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Produktdetails
Trackliste
CD
1Intro [From "Ich"]00:00:37
2Goldjunge00:04:12
3Strassenjunge00:03:54
4Peilerman & Flow [Teil 1]00:00:42
5Schlechtes Vorbild00:03:24
6Ihr habt uns so gemacht00:05:16
7Mach keine Faxen00:04:07
8Bergab00:04:44
9Ein Teil von mir00:03:33
10Nie wieder00:03:46
11Peilerman & Flow [Teil 2]00:00:08
12Ich kiff nicht mehr00:02:16
131000 Fragen00:03:35
14Ich hasse dich00:04:32
15Peilerman & Flow [Teil 3]00:00:24
16GZSZ00:03:41
17Mein Testament00:04:19
18Ficken00:04:00
19Rodca00:03:14
20Sarah00:01:56
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2006

Der Geisterbahnfahrer

Sido, der Rapper aus der Berliner Trabantenstadt, hat die Totenkopfmaske abgelegt und will auf seinem zweiten Album einfach nur noch ein Straßenjunge sein.

Es ist gar nicht so leicht, ein deutscher Rapper zu sein, wenn man es allen recht machen will.

Das lustigste Kapitel in der eben erschienenen Biographie über den Rapper Sido ist das, in dem Sido den Bundestag besucht. Vielleicht erinnert sich jemand: Im Sommer 2005 gab es eine große Debatte über deutsche Rap-Musik, Gewaltverherrlichung und Jugendschutz. Pro- und Contra-Interviews wurden ausgestrahlt, CDs landeten auf dem Index oder knapp daneben. Am Ende saß Sido im Büro der SPD-Politikerin Monika Griefahn und erklärte ihr, daß Rap übrigens aus Amerika komme. Und daß es unter Rappern üblich sei, zu fluchen und sich mit dem Tod zu drohen. Die Politikerin fragte zurück, ob er nicht auch über Liebe und andere schöne Sachen rappen könne. Ihre Abschiedsworte sind überliefert: "Sido, aus dir ist was geworden. Mach was draus, und trag dazu bei, daß unsere Gesellschaft und unsere Sprache besser werden!"

Sido nahm es ernst und dichtete gleich einen besonders unflätigen Rap, in dem sich "Griefahn" auf "Skifahr'n" reimte. Seine Plattenfirma Aggro Berlin lehnte das Stück ab, man hatte ja schon genug Ärger. Also stellte Sido es einfach ins Internet. Und schnell wurde es mehr als zehntausend Mal heruntergeladen. Irgendwie ging es also auch in der Debatte um deutschen Hip-Hop um das, worum es im Hip-Hop immer geht: darum, wer das letzte Wort hat.

Sido, das ist der Rapper mit der silbernen Totenkopf-Maske, die Kinder eher drollig als furchteinflößend finden. Der Typ, der im Frühjahr 2004 über seinen Wohnblock im Märkischen Viertel von Berlin rappte, über 16 Stockwerke, randvoll mit Dealern, Prostituierten und Kriminellen. Das Lied war bei aller Verdorbenheit so herzergreifend, daß es Sido wie ein Hochhauslift aus dem Proll-Rap-Untergrund nach oben holte, in eine Scheinwerferhitze, in der so schöner Schweinkram schnell zu stinken anfängt. Rund zweihunderttausend Mal verkaufte sich sein Album "Maske", vor allem an die Töchter und Söhne der Bessergestellten. Sido lud alle zur Geisterbahnfahrt durchs sogenannte Getto, und die wenigsten störten sich daran, daß jeder Joint-Stummel und jedes Brustwarzen-Piercing so justiert wurden, daß sie gut im Bild waren.

Hier liegt das größte Dilemma des deutschen Kleinkriminellen-Raps: Wenn ein Künstler die Brutalität und den Sexismus in seinen Texten beim Publikum damit beglaubigt, daß das wahre Leben im sozialen Brennpunkt nun mal kein Kindergeburtstag sei - wie soll er Leuten wie Monika Griefahn dann gleichzeitig klarmachen, daß das alles nur Kulturpflege und gar nicht so ernst gemeint sei? Man kann das erklären, aber es klingt nach Ausrede.

Das sind die schönsten Fotos in der Biographie: Wie die zwölfjährigen Fans beim Startreff feixend neben den bordsteinharten Jungs sitzen. Wie die Kinder sich gutgelaunt verderben lassen, während die Eltern draußen im Auto warten. Sido, bürgerlich Paul Würdig, 25, wird vom Biographen Marcel Feige als harmloser, aber ambitionierter Kindskopf beschrieben. Das Wort "Armut" fällt in den Kindheitskapiteln. Als der Junge nach der abgebrochenen Ausbildung zu Hause auszieht, kommt Mutter noch regelmäßig zum Putzen. Drogenkapriolen, Delikte und Sex, die Leitmotive von Sidos Lyrik, werden so beiläufig behandelt, daß jedes Studententagebuch dagegen reiner Exploitation-Porno ist. Das Rapper-Leben liest sich hier wie ein Start-up-Märchen, und zum Beweis wird auch gern aus der "Zeit" zitiert.

Im neuen Video "Straßenjunge" dagegen spielt Sido wieder seine Chrom-Glanzrolle als irres Totenkopf-Äffchen, hält dann aber eine überraschend ernste Bekenntnisrede: "Ich bin kein Gangster, kein Killer", rappt er, "ich bin kein Dieb, ich bin nur ein Junge von der Straße!" Dazu knurrt die E-Gitarre wie ein bißbereiter Hund, und Sido entfaltet ein moralisches Großstadt-Credo, das im Kern darauf hinausläuft, daß es im rechtsfreien Raum per Definition keinen Rechtsbruch geben kann: "Die Straßenjungs kämpfen nur ums Überleben, wir haben's nicht anders gelernt, einfach nehmen, wenn sie's uns nicht geben."

Parallel flackern im Video wieder die affirmativen Bilder von Wohnblockschluchten und fauligen Ecken vorbei, von Kampfhunden, Drogengeld, kauernden Obdachlosen. Obwohl selbst Zuschauer mit geringer MTV-Erfahrung merken müßten, daß dies halt ein typisches Hip-Hop-Video sein soll, schießen einem heute ganz andere Schlagwörter in den Kopf, wenn man so etwas sieht: Ach so, Rütli-Schule. Aha, das abgehängte Prekariat.

So stopft Sido, vielleicht unabsichtlich, mit seinem Video alle Rechtfertigungslöcher gleichzeitig. Er selbst habe nie behauptet, ein Gangster zu sein - sagt er den Leuten, die ihn als Aufschneider hänseln. Die Kritiker wiederum, die ihn als Gangster bezeichnet haben, tun ihm unrecht - sagt er den Leuten von der Bundesprüfstelle. Und an ganz Deutschland geht die Botschaft, daß er und die Leute aus dem Block vor allem Opfer der Umstände seien. Das sagen die Medien ja auch, wenn sie über die sogenannte neue Armut berichten. Und es stimmt. Es hört sich nur komisch an, wenn es aus dem Mund eines Rappers kommt: Zu den Idealen des Hip-Hop gehört doch die Selbstermächtigung der Vernachlässigten, das Reichwerden aus eigener Kraft. Eine eigene Stimme zu haben und deshalb eben kein Opfer zu sein. Was Sido mit der eigenen Biographie längst vorgespielt hat, nimmt er mit dieser Straßenjungenszene gleich wieder zurück.

Kurz nach der Jugendschutzdebatte von 2005 begannen mehrere Hip-Hop-Labels, eine eigenartige Standard-Erklärung auf ihre CD-Cover zu drucken, den "Parental Advisory"-Aufklebern nachempfunden, welche die amerikanische Plattenindustrie auf Druck einer mächtigen Elternvereinigung eingeführt hat. "Verbraucher-Hinweis: Harte Texte" steht da, ohne meßbare Ironie warnen die Urheber, man solle eventuelle Ekelhaftigkeiten bloß nicht wörtlich nehmen und zu Hause nachspielen: "Viele Äußerungen und Metaphern entspringen dem Wettbewerbscharakter der Jugendkultur." Druck gab es hier keinen. Die Hip-Hopper haben die Sprache ihrer Gegner ganz freiwillig übernommen.

Es wäre albern, den deutschen Rap auch noch dafür zu tadeln, daß er zu mehr Vernunft gekommen ist. Aber wie die Straßenjungs - von Mädchen ist nie die Rede - dafür die Opferrolle angenommen haben, die schon in der Prekariatsdiskussion müffelt: Das scheint vor allem aus dem Wunsch zu kommen, es allen recht zu machen. Sido weiß, daß er das eigentlich nicht mehr kann. Leute, die ihm seinen Erfolg neiden, kennt er genug. Die Party ist aus, dieser Gedanke ist jugendfrei.

JOACHIM HENTSCHEL

Sidos zweites Album "Ich" gibt es ab 1. Dezember (Aggro Berlin). Die Biographie "Ich will mein Lied zurück!" ist im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen (220 Seiten, 14,90 Euro).

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