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Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Seitenzahl: 496
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 702g
  • ISBN-13: 9783351024819
  • ISBN-10: 3351024819
  • Artikelnr.: 24196915
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2000

Pulverdampf vergangener Schlachten
Heinrich Hannover stellt die Republik vor Gericht

Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Zwei Bände (1954-1975 und 1975-1995). Aufbau-Verlag, Berlin 1998 und 1999. 495 und 496 Seiten, Abbildungen, jeweils 49,90 Mark.

Im Jahre 1966 veröffentlichte Heinrich Hannover (gemeinsam mit Elisabeth Hannover-Drück) eine inzwischen mehrfach aufgelegte Studie über die politische Justiz in der Weimarer Republik, die heute zur Standardliteratur der juristischen Zeitgeschichte gehört. Es handelte sich um eine Fallsammlung politischer Strafprozesse, die Otto Kirchheimers Feststellung bestätigte, dass die damaligen Richter in ihrer Mehrzahl Richter in der Republik, aber keine republikanischen Richter waren. Die jetzt vorgelegten zweibändigen Erinnerungen lassen sich als eine autobiographische Fortsetzung für die Bonner Republik lesen, denn an so ziemlich allen bedeutsamen politischen Strafprozessen in den vierzig Jahren zwischen 1955 bis 1995 hat Hannover als Strafverteidiger mitgewirkt. In einem justizgeneigten Staat wie der Bundesrepublik verspricht das bedeutsame Einblicke in die Zeitgeschichte, und nur diese Erwartung kann es daher rechtfertigen, dass ein langjähriger Freund wie der Verfasser dieser Zeilen, der ausweislich des Personenregisters sogar selbst einige Male flüchtige Erwähnung findet, sich hier mit diesen Erinnerungen beschäftigt.

Theoretische Erörterungen sind Hannovers Sache nicht, und so erspart er sich die Analyse der vor allem von Kirchheimer aufgedeckten Logik des politischen Strafprozesses, der für den Angeklagten immer, für die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung häufig und zuweilen sogar für die Richter die Fortsetzung des politischen Kampfes mit juristischen Mitteln ist. Dabei befindet sich der Strafverteidiger in einer besonders prekären Situation. Während Richter und Staatsanwalt darauf beharren, dass das Verfahren eine rein juristische Angelegenheit sei, die mit Politik nichts zu tun habe, muss der Verteidiger regelmäßig die politische Dimension der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat und damit des gesamten Verfahrens hervorkehren, um dessen moralische Integrität zu schützen. Aus der Sicht von Richter und Staatsanwalt erscheint dann der Strafverteidiger in derartigen Verfahren als der Quälgeist, der mit seinem ständigen Beharren auf der Erörterung politischer Zusammenhänge die professionelle Routine stört. Mehr noch, er gilt dann nicht nur als unprofessionell, sondern auch noch als ein gesinnungsmäßiger Spießgeselle seines Mandanten. Kein Wunder, dass er sich damit ständigen Verdächtigungen und mehr oder minder offenen Schikanen aussetzt, bis hin zum Ehrengerichtsverfahren, das man getrost als den Zwillingsbruder des politischen Strafverfahrens bezeichnen kann.

Anschauungsmaterial für diese innere Spannung kann man in Hannovers "Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts" reichlich finden. Vier sehr verschiedene Arten von politischen Prozessen finden wir in Hannovers Erinnerungen, jede charakteristisch für eine spezifische historische Phase der Geschichte der Bundesrepublik von ihrer antikommunistisch geprägten Konsolidierung in den fünfziger Jahren bis zur justiziellen Bewältigung des Regimeunrechts der DDR nach 1990. Die so genannten Kommunistenprozesse der fünfziger und der ersten Hälfte der sechziger Jahre waren Musterbeispiele für eine nach 1949 erfundene neue Art des strafrechtlichen Staats- und Verfassungsschutzes, der weit in den Bereich grundrechtlicher Freiheit ausgriff und die Grenze zwischen staatsbürgerlicher Freiheitsbetätigung und strafrechtlichem Unrecht zum Verschwimmen brachte. Respekt und Sympathie Hannovers, den man wohl als einen linken Sozialisten bezeichnen kann, liegen zweifellos bei den von ihm verteidigten "klassischen" Kommunisten, wobei ihn weniger deren Meinungen und politische Weltbilder als ihre Leidenserfahrung unter den Nazis und ihre zum Teil außergewöhnlichen Persönlichkeiten beeindrucken. So spürt man noch heute seine Empörung über die in den Kommunistenprozessen der fünfziger und sechziger Jahre herrschenden, heute geradezu abenteuerlich anmutenden juristischen Konstruktionen von strafrechtlicher Schuld, wo in Wahrheit nur die Ausübung so elementarer öffentlich-politischer Grundrechte wie der Meinungs-, Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit vorlag.

In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre dominieren Strafprozesse im Zusammenhang mit der Schüler- und Studentenbewegung, die völlig neuartige und in ihrer Expressivität auch befremdende politische und kulturelle Protestformen hervorbringt. Man konnte nicht erwarten, dass ausgerechnet die strukturell konservativste der drei staatlichen Gewalten, die Justiz, darauf mit institutioneller Kreativität und Intelligenz reagieren würde, zumal eine nicht geringe Zahl der Richter noch im Geiste des Nationalsozialismus ausgebildet worden war. Die für die Protestbewegungen der sechziger Jahre charakteristischen symbolischen Formen des Protests gerieten denn auch sehr schnell in den Bannkreis des Strafrechts und der strafprozessualen "Verarbeitung", über die der heutige Leser nicht selten ins Schmunzeln gerät. Tatsächlich lebte die Dramatik dieser Prozesse trotz ihres zuweilen martialischen polizeilichen Begleitprogramms mehr von dem - zuweilen auch effektvoll inszenierten - moralischen Empörungspotential der Angeklagten und ihrer im Gerichtssaal stets präsenten und aktiv mithandelnden Freunde als von dem konkreten Streit über Tatsachen oder Rechte.

Die Steigerung der Moralisierung des Politischen in die rasende Destruktivität des Terrorismus erlebte die Bundesrepublik dann in den siebziger Jahren. Stammheim wurde zum Symbol für die damals populäre Forderung, den Strafprozess seines rechtlichen Eigenwertes zu entkleiden und ihn zum Mittel der Terrorismusbekämpfung umzufunktionieren. Die damaligen Angeklagten verstanden diese Entwertung der Justiz vermutlich noch am besten, denn für sie eröffnete der Strafprozess nur ein weiteres Terrain für ihren kompromisslosen Kampf gegen den Staat. Doch gab es bedauerlicherweise auch Beispiele dafür, dass auch Staatsanwälte und gelegentlich selbst Richter der Suggestion dieser Instrumentalisierung des Strafverfahrens erlagen. Unvermeidlich musste Hannover - ein Strafverteidiger von dezidiert bürgerlicher Herkunft und entsprechendem Habitus sowie unangefochtener Bejahung der überkommenen anwaltlichen Berufsethik - zwischen die Fronten dieses verbissenen Kampfes geraten. In den heute längst vergessenen Verfahren gegen Karl Heinz Roth, Werner Hoppe, Peter Paul Zahl und Peter-Jürgen Boock hatte er nicht nur gegen die Anklage und die sie vertretende Staatsanwaltschaft, sondern vor allem gegen richterliche Voreingenommenheit zu kämpfen. Umgekehrt dokumentiert die Auseinandersetzung, die Hannover mit Ulrike Meinhof führte, um zu einem Verteidigungskonzept zu gelangen, das seinen professionellen Maßstäben genügte, anschaulich seine unzweideutige Zurückweisung der Zumutung seiner politischen Instrumentalisierung durch die Mandantin. Letztlich führte dieser Konflikt zur Beendigung des Verteidigermandats durch Hannover.

Die Republik vor Gericht? Gewiss nicht als vorverurteilte Angeklagte vor einem Strafgericht, eher schon als das öffentliche Gemeinwesen, das sich an den eigenen Maßstäben einer humanen und wägenden Gerechtigkeit messen lassen muss. Das kritische Urteil überwiegt eindeutig. Doch Hannover unterliegt nicht der nahe liegenden Versuchung, im Gerichtssaal verlorene Schlachten in seinen Erinnerungen nochmals zu schlagen und seine früheren Gegner nachträglich wenigstens moralisch zu besiegen. Er bleibt ein engagierter und gewiss auch weiterhin einseitiger Verteidiger seiner früheren Mandanten. Doch bei aller Subjektivität bleiben die Berichte stets fair und im Tatsächlichen geradezu minutiös, und stets spürt der Leser den Respekt, den er jenen Richtern zollt, die die Tugend des Urteilens sine ira et studio auch in politischen Prozessen nicht verloren haben.

Man kann diese Lebenserinnerungen wie eine Serie aufregender Kriminalgeschichten lesen, zumal Hannover auch einige gänzlich unpolitische Mordprozesse aufgenommen hat. Als erfolgreicher Kinderbuchautor schreibt Hannover eine klare, schnörkellose und anschauliche Sprache. Zuweilen spürt man noch den Pulverdampf der in politischen Verfahren fast unvermeidbaren ideologischen Auseinandersetzungen und ihrer Vereinfachungen. Man kann sie getrost zum grobkörnigen Kolorit dieses Prozessgenres zählen. Wichtig ist, dass sich in diesen Fällen eine Facette der Geschichte der Bundesrepublik spiegelt, wie sie "der Anwalt der kleinen Leute, der politisch oder religiös verfemten Minderheiten" (so die Selbstqualifikation des Autors) wahrgenommen hat. Jedenfalls werden die Memoiren Hannovers unter den Quellen zu einer noch zu schreibenden Justizgeschichte und speziell zu einer Geschichte der politischen Strafjustiz der Bundesrepublik nicht fehlen dürfen.

ULRICH K. PREUSS

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Den zweiten Band der Erinnerungen des Rechtsanwalts Heinrich Hannover lässt "die Zeit" von Uwe Wesel besprechen. Wesel, ebenfalls Jurist linker Provenienz, hält eine ganze Menge von Hannovers Aufzeichnungen: "Es ist eine der wichtigsten Beiträge zur Rechtsgeschichte der Bundesrepublik." Hannover, ein ebenso so sensibler wie seriöser Anwalt, so Wesel, habe nach vier Jahrzehnten vor Gericht viel zu erzählen: Von Terroristenprozessen, dem Versuch, Carl von Ossietzky zu rehabilitieren, von der Verteidigung der früheren DDR-Machthaber. Und er tue dies "in einer schönen und verständlichen Sprache", schreibt Wesel: "Ein Klassiker über die politische Jusitz der Bundesrepublik".

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