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»Der Leser findet hier die Mehrzahl der Interviews versammelt, die Roland Barthes in französischer Sprache gegeben hat.« So lautet der erste Satz der kurzen Vorbemerkung, die der Herausgeber diesem postum erschienenen Band beigegeben hat. Diese lapidare Bemerkung leitet eine Sammlung ein, die sich als Kommentar Roland Barthes' zum eigenen Werk lesen läßt. Barthes nimmt hier zu fast jedem seiner Werke Stellung, antwortet auf Einwände, erklärt seine Intention; und er wirft neue Fragen auf, die weiter reichen und deren Antwort erst noch zu finden bleibt. Zugleich sind diese Interviews Erläuterung…mehr

Produktbeschreibung
»Der Leser findet hier die Mehrzahl der Interviews versammelt, die Roland Barthes in französischer Sprache gegeben hat.« So lautet der erste Satz der kurzen Vorbemerkung, die der Herausgeber diesem postum erschienenen Band beigegeben hat. Diese lapidare Bemerkung leitet eine Sammlung ein, die sich als Kommentar Roland Barthes' zum eigenen Werk lesen läßt. Barthes nimmt hier zu fast jedem seiner Werke Stellung, antwortet auf Einwände, erklärt seine Intention; und er wirft neue Fragen auf, die weiter reichen und deren Antwort erst noch zu finden bleibt.
Zugleich sind diese Interviews Erläuterung und Verlängerung dessen, was Barthes geschrieben hat: Sie sind das Komplement seines Werkes - und gleichzeitig die beste Einführung in sein Denken. Da diese Gespräche sich in der Zeit verteilen, zeigen sie, wie die Ausübung der Kritik den Theoretiker und Kritiker über alte, zuvor eingenommene Positionen hinaus weitertreibt. Sie lassen zugleich aber auch die Konstante erkennen, die die Kohärenz der Haltung Barthes' ausmacht: die dem Autor unverzichtbare Grundposition der Sprachlichkeit aller Phänomene und die dieser Rechnung tragende Analysemethode.
Autorenporträt
Barthes, RolandRoland Barthes wurde am 12. November 1915 in Cherbourg geboren und starb am 26. März 1980 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Er studierte klassische Literatur an der Sorbonne und war danach als Lehrer, Bibliothekar und Lektor in Ungarn, Rumänien und Ägypten tätig. Ab 1960 unterrichtete er an der École Pratique des Hautes Études in Paris. 1976 wurde er auf Vorschlag Michel Foucaults ans Collège de France auf den eigens geschaffenen Lehrstuhl »für literarische Zeichensysteme« berufen. In Essais critiques beschäftigt sich Barthes mit dem avantgardistischen Theater. Prägend für ihn waren unter anderem Brecht, Gide, Marx, de Saussure sowie Jacques Lacan. Zudem war Barthes ein musikbegeisterter Mensch, vor allem als Pianist und Komponist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Begehren geht durch die Ohren
Auf Sendung: Roland Barthes' Reportagen aus der Welt seiner Lektüren / Von Hanns Zischler

Auf seiner nächtlichen Wanderung von Dresden nach Prag entdeckte 1571 der dänische Astronom und Astrologe Tycho de Brahe einen neuen Stern am Himmel. Er kannte die Sterne und Sternbilder so gut, daß dieser eine, unbekannte ihm sofort ins Auge fiel. De Brahe war ein Leser und Zeichendeuter, wie Roland Barthes ihn sich geträumt hat.

Mit nicht nachlassender Sorgfalt und Lust durchstreift der Semiologe die Reproduktionen und Repräsentationen des Wirklichen auf der Suche nach jenen diskontinuierlichen Partikeln, welche wir Zeichen nennen. Barthes gibt Auskunft, und kraft der besonderen Begabung seiner Rede, einer durch und durch erotischen Rede, macht er uns gewissermaßen sotto voce mit den Paradoxa und den Dichotomien des Geschriebenen und des Gesprochenen vertraut. Nie hat er ungezwungener als in diesen Reportagen aus der Welt seiner Lektüren dargelegt, was ihn reizt und irritiert nicht nur an "seinen" Gegenständen der Schrift und der Sprache, sondern an der Schrift selbst. "Die Schrift, das ist die Hand, also der Körper: seine Triebe, seine Kontrollen, seine Rhythmen, seine Gewichte, sein Gleiten, seine Komplikationen, seine Ausflüchte, kurz, nicht die Seele (ungeachtet der Graphologie), sondern das mit seinem Begehren und seinem Unbewußten befrachtete Subjekt." Nicht zufällig fallen diese Äußerungen im Zusammenhang mit Proust, den er "ein vollständiges Lektüresystem der Welt" nennt. Proust (und Joubert), so stellt Barthes fest, werden nicht gelesen, sondern immer schon wiedergelesen. Tatsächlich hat Barthes zusammen mit einem befreundeten Journalisten das Experiment einer peripatetischen Verzauberung unternommen, indem er, von den Fragen des Freundes angeregt, durch das Paris von Proust spaziert und sich einer nicht enden wollenden Fülle von Assoziationen, Anekdoten und Leseerinnerungen überläßt. Leider ist dieses Gespräch, aus rechtlichen Gründen, nie gedruckt, sondern lediglich einmal im französischen Rundfunk gesendet worden. An dieser "Sendung" im mehrfachen Sinn hätte man das Beispiel jener Körnung der Stimme im Ohr, die nach Barthes eine "erotische Beziehung zwischen der Stimme und dem, der sie hört", beinhaltet.

Ideologiekritik mit leichter Hand - darin ist Barthes in diesen Interviews Meister. Vieles klingt für uns heute vertraut (weniges ist veraltet), und die apodiktische Leichtigkeit, mit welcher der Zeichen- und Spurenleser seine Beobachtungen vorträgt, überrascht noch immer: "Unter dem doppelten Eindruck der Politiker und der Intellektuellen sind es Positionen (und ihre Darlegung), die heute avantgardistisch sind, und nicht mehr unbedingt die Werke", stellt er 1974 fest. Mitunter sind es ganze Entwürfe dessen, was später Medientheorie heißen wird, die Barthes dem Kultur-, vor allem dem Literaturbetrieb ablauscht.

Mit gesteigerter Aufmerksamkeit und entsprechend hochentwickelter begrifflicher Unterscheidung begegnet Barthes jenen Phänomenen, die aus ihrer angestammten und ihm vertrauten Sphäre (Rhetorik) in eine scheinbar fremde gleiten, gewissermaßen dort auswildern (Kinematographie). Er formuliert die dem Wunsch innewohnende Enttäuschung gleich mit, wenn er, in einem Gespräch mit den "Cahiers du Cinéma" 1963 feststellt: "Der Traum des Kritikers ist es, eine Kunst durch ihre Technik zu definieren." Bei aller theoretischen Absicherung blendet Barthes die subjektive Seite des Kinogängers, sein eigenes Kinogehen, nicht aus. Der in der Schwebe gelassene Sinn, die Produktion von Ambiguität - was für Barthes Brecht im Theater geleistet hat, indem er die Sinnfrage zwischen Bühne und Zuschauerraum neu verteilte -, dies findet er im Kino wieder.

Es gibt von Barthes keine Theoriegebäude, die sich architektonisch und ideologisch von andern abgrenzen würden - wie jene zahlreichen "Kapellen", deren Ruinen wir heute in Frankreich besichtigen können. Was aber nicht heißt, daß sein Einfluß auf die intellektuelle und die ästhetische Diskussion der sechziger und siebziger Jahre in Frankreich nicht maßgeblich durch seine diskreten und klug gestreuten Texte mitbestimmt wurde. Die in diesem Band versammelten Interviews - sie sind erfreulich unterschiedlich, was Tiefe und Gewichtung angeht - legen Zeugnis ab nicht nur für Barthes' euphorischen, stilsicheren Duktus und sein Vermögen, sozusagen aus dem Stegreif zu schreiben, sondern entfalten im Rückblick auf die zwei Jahrzehnte von 1960 bis 1980 das Panorama ungewöhnlich reicher ästhetischer und politischer Debatten.

So verwundert es nicht, wenn Barthes Proust und Brecht zu seinen wichtigsten Autoren rechnet: Diesen, weil er trotz der ideologischen Befrachtung seines Denkens zu einer luziden Sprache der Paradoxe und des Scheiterns fähig war; jenen, weil er wie ein inwendiger Fixstern das Leben der Sprache (und mithin der Erinnerung) zu regieren vermag wie kein anderer. Der Vergleich mit Walter Benjamin drängt sich auf, "Werther" kommt hinzu, der Barthes' "Fragmente einer Sprache der Liebe" regiert. (Besonders aufschlußreich hierzu das Interview mit dem "Playboy", 1977.) Barthes liest Brecht als den Erneuerer des Theaters, liest ihn historisch und semiologisch und im Hinblick auf das, was innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft an Sinnverschiebung möglich war, Benjamin liest ihn geschichtsphilosophisch.

Mehrfach spricht Barthes über die Fotografie, zu der er am Ende seines Lebens, wie er ausdrücklich feststellt, "eine Bemerkung" verfaßt hat. Die Fotografie stellte aus persönlichen und theoretischen Gründen eine enorme Herausforderung für ihn dar, drohte sie doch als zeichenloses Analogon der Wirklichkeit dem Semiotiker immer wieder zu entgleiten. Einen Gedanken von Francis Ponge aufgreifend, bemerkt er: "Wenn man in einer ernsthaften Weise von der Fotografie sprechen will, muß man sie in Beziehung zum Tod setzen. Sie ist Zeuge dessen, was nicht mehr ist." Die Arbeit des Schriftstellers opponiert unter diesem Gesichtspunkt gegen die Fotografie. Gefragt, im letzten Interview vor seinem Unfalltod, was ihn veranlasse, weiterhin zu schreiben, antwortete Roland Barthes: "Das Schreiben ist ein Verfahren der Fortpflanzung. Es stellt ganz einfach eine Art und Weise dar, das Gefühl des Todes und der allumfassenden Vernichtung zu bekämpfen und zu bezwingen. Trotz allem streut man beim Schreiben Keime aus; man mag sich vorstellen, daß man so etwas wie Samen ausstreut und folglich in den allgemeinen Kreislauf der Samen eintritt."

Roland Barthes: "Die Körnung der Stimme". edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002. 300 S., br., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Man muss die Wörter vor ihrem Verfallsdatum benutzen
Vor einem Jahrhundert wäre ich mit dem Notizbuch eines realistischen Romanciers durchs Leben gegangen: Roland Barthes’ gesammelte Interviews
Gespräche mit Schriftstellern, im Zuge der Veröffentlichung eines neuen Buches geführt, unterliegen der Gefahr einer schlichten Verdoppelung. Was bereits gesagt ist, soll noch einmal thematisiert werden, nur improvisierter, mit jenen anderen Worten, die im Prozess des Schreibens mit Bedacht aussortiert wurden. Wo auf Fragen zum geschriebenen Text streng genommen nur eine Antwort möglich wäre – das Vorlesen, das wörtliche Zitieren –, macht die Paraphrase genau jene unablässige Arbeit der Verdichtung rückgängig, um die es im Schreiben geht. „Was ich habe sagen wollen, konnte ich nicht besser als schreibend sagen”, heißt es in einem der gesammelten Interviews mit Roland Barthes (die jetzt, etwa 15 Jahre nach der ersten Verlagsankündigung, auf Deutsch erscheinen): eine Bemerkung, in der alle Vorbehalte diesem Genre gegenüber enthalten sind.
Welcher spezifische Wert kommt den Gesprächen mit einem Autor also zu, jenseits der illusorischen Hoffnung, einen Blick hinter den Schleier der Sinnproduktion werfen zu können? Man könnte sagen, dass das geglückte Interview eher den Ort zu bestimmen versucht, von dem aus ein Autor spricht; dass es nicht an der Wiederholung oder Vertiefung eines Werks interessiert ist, sondern an seinen stillschweigenden Voraussetzungen, an seiner Schreibweise. Roland Barthes hat seine Schreibweisen einer unablässigen Prüfung und Korrektur unterzogen, von den strukturalistischen Aufsätzen der frühen sechziger Jahre zu den losen, nur noch nach der Ordnung des Alphabets gegliederten Bruchstücken in „Über mich selbst” oder „Fragmente einer Sprache der Liebe”, von einer stark formalisierten Analyse wie „Die Sprache der Mode” zu den tagebuchartigen Aufzeichnungen der letzten Lebensjahre.
Dennoch gibt es gewissermaßen eine unberührte Stelle in seinem Werk, auf die diese Interviews immer wieder zurückkommen. Es geht um die Frage, ob Barthes, der als Wissenschaftler Bekanntheit erlangte, nicht nach und nach das Feld wechselte, ob er nicht von einem bestimmten Zeitpunkt an literarische Texte produzierte. Wo verläuft die Grenze zwischen Theorie und Fiktion? Spätestens mit dem parallelen Erscheinen von „S/Z” und „Das Reich der Zeichen” im Jahre 1970 wird offenkundig, dass sich Barthes von der konventionellen wissenschaftlichen Schreibweise entfernt hat, und es häufen sich Fragen wie: „Halten Sie nicht ein prekäres Gleichgewicht aufrecht zwischen jenen beiden unverträglichen Werten des ,liebenden‘ und des ,wissenschaftlichen‘ Bezugs?”
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine gewisser Tonfall der Interviewer, ein wiederkehrendes Insistieren auf den Verheißungen des poetischen Schreibens, das einmal als unmittelbar bevorstehende „letzte Metamorphose” im Werk Barthes’ bezeichnet wird. „Wenn Sie bald einen Roman schreiben”, sagt ein anderer, „wird man meinen, Sie haben endlich den Sprung geschafft ... und daß Ihr kritisches Werk so etwas wie ein langer Anlauf gewesen sei.” Immer wieder wird die Aussicht auf einen „richtigen” Roman, der endgültige Abschied von der Theorie als ein Akt der Befreiung imaginiert. Eine klar unterteilte Ökonomie der Schreibweisen: Der theoretische Text muss seine Kräfte disziplinieren, muss sich mäßigen und in aller Anspannung und Strenge die Grenzen wahren; mit der Entscheidung für das Literarische dagegen öffnen sich die Schleusen, und die Sprache kann sich nach Belieben verausgaben, kann sich ergießen, wohin sie will.
Gerade in der Befragung eines Autors, der wie kein anderer zwischen den Schreibweisen oszillierte, zeigt sich mit großer Deutlichkeit die unterschiedliche libidinöse Besetzung der wissenschaftlichen und der poetischen Sprache im späten 20. Jahrhundert. Man will Barthes deshalb ein verbindliches Bekenntnis zur Literaturproduktion entlocken – „Haben Sie niemals einen Roman oder den Anfang eines Romans geschrieben?” –, er aber kommt in seinen Antworten immer wieder auf den prekär gewordenen Status des Erzählens zu sprechen. „Vor einem Jahrhundert wäre ich sicherlich mit dem Notizbuch eines realistischen Romanciers durchs Leben gegangen. Aber heute kann ich mir nicht vorstellen, eine Geschichte oder eine Handlung mit Personen, die einen Eigennamen tragen, zu verfassen, kurz, einen Roman.”
Eine bemerkenswerte Antwort: Was also ist Literatur; worin unterscheiden sich narrative, erkennbar autobiografische Texte wie „Fragmente einer Sprache der Liebe” von Romanen? In nichts anderem als der vermiedenen Praxis der Figurenbenennung. Roland Barthes hat – womöglich weil sein Tod zu früh kam – den „Durchbruch zur Literatur” niemals vollzogen; vielleicht begnügten sich seine Texte aber auch deshalb mit dem „Romanesken ohne Roman” („S/Z”), weil er um die Probleme des Erzählens wusste, um jene kontingente Transformation von Erfahrung in „Handlung”, in eine „Geschichte”, die bereits mit der Wahl der Eigennamen beginnt.
Der Willkürakt der Figurenbenennung als Argument gegen den zeitgenössischen Roman: auch das ein Ausdruck jener besonderen „Ethik des Zeichens”, die Gérard Genette einmal ins Zentrum der Arbeit Barthes’ gestellt hat. Diese Ethik äußert sich – man denke an die berühmten „Mythen des Alltags” – in der unablässigen Freilegung der Produktionsbedingungen von Sinn, in der Auseinandersetzung mit den kulturellen Strategien, die das historisch Erzeugte als Natürliches, Selbstverständliches, immer schon Dagewesenes ausgeben. Den Sinn in der Schwebe halten, jede Verfestigung der Bedeutungen vermeiden: So ließe sich Barthes’ semiotische Ethik beschreiben. Die Konsequenzen aber, die diese Ambition für den eigenen Sprachgebrauch hat, werden in den Gesprächen dieses Bandes immer wieder problematisiert. Es geht um etwas, das man die Dynamik der Begriffe nennen könnte, denn eine Philosophie, die sich gegen die Erstarrung des Sinns wendet, darf ihrerseits nicht über die Jahre hinweg auf ein gleichbleibendes terminologisches Arsenal zurückgreifen.
Regelmäßig verabschiedet sich Barthes deshalb in den Interviews von jenen Begriffen und Schlagwörtern, die er selbst geprägt oder reanimiert hat; so betont er schon in den frühen siebziger Jahren die Abnutzung von Kategorien wie „Signifikant” und „Signifikat”, und um seine berüchtigte Vorliebe für Neologismen zu rechtfertigen, spricht er in einer schönen Formulierung einmal von seiner Empfänglichkeit für die „Frische der Wörter”. Als dürfte jede Bezeichnung nur bis zu einem bestimmten Verfallsdatum verwendet werden.
Roland Barthes ist das Gegenteil eines Philosophen, der ein Leben lang am Bedeutungsgehalt, an der Trennschärfe derselben Begriffe gearbeitet hat. Genau auf dieser Weigerung, gültige Definitionen zu geben, gründet sich aber seine Theorie des Zeichens. Unermüdlich kommt er in den Interviews auf das Beispiel des Wörterbuchs zurück, um die willkürliche Konstituierung jenes letzten, „definierten” Sinngehalts zu verdeutlichen. Denn der Akt der Definition – Wörter ersetzen Wörter – imaginiert eine durch nichts begründbare Hierarchie: Warum sollten die definierenden Wörter näher am Zentrum des Sinns liegen als die definierten? Beides sind nur Kompanien jenes „beweglichen Heers von Metaphern”, von denen Nietzsche sprach.
Genau in dieser Hinsicht muss schließlich auch Barthes’ Abkehr von der strukturalistischen Literaturanalyse verstanden werden. Sein frühes Konzept eines „Modells” nämlich, auf das sich alle literarischen Texte beziehen, läuft letzten Endes genau auf jene Vorstellung eines Sinnzentrums hinaus, gegen die sich diese Methode wenden wollte. Befreit vom kontingenten Fleisch ihrer Fabel, offenbaren die Texte, als reine „Struktur”, ihre letztgültige Wahrheit. Barthes kommt in den Gesprächen der frühen siebziger Jahre häufig auf diesen blinden Fleck der strukturalistischen Tätigkeit zurück. Die immanente, ideologiekritische Kategorie der „Struktur” ist selbst zum Fetisch der Analyse, zu einer Ideologie geworden. Zur selben Zeit beginnt sein „Flirt” mit dem poetischen Schreiben, wie er es nennt: ein Flirt, aus dem die Befrager so gern eine offizielle Verbindung gemacht hätten.
ANDREAS BERNARD
ROLAND BARTHES: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962-1980. Aus dem Französischen von Agnès Bucaille-Euler, Birgit Spielmann, Gerhard Mahlberg. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main, 2002. 403 Seiten, 14 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Interviews mit Schriftstellern unterliegen grundsätzlich der Gefahr, Verdoppelung zu betreiben, wirft Andreas Bernard in die Diskussion: etwas zu beschreiben, was schon beschrieben ist. Roland Barthes war sich dessen bewusst, sagt er und zitiert ihn mit den Worten: "Was ich habe sagen wollen, konnte ich nicht besser als schreibend sagen." Sinn macht für Bernard ein Schriftsteller-Interview nur, wenn es an die "stillschweigenden Voraussetzungen" des Schreibens, die Position des Autors rührt. Nun sei Barthes ein Autor gewesen, der extrem zwischen den Schreibweisen "oszillierte", stellt Bernard fest, weshalb die meisten Frager am Ende ihres Interviews alle mit dergleichen Frage bei Barthes scheiterten: ob er nicht von einem bestimmten Zeitpunkt an literarische statt wissenschaftlicher Texte produziert habe? Ein verbindliches Bekenntnis zur Literaturproduktion von Barthes gab es nicht, stellt Bernard klar. Immer wieder hätte Barthes auf den prekären Status des Erzählers verwiesen, dabei seine eigenen Begriffe und Definitionen einer Revision unterzogen, eine Haltung, aus der sich schließlich auch Barthes semiotische Ethik erschließen lasse.

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