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Die Geschichte des Altonaer Spar- und Bauvereins kann auf verschiedene Weisen gelesen werden. Als Geschichte von Altonaern, die gesunde Kleinwohnungen für Arbeiter bauen wollten, um Grundstücke verhandelten, abends am Schreibtisch selbst Grundrisse entwarfen und die sich immer wieder mit einer Stadtverwaltung herumschlagen mussten, die die Genossenschaft zunächst ablehnte, weil sie ihrer Gentrifizierungspolitik im Weg stand. Sie ist aber auch die Geschichte ihrer Mitglieder, die sich engagiert für ihre Genossenschaft einsetzen, die mitunter aber auch ein eigensinniges Eigenleben entwickeln, in…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte des Altonaer Spar- und Bauvereins kann auf verschiedene Weisen gelesen werden. Als Geschichte von Altonaern, die gesunde Kleinwohnungen für Arbeiter bauen wollten, um Grundstücke verhandelten, abends am Schreibtisch selbst Grundrisse entwarfen und die sich immer wieder mit einer Stadtverwaltung herumschlagen mussten, die die Genossenschaft zunächst ablehnte, weil sie ihrer Gentrifizierungspolitik im Weg stand. Sie ist aber auch die Geschichte ihrer Mitglieder, die sich engagiert für ihre Genossenschaft einsetzen, die mitunter aber auch ein eigensinniges Eigenleben entwickeln, in schweren Zeiten 30 Kaninchen in ihrer Wohnung halten oder eigenmächtig ein Loch in die Wand stemmen. Und sie ist ein Teil der Geschichte Altonas und hat mit ihrer typischen Architektur deren Stadtentwicklung mitbestimmt. Jede Epoche hatte Pläne für ein 'Neues Altona', der Spar- und Bauverein war stets Akteur und hat der Stadt zu ihrem Gesicht verholfen.
Autorenporträt
Holmer Stahncke hat als Historiker und Journalist Schriften zur Geschichte Japans und zur Schifffahrtsgeschichte veröffentlicht. Es folgten Ortschroniken, u.a. zur 700-Jahrfeier von Ottensen, sowie Arbeiten zur städtebaulichen Entwicklung Altonas, Hamburgs und des Hamburger Hafens. Als Mitautor eines Buches über Wohnungsbaugenossenschaften hat er sich bereits zuvor mit der Geschichte der Genossenschaften befasst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2012

Die Genossenschaft in der Zeit
Ein lehrreiches Beispiel aus Altona

"Es ist daher ein dringendes Bedürfniß, billige, gesunde und nach Größe und Beschaffenheit der Lebensgewohnheiten des kleinen Mannes entsprechende Wohnungen in ausreichender Zahl zu schaffen," hieß es im Jahre 1892 im Prospekt, mit dem der Altonaer Spar- und Bauverein um Mitglieder warb. Im Zuge der Industrialisierung im späten 19. Jahrhundert waren immer mehr Menschen in die seit 1867 preußische, vormals zweitgrößte dänische Stadt gezogen.

Die meisten Arbeiter hausten zu überhöhten Mieten in dunklen, feuchten, viel zu kleinen Keller- oder Hinterhofwohnungen, die sie sich oft auch noch mit Untermietern teilten. Um der schlimmen Wohnungsnot zu begegnen, gründeten 39 Altonaer Männer, allen voran Tischlermeister Johannes Röhrig, Oberlehrer Heinrich Lippelt und Großkaufmann Dr. Heinrich Baur, am 4. Mai 1892 den Altonaer Spar- und Bauverein.

Bereits im Januar 1893 war das erste Mietshaus der neuen Genossenschaft mit 24 Wohnungen fertig. Bis zum Ersten Weltkrieg baute der Verein 227 Häuser mit 1903 Wohnungen. Heute verfügt er über rund 6600 Wohnungen. Er hat 14 000 Mitglieder und 130 Millionen Euro Spareinlagen, davon 10 Prozent liquide Mittel. Mit typischer Architektur in jeder Epoche ist die Optik des Bezirks Altona entscheidend sein Werk.

Der 120. Geburtstag des Altonaer Spar- und Bauvereins fiel mit dem von den UN ausgerufenen Jahr der Genossenschaft zusammen - willkommener Anlass für eine Zeitreise durch dessen wechselvolle Geschichte, wenn auch nicht die erste Chronik dieser Art. Doch in Holmer Stahnkes lesenswerter Collage von Fakten, Erzählungen, Faksimiles und Fotos spiegeln sich nicht nur die Bauaktivitäten der Genossenschaft und die Historie ausgewählter Gebäude, sondern ebenso die Schicksale ihrer Mitglieder und die vielfältigen Schwierigkeiten, mit denen der Verein in seinem langen Leben zu kämpfen hatte.

Vorbild der Altonaer Gründung war der Spar- und Bauverein Hannover von 1885. Mit dem Versuch, die desolaten Wohnverhältnisse in Altona zu verbessern, erntete die Genossenschaft nicht nur Sympathien. Sozialdemokratische Zeitungen warfen ihr vor, "gegen die Interessen der Arbeiter zu wirken, indem sie mit guten Wohnungen den Kampfgeist schwächte". Gewerkschafter behaupteten, die neue Genossenschaft ginge auf "Gimpelfang" und wolle den Arbeitern die Groschen aus der Tasche ziehen. Auch den Altonaer Honoratioren und der Bevölkerung war der neue Verein suspekt. Es dauerte geraume Zeit, bis klar wurde, dass er nicht auf Profit aus war, sondern als Genossenschaft nach den Grundsätzen von Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung gemeinsame wirtschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen suchte.

Wie bei anderen Genossenschaften waren die Mitglieder des Altonaer Sparund Bauvereins zugleich Kapitalgeber und Nutzer. 300 Mark kostete ein Anteilschein. Die vergleichsweise hohe Summe wurde meist in wöchentlichen Raten abgestottert. Minimum war eine Einzahlung von 30 Pfennig. Besonders Ehefrauen, Witwen und Mädchen sparten und stellten zehn Jahre nach Gründung ein Drittel der Mitglieder.

Wer mit der Einzahlung in Rückstand geriet, verlor bis auf weiteres das Anrecht auf Teilnahme an der Verlosung, durch die fertig gebaute oder frei gewordene Wohnungen zugeteilt wurden. "Das Losverfahren war im Grunde ungerecht, weil ein neuer Genosse sofort eine Wohnung beziehen konnte, während ein alter möglicherweise jahrelang leer ausging", schreibt Stahnke. Bis in die sechziger Jahre wurde das Verfahren deshalb ständig verfeinert.

Der Weg des Altonaer Spar- und Bau-vereins von seinen ersten Kaiserzeit-Objekten im Gerichtsviertel über die "Gartenstadt Bahrenfeld" und den "Schützenblock" bis zum heutigen "Neuen Altona" wird als steter Kampf mit der Stadtverwaltung, ständig neuen technischen Erfordernissen und sich verändernden Architekturstilen geschildert. Nicht immer einfach war auch der Umgang mit Mitgliedern, die schon mal Kaninchen, Ziegen und Hühner in der Wohnung hielten oder einfach Wände einrissen.

Auch der Einfluss der Nationalsozialisten wird nicht verschwiegen. 1938 kam als Zusatz in die Satzung: "Nichtarier sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen." Stahnke druckt faksimiliert ein Aufsichtsratprotokoll vom November ab, das drei jüdische Familien "ermittelte" und kündigte. Ob sie den Holocaust überlebten, ist nicht bekannt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren 42 Häuser der Genossenschaft nur noch Ruinen, 28 schwer beschädigt.

Seitdem wurde viel, immer höher und auch in anderen Teilen der Stadt sowie außerhalb gebaut. Seit 1991 darf unabhängig von behördlichen Vorgaben geplant werden. In wachsendem Maße beteiligt der Bauverein seine Mieter daran, oft jüngere Akademiker, die immer häufiger nachhaltig gebaute, umweltverträgliche Wohnungen mit flexiblen Grundrissen und Niedrigenergie wollen. "Eine Genossenschaft baut für ihre Mitglieder, also bauen wir Wohnungen, die unsere Mitglieder wünschen," sagt der heutige Vorstandsvorsitzende Holger Kowalski.

ULLA FÖLSING.

Holmer Stahncke: Eine Genossenschaft und ihre Stadt.

Dölling und Galitz Verlag, München 2012, 144 Seiten, 24,90 Euro

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