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Produktdetails
  • Verlag: HERBIG
  • Sonderausg. 4. Aufl.
  • Seitenzahl: 384
  • Deutsch
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 798g
  • ISBN-13: 9783776621549
  • ISBN-10: 3776621540
  • Artikelnr.: 08522822
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2001

Anschein der Unbezwingbarkeit
Hitlers Hauptquartiere: Das Wirrwarr wandernder Befehlszentren

Franz W. Seidler, Dieter Zeigert: Die Führerhauptquartiere. Anlagen und Planungen im Zweiten Weltkrieg. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2000. 384 Seiten, 158 Abbildungen, 49,90 Mark.

Im letzten Krieg hatte Deutschland einen Führer und 16 Führerhauptquartiere. Die meisten davon hat er selten oder nie benutzt. Sie verschlangen Hekatomben von Beton, Arbeitskraft, Schienen und Telefondraht - pharaonische Anlagen, wo der Pharao als Gefangener seiner selbst hauste. Ihre Kammern waren fensterlose, luftarme Verliese, abwechselnd zu heiß und zu kalt. Recht karg sollten sie sein, unwirtlich, bedrückend wie die Bunker- und Feldunterkünfte der Volksgenossen. Dies stand in frappantem Gegensatz zur Verschwendung, die zugleich mit Rollbahnen, Gleisanschlüssen und Luftschutzpanzerungen getrieben wurde. Bis in die letzten Kriegstage mauerten Arbeitsheere an künstlichen Kyffhäusern wie dem Quartier "Riese" in Unterschlesien. Von dort aus wollte die Nazi-Elite unterirdisch das eingeäscherte Reich lenken.

Das Buch Seidlers und Zeigerts quillt über von bizarren Details über Hitlers Führungsgebaren; wer keine näheren Überlegungen anstellt, wähnt sich in einem Tollhaus. Weder zu Beginn noch im Verlauf des Krieges habe ein intaktes Leitungs- und Kommunikationsorgan existiert. Sowohl militärisch wie auch politisch sei der Führerstaat führungslos gewesen. Um so erstaunlicher ist, daß eine Weltkoalition wohlorganisierter Feindmächte fast sechs Jahre benötigte, um solch ein Chaosgebilde niederzuringen. Was machte seine Haltbarkeit aus?

Die Autoren schildern die sattsam bekannte Auflösung der inneren Führungsstrukturen der Streitkräfte zugunsten eines dilettierenden Tausendsassas, der von der Großen Strategie bis zum Operationsschritt auf Bataillonsebene, vom Panzermotor bis zur Offiziersverpflegung alles nur Erdenkliche selbst befehligte. Er fungierte als formaler Kriegsherr, später als Oberbefehlshaber des Heeres, vorübergehend kommandierte er sogar die Heeresgruppe am Fuße des Kaukasus.

Der Zentralisierung der Befehlsgewalt widersprach jedoch das Wirrwarr wandernder Befehlszentren. Wenn nicht gerade vom Führersonderzug aus, so regierte Hitler den Krieg wie die mittelalterlichen Kaiser das Reich aus einer Kette von Pfalzen. Dabei fällt - angelehnt an den hitlerschen Spitznamen - die Anrufung des vagabundierenden Wolfes auf: Wolfsschanze, Wehrwolf, Wolfsschlucht. Wie das Alpha-Tier an der Spitze des Rudels, zog der "Führer" zu den Stätten des vorgesehenen Blutvergießens. Dort nahm er Quartier: zu Beginn des Westfeldzuges bei Münstereifel sowie bei Couvin (Belgien), mit der ersten Rußlandoperation in Rastenburg, in der Südoffensive 1942 in Winniza (Ukraine) und so weiter. Alsdann grub er sich ein. Dieselben Instinkte trieben ihn in die Nähe des Gefechts wie in die Isolation von den Fechtenden. Die anfänglichen Truppenbesuche nahmen rapide ab, den Kontakt zu den Heeresdienststellen knüpften servile Adjutanten. Das Eigentümlichste aber ist, daß Hitler die militärische an die politische Führung koppelte, um mit Kriegsbeginn die Politik praktisch an den Nagel zu hängen. Hinfort führten den "Führer" militärische Zwangsläufigkeiten in das Fiasko.

Während die Wehrmacht zwischen September 1939 und Dezember 1941, durchaus mit Hitlers Zutun, märchenhafte Gebietsgewinne realisierte, wollte ihm im politischen Schach kein einziger Zug mehr gelingen. Den Rußlandfeldzug wählte er unvorbereitet, weil ihm zu dem Patt mit England nichts Gescheites mehr einfiel. Er wurde nervös und spürte die Zeit im Nacken, Deutschlands Achillesferse im Krieg. Die Psychologie des Vabanquespiels, sein Talent zu Täuschung waren zu nichts mehr nutze. Er klebte an der Front. Nachdem er im dritten Kriegsjahr die Initiative verloren hatte, hielt er überdies die Nation bei seiner Fahne. Der Zerfall der Städtelandschaft im Bombenkrieg, der Aderlaß an der Front wurden erduldet in einem Zustand der Betäubung.

Das Groteske am Führerbunker war der gewaltige Sicherheitsaufwand. Hitler plagte, als alles in Scherben fiel, eine einzige Furcht: daß Luftangriffe oder Anschläge sein Leben vernichteten. Gar nicht seinethalben - er war nicht furchtsam. Aber seine Existenz verbürgte Deutschlands Durchhaltevermögen. Er mußte sich retten, um den anderen das Sterben anzugewöhnen. All diese Wolfsschanzen, Adlerhorste, Bärenhöhlen, Felsennester und wie die Hitlerpfalzen sonst noch hießen, stellten die Allgegenwart eines Willens dar, der sich nicht unterkriegen lassen wollte. Wo ein Hauptquartier war, bestand ein Gefolgschaftsverhältnis.

Mangels ersichtlicher Strategie klammerte man sich in Deutschland an den Strategen. Verzweifelt bauten die Gefolgsleute darauf, daß der "Führer" noch einen Trumpf zückte. Und dieser setzte darauf, daß das deutsche Volk auf ihn baute und dem Gegner irgendein gigantisches Malheur zustieß. Alle Überrumpelungserfolge Hitlers fußten ja auf den Dummheiten seiner Gegner.

Während er als Spieler lauerte, daß die Feinde Fehler machten, türmte er als Führerdarsteller seinen Nimbus auf. Man bekam ihn im Kriege wenig zu Gesicht, dennoch war er jedem gegenwärtig. Die vorliegende Geschichte seiner hohlen Hauptquartiere erzählt einen unfaßlichen Bluff. Sie ließen den bedenkenlosesten Verlierer aller Zeiten als nicht zu bezwingenden Feld- und Kriegsherrn erscheinen. Die imaginär geführte, praktisch steuerlose Nation aber hielt so zäh an der Einbildung fest, die erst schwand, als das Reich auf Nimmerwiedersehen ausgelöscht war. Es gibt kein böseres Beispiel von der Unüberwindlichkeit des Irrtums.

JÖRG FRIEDRICH

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perlentaucher.de Notiz

Schön geschrieben ist die Rezension von Jörg Friedrich. Aber mit einer Kritik an der Untersuchung von Franz W. Seidler und Dieter Zeigert über die Führerhauptquartiere - 16 an der Zahl, die meisten gänzlich ungenutzt - hält er sich zurück. Jedenfalls findet er das Buch informativ. Es sei voll von bizarren Details über Hitler Führungsgebaren und seinen Größenwahn, in der reinen Präsenz von undurchdringlichen Befestigungsanlagen Stärke zu demonstrieren. Und dass sich diese Annahme als unfasslicher Bluff herausgestellt hatte, davon zeuge auch der vorliegende Band über die "hohlen Quartiere" des Führers, meint der Rezensent.

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