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Bürger zieht es vor, vom Verschwinden des Subjekts zu sprechen, weil damit die Möglichkeit offenbleibt, daß das Subjekt aus seinem Verschwinden zurückkehrt. Während die bisherigen Arbeiten zu dieser Thematik entweder das Subjekt verabschieden oder es verteidigen, vermeidet Bürger eine solche vorgängige Ausrichtung, um sich statt dessen Texten von Montaigne bis Barthes zuzuwenden und zu fragen, ob sich an ihnen eine Geschichte der Subjektivität ablesen läßt. Was in einer Verlaufsgeschichte Anfang und Schluß wären, verschlingt sich im Ursprung des modernen Subjekts, so eine Konstellation…mehr

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Produktbeschreibung
Bürger zieht es vor, vom Verschwinden des Subjekts zu sprechen, weil damit die Möglichkeit offenbleibt, daß das Subjekt aus seinem Verschwinden zurückkehrt. Während die bisherigen Arbeiten zu dieser Thematik entweder das Subjekt verabschieden oder es verteidigen, vermeidet Bürger eine solche vorgängige Ausrichtung, um sich statt dessen Texten von Montaigne bis Barthes zuzuwenden und zu fragen, ob sich an ihnen eine Geschichte der Subjektivität ablesen läßt. Was in einer Verlaufsgeschichte Anfang und Schluß wären, verschlingt sich im Ursprung des modernen Subjekts, so eine Konstellation bildend, die Bürger das Feld der modernen Subjektivität nennt und deren eigentümlicher Beständigkeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert die Studie nachgeht. Wohl aber stellt sich die Frage, ob es ein Außen des Feldes der Subjektivität gibt. Bürger sucht sie zu beantworten, indem er Selbstdarstellungen von Frauen daraufhin untersucht, ob an ihnen Spuren eines alternativen Entwurfs von Subjektivitäterkennbar werden. Schließlich vermag Bürgers Geschichte der Subjektivität auch den Zusammenhang von Subjektivität und ecriture aufzuhellen.
Autorenporträt
Peter Bürger war Professor für Literaturwissenschaft und ästhetische Theorie der Universität Bremen. Er starb am 11. August 2017 in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Das Subjekt streckt den Daumen raus
Per Anhalter durch die Moderne: Peter Bürger bremst nur für Franzosen / Von Gustav Falke

Wenn Geschichte im alten Wortsinn eine Hererzählung meinte, wäre Peter Bürgers "Geschichte der Subjektivität" harmlos. Was auch sollte dabei herauskommen, wenn das Selbst-, Welt- und Gott- beziehungsweise Transzendenzverhältnis von 24 Autoren zitatenreich dargestellt wird auf 240 nicht sehr eng bedruckten Seiten, von denen die ersten zwanzig die Lage des Subjekts in der Gegenwart behandeln und die letzten dreißig noch einmal alles durchlaufen? Allenfalls könnte man, wo zum tausendsten Mal die Selbstermächtigung des cartesischen cogito der Vergewaltigung der äußeren Natur und der Verdrängung des eigenen Körpers bezichtigt wird, zum tausendsten Mal antworten: Auch Bürger nimmt für wahr, was ihm in klarer und deutlicher Gewißheit gegeben ist; das Programm, die Menschen zu Herren und Besitzern der Erde zu machen, hatte in Zeiten von Kriegen, Seuchen, Hungersnöten viel Versprechendes; und: Um ein Buch zu schreiben oder es zu rezensieren, muß sich auch der Nichtcartesianer oft Gewalt antun.

Aber Bürger hat geschichtsphilosophische Ambitionen. Ober vielmehr: Er hatte sie. Das heißt, er sagt, er habe sie gehabt und jetzt habe er sie nicht mehr. Am Anfang seines Projekts habe die Vorstellung gestanden, das von Descartes in die Welt (beziehungsweise aus ihr heraus) gesetzte Subjekt sei bis hin zum Poststrukturalismus langsam verschwunden. Immer deutlicher sei jedoch die Beständigkeit eines extreme Gegensätze verbindenden Schemas hervorgetreten.

"Das Buch erzählt nicht zuletzt von den Schwierigkeiten, die Geschichte des Subjekts zu schreiben." Das wäre die freundliche Version. Eben an der Stelle, an der das Feld der Subjektivität eingeführt wird, heißt es, wenn die Darstellung sich auf französische Texte stützt, habe das pragmatische Gründe. Und keineswegs den, daß Bürger Professor der Romanistik ist. "Seit dem Beginn der Neuzeit weist gerade die französische Literatur in jedem Jahrhundert Texte auf, die den Stand der Reflexion des modernen Subjekts anzeigen." Der Weltgeist der Neuzeit ist in Frankreich zu Hause.

Wie sieht die geschichtsphilosophische Logik aus, die Bürger einmal gehabt hat? Was tritt an ihre Stelle? Montaignes Schreiben stellt den Versuch dar, alles über sich - seinen besonderen Charakter - in Erfahrung zu bringen. Descartes dagegen diszipliniert sich zum "austauschbaren Subjekt gesicherten Wissens". Nur das allgemeine, von seinem Körper isolierte Ich kann sich zum Herrn und Besitzer der zum Objekt verkürzten Natur aufschwingen. Aber "durch den Akt der Selbstbeherrschung entsteht zugleich dessen Widerpart: die Innerlichkeit". Descartes gebiert Pascal und dessen Einsicht in die genuine Schwäche eines Subjekts, das haltlos zwischen ennui und unstillbarem Begehren pendelt und in dieser Haltlosigkeit auf einen transzendenten Grund verweist.

Nicht in den Sinn kommt Bürger, von fortschreitender Autonomie oder Individualisierung zu reden. Losgelöst von den großen metaphysischen Entwürfen, wird in der Aufklärung nach dem richtigen Leben und dem gerechten Gemeinwesen gefragt. Aber Autonomie ist für Bürger Schein. Ohnehin hätte er sich die Individualisierungsthese verstellt, indem er Montesquieus Schreiben für authentisch nimmt und nicht die antiken Topoi, die Tradition von Exerzitien der Selbstprüfung erkennt. Daß erst Rousseau die Momente des Subjekts vereine, wie Bürger behauptet, ist umgekehrt ganz unplausibel. Auch hinter Descartes' Gewißheit steckt der existentielle Zweifel angesichts des Streits der Schulen. Pascals Mensch ist zwar ein Rohr im Winde, aber eben denkendes Rohr, roseau pensant.

Für das nächste Ereignis steht nicht etwa Prousts multiplicité des Ich, die Auflösung des autonomen Subjektes der Aufklärung in ein Kaleidoskop von Perspektiven. Das hätte guten geschichtsphilosophischen Sinn gegeben. Aber Proust wird nicht erwähnt. Statt dessen überwindet Blanchot die Bewußtseinsphilosophie. Bei Descartes weiß das Ich sich im Akt des Denkens als der Punkt, von dem aus sich das Universum unterwerfen läßt. Bei Blanchot macht es die Erfahrung, "daß es das eigene Denken nicht als etwas ihm Gehörendes besitzt, daß dessen Bedingungen vielmehr in der Sprache liegen, das heißt in einem Draußen". Ich schreibe mich, also bin ich. Oder vielmehr: Schreibend bin ich auf der Suche nach dem Selbst, das immer nur im Modus des Entzugs gegeben ist.

Ästhetisches Äquivalent der Bewußtseinsphilosophie ist die Ausdruckskunst. Bündig sieht Bürger sie in Goethes Wort zusammengefaßt, alle seine Werke seien Bruchstücke einer großen Konfession. Das ist nun historisch ganz unberaten. Nicht nur, daß man nicht wüßte, was bei Novalis, Tieck oder Kleist individueller Ausdruck sein sollte. Auch Goethe führt die Konfession an der berühmten Stelle aus "Dichtung und Wahrheit" nur als eine Möglichkeit des Dichtens vor, der er sogleich - mit dem Topos der Einheit von Dichter und Held - die Aufgabe der Auslegung historisch-sozialer Wirklichkeit gegenüberstellt. Hier rächt sich Bürgers Frankozentrismus. Als unsere Klassiker dichteten und dachten, war in Frankreich der Weltgeist auf die Straße gegangen und dann zu Pferde gestiegen (wobei Bürger Chateaubriand unverständlicherweise übergeht).

Taugt Bürgers Geschichtsphilosophie nicht viel, so ist es um den Gedanken eines Feldes der Subjektivität kaum besser bestellt. Vorab, weil er die Logik der Geschichte nur in die Synchronie projiziert. Wie komme ich dazu, verschiedene Positionen in die Bezüglichkeit eines Feldes zu setzen? Vielleicht wird je von ganz unterschiedlichen Dingen geredet. Und wie begründe ich die Auswahl meiner Eckpunkte? Was überhaupt genau steht an den Eckpunkten? Es müßten zentrale Thesen, Themen oder Fragestellungen sein; Bürger weist sie nicht eigens aus. Er erzählt. Das wäre auch ganz in Ordnung, wenn die Punkte im Laufe der Erzählung klar und deutlich hervorträten.

Versucht man aber aufzulisten, was als die pascalsche oder cartesianische Seite der Autoren angegeben wird, geht jeder Halt verloren. An Rousseau ist die Angst pascalsch, die aus der Unstillbarkeit des Verlangens nach Identität folgt, bei Heidegger das Vorlaufen zum Tode, bei Breton die Liebe. Denn Liebe und Tod sind "Versuche, in die ganz und gar diesseitige Welt der Moderne ein Element einzuführen, das das Diesseitige durchbricht, ohne es zu verlassen". Und Voltaire ist ebenso Cartesianer wie Bataille, der nämlich seine Grenzerfahrungen methodisch betreibt. Solche Konfundierungen sind nur durch komplettes Desinteresse an den von den Autoren verhandelten Gegenständen zu erklären. Die Mißachtung hermeneutischer Prinzipien führt dazu, daß Bürger im Feld des Subjekts nur seine eigenen philosophischen Vorannahmen gespiegelt findet.

Sieht man lange und unscharf hin, hat das Heterogene, das unter die Namen Descartes, Pascal und Montaigne gereiht wird, durchaus etwas miteinander zu tun. Es ist unter neostrukturalistischem Gewande ungefähr die Anthropologie, die Faust mit den zwei Seelen einer Brust ausdrückt, der Wechsel von Selbstbeschränkung und Selbstentgrenzung. Die Widersprüchlichkeit des modernen Subjekts besteht darin, daß Authentizität nur in der unmittelbaren Einheit mit sich selbst zu erreichen wäre. Aber was es ist, vermag das Subjekt nicht zu sagen. So versucht es sich im Schreiben einzuholen - in dem Versuch der Selbstgestaltung sieht Bürger das zu Bewahrende. Auf dem Grunde des Schreibens jedoch lauert Melancholie, das Bewußtsein der existentiellen Verlassenheit, der Sinnlosigkeit des Daseins: "Alle Modernen sind Melancholiker." Die Sehnsucht des Geistes nach seinem Andern, das metaphysische Bedürfnis des Menschen "in einer zunehmend glaubenslosen Zeit" sind Ausdruck eines existentiellen Mangels: Mit dem Heraustreten des Menschen aus der Natur entstand das Verlangen nach für immer verstellter Rückkehr.

"Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden, doch solchen Trieb hab' ich noch nie empfunden." Sind denn Balzac, Verlaine, Céline oder gar Joyce, Picasso, Strawinsky Melancholiker? Warum kann ich das Schreiben nicht als begleitende und oft erfolgreiche Selbstreflexion meines Handelns fassen? Bei der Annahme, in meinem Inneren sei noch irgend etwas geheimnisvoll anderes als das Mittelmäßige, das sich bereits gezeigt hat, könnte es sich um eine Illusion handeln. Und was überhaupt ist der Sinn des Begriffsmonstrums Identität-mit-sich-selbst? Zum Augenblick sagen können: "Verweile doch?" Das sagt man doch ständig. Jedenfalls nicht seltener als: "Heute plagt mich aber das metaphysische Bedürfnis."

Ewig aus der Wahrheit Schranken / Schweift des Mannes wilde Kraft . . . / Aber mit zauberisch fesselndem Blicke / Winken die Frauen den Flüchtling zurücke." Die Subjektivität ist bei Bürger männlichen Geschlechts. Was jenseits des Feldes der Subjektivität liegt, davon bringt allein der Frauen Weisheit Kunde. So ist Madame de Sévigné im Gegenentwurf zu Descartes' männlichem cogito "ihrer Existenz gewiß in der Liebe zum Du ihrer Tochter". Madame Lespinasse lobt gegen das nicht endende Gespräch der Aufklärung "die Kunst der Andeutung". Und Isabelle de Charrière findet die Wurzel allen Unglücklichseins in der Unfähigkeit, von sich abzusehen: "Wenn es einen Sinn des Lebens gibt, besteht er darin zu leben."

Bürgers Frauenbild braucht hier nicht zu interessieren. Nur sagen auch männliche Subjekte, daß "das Selbst sich nur im Bezug auf den andern findet". Jacobis Grundsatz etwa lautet: "Ohne Du kein Ich", das Prinzip von Feuerbach ist der "Dialog zwischen Ich und Du". Wenn aber elementare Bestimmungen der Subjektivität fehlen - Balzacs Lob der Leidenschaft, Zolas politisches Schreiben, Mallarmés absolutes Werk, Bergsons Aufhebung des cartesischen Dualismus im élan vital - zerbröselt der Gedanke eines abgesteckten Feldes. Übrig bleibt eine harmlose Hererzählung dessen, was einzelne Franzosen so über das Ich, Gott und die Welt gedacht haben.

Peter Bürger: "Das Verschwinden des Subjekts". Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 252 S., geb., 48,- DM.

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