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Den Ruf, Goldkinder hervorzubringen, bewahrte sich die DDR bis zu ihrem Ende. Als sie 1989 sanft dahinging, da sprangen, rannten und warfen die "Diplomaten im Traningsanzug" noch immer höher,schneller, weiter als die aus den meisten anderen Staaten. Warum wurde der Sport zum einzigen ostdeutschen Spitzenerzeugnis von Weltgeltung? War er tatsächlich eine Art marktwirtschaftliche Insel inmitten des Sozialismus "in den Farben der DDR"? In den Augen der SED-Spitze stellten siegende Sportler die Überlegenheit ihres Gesellschaftsmodels unter Beweis.

Produktbeschreibung
Den Ruf, Goldkinder hervorzubringen, bewahrte sich die DDR bis zu ihrem Ende. Als sie 1989 sanft dahinging, da sprangen, rannten und warfen die "Diplomaten im Traningsanzug" noch immer höher,schneller, weiter als die aus den meisten anderen Staaten. Warum wurde der Sport zum einzigen ostdeutschen Spitzenerzeugnis von Weltgeltung? War er tatsächlich eine Art marktwirtschaftliche Insel inmitten des Sozialismus "in den Farben der DDR"? In den Augen der SED-Spitze stellten siegende Sportler die Überlegenheit ihres Gesellschaftsmodels unter Beweis.
Autorenporträt
Grit Hartmann, geboren 1962, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete bis zum Ende der DDR beim Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 1990 war sie Mitbegründerin des Forum Verlags Leipzig. Seit 1994 arbeitet sie als freie Journalistin und war u.a. an der Aufklärung der Skandale um die Leipziger Olympiabewerbung beteiligt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1997

Die Dusche als Fluchtort vor einem Sport, der nicht Sportlern gehörte

Vom DDR-Sport lernen heißt siegen lernen - manchmal hat man den Eindruck, dies sei die Devise des deutschen Spitzensports. Den Funktionären in den Sportorganisationen, die Leistungspyramiden nach dem Vorbild des Ostens aufbauen, den Politikern und Sponsoren, die Olympiastützpunkte und Trainer finanzieren, den Eltern, die ihre Kinder zu Talentsuchern schicken, und den Kindern und Jugendlichen, die an sportbetonten Schulen und in Klubs pädagogische und olympische Reifeprüfungen zugleich anstreben, sei ein Lehrbuch empfohlen, das vom Siegen handelt und von dem, was man dabei alles verlieren kann. "Goldkinder" der Leipziger Journalistin Grit Hartmann leistet nicht der Verklärung einer glorreichen Epoche Vorschub und wartet auch nicht mit Enthüllungen und Sensationen auf. Vielmehr macht es deutlich, daß die bis heute anhaltenden Erfolge von DDR-Spitzensportlern kein Wunder waren, sondern Ergebnis einer auf Effektivität ausgerichteten staatlichen Anstrengung. Gleichzeitig läßt es ehemalige Sportlerinnen und Sportler zu Wort kommen und mit sensibler Leichtigkeit das Vorurteil von tumben Befehlsempfängern oder hormongedopten Monstren überwinden.

Da erzählt etwa Olympiasieger Wolfgang Behrend, wie sein Geigenprofessor ihn in der Nachkriegszeit vor die Wahl zwischen Musik und Boxen stellte und wie er sich bis heute mit Fäusten, Kamera und Trompete durchgeschlagen hat. Da schlüsselt der Potsdamer Historiker Giselher Spitzer akribisch auf, was die 340 Informellen Mitarbeiter so trieben, die die Staatssicherheit allein im Leipziger Sport und damit im Zentrum von Leistung, Forschung und Manipulation verpflichtet hatte. Da kommentiert die Turnerin und Künstlerin Erika Zuchold, daß die Sportfunktionäre der DDR ihren Mann nicht zur Rad-WM in die Bundesrepublik ausreisen ließen, weil sie gleichzeitig zu Titelkämpfen dort war: "Sie verzichteten lieber auf Erfolge für unser Land, als uns zu vertrauen." Und sie schildert, wie ihre Trainerin ihr entgegen aller Verbote ein Treffen mit dem Schwager, einem "Klassenfeind", ermöglichte.

Wer den Sport der DDR als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel betrachten will, muß um die menschenverachtenden Machenschaften von Medizinern wissen, sollte die im Spitzensport gespiegelten deutsch-deutschen Realitäten erkennen, wüßte am besten vom Aufstieg und (dem vermutlich von der Staatssicherheit geförderten) Sturz des sozialistischen Sportdiktators Manfred Ewald - und dürfte mit Gewinn erfahren, wie ausgerechnet die Dusche erst dem widerspenstigen Schuljungen Roland Wärme spendete und später dem Wunderschwimmer Matthes Schutz vor seinen Funktionären gewährte.

Den sich ergänzenden und kontrastierenden Berichten und Interviews stellt die Autorin voran: "Ich stieß auf einen Sport, der nicht den Sportlern gehörte. Auf einen Bereich, in dem die DDR nichts von jenem Skurril-Liebenswürdigen hatte, zu dem sie sich für viele verklärt, je länger sie zurückliegt. Auf Prediger von Idealen, die Heuchler vor dem olympischen Geist waren und dafür weltweit Beifall fanden, auch im anderen deutschen Staat. Auf ein Zerrbild, das lange Schatten in die Gegenwart wirft." Ihre Reverenz erweist sie Sportlern, "die aufscheinen ließen, was der Spitzensport im Alltag auch war: eine besondere, eine ganz menschliche Art von Sucht, die mit Freude und authentischem Leistungswillen zu tun hat."

Der Widerspruch, daß Athleten als Objekte sowohl von Ehrgeiz als auch von Mißtrauen herhalten mußten und gleichzeitig zu außergewöhnlichen Charakteren reiften, zeigt sich an Gustav "Täve" Schur, Roland Matthes und Wolfgang Schmidt auf grundsätzlich verschiedene Art. Der 66 Jahre alte Schur, eine Legende des Radsports, spricht nicht nur über Konkurrenten und Mannschaftskameraden der fünfziger und sechziger Jahre, als stünde er heute noch in kurzen Hosen zwischen den Trümmern des Weltkriegs. Er spricht so auch über Mauer und Staatssicherheit. Matthes beschreibt seine Strategie, sich politischer Vereinnahmung duldsam zu entziehen, mit den Worten: "Dieses Tamtam gehörte zur Daseinsberechtigung des Apparates." Und der bespitzelte, mit Sportverbot belegte und ins Gefängnis geworfene ehemalige Diskuswerfer Wolfgang Schmidt erinnert sich: "Ich weiß, daß es andere nicht gestört hat, daß man sich an die Mauer gewöhnt hatte. Mich hat sie gestört. Für mich war die DDR das größte Gefängnis der Welt." Er verhehlt nicht seine Enttäuschung über die ablehnende Aufnahme bei den Funktionären im Westen, nachdem er ausgereist war.

Der Leipziger Professor Günther Wonneberger erhebt, da er an einem vom Bund geförderten Projekt mitarbeitet, die Forderung: "Jedoch sollte eine zukünfigte Sportgeschichtsschreibung zumindest die sachlich-kühlen Maßstäbe anlegen, die in der Militärgeschichtsschreibung für Generalstabsarbeit und Truppenführung z. B. für die des Zweiten Weltkriegs üblich geworden ist." "Goldkinder" ist beispielhaft, weil es genau das nicht tut. Das Buch skizziert ein System, das Sportler zu Manövriermasse machte. Zugleich widmet es Athleten als selbstbestimmten Personen Aufmerksamkeit und Respekt. MICHAEL REINSCH Besprochenes Buch: Grit Hartmann: "Goldkinder - die DDR im Spiegel ihres Spitzensports", Forum Verlag Leipzig, 352 Seiten, 48 Fotos, 39,80 Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Wer mehr über den DDR-Sport erfahren möchte, als nur die bloße Aufzählung von Dopingsündern, der sollte dieses Buch lesen."(NDR)
"Grit Hartmanns Buch über Aufstieg und Fall des DDR-Sports (ist) ein Unikat. Eine Fleißarbeit, bei der alle zur Verfügung stehenden historischen und aktuellen Quellen ausgeschöpft worden sind."(Deutschlandfunk)