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Produktdetails
  • Verlag: Agon
  • Seitenzahl: 224
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 360g
  • ISBN-13: 9783897841512
  • Artikelnr.: 08725420
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2000

"Arisierung" am Ball auf Druck von unten

Dieses Buch wird für Aufregung sorgen. Das liegt daran, dass die Rolle des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und seines damaligen Präsidenten Felix Linnemann im Dritten Reich nicht selten starker Kritik ausgesetzt war. Nach Meinung vieler Autoren ließ sich der DFB bereitwillig vor den politischen Karren des NS-Regimes spannen und spielte im Konzert des Reichssportführers die erste Geige. Schenkt man Karl-Heinz Schwarz-Pich Glauben, dann braucht sich der DFB nun darüber keine Gedanken mehr zu machen. Der Mannheimer Fußballhistoriker findet die meisten Publikationen, die bislang zu diesem Thema erschienen sind, schlecht recherchiert und hält dem nun seine Recherchen entgegen. Nach seinen Worten hielt sich, und diese Interpretation ist überaus bemerkenswert, der DFB etwa in den Monaten nach der "Machtergreifung" 1933 merklich zurück. Seine damit verbundene These, der DFB habe nicht zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehört, versucht er am Beispiel der "Arisierung" zu belegen. Im Gegensatz zu anderen Sportverbänden wie der Deutschen Turnerschaft habe der DFB einen Ausschluss der Juden zunächst nicht angeordnet. Erst auf Druck "von unten", das heißt auf Veranlassung seiner Regionalverbände und Vereine, habe er dem antisemitischen Treiben stattgegeben.

Überhaupt sei von der irrigen Ansicht abzurücken, dass der DFB willfähriges Instrument der NS-Herrschaft gewesen sei, schreibt Schwarz-Pich. Er versucht dies anhand der Zusammensetzung des Fachamtes Fußball zu belegen und gibt zu bedenken: Mehrere Mitglieder wie etwa der spätere DFB-Chronist Carl Koppehel oder Reichstrainer Otto Nerz seien vorher SPD- oder DDP-Mitglieder gewesen. Und der zugegeben nationalkonservativ orientierte Fachamtsleiter Linnemann sei erst sehr spät, nämlich 1937, in die NSDAP eingetreten. Schwarz-Pich gelingt es sehr gut, diesen auf den ersten Blick sehr merkwürdigen Vorgang des späten Parteieintritts darzustellen. Ihm zufolge war Linnemann dazu gezwungen. Denn auf Druck höherer Parteiebenen habe ihm Reichssportführer Tschammer diesen Schritt nahe gelegt, weil sich zu wenig Fußball-Funktionäre in der NSDAP engagiert hätten. Kriminalrat Linnemann vollzog diesen Schritt, konnte aber auch damit seine 1937 erfolgte Zwangsversetzung in das provinzielle Stettin nicht verhindern, als er in einer einseitigen Diskussion mit seinem Vorgesetzten, dem berüchtigten SD-Chef Reinhard Heydrich, den Kürzeren zog.

Auf dem Feld der personellen Motive und Kontinuitäten des DFB besitzt das Buch große Stärken. Für andere Bereiche darf man das nicht sagen. So enthält das Buch nicht ein schriftliches Dokument des DFB aus dieser Zeit, sondern gründet sich weitgehend auf die Nachlässe der damaligen Reichstrainer Herberger und Nerz. Und wenn Schwarz-Pich in seinen einführenden Zeilen behauptet, nur eine Verschmelzung des seinerzeit zersplitterten Sports hätte "Weimar vor dem Untergang retten können", dann runzeln Historiker wohl nicht zu Unrecht die Stirn. Auch darf man fragen, warum die Worte Felix Linnemanns fehlen, der am 19. März 1933 im Rahmen des Länderspiels gegen Frankreich gegenüber den Gästen betonte, dass der Kampf gegen den Bolschewismus nicht nur ein Frühling Deutschlands sei, sondern sich auch später als ein Frühling der westlichen Kulturstaaten erweisen werde. Denn auch solche Äußerungen, so wenig sie in das Linnemann-Bild des Autors passen, gehören zur DFB-Geschichte. Wenn Schwarz-Pich außerdem vermutet, Otto Nerz habe seine 1943 verfassten antisemitischen Artikel lediglich auf Druck der Partei geschrieben, dann unterstreicht dies, dass das nationalsozialistische Kapitel deutscher Fußballhistoriographie noch nicht abschließend geschrieben ist.

Diese Publikation, so angreifbar sie sich in verschiedener Hinsicht auch präsentiert, ist dennoch wertvoll und liefert außerordentlich interessante Anregungen. Der Autor darf berechtigter Hoffnung sein, dass seine Arbeit später als Initialzündung bezeichnet werden wird. Immer vorausgesetzt, es beschäftigen sich auch weiterhin Leute mit diesem sensiblen Thema.

ERIK EGGERS

Besprochenes Buch: Karl-Heinz Schwarz-Pich: "Der DFB im Dritten Reich. Einer falschen Legende auf der Spur". Agon-Verlag, Kassel. 200 Seiten. DM 29,80.

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