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Zwischen 1930 und 1933 wurden in Deutschland mehrere hundert Spielfilme produziert - komische, tragische, realistische, romantische, pazifistische, einfühlsame, nationalistische, traditionalistische, melodramatische etc. Dass diese Filme - neben ihrem Unterhaltungscharakter - gemeinsam mit Presse und Rundfunk Anteil an dem öffentlichen Bewusstseins- und Wertewandel in der Endphase der Weimarer Republik hatten, kann wohl kaum bezweifelt werden. Wie wurden diese Filme aber vom zeitgenössischen Kinobesucher wahrgenommen? Welche möglicherweise entgegengesetzten Lesarten und Verarbeitungsweisen…mehr

Produktbeschreibung
Zwischen 1930 und 1933 wurden in Deutschland mehrere hundert Spielfilme produziert - komische, tragische, realistische, romantische, pazifistische, einfühlsame, nationalistische, traditionalistische, melodramatische etc. Dass diese Filme - neben ihrem Unterhaltungscharakter - gemeinsam mit Presse und Rundfunk Anteil an dem öffentlichen Bewusstseins- und Wertewandel in der Endphase der Weimarer Republik hatten, kann wohl kaum bezweifelt werden. Wie wurden diese Filme aber vom zeitgenössischen Kinobesucher wahrgenommen? Welche möglicherweise entgegengesetzten Lesarten und Verarbeitungsweisen waren möglich? Welchen Beitrag leisteten die hier propagierten Handlungsmuster, Lebensentwürfe und Mythen zum Untergang der ersten deutschen Demokratie? Das Buch gibt Antworten auf diese Fragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.1998

Ins Kino, gelacht
Optimismus, Eskapismus und rechte Ideologie: Helmut Korte sieht in den Filmen der Weimarer Republik die Vorboten der Katastrophe

Seit Karsten Witte vor fast zwanzig Jahren Siegfried Kracauers filmhistorisches Werk "Von Caligari zu Hitler" neu herausgab, ist es ein Gemeinplatz geworden, daß schon die Spielfilme der Weimarer Republik eine tiefenpsychologische Disposition der Deutschen erkennen ließen, die den Nationalsozialismus begünstigte. In den fünfziger Jahren hatte man sich in Deutschland dieser These noch verschlossen, und Rowohlt verpaßte der Übersetzung von Kracauers Buch den Titel "Von Caligari bis Hitler", um die Kontinuitätsbehauptung abzumildern. Mittlerweile aber wird Kracauers Ergebnis wieder in Frage gestellt. Zu Recht: Die zahlreichen Filmkritiken aus seiner Zeit bei der "Frankfurter Zeitung", die Wittes Neuedition beigegeben waren, haben weitaus mehr analytische Schärfe behalten als der Haupttext, der mit schwerem, aber stumpfem Säbel gegen die Verfehlungen der deutschen Kultur der zwanziger Jahre streitet.

Angesichts dieser neuen Unsicherheit im Umgang mit dem Weimarer Film kommt das neue Buch von Helmut Korte gerade recht. Der renommierte Filmhistoriker nimmt sich nur die deutsche Spielfilmproduktion der Jahre 1930 bis 1933 vor und untersucht sie auf ihre ideologische Funktion. Ganz im Sinne Kracauers stehen dabei nicht die Intentionen von Regisseuren, Filmgesellschaften oder Finanziers im Vordergrund, sondern die Aufnahme der Filme durch das Kinopublikum. Dessen Reaktionen aber - und das ist die größte Schwäche von Kortes Buch - kann der Autor nur noch im Spiegel der zeitgenössischen Filmkritik betrachten; sein Versuch, die Besprechungen durch oral history zu ergänzen, schlug fehl. Daß der professionelle Blick der damaligen Rezensenten nur ein eingeschränktes Rezeptionsspektrum darstellt, gibt Korte zu.

Auch Korte sieht im Weimarer Kino die Vorboten des Nationalsozialismus. Die Gruppierung der etwa sechshundert von ihm erfaßten Filme nach politischer Ausrichtung ergibt ein erstaunliches Resultat: Nicht erst 1933 setzte der Boom nationalistisch geprägter Filme ein, sondern bereits 1932. Die zuvor noch regelmäßig produzierten Filme mit sozialistischen Aussagen fanden keine Nachfolger mehr. Zugleich erlangten Streifen mit aufgesetzt optimistischer Aussage und offen eskapistischer Funktion große Beliebtheit beim Publikum. Das ökonomische Katastrophenjahr trieb die Bevölkerung massenweise in die Lustspiele. Da diese Filme für Korte den Übergang zum mehr oder minder offen rechtspropagandistischen Kino bilden, wird für ihn 1932 zu einem Schlüsseljahr. Gedeckt glaubt er diese Interpretation durch die politische Entwicklung: In seiner überflüssigen, weil zu knappen Zusammenfassung der Ereignisse seit der Etablierung der Präsidialkabinette hat Korte den Beginn der finanziellen Unterstützung von Hitler durch die Industrie als den Zeitpunkt fixiert, zu dem die Nazis salonfähig wurden. Das ist reichlich naiv, aber der Umschwung bei den Filminhalten und die Annäherung von NSDAP und Großindustrie passen dem Autor wohl zeitlich zu gut zusammen.

Korte läßt sich gerne von seinem Schlüsseljahr mitreißen. So erklärt er kurzerhand den Dezember 1932 zu einem Datum, an dem Hitlers Regierungsbeteiligung "nur noch eine Frage der Zeit und des taktischen Geschicks" schien. Hätte er etwas ausführlicher in Goebbels' Tagebüchern geblättert, wüßte er, daß den Nazis ihre Sache just in diesem Moment verloren schien. Aber das ist ohnehin das Problem einer solch gigantischen empirischen Studie (zehn Jahre Arbeit stecken im Buch): Korte hat sich zu wenig auf Nebenpfade begeben. Die einzige überraschende Abbildung in dem ohnehin spärlich bebilderten Band ist eine Zigarrenreklame, die sich an den Erfolg der diversen Verfilmungen mit Episoden aus dem Leben des Preußenkönigs Friedrich II. anhängt. Von solchen Einflüssen des Kinos auf den Alltag, spürbar bis in den Friedrich-Kult der Nazis, hätte man sich gern mehr berichten lassen. Statt dessen besteht ein nicht unerheblicher Teil des Buchs aus endlosen Nacherzählungen einzelner Filmmotive, von der geradezu unleserlichen "Problembeschreibung" am Anfang ganz zu schweigen.

Kleine Perlen verstecken sich in der gewaltigen Textmenge. So etwa die Information, daß Lewis Milestones Verfilmung von "Im Westen nichts Neues", die in Deutschland Gegenstand einer erregten und von rechter Seite mit allen Mitteln (inklusive Störung von Vorführungen) betriebenen Auseinandersetzung war, auch in Amerika seit September 1931 nur in einer zensierten Fassung laufen durfte, weil die deutsche Oberprüfstelle den Film sonst im Reich nicht freigegeben hätte. Auch Kortes knappe Bemerkung zur Aufnahme des kommunistischen Films "Kuhle Wampe", der nach anfänglichem Verbot in Deutschland in Moskau uraufgeführt worden war und dort eine vernichtende Besprechung erhalten hatte, weil er nicht den Prinzipien proletarischer Filmarbeit entspreche, weckt Neugier zumindest bei dem Leser, der Kortes Vorgängerbuch "Film und Realität in der Weimarer Republik" von 1978 nicht kennt.

Doch diese Neugier bleibt unbefriedigt, weil "Kuhle Wampe" nicht zu der Handvoll Filme zählt, die Korte exemplarisch für ihre jeweiligen Genres analysiert. Von den politisch links stehenden Streifen über die unpolitischen Unterhaltungsfilme bis zu denen, die für die rechte Seite des politischen Spektrums agitierten, unterscheidet er sieben Gruppen, die dann der Reihe nach abgehandelt werden. Lesefreude will beim immergleichen Aufbau dieser Erörterungen nicht aufkommen, nur die umfangreiche Passage zu Carl Froelichs "Der Choral von Leuthen" - eine weitere Friedrich-Verfilmung - kann mit ihren Einstellungs- und Schnittfrequenzanalysen sowie einem Storyboard-Auszug überzeugen.

So bleibt nicht viel nach der Lektüre, was des Erinnerns wert wäre, weil Korte meist auf der Ebene der Beschreibung und des Zitats verharrt. Einen "rezeptionshistorischen Versuch" nennt er sein Buch; der Versuch ist gescheitert. Daß der Spielfilm einiges zum Untergang der Republik beigetragen hat, glauben wir dem Autor gerne, in welchem Maße aber, kann nicht durch eine bloße Auswertung von Zeitungen und Zeitschriften geklärt werden, die selbst zur Genüge im politischen Tagesgeschehen engagiert waren. Die Mythen des Kinos sind zu einem guten Teil durch die Berichterstattung darüber entstanden. Hier müßte die Analyse ansetzen, nicht bei den Filmen. ANDREAS PLATTHAUS

Helmut Korte: "Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik". Ein rezeptionshistorischer Versuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 504 S., Abb., br., 88,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In einer Doppelrezension bespricht Jörg Becker zwei Bücher, die sich mit dem Film in der Weimarer Republik beschäftigen.
1.) Thomas Elsaesser: "