. Oder wenn er sich nach fortgeschrittenem Aktenstudium fragt: "Habe ich jetzt die Angst, den Wer ist wer?-Sortierwahn? In der ,Aufarbeitungs'-Variante Wer war wer?"

Fuchs wird ein schmales Büro zugewiesen, von wo aus er seine Recherchen fortan betreibt; dieses "Handtuchzimmer" ist in seiner Enge das ständig wiederkehrende Symbol für die Atemnot, die die Behörde als ganze in ihm verursacht. Und nicht nur die Behörde allein. Die Gauck-Behörde erscheint in diesem Buch nicht bloß als Fortsetzung des Stasi-Ministeriums mit anderen Mitteln. Sie ist zugleich der Inbegriff jener Bundesrepublik, die alle Abgründe der Existenz in Verfahrensfragen aufzulösen pflegt, in Bürokratie. Fuchs offenbart in diesem Buch eine unendliche Distanz zu diesem Konglomerat Westdeutschland und Westberlin, in dem er seit 1976, fast die Hälfte seines Lebens, wohnt. Es ist diese Distanz des Außenseiter-Gebliebenen, die ihn hellhörig macht für den BRD-Sound, der gerade wegen seiner scheinbaren Neutralität sonst meist unbemerkt bleibt. All dieses "Sachliche, Verwaltungstechnische, Weiterfunktionierende", diese Bürokraten, die gepanzert sind mit "Wohlverhalten und Toleranz", jagen ihm einen teuflischen Schrecken ein. Für Fuchs ist die Gauck-Behörde "die verwaltungstechnische, behördliche Zähmung einer Revolution".

Doch es ist nicht bloß die Amtssprache, die da ihre Anschlußfähigkeit an den Kontrollapparat der DDR erweist. Zu sich selbst kommt der bundesrepublikanische Formalismus für Fuchs erst in der öffentlichen Geschwätzigkeit, die alle Moral in unterhaltsame Talk-Show-Meinungen auflöst. Alles egal, alles verstehbar, alles Reden hat Sinn und hat keinen Sinn, mein Gott, der arme Sascha. Lüge und Leid sind altmodische Wörter ohne Relevanz. In diesem Morast, diesem Weichbild, in dem Freund und Feind, Wahrheit und Lüge unterschiedslos ineinander verschwimmen, fühlt sich Fuchs ohnmächtig. Einmal reißt ihm der Geduldsfaden: "Dreht euch doch weg, ihr Arschlöcher, überblättert die Seiten, lest das Feuilleton, verdreht die Augen, plaudert weiter über Heiner Müllers Zigarre und Monika Marons Reiseberichte an einen Offizier."

Doch das ist nur ein Ausrutscher. Ansonsten kann man das ganze Buch als den Versuch lesen, das schier undurchdringliche bundesrepublikanische Selbstimmunisierungsgespinst, ihre moralische Unempfindlichkeit Stück für Stück zu zerreißen. Die Verschwörung, der er auf die Spur kommen will, ist die systematische Neutralisierung aller Wirklichkeit, insofern sie ein moralisches Urteil verlangt (eine Haltung übrigens, die sich mit äußerlichem Moralismus durchaus verträgt). Eine dicke Schicht gilt es zu durchstoßen, um zur Realität vorzudringen. Worte wie "DDR-Unrecht", "Diktatur", "Bürgerrechtler" haben sich durch häufige Verwendung abgenutzt, sind Wahrnehmungsklischees, hinter denen man im Ernst längst keine Realität mehr vermutet. Die erste Frage ist also: Was ist eigentlich geschehen? Und was bedeutet es?

Fuchs wollte in der Behörde offensichtlich mehr herausbekommen, als er sich und dem Leser eingesteht. Er wollte seine von der DDR enteignete Biographie wieder einholen und dadurch der Bundesrepublik, in der er lebt, die Erfahrung dieser DDR erst wirklich einverleiben. Fuchs ist gewissermaßen der Prototyp eines revolutionären Bewußtseins, das sich mit dem administrativen der windelweichen Bundesrepublik nimmer anzufreunden mag. Der bundesrepublikanische Adler auf den Behördenpapieren kommt Fuchs so klein und krallig wie ein präparierter Käfer vor - ein totes Wesen, das bloß noch zu Studienzwecken existiert. Fuchs dagegen fühlt sich in den Kämpfen der Zeit nur an vorderster Front am rechten Platz. Bei einer Lesung in Berlin bekannte er kürzlich, für ihn sei die Geschichte mit dem Jahr 1989 noch lange nicht zu Ende. Der Aufenthalt in der Gauck-Behörde war nicht zuletzt ein schmerzlicher Selbstversuch. Fuchs wußte, daß er bei seinen Recherchen so weit gehen mußte wie die Stasi selbst, um sich am Ende von ihr zu befreien und dann auch ihr Alter Ego, die Behörde, loszuwerden.

Das Buch ist also in Wahrheit ein Roman über die Bundesrepublik. Oder vielmehr, es wäre das, wenn es denn ein Roman wäre - wenn es die Mühe einer Fiktion auf sich genommen hätte, durch die der Autor sich von sich selbst und seinen Erlebnissen distanziert. Es hätte eine wahrlich schauerliche Groteske dabei herauskommen können, durch die das Gebilde der Behörde und mit ihr die Bundesrepblik zum ersten Mal literarisch aus ihrer selbst gesuchten Unsichtbarkeit herausgetreten wäre. Denn die Gauck-Behörde ist ja in der Tat eine der merkwürdigsten Einrichtungen, die die Geschichte je gesehen hat. Sie verwaltet einen Überrest des neunzehnten Jahrhunderts in seiner vermessensten Gestalt: dem Ehrgeiz, das Leben vollständig einer kollektiven rationalistischen Kontrolle zu unterwerfen. Unter der Oberfläche des alles gleichermaßen integrierenden und banalisierenden Wahrnehmungs-und Kulturbetriebs liegt der Bundesrepublik mit dem Erbe der Stasi-Akten ein schwerer Brocken im Magen. Es rächt sich, daß die historischen Details, die sich dem Stasi-Komplex so dankbar abgewinnen lassen, bislang kaum mit den großen philosophischen Linien in Beziehung gesetzt wurden.

Aber "Magdalena" ist leider kein Roman. Es ist nur ein Bericht über das, was Jürgen Fuchs in der Gauck-Behörde erlebt hat. Und deshalb müssen sich all die dunkel raunenden Suggestionen dieses Buches an den schlichten Fakten messen lassen, und dieser Probe halten sie nicht stand. Als Substrat bleibt da nichts weiter, als daß einige Offiziere des MfS heute als wissenschaftliche Mitarbeiter in der Gauck-Behörde arbeiten und daß die düstere Architektur der Gebäude einem sensiblen Menschen zuweilen Angst machen kann. Aber das wußte man schon vorher. Der Behörde läßt sich nichts nachweisen, was nicht dem ordentlichen administrativen Gang entspräche. Entsprechend gibt es keine Entwicklung im Buch: Der Ton, der auf den ersten Seiten angeschlagen wird, hält sich bis zum Ende auf Seite 511 durch. Auch aus den von Fuchs studierten Akten kommt nicht viel Neues heraus. Über den Tod von Matthias Domaschk, der sich nach der geläufigen Stasi-Version nach Verhören selber aufgehängt hat, erfährt er nichts, was über bisherige Spekulationen hinausginge.

Der interessanteste Fund, der Fuchs gelang, ist wohl ein Strategiepapier von 1987, das die Herstellung einer gewissen kritischen und pluralistischen Öffentlichkeit unter der Leitung und ständigen Kontrolle des MfS vorschlägt. Die Stasi plante also eine perfektionierte Simulation der Bundesrepublik - auch dies eine Vorstellung, die den Verschwörungstheoretiker entzücken müßte und die einem Romancier großen Stoff hätte liefern können.

Jürgen Fuchs: "Magdalena". MfS Memfisblues Stasi Die Firma VEB Horch & Guck. Ein Roman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 1998. 511 S., geb., 45,- DM

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