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Norberto Bobbios Hauptwerk: Grundlegende Texte über die Menschenrechte, ihre Geschichte, Gegenwart und Zukunft.Wie können Menschen mit unterschiedlichen Religionen und verschiedenen politischen Anschauungen ohne Furcht zusammenleben?Angesichts unübersehbarer Menschenrechtsverletzungen in vielen Teilen der Welt sucht Bobbio eine Antwort auf diese und andere Fragen - und bietet gedankliche und argumentative Hilfe für eine Veränderung.

Produktbeschreibung
Norberto Bobbios Hauptwerk: Grundlegende Texte über die Menschenrechte, ihre Geschichte, Gegenwart und Zukunft.Wie können Menschen mit unterschiedlichen Religionen und verschiedenen politischen Anschauungen ohne Furcht zusammenleben?Angesichts unübersehbarer Menschenrechtsverletzungen in vielen Teilen der Welt sucht Bobbio eine Antwort auf diese und andere Fragen - und bietet gedankliche und argumentative Hilfe für eine Veränderung.
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Autorenporträt
Norberto Bobbio, 1909 in Turin geboren, war Professor für Jura. Er hat zahlreiche Schriften über die Menschenrechte und zur Theorie von Politik, Demokratie und Recht verfaßt. Norberto Bobbio starb 2004 in Turin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.1998

Freiheit braucht Gefahr
Norberto Bobbio blickt bei den Menschenrechten über die westliche Hemisphäre hinaus

François Furet hat die Menschenrechte einmal als die Zivilreligion unserer Epoche bezeichnet, die ebenso weit verbreitet wie politisch unverbindlich sei. Die Aufsätze des pessimistischen Aufklärers Norberto Bobbio zum "Zeitalter der Menschenrechte" haben oft einen ähnlich kritischen Tenor. Allerdings verteidigt Bobbio, der ebenso standfeste wie skeptische liberale Linke, die Kultur der Menschenrechte letztlich mit seiner originellen Geschichtsphilosophie als moralischen Fortschritt der Menschheit.

Bobbios jetzt in einem Buch versammelte Gedanken zu Menschenrechten und Toleranz stammen hauptsächlich aus den späten achtziger Jahren, also aus einer Zeit, bevor die hochfliegenden Hoffnungen auf die Vereinten Nationen in Srebrenica und Kigali starben, bevor die Ambivalenz des Selbstbestimmungsrechts der Völker wieder schmerzhaft deutlich wurde, aber auch vor der Etablierung eines Internationalen Strafgerichtshofs. Bobbios lakonische Anmerkungen zu dem, was im Anschluß an Hannah Arendt oft als "Aporien der Menschenrechte" bezeichnet wird, haben aber seitdem an Aktualität noch gewonnen.

In großen geistesgeschichtlichen Zügen zeichnet Bobbio zuerst die Genese der Menschenrechte bei Locke und Hobbes nach. Dabei weist er, mit gewohnter analytischer Schärfe, auf eine ganze Reihe von Paradoxien hin. Die Menschenrechte entstehen als "schwache" universale Naturrechte, werden dann als "starke" spezifische Bürgerrechte zum ersten Mal in nationalem Kontext realisiert und sind seit der Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 wieder zu universalen "schwachen" Rechten geworden, die ihrer Institutionalisierung als positive Rechte noch harren. Parallel zu dieser dialektischen Entwicklung der Universalisierung sieht Bobbio einen weiterhin offenen Prozeß der Vervielfältigung durch Spezifizierung. Frauen, Kinder und Minderheiten sind inzwischen zu Trägern von gruppenspezifischen Rechten geworden, und Bobbio erwartet, daß bald auch Tiere und zukünftige Generationen einen speziellen Schutz erfahren werden.

Statt aber in konservativer Manier eine "Inflation der Rechte" zu beklagen, äußert Bobbio subtilere Zweifel: So zeigt er eindringlich, daß die Menschenrechte weder homogen noch absolut sind. Ganz im Sinne des liberalen Wertepluralismus eines Isaiah Berlin betont Bobbio, daß es innerhalb des Rechtekatalogs zu tragischen Konflikten kommen kann. Ein weiteres nicht auflösbares Paradox besteht für ihn darin, daß die internationalen Garantien der Menschenrechte immer dort am weitesten fortgeschritten sind, wo sie vergleichsweise weniger dringlich sind, besonders in Europa. Schließlich will sich der am Rechtspositivismus Hans Kelsens und H. L. A. Harts geschulte Philosoph auch nichts vormachen lassen, was "programmatische" soziale Rechte angeht, die von keinen Institutionen garantiert werden können. Zur Grundlegung der Menschenrechte, so Bobbio, müssen Freiheit und Macht zu deren Durchsetzung immer zusammen gedacht werden.

Wie schon bei seiner vielbeachteten Verteidigung der Distinktion zwischen "rechts" und "links" nach 1989 beharrt Bobbio auch in seiner Erörterung des Themas Toleranz auf den feinen Unterschieden. So differenziert er hier zwischen einer positiven Toleranz, die nicht in Skeptizismus verfällt, und einer negativen Toleranz der Beliebigkeit. Spiegelbildlich möchte er eine negative, fanatische Intoleranz von einer liberalen Intoleranz den Intoleranten gegenüber unterscheiden. Bobbio, für den nur eine "gefährdete Freiheit" entwicklungsfähig bleibt, votiert für die Freiheit des Intoleranten, weil der freie Intolerante immerhin manchmal, der ausgeschlossene Intolerante aber niemals ein Liberaler werde. Da seine Diskussion sich jedoch weitgehend auf eine klassische Konzeption der Toleranz in religiösen Fragen beschränkt, bleibt wenig an neuen Argumenten für die aktuelle Diskussion über Multikulturalismus und "Differenz".

Andere Probleme in Bobbios Position erörtert Otto Kallscheuer in einem knappen, aber prägnanten Essay, der Bobbios Aufsätzen folgt. Aus dem Blickwinkel der späten neunziger Jahre will Kallscheuer die allzu positive Auffassung Bobbios vom Selbstbestimmungsrecht der Völker nachbessern und argumentiert mit Hannah Arendt gegen Bobbio, daß Rechte immer noch in erster Linie nationalstaatlich geschützt bleiben. Dies übersieht aber zum Beispiel den Erfolg des europäischen Menschenrechtsregimes. Nur greift hier gerade wieder Bobbios Gedanke, daß die internationalen Rechte ebendort am ehesten verwirklicht sind, wo sie am wenigsten gefährdet werden.

Am Ende ringt sich Bobbio zu einer mit vielen Einschränkungen versehenen geschichtsphilosophischen These durch: Die Kultur der Menschenrechte, so unvollständig sie in der Praxis immer noch umgesetzt ist, so oft ihre Hoffnungen immer wieder enttäuscht werden, sei doch ein Zeichen moralischen Fortschritts der Menschheit im Kantschen Sinne. Kallscheuer meint, diese Form skeptischer, um heilsgeschichtliche Elemente bereinigter Geschichtsphilosophie sei einzigartig in der Zeit der neoliberalen posthistoire. Deren schnoddrige Abgeklärtheit, hinter der sich oft eine unartikulierte Geschichtsphilosophie verbirgt, ist vielleicht gerade das Gegenteil von selbstkritischer Aufklärung im Bobbioschen Sinne. JAN MÜLLER

Norberto Bobbio: "Das Zeitalter der Menschenrechte". Ist Toleranz durchsetzbar? Aus dem Italienischen von Ulrich Hausmann. Wagenbach Verlag, Berlin 1998. 128 S., geb., 29,80 DM.

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