Produktdetails
  • Verlag: Suhrkamp
  • ISBN-13: 9783518013717
  • Artikelnr.: 25702310
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2010

Was der Matador lehrt
Paul Ludwig Landsberg über „Die Erfahrung des Todes”
Auch für das eigene, das so tragisch verlaufene Leben gilt die Maxime Paul Ludwig Landsbergs: „Das Individuelle erleuchtet das Universelle.” Der Lebensgang des 1901 in Bonn geborenen Philosophen schien unter einem günstigen Stern zu stehen. Im elterlichen Salon verkehrten Thomas Mann, Friedrich Gundolf, Romano Guardini, seine akademischen Lehrer wurden Max Scheler und Edmund Husserl, mit 28 Jahren habilitierte er sich in der Heimatstadt. Früh ein scharfer Kritiker der nationalsozialistischen Rassenideologie, floh er 1933 nach Spanien, wo er eine Professur übernahm. Mit Horkheimer stand er in Kontakt, mit Bataille und Aron. Gestorben aber ist er im Konzentrationslager Oranienburg, 1944 an einer Lungentuberkulose.
Der erstmals seit 1973 wieder auf Deutsch zugängliche Essay „Die Erfahrung des Todes” von 1935 ist eine elegante und tiefsinnige Meditation über das „Mysterium des Menschen”. Vom eigenen Tod zu wissen und ihn im Dahinscheiden des Nächsten vorgebildet zu sehen, kennzeichne nämlich den Homo Sapiens. Landsberg bettet in den Essay eine kristallklar formulierte Miniatur ein über den Stierkampf als Sinnbild des menschlichen Lebens, wie die vorchristliche Welt ihn erlebte.
Von verlorenen Menschen
Der Matador, „wörtlich übersetzt also der Töter”, bezwingt alle. „Jeder Kampf gegen ihn ist im Voraus verloren.” Gegen Nietzsche gewandt ist die Pointe: „Der Mensch verzweifelt nie vollkommen, solange er lebt. Die Gewissheit aber eines möglichen Sieges haben wir nur im christlichen Leben angetroffen.”
Landsberg war Sohn jüdischer Eltern, evangelisch getauft, und sympathisierte mit dem Katholizismus. In der argumentativ dichtesten Passage deutet er die Trauer des hl. Augustinus über den Tod eines Freundes als „Geburt der existenziellen Philosophie”. Die augustinische Erkenntnis, „ich selbst war mir eine große Frage geworden”, nehme jene Philosophie vorweg, „in der der Mensch sein eigenes Menschsein zu begreifen und zu gewinnen sucht” – im Modus eben der Person, die immer nur sein kann, wenn sie sich in Beziehung zu einem Nächsten wahrnimmt. Der Schmerz über dessen Tod ist also der Preis echt menschlichen Seins. ALEXANDER KISSLER
PAUL LUDWIG LANDSBERG: Die Erfahrung des Todes. Hrsg. von Eduard Zwierlein. Matthes & Seitz, Berlin 2009. 180 Seiten, 14,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010

Der Tod hat seine intime Dialektik

Paul Ludwig Landsbergs Schrift lehrt die Kunst des Philosophierens am letzten Probierstein des Denkens.

Von Lorenz Jäger

Wann hat man das Gefühl, schon nach den ersten Sätzen einem wirklichen Philosophen begegnet zu sein? Wenn die zur Verhandlung stehende Frage konzentriert und bei der Sache bleibend entwickelt wird, wenn der Stil dicht und lauter ist, wenn die Assoziationen, vielfältigen lebensweltlichen Beobachtungen und selbst die wissenschaftlichen Befunde zurückgenommen sind in Ernst und Strenge der Darlegung, natürlich nicht verstanden als autoritäre, willkürliche Setzung, sondern als Disziplin des Gedankens selbst. Man kann dann glauben, eine ganz reine Luft zu atmen. Paul Ludwig Landsberg war ein Philosoph. Und jeder, der zur seiner Abhandlung über die Erfahrung des Todes greift, wird allein aus ihr den Begriff des Philosophen ableiten können. Der Tod ist ja nicht irgendein Thema unter anderen, sondern sozusagen der letzte Probierstein des Denkens.

Dem Wort "Erfahrung", das schon der Titel nennt, kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Es mag überraschen, dass gerade ein christlicher Personalist wie Landsberg mit einem Zitat von Voltaire in die Fragestellung einführt - mit der Nebenbemerkung, Voltaire sei "oft tiefer, als man glauben möchte". Der Aufklärer nämlich hatte gesagt, nur das Menschengeschlecht verfüge über das Wissen der Sterblichkeit, und es wisse darüber "nur aus Erfahrung" (elle ne le sait que par l'expérience). Hier gabeln sich gleich die Wege der Auslegung: Die empiristische, die dem achtzehnten Jahrhundert nahe genug lag, würde in die Richtung einer Anerkenntnis bloß der Tatsache des Sterbens gehen. "Und doch will es uns scheinen", fügt Landsberg an, "als ob dies ,par l'expérience' objektiv mehr enthielte, als sich Voltaire dabei bewusst gewesen ist. Ebendieser dunklere, pathetische Inhalt führt uns in die Richtung einer neuen Untersuchung" - nämlich die einer neu verstandenen Notwendigkeit des Todes.

Landsberg war ein Sohn der Phänomenologie, die der Bereich der Erfahrung über die begrenzten Vorstellungen, die sich der Empirismus gemacht hatte, erweitern wollte. Und nun setzt die Abhandlung abermals an - in einer Diskussion der Philosophie Max Schelers, Landsbergs Lehrer. Scheler habe indes weniger den Tod als das Altern vor Augen gehabt: "Je älter er wird", so wird Schelers Gedanke resümiert, "desto weniger kann der Mensch sich frei fühlen, desto weniger ist er imstande, den Gesamtsinn seines Lebens durch die Gestaltung seiner Zukunft umzuformen." Aber, so Landsberg, der Tod sei doch mehr als bloß die äußerste Grenze einer biologischen Entwicklung. Es gibt keine zwingende Beziehung zwischen dem Altern und dem Tod: "Die große Mehrheit der Menschen stirbt sehr jung." Hier also kann die Erfahrung, die gesucht wird, nicht zu finden sein.

Der dritte Versuch eines Anfangs geht in die Richtung einer Theorie der Individualität. Gegenüber dem beiläufigen Charakter des Todes unter "primitiven Völkern", wie Landsberg noch mit Levy-Bruhl sagt, wo die Gruppe tun kann, "als ob nichts geschehen wäre", gewinne der Tod mit dem Auftreten einzigartiger Individualitäten an drohender Kraft. Man kann sich fragen, ob eine so reißbrettartige Scheidung von "primitiv" und "entwickelt" wirklich die Sache trifft oder ob nicht eine damals noch rudimentäre Kenntnis der Todesriten in außereuropäischen Gesellschaften Landsberg auf dieses Argument brachte.

Jedenfalls wird der Leser kundig durch die Geschichte der philosophischen Ideen über den Tod geführt, und zwar kritisch und nicht bloß referierend, indem auch die jeweiligen Verdrängungsleistungen etwa der epikureeischen oder stoischen Haltung geduldig analysiert werden. Die Darstellung mündet in das Lob einer christlichen "ars moriendi". Für den Christen existiert "auf Seiten der Ewigkeit nicht mehr nur eine Ideenwelt, sondern es existiert dort eine Person, die das absolute Sein ist" - und mehr als Sein, nämlich Gnade.

Paul Ludwig Landsberg, geboren 1901, starb entkräftet im Lager Oranienburg am 2. April 1944. "Die letzte Geste, die von ihm vor seinem Abtransport in den berüchtigten Krankenbau des Konzentrationslagers berichtet ist, ist ein stummes Kreuzzeichen über die Zurückgebliebenen."

Paul Ludwig Landsberg: "Die Erfahrung des Todes". Herausgegeben mit einer Einleitung und einem Nachwort von Eduard Zwierlein. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2010. 176 S., br., 14,80 [Euro].

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