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Patricia Highsmith hinterließ nach ihrem Tod 1995 ein umfangreiches Privatarchiv mit Tagebüchern, Briefen und Notizen. Durch dessen Auswertung und in zahlreichen Gesprächen mit Freunden und Geliebten der Autorin gelang es Andrew Wilson, auf spannende Weise die Geheimnisse der Autorin, ihre Affinität zu ihren ambivalenten Figuren und die Wurzeln ihres kreativen Schaffens aufzuklären.

Produktbeschreibung
Patricia Highsmith hinterließ nach ihrem Tod 1995 ein umfangreiches Privatarchiv mit Tagebüchern, Briefen und Notizen. Durch dessen Auswertung und in zahlreichen Gesprächen mit Freunden und Geliebten der Autorin gelang es Andrew Wilson, auf spannende Weise die Geheimnisse der Autorin, ihre Affinität zu ihren ambivalenten Figuren und die Wurzeln ihres kreativen Schaffens aufzuklären.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2003

Den besten Sex haben die Schnecken
Ein gequälter Mensch und eine besessene Künstlerin: Andrew Wilson schreibt die erste Biographie der Schriftstellerin Patricia Highsmith

MADRID, 1. Juli

Acht Jahre nach ihrem Tod ist die Schriftstellerin Patricia Highsmith noch immer nicht in der Literaturgeschichte angekommen. Das muß kein Nachteil sein. Zumindest wird ihr Werk - zweiundzwanzig Romane, neun Bände Erzählungen - dann nicht aus den falschen Gründen gelesen. Sicher ist, daß Bücher wie "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn" und "Die gläserne Zelle" mit der Zeit nicht schrumpfen, sondern wachsen. In den Vereinigten Staaten, wo manche ihrer Bücher gar nicht erst zur Veröffentlichung angenommen wurden, haben zahlreiche Neuausgaben zu einer triumphalen Wiederentdeckung geführt. Und auf die Phantasie von Filmregisseuren und Schauspielern scheint Highsmith tiefer zu wirken als irgendein anderer Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts: Alain Delon, Gert Fröbe, Bruno Ganz, Dennis Hopper, Gérard Dépardieu, Helmut Griem, Matt Damon oder John Malkovich, sie alle haben schon Highsmith-Helden gespielt, gepflegte junge Männer, deren Leben unter den gewöhnlichsten Umständen in Wahnsinn und Schuld stürzt. Die Kanonisierung der Autorin ist in vollem Gange, und die Schriftgelehrten spielen dabei keine Rolle.

Wer sich hinter der Schöpferin des lässigen Mörders Tom Ripley, des Helden von fünf Romanen, schon immer eine bizarre Persönlichkeit vorgestellt hat, darf sich nach Andrew Wilsons soeben erschienener Biographie "Beautiful Shadow" (Bloomsbury, auf deutsch im Herbst beim Berlin Verlag) bestätigt fühlen. Aber anders als erwartet. Der Buchtitel bezieht sich auf "Belle Ombre", den zweideutigen Namen der französischen Villa, in der Tom Ripley als davongekommener Mörder, Gutsherr und Hobbymaler die Früchte des Verbrechens genießt. Ambivalenz, Doppeldeutigkeit, Camouflage: das sind die Stichworte nicht nur für das Werk, sondern auch für das Leben der Patricia Highsmith.

Denn obwohl sie Amerikanerin war, sind viele ihrer Schauplätze und gesellschaftlichen Instinkte europäisch. Während ihre Romane von meist jungen Männern bevölkert sind, liebte die Schriftstellerin nur Frauen. Handeln die Bücher vom Beobachten, Ausforschen und Verfolgen, von obsessiven Beziehungen und psychopathischen Fixierungen, spielte sich das Leben der Autorin in der Einsamkeit ab, meist auf dem Land, in Gesellschaft von Katzen und Schnecken. Am Ende baute sie sich in Tegna in der Schweiz ihre eigene Festung mit Fenstern wie Schießscharten.

Patricia Highsmith ertrug Menschen nicht lange. Daß die längste Sex-Szene ihres gesamten Werks zwischen den Schnecken Edgar und Hortense stattfindet, sagt alles. Vor neuen Bekanntschaften trat sie einen Schritt zurück und verweigerte den körperlichen Kontakt. Auf einer Party, die sie selbst gab, floh sie vor ihren Gästen. Interviews bereiteten ihr physische Qual. "Meine Phantasie arbeitet besser, wenn ich nicht mit Menschen sprechen muß." Im Alter ernährte sie sich weitgehend von Alkohol. Sie soll schwierig, geizig und oft kleinlich gewesen sein, dabei unbekümmert um die Meinung anderer. Als sie Anfang Februar 1995 den Tod kommen sah, schickte sie Freunde und Freundinnen weg, um allein zu sterben.

Sie war bescheiden, doch sie ahnte den Wert ihres Werks. Von den drei großen angelsächsischen Unterhaltern, die der Nobelpreis-Akademie nie erlesen genug für allerhöchste Weihen waren - Graham Greene, Eric Ambler und eben Patricia Highsmith - scheint die europäisierte Amerikanerin aus Texas die größten Überlebenschancen zu haben, weil ihr Blick auf den Menschen mit jedem Jahr moderner wirkt. Besessenheit und Vereinsamung, die Anziehungskraft des Bösen, Maskeraden und sexuelle Ambivalenz sind heute vertraute Motive der populären Kultur. Vor fünfzig Jahren waren sie es noch nicht. Wie weit Patricia Highsmith ihrer Zeit voraus war, zeigt allein der Umstand, daß Regisseure wie Alfred Hitchcock ("Zwei Fremde im Zug", 1951) und René Clément ("Nur die Sonne war Zeuge", 1959, nach dem Roman "Der talentierte Mr. Ripley") den rabenschwarzen Vorlagen bei der Verfilmung ein versöhnlich-moralisierendes Ende gaben: Das Gute mußte über das Böse triumphieren. Es dauerte Jahrzehnte, bis der Film sich dem moralischen Relativismus der Highsmith-Romane stellte.

Patricia Highsmith glaubte daran, daß die Kindheit das ganze Leben vorherbestimmt. Ihre eigene ist der späteren Suspense-Autorin würdig. Die Ehe der Eltern ging in die Brüche, bevor das Mädchen geboren wurde. Der Versuch der Mutter, die Schwangerschaft mit der Einnahme von Terpentin zu beenden, schlug fehl. Den von Deutschen abstammenden Jay Bernard Plangman, ihren leiblichen Vater, lernte Patricia Highsmith erst mit zwölf Jahren kennen. Nicht von ungefähr steckt ihr Werk voller hochbegabter Einzelkinder, die geisterhaft stumm durch die Räume schweben und mit beklemmender Passivität die Zermürbungskriege der Erwachsenen miterleben.

Mit einer Fülle von Dokumenten zeichnet Andrew Wilson das Bild eines intelligenten, verschlossenen Kindes, eines "Jungen in einem Mädchenkörper". Aufwachsen bestand für Patricia Highsmith aus wechselnden Arten der Einsamkeit. Hin- und hergezerrt zwischen Texas und New York, mal in der Obhut der tatkräftigen Großmutter, dann wieder als unerwünschte Zeugin von erbittertem Ehestreit, baute sich das Mädchen in Gedanken seine eigene Welt. Frühe Lektüren waren ein Bildband über die Toten des Ersten Weltkriegs, die Erzählungen von Edgar Allan Poe sowie "The Human Mind", populärwissenschaftliche Fallstudien des Dr. Karl Menninger über Schizophrene, Kleptomanen und Pyromanen. Von diesem Augenblick an wußte die Neunjährige, daß sich hinter der unauffälligen Tür des Nachbarhauses vielleicht Lüge, Schuld und Verbrechen verbargen. In ihrem Werk wurde der Psychopath, wie sie später schrieb, "zum Jedermann".

Ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen versteckte Patricia Highsmith, so gut es ging. Noch als junge Frau glaubte sie, mit einem homosexuellen Freund die Fassade einer bürgerlichen Ehe errichten zu müssen, und gab die Hälfte ihres kargen Wochenlohns als Comic-Texterin für psychoanalytische Beratung aus. Der Versuch der "Heilung" schlug fehl. Von den späten vierziger Jahren an akzeptierte Patricia Highsmith, daß sie lesbisch war. Mit Akribie spürt Andrew Wilson den zahlreichen Freundschaften, Liebschaften und Affären der Autorin nach. Sein größter detektivischer Coup besteht darin, das reale Vorbild für die Hauptfigur aus dem Roman "The Price of Salt" (der 1952 unter Pseudonym erschien und zu dem sich die Schriftstellerin erst 1990, bei der Neupublikation unter dem Titel "Carol", öffentlich bekannte) herausgefunden zu haben. Eher angelesen und zusammengepappt wirken dagegen Wilsons Ausführungen zum literarischen Hintergrund der Autorin. Gewiß waren Dostojewski, Nietzsche ("the famous nihilist") und Kafka fundamentale Inspirationsquellen für Patricia Highsmith, aber man sollte sie zu ihrem Werk nicht ganz so pausbäckig in Beziehung setzen.

Zu den Merkwürdigkeiten der Highsmith-Rezeption gehört, daß die homosexuelle Tönung der Romane, ihre systematische Doppelcodierung und ihr Kleiderfetischismus von Generationen von Lesern kaum bemerkt wurden. Wenn das Bild bisher also entsexualisiert war, hat Wilson es jetzt übersexualisiert und damit ziemlich verflacht. Das Modell im wirklichen Leben, die lesbische Geliebte hinter der Ehefrau in den Romanen, ist der Götze, dem sein Buch dient. Wir erfahren sogar mit Namen, Ort und Datum, wann ein bestimmter Highsmith-Freund keine Erektion bekam. Solche vorgeblichen Wahrheiten sind taktlos, einfältig und kruder Volksfreudianismus. Daß Wilson im Epilog eine homosexuelle Anbiederung inszeniert, indem er sich selbst beschreibt, in den Bademantel von Patricia Highsmith geschmiegt, stellt den Tiefpunkt seiner Biographie dar.

Bei seinen Recherchen hat sich Wilson auf die Tagebücher, Notizbücher und Briefe der Schriftstellerin gestützt, die im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) in Bern ruhen. Nun sind rund vierzig Prozent der Tagebücher auf deutsch, französisch, spanisch oder italienisch abgefaßt, Wilson beherrscht aber nur das Englische. Zusammen mit den Notizbüchern kommt man im Korpus der Highsmith-Aufzeichnungen - rund achttausend Seiten - auf etwa fünfzehn Prozent fremdsprachigen Text. Diese Masse hat Wilson nicht gesichtet. Punktuell ließ er sich Übersetzungen anfertigen. Daß er "die Briefe" der Autorin gelesen habe, wie er behauptet, stimmt ebenfalls nicht. Manche Highsmith-Freundinnen weigerten sich, dem Biographen Auskunft zu geben, darunter eine, die ihm den Einblick in dreihundert Highsmith-Briefe verwehrte.

Besonders schade ist, daß Wilson von den Aufzeichnungen so reduktionistischen Gebrauch macht. Irgendwann wäre eine der wesentlichen Einsichten zum Werk von Patricia Highsmith fällig gewesen: daß sie fast nur Gedanken zum Plot ihrer Bücher notierte, die eigentlichen literarischen Finessen aber verschwieg oder nicht einmal erkannte. Ob es Strategie und Selbstschutz war, sich selbst nur als "Unterhalterin" zu bezeichnen, werden wir nie erfahren.

Verliert man sich in den vielen tausend Seiten ihrer Notate, stellt sich das Gefühl unaufhebbarer Distanz ein. Und damit wächst, was kein Paradox ist, der Respekt vor ihrer künstlerischen Leistung. Denn woraus könnte sie zuallererst bestanden haben als aus Distanzierung, formaler Bändigung und Transformation?

Solange sie schrieb, hatte sie die Oberhand und konnte nicht zum Opfer werden. Ein ums andere Mal beschwört sie in den Aufzeichnungen ihren Begriff von bäuerlichem Handwerk und zäher Produktionsroutine. Ihr Biograph zitiert kaum einen dieser zahllosen Sätze aus fünfzig Jahren. Und es stimmt, sie sind nicht sexy. Sie sind unskandalös und geben niemals vor, den Schleier von irgendwelchen Geheimnissen fortzureißen, so wie es diese Biographie unaufhörlich tut.

PAUL INGENDAAY

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"Andrew Wilsons faszinierende, wunderbar ausgewogene und detailliert recherchierte Biographie untersucht die dunklen Obsessionen, die eine Figur wie Tom Ripley entstehen ließen. Wir erfahren alles über die Person Patricia Highsmith und kommen damit auch der Autorin so nah wie möglich." (P.D. James im 'Telegraph')
'A fascinating, beautifully balanced and meticulously researched biography, bringing us as close to understanding Highsmith as we are ever likely to get' Sunday Telegraph