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In fünf Etappen führen Frank Böckelmann und Dietrich Leube in Texten und Bildern durch Situationen der Bedrohung, ja der Lebensgefahr. Sie entwerfen das Panorama der Gefährdung anhand von Gefahrenszenarien aus der Kulturgeschichte und Dokumenten einer zebrechlichen Gegenwart. Dabei wird deutlich: die Gefahr ist nie ohne Ausweg. Ihre Materialsammlung ist ganz und gar unkonventionell: Sie führt die Vielfalt natürlicher Erscheinungen vor und den Erfindungsreichtum des auf diese Überfülle reagierenden Menschen. Böckelmann und Leube erweitern die Kenntnisse des Lesers, rücken den Blick auf Unerhörtes wie Unbekanntes, ohne dabei belehrend zu sein. …mehr

Produktbeschreibung
In fünf Etappen führen Frank Böckelmann und Dietrich Leube in Texten und Bildern durch Situationen der Bedrohung, ja der Lebensgefahr. Sie entwerfen das Panorama der Gefährdung anhand von Gefahrenszenarien aus der Kulturgeschichte und Dokumenten einer zebrechlichen Gegenwart. Dabei wird deutlich: die Gefahr ist nie ohne Ausweg. Ihre Materialsammlung ist ganz und gar unkonventionell: Sie führt die Vielfalt natürlicher Erscheinungen vor und den Erfindungsreichtum des auf diese Überfülle reagierenden Menschen. Böckelmann und Leube erweitern die Kenntnisse des Lesers, rücken den Blick auf Unerhörtes wie Unbekanntes, ohne dabei belehrend zu sein.
Autorenporträt
Frank Böckelmann, 1941 in Dresden geboren, verbrachte viele Jahrzehnte als Medien- und Kulturwissenschaftler in München. In der Anderen Bibliothek veröffentlichte er Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen (1998, Band 159). Frank Böckelmann lebt heute wieder in Dresden als Schriftsteller und Herausgeber von "Tumult - Vierteljahreszeitschrift für Konsensstörung".

Dietrich Leube, 1941 in Stuttgart geboren, arbeitete als Publizist, Journalist, Übersetzer, Rundfunk- und TV-Autor lange in München und seit einigen Jahren als Radio-Essayist wieder in Stuttgart.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2017

Kalendersprüche im Pulverdampf
Mit dieser Anthologie kommt der Tumult auf Katzenpfoten: Frank Böckelmann und Dietrich Leube verkitschen den Ausnahmezustand. Von Per Leo
Normalerweise interessiert sich die Literatur für Ausnahmezustände, das Denken für die Regel. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Es kommt vor, dass auch theoretische Köpfe um Situationen kreisen, in denen nichts mehr normal ist. Man nennt sie Existenzialisten. Oft vereint dieser Intellektuellentypus die Neigung zur Abstraktion mit literarischem Talent. Das gilt für die philosophische Spielart des Existenzialismus, die im absurden Theater zu sich selbst kommt, wie für die politische, die den Staat vor die Kulisse des Bürgerkriegs stellt. Sartre konnte denken, Carl Schmitt konnte schreiben.
Wo aber der existenzialistischen Gebärde die Zucht fehlt, da treten, mit Botho Strauss gesprochen, auch Rinnsale über die Ufer. Frank Böckelmann und Dietrich Leube zum Beispiel interessieren sich zwar sehr für Ausnahmezustände, nehmen es aber weder mit dem Denken noch mit dem Schreiben allzu genau.Leider scheint das den Herausgebern der „Anderen Bibliothek“ entgangen zu sein. Wie sonst hätten sie ein Buch in ihre Reihe aufnehmen können, das schon im Titel aus Wortbrei besteht? „Entkommen oder Not macht erfinderisch: Auswege in Wort und Bild“, lautet er – und der Inhalt steht dem in nichts nach. Böckelmann und Leube meditieren über die Zweideutigkeit menschlicher Notlagen, sie denken schreibend vor sich hin, in andeutungsvollen Sätzen, die apodiktisch posieren müssen: „Unser wichtigster Bundesgenosse im Überlebenskampf bleibt die Ungewissheit. Man sollte ihn nicht durch Posen der Allzuständigkeit herausfordern; er könnte zum Rivalen werden. Er schätzt die Selbstbescheidung.“
Das ließe sich als Geraune abtun, wären die Autoren in ihrer Not nicht so schlau gewesen, sich anderswo zu borgen, was sie selbst nicht liefern können. Zumindest der Anschein von theoretischer Evidenz verdankt sich nämlich literarischen Texten. Deren Autoren sind in diesem Buch, das zu großen Teilen aus Buchauszügen besteht, nicht Beiträger zu einer Idee, sondern Opfer einer Collage mit Hintergedanken.
Man muss gar nicht wissen, dass Frank Böckelmann Pegida-Sympathisant und Herausgeber der Zeitschrift Tumult ist, die sich zuletzt obsessiv mit Migrationsfragen beschäftigt hat, um das Buch der „Neuen Rechten“ zuzuordnen. Allerdings kommt der Tumult hier unpolitisch, ja einfühlsam daher, auf Katzenpfoten sozusagen. Doch gerade das sollte hellhörig machen. Wer dem Extrem zu auffällig huldigt, muss damit rechnen, selbst als extrem abgetan zu werden. Weil sie das gelernt haben, schätzen Rechtsintellektuelle mittlerweile die Masken des Allzumenschlichen.
Bestünden sie nur aus Islamverächtern und identitär Bewegten, könnte man die neuen Rechten getrost der Bundeszentrale für politische Bildung überlassen; eine intellektuelle Herausforderung wären sie nicht. Lästig werden sie, wenn sie nicht nur mit demagogischer Rhetorik den Mob zum Kochen bringen, sondern auch mit parfümierter Prosa den Studienrat zum Grübeln. Wenn sie mal „ihr da oben gegen uns“ schreien, mal von einem zwischen Besinnlichkeit und Bevormundung schwankenden „wir“ palavern. Wenn die Hetze gegen das „System“ ergänzt wird um den Lockruf in ein anderes, aufregenderes Leben.
Beide Tonlagen erklingen vor dem Horizont des Ausnahmezustandes. Wo der Hetzer normale Sorgen zur Angstlust auf den Bürgerkrieg hochputscht, da kitzeln Edelfederchen wie Böckelmann und Leube das Begehren, den Zwängen der Normalität durch die Bejahung des Extrems zu entkommen.
Das Buch zerfällt in zwei Teile, in einen knapp 30seitigen Essay, in dem die Autoren ihre Sicht auf Notlagen darlegen, und eine über 300seitige Kompilation von Zitaten und Paraphrasen, in denen sie andere Autoren von Extremsituationen und Unglücksfällen sprechen lassen. Die Unverschämtheit, für ein derartiges Missverhältnis 42 Euro zu verlangen, wäre Grund genug, vom Kauf dieses Buchs abzuraten. Dass es darüber hinaus Anlass bietet, ein paar Dinge beim Namen zu nennen, liegt aber nicht zuletzt an dem Gebrauch, der hier von fremden Texten gemacht wird.
Im ersten Teil entwickeln Böckelmann und Leube ihre, nun ja, Theorie der Notlage, indem sie einen maßlosen Gedanken auf schlichte Redensarten betten: Not macht erfinderisch; nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird; manchmal hat man Glück im Unglück. Ja nun, könnte man hinzufügen, es sind auch noch keine Meister vom Himmel gefallen, und dann das Buch unrezensiert zur Seite legen – würde der Biedersinn hier nicht so penetrant mit dem Abgrund kokettieren. Es geht ja nicht um Bindfäden, mit denen sich zur Not auch Schuhe schnüren lassen, oder um Ferienlager, die trotz Heimweh noch ganz toll werden. Zur Rede steht nicht die unbestreitbare Wahrheit, dass aus unverhofften Lagen manchmal überraschende Einfälle führen und sich gute Erfahrungen auch unter schlechten Umständen machen lassen, sondern die monströse Behauptung, angemessene Lösungen ließen sich erst finden, wenn die Probleme aussichtslos erscheinen, und wahres Glück gebe es nur im Unglück. Natürlich sagen die Autoren das nicht so ausdrücklich. Eher sagen sie es auf, wie ein Mantra, das sie Seite für Seite, Kapitel für Kapitel exzessiv und variantenreich wiederholen, während sie von allem anderen, was sich über Notlagen noch sagen ließe, dass man Gefahren erliegen kann zum Beispiel oder dass Unglück zuweilen auch mit der Abwesenheit von Glück zu tun hat, fein schweigen.
Eine derart forcierte Einseitigkeit hat ihren Preis. Wer am Unglück nur das verborgene Glück und an der Gefahr nur das Wachsen des Rettenden sehen will, der muss sich entweder in Offenbarungstheologie retten. Oder er wird – rettungslos! – dem Kitsch verfallen, der herauskommen muss, wenn Kalenderspruchweisheit auf existenzialistisches Pathos trifft.
Böckelmann und Leube wählen von zwei schlechten Lösungen beide. Die Rede vom „Wunder“, das sich dem Erwählten in der Katastrophe zeigt, und der „Gnade“, die ihm im Unglück zuteil wird, läuft auf eine Profanierung des Heils hinaus. Wird es konkret, bekommt der Leser aber nicht Luther, sondern Fischer, und zwar nicht Joschka („Mein langer Lauf zu mir selbst“), sondern Marie Louise („Mit den Augen der Liebe“). Wie hold war das Glück doch beispielsweise dem Unglücksraben Franz Kafka, als sich am „Nullpunkt seiner Existenz“ zum Pech auch noch der Tod gesellte! Denn, o Wunder: „Im letzten Jahr seines Lebens“, so Böckelmann und Leube über die engelsgleiche Dora Diamant, „verkörpert sie die Ankunft seiner tausend Phantasmen in schlichter, seliger Daseinswirklichkeit“. Falls Nietzsches Satz, dass der Stil nie besser sein kann als der Gedanke, noch eines Beleges bedürfte, hier wäre er.
Ergib’ dich der Not, dann wird die Not dir geben: Dass Kafka und all die anderen dafür herhalten müssen, diese erpresserische Losung glaubhaft zu machen, wäre ärgerlich genug. Unerträglich wird es, wo sich hinter der Dokumentation individueller Not eine Agenda versteckt. Es sind zwei Aspekte unserer Normalität, die Böckelmann und Leube aufs Korn nehmen, und zwar von rechts.
Zum einen hat die Verkitschung des Ausnahmezustandes ihre hässliche Rückseite in der Verhöhnung der Vorsorge. Es gibt eine Kraft des Geistes und eine Empfänglichkeit der Sinne, die dem Menschen erst im Bannkreis der Gefahr zuwachsen. Man könnte sich freuen, daran erinnert worden zu sein, würde das Lob der irrationalen Erfahrung nicht verrechnet mit der Rationalität des Risikomanagements. Weil die Wirklichkeit der Katastrophe jeder Erwartung spottet, so der absurde Schluss, sind die Kalküle möglicher Katastrophen sinnlos. Wie bitte? Wie viel Eierlikör muss man getrunken haben, bis das sinnvoll klingt? Man wüsste gerne, ob die Autoren vorsichtshalber ihre Wohnungstür offen lassen, wenn sie mal verreisen, um Urlaub in Aleppo zu machen. Dass sich „unerwartete, wundersame Problemlösungen“ auch im Fall von „Pandemien, Klimakatastrophen, Massenwanderungen und Hungersnöten“ auftun, wollen sie jedenfalls nicht ausschließen. Unbedingt aber hüte man sich vor der „Zurüstung zur Rettung“, gerade das Rettende könne nämlich durch „globalpolitische Logistik“ hintertrieben werden!
Die zweite Attacke gilt der deutschen Erinnerungskultur. Im rechten Lager hat man längst kapiert, dass die Leugnung des Holocausts eine dumme Strategie ist. Besser relativiert man ihn, indem man Opferzahlen aufrechnet. Nur erwärmt das leider die Herzen nicht. Schöner ist es, unter Abstraktion von allen Umständen über das Unglück im Allgemeinen zu philosophieren. Am weitesten aber trägt die Behauptung, in jedem Unglück verberge sich ein Glück und in jeder Gefahr ein Rettungsweg. Man muss eben nur offen dafür sein! Der kleine Bert Brecht zum Beispiel, der spürte mit sicherem Instinkt, dass Jammern nichts hilft, als er durch einen tollkühnen Betrug seine Note in Französisch verbesserte. Oder Edith Stein, die fand schließlich auch „Ruhe in Gott“, bevor sie in die Gaskammer geschickt wurde.
Wenn an Auschwitz nur noch die individuelle Not real ist, nicht aber die Norm, aus deren beispielloser Verletzung sie resultiert, dann unterscheidet sich der Holocaust nicht von all den anderen Nöten, in die Adam und Eva seit der Vertreibung aus dem Paradies unentwegt geraten: vom Schiffbruch und der Klassenarbeit, dem Tsunami und dem Gefängnisaufenthalt, dem Gesichtsverlust und dem Sturz in eine Gletscherspalte, und nicht zu vergessen natürlich: von Vertreibung, Flucht und Bombenkrieg.
Jedes Unglück hat seine eigene Würde. Die zitierten Autoren lassen daran keinen Zweifel. Wenn man etwas Gutes über dieses Buch sagen wollte, dann wäre es ein Lob der vielen Seiten, auf denen Böckelmann und Leube schweigen. Es finden sich dort hinreißende Zeugnisse des Lebensmuts, des Einfallsreichtums und der Unverzagtheit. Ein jedes berichtet mit unverwechselbarer Stimme von einzigartigen Begebenheiten. Erst das Geschwafel vom Ausnahmezustand stellt sie alle in den gleichen Pulverdampf.
Machen wir uns nichts vor, Böckelmann und Leube haben ein Buch von Männern für Männer geliefert: von Schreibtischhelden für Sesselpupser, von Pornografen für Ehegatten. Keine Verhaltenslehre der Kälte, nur Bildchen der Erregung.
Der Historiker Per Leo veröffentlichte 2013 eine Studie über Weltanschauungskultur, charakterologisches Denken und Judenfeindschaft in Deutschland. 2014 erschien sein Roman „Flut und Boden“.
Die Autoren meditieren über
die Zweideutigkeit
menschlicher Notlagen
Keine Verhaltenslehre der
Kälte, vielmehr ein Buch von
Pornografen für Ehegatten
Frank Böckelmann, Dietrich Leube: Entkommen oder
Not macht erfinderisch. Auswege in Wort und Bild. Die Andere Bibliothek, Berlin 2017. 396 Seiten, 42 Euro.
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