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Produktdetails
Trackliste
CD
1Hollywood00:02:55
2Bietigheimication00:03:28
3Nirvana00:02:52
4Keine Liebe00:03:18
5Vintage00:02:47
6Brunai00:02:40
7Rsvp00:02:49
8Up in smoke00:02:55
9M.I.A00:03:10
10Alien00:03:29
11Faberge00:02:57
12Voyage00:03:12
13Nimmerland00:04:28
14Vintage (Remix)00:03:49
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2019

Der Ernst des Klebens Oberflächlich, belanglos, leer und sehr schön: Das neue Album des Rappers Rin und die ewige Frage des Erwachsenwerdens

Rational betrachtet, spricht fast alles gegen "Nimmerland", das zweite Album des Rappers Rin: Oberflächliche Strophen treffen auf Refrains, die für immer im Ohr kleben, kein Stilvergehen der Popgeschichte war verheerend genug, um nicht von Rin herausgezerrt zu werden (Rio Reiser "Junimond", "Du trägst keine Liebe in dir" von Echt), und noch in den besten Momenten klingen die Konsumanleitungen, Liebesliedchen und Selbstmitleidsergüsse so, wie ihre offensichtlichen Vorbilder aus Amerika vor zwei bis vier Jahren geklungen haben. Rappt Rin mal eine tiefgründige Zeile, geht sie so: "Was bringt mir meine Roli, wenn ich keine Zeit hab?" Roli für Rolex, klar. Inhalt hat Renato Simunovic, Mitte zwanzig, aus dem schwäbischen Städtchen Bietigheim-Bissingen, rückstandslos durch Marken-, Rapper- und It-Woman-Namen ersetzt. Verglichen mit Rin macht sogar ein Kollege wie Marteria subversiven Conscious Rap. Rin singsangt total gleichgültigen Content Rap.

So könnte man die Sache schnell erledigen, und Rin liefert dafür die perfekt größenwahnsinnigen Zitate. Über sein Debüt "Eros", mit dem er vor zwei Jahren den Durchbruch schaffte und dieselbe Art Kritik auslöste (belanglos, hedonistisch und so weiter), sagt er heute: "Das, was ich damals gemacht habe, war so neu, so fern von allen Parametern, die Leute entwickelt hatten, dass es mich eher aufgeregt hätte, wenn alle sofort darauf eingestiegen wären. Ich habe die Kritiken gelesen und gelacht und dabei gedacht: ,Okay, ich habe genau das Richtige gemacht.'"

Sein neues Album verteidigt er mit einem Kanye-West-Vergleich: "Nehmen wir zum Beispiel mal ,Yeezus'. Kanyes meistverrissenes Album, aber jetzt beruhen die letzten fünf, sechs Jahre Hiphop darauf. Ich glaube, ,Nimmerland' wird sehr, sehr lang brauchen, bis die Leute verstehen, was ich da mache. Weil ich den Hörern viel abverlange." Logisch aber interessiert sich ein Star wie er sowieso nicht für Kritik. "Klar, für manche Kritiker ist alles Schmarrn und Käse, aber das hat mich noch nie interessiert, weil ich weiß, dass die Kids die Lyrics verstehen." Das erzählt Rin am Telefon, während er in seinem S-Klasse-Mercedes durch ein paar Funklöcher zur Verleihung der "1Live Krone" gefahren wird.

Dummerweise gelten diese rationalen Argumente genau so lang, wie Rins Musik nicht läuft. In dem Moment aber, da er die ersten Worte des ersten Songs von "Nimmerland" singt, und weil da Rin singt, sind das keine richtigen Worte und ist das kein richtiger Gesang, eher so ein geleiertes "Ha-ah-ah-ah", in dem allerersten Moment hat er einen schon mit dem sphärischen, verträumten Sound, wie ihn Rin in den vier Jahren seit seinen ersten Videos auf Youtube perfektioniert hat. Die verfremdete Stimme, mehr Gesang als Rap, Gefühl statt Reimtechnik: Rins unverwechselbare Ästhetik, zusammengebaut aus Halbsätzen, Schlagwörtern und Wie-Vergleichen.

"Wir wollen alle nach Amerika wie Nascar / Träume in der S-Bahn / Geblendet von den Lichtern dieser Weltstars / Die Schwerkraft verschwindet in mei'm Benzer". Das sind die ersten Zeilen von "Nimmerland", und man findet sie entweder nichtssagend oder dann doch ziemlich gut. Wenn Rin in wenigen Worten eine Szene entwirft - junger Mann in der S-Klasse erinnert sich an den Jungen in der S-Bahn, Träume damals, erhörte Gebete heute -, dann ist das keine besonders originelle Idee, und trotzdem beeindruckt die Eleganz, mit der Rin, der Teenie-Star, auf so wenig Raum zum jugendlichen Renato zurückblendet.

Auf seinem Debütalbum hatte Rin vom Aufwachsen in der Kleinstadt erzählt, mit Tankstelleneistee und versteckten Kippen, vom Anhimmeln amerikanischer Rapper und italienischen Models. Mit dem neuen Album erinnert sich Rin noch einmal an seine Kindheit in den 1990er und an die Jugend in den 2000er Jahren - hier ein Jay-Z-Sample, da ein "Matrix"-Zitat -, um seine Jungswelt festzuhalten im "Nimmerland" und sie dann endgültig zu verlassen und erwachsen zu werden.

"Mich und die Hörer in meinem Alter betrifft der gleiche Umstand: Wir sind Anfang bis Mitte zwanzig, und du wirst vom Ernst des Lebens eingeholt, ob du willst oder nicht. Manch einer hat sich der Sache ergeben, manche sperren sich. Für mich war es ein Kampf. Eigentlich möchte ich nicht erwachsen werden, aber manche Dinge kann ich nicht ändern", sagt Rin. Er hat jetzt einen Steuerberater und kennt Wörter wie Vorschusssteuervorauszahlung. Muss Touren kalkulieren. Die Sorglosigkeit ist verflogen. "Bildlich zeigt das für mich das Studio, das ich dieses Jahr gebaut habe. An sich alles geil, wir haben unseren Riesenspielplatz und chillen da. Aber am Ende musst du das haftpflichtversichern und die Brandschutzrichtlinien einhalten. Das meine ich mit erwachsen."

Ein erwachsener Rin klingt wie ein Widerspruch in sich. Frisch und neu wirkte seine Musik, als sie vor ein paar Jahren auftauchte, und das Unerhörte war damals ja gerade, dass Rin die Regeln und Erwartungen des Deutschraps nicht interessierten. Er wollte nicht der Härteste sein, und er suchte nicht im Synonymwörterbuch nach Dreifachreimen, und wer das tat, war neben ihm plötzlich ein Rap-Opa. Rin unterstellte den Inhalt dem Klang, die Texte der Musik, und seine Stimme setzte er ein wie ein weiteres Instrument. Die Straßenrapper und Silbenzähler ließ er ein bisschen verspannt aussehen mit so viel Unbeschwertheit.

Dass Rin seinen Sound nicht erfunden, sondern importiert hat, verschwieg er nie, und auch "Nimmerland" verweist auf die amerikanischen Vorbilder: Travis Scott, Asap Rocky. Sowieso bleibt Rin trotz des Coming-of-Age-Konzepts seinen Kernkompetenzen treu. Er kennt immer noch die Namen der Designer, deren Kleidung man gerade tragen sollte (Ian Connor), die Wörter, die man gerade so sagt (jiggy) und die Musik, die man jetzt hört (SAINt JHN). Er ist ein Influencer, und anders als die meisten Instagram-Ikonen wirkt Rin nahbar, ein Junge aus der Kleinstadt, ein Fan, der auf seine Stars in Amerika schaut. Ein junger Mann, der sich besser auskennt und besser rappt als andere in seinem Alter, aber nur so viel besser, dass man sich noch vorstellen kann, an seiner Stelle zu sein.

"Nimmerland" lässt sich wunderbar am Stück weghören, und weghören kann man zwischendurch auch mal ohne Sorge, Entscheidendes zu verpassen. Dann aber erschließen einem zwei Wörter doch wieder eine Welt. "XOXO, Sommer" singt Rin, und wenn man in einem Sommer achtzehn wurde, als Casper sein Album "XOXO" rausbrachte, dann hat man gleich alles vor sich: Baggersee, Jugendliebe, Abiparty. "Nimmerland" beamt Neunzigerkinder in ihre Jugend, und womöglich spricht es sogar für Rins Konsequenz, dass er seinen Kumpel Bausa den Refrain des Echt-Hits "Du trägst keine Liebe in dir" nachsingen lässt: Bei aller Sehnsucht erinnert dieser Todesohrwurm daran, warum man auch ganz froh ist, dass es vorbeigeht, ein Teenager zu sein.

Was danach kommt, deutet "Nimmerland" bloß an. Wie ein erwachsenerer Rin klingen will, verrät am ehesten der titelgebende letzte Track, sein Lieblingslied. Rin rappt und singt sich durch die Hälfte des Songs, Text bisschen egal, Sound supersmooth, und dann übergibt er an ein anderes Vorbild: Maurice Ernst, den Sänger der Wiener Band Bilderbuch. Der hat mit seiner Mischung aus Österreichisch, Englisch und lustigen Geräuschen schon länger einen Sound gefunden, der sehr lässig klingt und trotzdem Ernsts Meinung zu EU, Finanzkrise und anderen nicht so lässigen Dingen aufscheinen lässt.

Rin weigert sich, irgendetwas auszusagen, was seinen schwerelosen Sound gefährdet. So bleibt "Nimmerland" ein Album, auf dem Rin nichts sagt, aber oft wunderschön klingt, eine Zeitkapsel, mit der man auf einen Nostalgietrip geht, um eine Dreiviertelstunde lang wieder siebzehn zu sein. Schön ist das, aber reicht dann auch.

FLORENTIN SCHUMACHER

Rin: "Nimmerland" (Division)

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