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Eingebettet in sehr persönliche Lebenserinnerungen erzählt Paula Macedo Weiß vom Aufwachsen in Brasilien unter der Militärdiktatur. Nicht aus der Perspektive der unmittelbar Leidenden, sondern als Tochter einer politisch wachen und engagierten Mittelschicht ist dieses Buch geschrieben, welche an demokratischen Werten festzuhalten versucht. 1962 war ihr Großvater als Abgeordneter in Brasília ins Nationalparlament eingezogen, zwei Jahre später putschten die Militärs und waren von 1964 bis 1985 an der Macht. Auch der Vater geht in die Politik, wird dort für die einzige unter den Militärs…mehr

Produktbeschreibung
Eingebettet in sehr persönliche Lebenserinnerungen erzählt Paula Macedo Weiß vom Aufwachsen in Brasilien unter der Militärdiktatur. Nicht aus der Perspektive der unmittelbar Leidenden, sondern als Tochter einer politisch wachen und engagierten Mittelschicht ist dieses Buch geschrieben, welche an demokratischen Werten festzuhalten versucht. 1962 war ihr Großvater als Abgeordneter in Brasília ins Nationalparlament eingezogen, zwei Jahre später putschten die Militärs und waren von 1964 bis 1985 an der Macht. Auch der Vater geht in die Politik, wird dort für die einzige unter den Militärs tolerierte Oppositionspartei MDB aktiv. Die »bleierne Zeit« in Brasilien koinzidiert mit dem Aufbruch der Pop- und Gegenkulturen in der Welt, die sich trotzt der diktatorischen Abkapselung peu à peu auch in Südamerika virulent wird. Der »naive« Blick des Kindes bis zum sich abzeichnenden Ende der Diktatur geht über in den der jungen Erwachsenen unter den Vorzeichen der Re-Demokratisierung. Die Kampagnen für die Direktwahlen bestimmen Gespräche und Begegnungen und insgesamt die lebhaften, wilden 1980er Jahre in Brasilien.Passagen der politischen Einordnung und Selbst-Verortung wechseln ab mit privaten Beobachtungen. Die Innenansicht einer engagierten Großfamilie und ihres verästelten Freundeskreises wird gezeichnet, eingebettet in die Bedingungen einer Gesellschaft in den extremen Zuständen zunächst von Unterdrückung und dann beginnender Selbstbestimmung. Die vielfältigen Hintergründe machen diese Autobiografie gleichermaßen lesenswert für die LeserInnen in Brasilien, wo das Buch 2019 erschien, wie in Deutschland - ein Buch für Südamerika ebenso wie für Europa. - Mit ergänzendem Glossar.
Autorenporträt
Paula Macedo Weiß ist sechs Tage nach der ersten Mondlandung in Brasilien geboren, ihre Familie gehört dem politisch engagierten Bürgertum des Landes an. Als junge Frau geht sie nach Deutschland, um mit ihrem Jura-Studium zur erfolgreichen Anwältin zu werden. Mit der Gründung ihrer eigenen Familie mit vier Kindern gibt sie den Beruf als Juristin auf, widmet sich umfangreich kulturellen Belangen in Frankfurt, wo sie lebt, wie in größeren Zusammenhängen und Institutionen. Ihr Buch ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Wachheit und eines »Sinnes für die Allgemeinheit«, deren Verbreitung höchst wünschenswert ist
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2021

Tropisches Temperament

Paula Macedo Weiß hat ein Buch über ihre Kindheit und Jugend unter der Militärdiktatur in Brasilien geschrieben. Ein Plädoyer für die Demokratie. Und das farbenfrohe Porträt einer Familie.

Von Michael Hierholzer

Als die Wahlniederlage verkündet wird, explodiert der Farbfernseher, ein Gerät aus den frühen siebziger Jahren, ein brasilianisches Fabrikat, eines der ersten Exemplare aus der Farbfernseher-Produktion des Landes. Es gibt just zu dem Zeitpunkt feuerspeiend seinen Geist auf, in dem auch Osvaldo Macedos Ambitionen auf das Amt des Bürgermeisters von Londrina zusammenfallen. Eine Duplizität der Ereignisse, die von der Autorin als "symptomatisch" bezeichnet wird. Auch die Dinge scheinen nicht gefeit gegen die Emotionen, die in der Familie des knapp gescheiterten Kandidaten wie in Politik und Gesellschaft des größten südamerikanischen Landes hoch wogen. Das tropische Temperament macht vor nichts halt. Es liegt immer etwas in der Luft. 1982 war es auch schon eine Hoffnung auf Freiheit, die sich in die Atmosphäre mischte. Das Zweiparteiensystem war gelockert worden. Noch aber sollte es drei Jahre dauern, bis die Militärdiktatur, die seit 1964 herrschte, ihr Ende fand. Und Macedo als Abgeordneter im Parlament in Brasilia wesentlich an der demokratischen Erneuerung beteiligt war.

Aber auch während der Regierung der Generäle war er schon als Parlamentarier tätig, für die einzige zugelassene Oppositionspartei PMDB. Die Idee einer demokratischen Zivilgesellschaft verfolgten er und seine Familie auch zu politisch widrigen Zeiten. Seine Tochter Paula hat sich nun viele Jahre später entschlossen, ein Buch über ihre Kindheit und Jugend zu schreiben. Es machte in Brasilien Furore. Auf Deutsch ist es nun im axel dielmann-verlag erschienen. Die Verfasserin war von klein auf auch von der Politik geprägt, die sie über ihren Vater und andere Familienmitglieder mitbekommen hat. Und führte dabei ein privilegiertes Leben zwischen Stadt und Land, geräumigen Häusern und einem Landgut, das Schauplatz aller möglichen Kindheits- und Jugendabenteuer war.

Wer diese Kapitel liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier unter anderem um das Paradies der Kindheit geht, aus dem wir alle vertrieben wurden, sobald das Erwachsenenalter uns ereilte. Aber es ist ein besonderes, für Mitteleuropäer gar leicht exotisches Eden, von dem Paula Macedo Weiß erzählt. Mit kontrastreichen Farben. Und keineswegs ohne die Konflikte zu erwähnen, die immer wieder aufbrachen. Eine Strecke weit ist das autobiographische Werk der realistische Roman einer komplizierten Vater-Tochter-Beziehung. Gewiss wählte die Autorin die Perspektive des Kindes, das sie einmal war. Aber sie ordnet das Geschehen stets ein.

Sie erklärt etwa bestimmte Verhaltensweisen ihres Vaters mit der Schwierigkeit ganzer Generationen von Männern, einen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen zu finden. Und im Zorn zu verharren. Wie in jener Episode, als Paula von ihrem Erzeuger um Mitternacht vom Kino abgeholt werden soll, der Wachmann sagt, alle Zuschauer seien schon gegangen, was aber nicht stimmte, und er wütend allein nach Hause fährt. Nachdem die Freunde, mit denen sie sich den Film anschaute, sie dort abgeliefert hatten, setzte es ein Donnerwetter, das Mädchen drang mit seiner Erklärung nicht durch, ging wütend zu Bett, weil ihr Vater dem Wachmann glaubte. Dieser erläuterte tags darauf seinen Irrtum, aber der Vater, ein ungemein belesener und gebildeter Mann, brachte keine Entschuldigung über die Lippen.

Schonungslos offen spricht die Verfasserin von "Es war einmal in Brasilien" auch von dessen Liebschaften, der Trennung und schließlich Scheidung ihrer Eltern. Dabei sorgte die Mutter für das finanzielle Rückgrat der Familie. Paula Macedo Weiß schildert sie als unerschrockene, selbstbewusste Frau, die ihrer Zeit voraus war. Und sich nach mehreren Fehlgeburten nicht davon abhalten ließ, weitere Schwangerschaften auf sich zu nehmen. Paula kam als erstes Baby in Brasilien gegen den Rat etlicher Fachleute mithilfe einer Zervixcerclage zur Welt, einem Verfahren, bei dem der Gebärmutterhals künstlich geschlossen wird, bis die Wehen einsetzen.

Die Autorin verschont ihre Leser auch nicht mit Verbrennung, Entführung, einem randalierenden Nachbarn, der sie in Angst und Schrecken versetzte, der Zerstörung des Kaffeeanbaus während einer Kälteperiode, Krankheit und Tod. Immer wieder aber kommt das Paradiesische zum Vorschein: "Reiten, Angeln, Ausflüge in die Wälder, auf Lianen schaukeln, Schwimmen und Boot fahren auf dem See, immer zusammen als Bande." Die allmähliche Herausbildung eines politischen Bewusstseins, die untrennbare Verschränkung des Privaten mit dem Politischen aber ist der rote Faden, der diese Erinnerungen zusammenhält.

Die Motivation, sie niederzuschreiben, war denn auch eine politische. "Als Bolsonaro 2018 zum Präsidenten gewählt wurde, verfiel ich wie viele andere in einen Schockzustand", sagt Paula Macedo Weiß. Sie habe ein Gefühl der Starre verspürt und sich gefragt, wie sie damit umgehen könne. Die Antwort darauf ist das jetzt vorliegende Buch. Es sei zwar in drei Monaten unablässiger, adrenalingetriebener Arbeit entstanden, aber schon 50 Jahre lang in ihr gewachsen, sagt sie. "Es war wie eine Katharsis, es sprudelte aus mir raus." Sie habe diese Geschichte für die junge Generation erzählen wollen: "Eine Art von Warnung: Passt auf, Leute, ich habe in meiner Kindheit und Jugend unter einer Diktatur gelebt, mein Vater war damals Oppositionspolitiker, und ich habe sehr viel ganz hautnah mitbekommen." Vor allem auch die Redemokratisierung Brasiliens, "diese Jahre, in denen sich viel bewegt hat und eine neue Hoffnung wuchs". Das war von 1978 an, als ihr Vater einer der Sprecher im Parlament war. Bei jedem Mittagessen sei die Situation besprochen worden. Die Dekrete, die die Grundrechte abgeschafft hatten, wurden aufgehoben. "Irgendwann war ich groß genug und konnte selbst auf die Straße gehen, um für die Demokratie zu kämpfen."

Die jungen Menschen, die nichts anderes als eine freiheitliche Gesellschaft kennengelernt hätten, wüssten nicht, dass es auch ganz anders zugehen könne. Im Augenblick gebe es überall auf der Welt Tendenzen zum Totalitarismus. Dem gelte es entgegenzuarbeiten. "Demokratie ist die Praxis der Gerechtigkeit", sagt Paula Macedo Weiß. Sie gebe allen die Möglichkeit, zu Wort zu kommen. "Im Idealfall", setzt sie hinzu.

Ihre Überzeugung, dass sich auf dem Planeten alles zum Besseren wandle, wenn Menschen und Staaten zusammenarbeiten, ist ungetrübt. Sie selbst ist unermüdlich als Mittlerin zwischen Brasilien und Deutschland unterwegs. Und hofft auf einen größeren internationalen Widerstand gegen Bolsonaros rassistische, homophobe, frauenfeindliche, die Natur hemmungslos ausbeutende Politik. Mit der rücksichtslosen Rodung des brasilianischen Urwalds ist schließlich die grüne Lunge der Erde in Gefahr.

Auch dies hat sie aus ihrem Elternhaus mit nach Frankfurt gebracht: das starke Interesse an Kultur. Als Mäzenin und Förderin von bildender Kunst und Theater ist sie in zahlreichen Gremien vertreten. Wenn sie ihnen nicht gleich vorsitzt. Alles aber, sagt sie, geschehe letztlich aus Liebe.

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