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Luis S. Krausz erzählt in seinem Roman "Verbannung" von der Vielschichtigkeit seiner jüdisch-österreichischen Herkunft sowie von den komplizierten Beziehungen seiner Familie sowohl zur brasilianischen Gesellschaft als auch zur deutschsprachigen Welt bzw. zu dieser als geistiger Heimat . "Verbannung" bezieht sich einerseits auf die Auswanderung der Wiener Juden und andererseits auf das permanente Gefühl der Entfremdung, das zu einer Idealisierung der verlorenen Heimat und zugleich in Einsamkeit und Isolation führt. In den Erinnerungen an eine verschollene Kultur entsteht eine erträumte…mehr

Produktbeschreibung
Luis S. Krausz erzählt in seinem Roman "Verbannung" von der Vielschichtigkeit seiner jüdisch-österreichischen Herkunft sowie von den komplizierten Beziehungen seiner Familie sowohl zur brasilianischen Gesellschaft als auch zur deutschsprachigen Welt bzw. zu dieser als geistiger Heimat . "Verbannung" bezieht sich einerseits auf die Auswanderung der Wiener Juden und andererseits auf das permanente Gefühl der Entfremdung, das zu einer Idealisierung der verlorenen Heimat und zugleich in Einsamkeit und Isolation führt. In den Erinnerungen an eine verschollene Kultur entsteht eine erträumte Ersatz-Heimat.
Die Suche nach einer Identität in der Fremde setzt sich auch in der zweiten und dritten Generation einer Einwandererfamilie fort. Die jüdisch-brasilianische Gesellschaft, die vom osteuropäischen Judentum und vom Zionismus stark geprägt ist, wirkt oft unverständlich und unwirtlich. Unter den Nachbarn sind zudem viele ehemalige Nazis, die kurz nach Kriegsende nach Südamerika geflüchtet sind. In unmittelbarer Nähe des Familienhauses werden in den 1970er und 1980er Jahren Kriegsverbrecher wie Franz Wagner und Josef Mengele ausfindig gemacht. Doch Krausz erzählt weder melodramatisch noch melancholisch. Vielmehr spielt die Ironie eine entscheidende Rolle in den Beschreibungen der Ambivalenzen und Spannungen, die den Roman prägen , sagt der Literaturkritiker Heitor Ferraz de Mello über das Buch. Verbannung ist ein außerordentlich gut geschriebener Roman, der einen faszinierenden Einblick in einen Teil bisher unbekannten jüdischen Lebens in Lateinamerika eröffnet , urteilt Steve Sadow.
Autorenporträt
Luis S. Krausz, geboren 1961 als Kind exilierter Wiener Juden in São Paulo, studierte klassische Philologie und Hebräisch an der Columbia University, der University of Pennsylvania und der Universität Zürich. Er promovierte in jüdischer Literatur an der Universidade de São Paulo, arbeitete als freier Journalist, Übersetzer und Redakteur und ist heute Professor für hebräische und jüdische Literatur an der Universidade de São Paulo. Unlängst erschien in Brasilien seine Übersetzung von Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin". Zahlreiche Veröffentlichungen über deutsch-jüdische und österreichisch-jüdische Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2013

LITERATURLAND
BRASILIEN
Strandgut von drüben:
Luis S. Krausz
Auf der anderen Seite des Atlantiks, in der tropischen Gegenwelt Brasiliens, nannte man das alte Europa lange Zeit nur „drüben“. In seinem autobiografischen Roman „Verbannung – Erinnerungen in Trümmern“ beschreibt Luis S. Krausz das Schicksal derer, die von „drüben“ nur noch träumen konnten. Sie kamen nach Brasilien, als „Deutschland und Österreich damit begannen, ihre Juden auszuspeien und diese die Weltmeere in alle beliebige Richtungen überquerten, als seien sie von einem großen Fisch verschlungen und an beliebigen Stränden ihres Leidens an Land gespuckt worden.“
  Es war vor allem die Erinnerung an dieses „Drüben“, die das neue Leben der Immigranten prägte, eine Sehnsucht, die sich in Form von Foie gras mit Madeira-Wein-Gelatine, Meißner Porzellan, schwerem Silberbesteck, Kristallgläsern, in Leder gebundenen Ausgaben von Heine oder Hölderlin, Bruckners Symphonien, Bach, Telemann, Händel, Vivaldi und Wagner manifestierte. Dicke Vorhänge wehrten in ihren Häusern das harte Licht der Tropen ab.
  Auf den Spuren dieser Gestrandeten wandert der Ich-Erzähler durch die Millionenmetropole São Paulo, wo er im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin Relikte, Dokumente und Geschichten jüdischer Immigranten ausgraben soll. Krausz erzählt reale Geschichten, wie die von einem Blatt Seidenpapier, auf das ein Mann namens Ludwig Frank nach seiner Gefangennahme durch die Gestapo eine Nachricht an seine Familie schrieb, sie solle schnellstmöglich nach Südamerika fliehen. Dieses Blatt steckte er in seinen gelben Geldbeutel und warf ihn von dem Lastwagen, der ihn dem Tod entgegenfuhr. Und es ist genau dieser gelbe Geldbeutel, den sein Sohn Alfred Frank Jahrzehnte später in seiner Wohnung in São Paulo sorgsam aus dem Schrank holt. Und Krausz erzählt fiktive Geschichten, wie die vom geheimen Uhrenzimmer in der elterlichen Wohnung, einer Deponie der verlorenen Stunden, wo dem Vater hinter verschlossener Tür „das Zusammenführen der Zeiten zu einer fast religiösen Mission wird“.
  Es ist ein langsames Erzählen, mäandernd, abschweifend in andere Zeiten und Welten, wo Autobiografisches und Fiktion sich vermischen. Eine Zustandsbeschreibung, die São Paulo in Sepia taucht und wo sich ein Wort wie „Mobiltelefon“ seltsam abhebt im Text. Man wünschte sich, einen Stadtplan zur Hand zu haben, um den verschlungenen Wegen des Erzählers folgen zu können. Krausz überblendet die brasilianische Realität mit der immer präsenten Erinnerung an Europa. So verwandelt sich der Stausee von Guarapiranga in den Zürichsee. Ein Fass eingelegter Heringe in Bom Retiro – früher das Viertel der orthodoxen Juden – wird „in den Augen der Verbannten zu einem verrauchten Dorf in der Sumpflandschaft Ostgaliziens“.
  Manfred von Conta übernimmt in der deutschen Übersetzung diese melancholisch-feingeschliffene Sprache. Auch Luis Krausz, der unter anderem in Zürich studierte, spricht Deutsch, war es doch Bestandteil der geliebten, von Ritualen geprägten Welt im Hause seiner Großeltern. Dort war keine andere Sprache erlaubt. So als schwebte fortwährend „eine Wolke deutscher Worte in antiker Aussprache, die an Biedermeier und Stefan Zweig gemahnte“, über ihnen. Zu den Ritualen gehörten die den Europareisen zwangsläufig folgenden Dia-Abende, die Kultur und Ordnung „drüben“ demonstrieren sollten. Nur nach Österreich und Bayern kehrten Krausz’ Großeltern nie zurück. „Sie waren sehr deutsch und sehr jüdisch. Und das eine konnte nicht ohne das andere existieren“, sagt Krausz. Schon 1925 waren sie von Wien in das Land übergesiedelt, das sich „Ordnung und Fortschritt“ auf die Fahne geschrieben hatte. Doch angesichts der Lage in Europa wurde aus dem kurzen Aufenthalt in São Paulo ein ganzes Leben.
  In Brasilien trafen Opfer und Täter des Naziregimes wieder aufeinander. Als Nachbarn. In Brooklin, dem deutschen Viertel São Paulos, gab es Nachbarn, die „vermittels der Operation Odessa auf einer der sogenannten Rattenlinien vor der Entnazifizierung oder einem Kriegsverbrecherprozess aus Deutschland geflohen waren“. Andere versteckten jahrelang den KZ-Arzt Josef Mengele bei sich. „Vor der Bäckerei schnappte die Polizei Gustav Franz Wagner, den auch als Bestie von Sobibor bekannten KZ-Kommandanten, ließ ihn dann aber wieder laufen, bis er 2 Jahre später unter rätselhaften Umständen tot aufgefunden wurde.“
  Luis Krausz fühlt sich trotz seiner Liebe zur deutschen Sprache als Brasilianer. Seine beiden Söhne aber träumen nicht von „drüben“. Sie interessieren sich nicht für Deutschland und sprechen auch kein Deutsch.
MICHAELA METZ
Luis S. Krausz : Verbannung. Erinnerungen in Trümmern. Übersetzt von Manfred von Conta. Hentrich & Hentrich, Berlin 2013. 168 S, 14,90 Euro.
Luis S. Krausz , 1961 in São Paulo geboren, studierte klassische Philologie. Neben seiner Tätigkeit als Autor und Übersetzer ist er Professor für hebräische und jüdische Literatur an der Universidade de São Paulo.
FOTO: PAULA KOROSUE
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