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"Kein Mensch ist unersetzlich - , aber die Wenigen, die es doch sind, sind groß." Jacob Burckhardts Formel zum Prädikat der historischen Größe trifft auf keinen Staatsmann des 19. Jahrhunderts so zu wie auf Otto von Bismarck. Seine Staatskunst brachte Preußen, die schwächste der fünf Großmächte Europas, in eine Hegemonialstellung; an seinem im Herbst 1862 installierten "Konfliktministerium" zerbrachen alle Versuche, die preußische Monarchie nach britischem Muster zu reformieren; mit der Reichsgründung von 1871 verwirklichte er den Traum vom deutschen Nationalstaat; er erdachte den…mehr

Produktbeschreibung
"Kein Mensch ist unersetzlich - , aber die Wenigen, die es doch sind, sind groß." Jacob Burckhardts Formel zum Prädikat der historischen Größe trifft auf keinen Staatsmann des 19. Jahrhunderts so zu wie auf Otto von Bismarck. Seine Staatskunst brachte Preußen, die schwächste der fünf Großmächte Europas, in eine Hegemonialstellung; an seinem im Herbst 1862 installierten "Konfliktministerium" zerbrachen alle Versuche, die preußische Monarchie nach britischem Muster zu reformieren; mit der Reichsgründung von 1871 verwirklichte er den Traum vom deutschen Nationalstaat; er erdachte den Verfassungsbau des neuen Gebildes; und ihm gelang es in neunzehnjähriger Amtszeit als Kanzler und Außenminister, die Dynamik des Machtstaats in der Mitte des Kontinents unter Kontrolle zu halten. Rainer F. Schmidt zeichnet den Aufstieg des ostelbischen Junkers nach und ergründet die Erfolge, aber auch die Grenzen von Bismarcks Wirken.
Autorenporträt
Professor Dr. Rainer F. Schmidt lehrt Geschichte der Neuzeit und Didaktik der Geschichte an der Universität Würzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004

Virtuose ohne ideologische Scheuklappen
In Otto von Bismarcks Politik überlagerten sich moderne und extrem konservative Züge / Von Eberhard Kolb

An neueren Bismarck-Biographien besteht kein Mangel. Auf Lothar Galls immer noch unübertroffene Bismarck-Biographie von 1980 folgten in den letzten zwei Jahrzehnten weitere Biographien, umfängliche Werke und knappere Lebensbilder. Ihnen fügt sich nun ein Taschenbuch an. Welche Perspektive, die einen erneuten biographischen Anlauf rechtfertigt, liegt ihm zugrunde?

Rainer F. Schmidt beginnt mit einem Paukenschlag, indem er Jacob Burckhardts Sätze über den "großen Mann" zitiert, "ohne welchen uns die Welt unvollständig schiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn, innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind". Wenn man, so Schmidt, Persönlichkeiten und Staatsmänner der neueren Geschichte mit dieser Elle messe, stoße man zuerst auf Otto von Bismarck, denn ohne sein Wirken wäre die preußische, die deutsche und die europäische Geschichte der Jahre 1862 bis 1890 anders verlaufen: Er verwirklichte mit der Reichsgründung von 1871 den seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon unerreichbar gebliebenen Traum vom deutschen Nationalstaat. Und als Kanzler und Außenminister des Deutschen Reiches gelang es ihm, "das Mißtrauen der Nachbarmächte gegenüber der unaufhaltbar scheinenden Dynamik des preußischen Parvenüs zu zerstreuen, indem er das Reich für territorial saturiert erklärte und alle auf Offensive und Veränderung drängenden Kräfte unter Kontrolle brachte".

Damit ist der Grundton angeschlagen, der die Darstellung von Leben und Leistung Bismarcks bestimmt. Auf rund 200 Seiten schildert Schmidt prägnant und schwungvoll Werdegang und Wirken seines Protagonisten bis zum Abschluß der Reichsgründung: die familiäre und politische "Sozialisation", das gegenrevolutionäre Engagement in und nach der 48er Revolution, die politischen Lehrjahre als preußischer Gesandter am Bundestag zu Frankfurt und am Zarenhof, die Berufung zum Ministerpräsidenten im Heereskonflikt, der zum Verfassungskonflikt geworden war, und dann die dramatischen Entwicklungen, Konflikte und Entscheidungen jener acht Jahre, an deren Ende der Sieg über Frankreich und die Erweiterung des Norddeutschen Bundes zum deutschen Kaiserreich standen. Es macht den besonderen Reiz dieser Kapitel aus, daß der Autor durch gut gewählte Zitate Bismarck selbst ausgiebig zu Wort kommen läßt, einen Meister der deutschen Sprache, dem an bildhafter Ausdrucksweise und scharfzüngiger Formulierungskraft vor und nach ihm kein zweiter deutscher Politiker gleichgekommen ist.

Schmidt porträtiert Bismarck als einen Virtuosen der Macht ohne ideologische Scheuklappen. Kennzeichnend für seinen politischen Ansatz, in dem sich moderne und extrem konservative Züge überlagerten, waren in Schmidts Sicht drei Elemente: die plebiszitäre Verankerung der Herrschaft über den Staat; die Etablierung eines konstitutionellen Regimes - also keine Rückkehr zum Absolutismus, aber doch Verbleib der entscheidenden Machtpositionen in den Händen der Krone; schließlich Flucht nach vorne in außenpolitische Krisen, um die inneren Gegner unter Integrationsdruck zu setzen und ihnen mittels einer großangelegten Erfolgspolitik die Argumente aus der Hand zu schlagen.

Wie Bismarck - sich an diesen seinen Prämissen orientierend - im Reichsgründungsjahrzehnt mit "Schach- und Winkelzügen" agierte, wird spannend beschrieben. Beachtenswert ist dabei, daß die seit einiger Zeit bei manchen Historikern anzutreffende Tendenz, die Habsburgermonarchie mitsamt ihrer politischen Klasse in ein ungemein freundliches Licht zu tauchen, von Schmidt nicht geteilt wird. Er bezeichnet die Donaumonarchie wiederholt als ein "sklerotisches Gebilde", als ein "Völkerkonglomerat", in dem neben acht Millionen Deutschen mehr als dreißig Millionen Menschen anderer Nationalität lebten. Strukturell betrachtet sei Österreich, um seine abschmelzende Machtposition zu erhalten, ebenso auf die kriegerische Lösung des Konflikts verwiesen gewesen wie das aufstrebende Preußen. So sah beispielsweise der österreichische Finanzminister nur die Alternative: entweder Sanierung des Staatshaushalts durch eine preußische Kriegsentschädigung oder ein veritabler Staatsbankrott. In den Worten Zar Alexanders war die Habsburgermonarchie "zum Krieg resigniert". Diese von Schmidt zu Recht akzentuierte Perspektive kommt bei der Beurteilung der Entstehung des Krieges von 1866 meist deutlich zu kurz.

Nach der Reichsgründung begannen für Bismarck die Mühen der Ebenen, und auch Schmidts Darstellung der zwanzig Reichskanzlerjahre auf 80 Seiten verliert etwas von jenem Schwung, mit dem die ersten Kapitel geschrieben sind; gelegentlich mangelt es außerdem an Sorgfalt der Formulierung. Während der Autor bis zum Abschluß des Reichsgründungsprozesses chronologisch vorgeht, behandelt er nun Außen- und Innenpolitik jeweils separat für zwanzig Jahre, unter den Überschriften "Cauchemar des coalitions" und "Cauchemar des révolutions" - damit die beiden "Alpträume" Bismarcks in seiner Reichskanzlerzeit bezeichnend. Mag die Entscheidung für eine getrennte Behandlung von Außen- und Innenpolitik angesichts der engen Verzahnung der beiden Politikfelder nicht unproblematisch sein, so kommen in der Sache doch alle relevanten Problemkomplexe und Konfliktkonstellationen sachkundig zur Sprache, wobei allerdings die begrenzten Handlungsspielräume, innerhalb deren Bismarck zu operieren hatte, nicht immer präsent genug sind. Und wenn man über die eine oder andere Bewertung auch verschiedener Meinung sein kann, so bleibt doch zu konstatieren, daß man diesen Teil des Buches ebenfalls mit Gewinn liest.

In seinen Schlußbemerkungen äußert sich Schmidt klar und deutlich zu der Frage, ob Bismarcks Werk von Beginn an den Keim des Scheiterns, ja des Unglücks für die Deutschen in sich trug, wie manche meinen. Die Antwort lautet: nein. Die Methoden, mit denen Bismarck arbeitete, hatte nicht er selbst erfunden. Auch Napoleon III., Cavour, Andrassy, selbst Disraeli bedienten sich ihrer: "Sie alle operierten auf einem plebiszitären Fundament der Herrschaft, das in einer Zeit des Wandels und der Instabilität die Massen in den Dienst konservativer Politik nehmen wollte, um dem monarchischen Regiment neue Legitimationsquellen zu erschließen." Das Argument, Bismarck habe die staatspolitische Verantwortung der Parteien abgetötet, ist in Schmidts Sicht ebensowenig stichhaltig wie die These, er habe den Deutschen das demokratische Rückgrat gebrochen. "Der Weg zum guten Hafen war mit der Bismarckschen Epoche nicht vermint. Wenn das Schiff der Deutschen in den Stürmen des 20. Jahrhunderts unterging, dann war Bismarck nicht der Lotse gewesen."

Wer der (absurden) Vorstellung von Bismarck als "Dämon der Deutschen" huldigt und dieses Bild bestätigt sehen möchte, kommt bei Schmidt nicht auf seine Kosten. Wer hingegen eine solide sachliche Information mit klug austarierten Urteilen und ansprechender sprachlicher Gestaltung sucht, ist mit diesem Buch gut bedient.

Rainer F. Schmidt: "Otto von Bismarck (1815-1898)". Realpolitik und Revolution. Eine Biographie. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2004. 330 S., 17,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Und noch ein Buch über Otto von Bismarck. Muss es sein? Muss vielleicht nicht, darf aber gerne, so könnte man das Urteil des Rezensenten Eberhard Kolb zusammenfassen. Diese jüngste Darstellung nämlich ist durchaus gelungen ausgefallen, der Autor schreibe "schwungvoll und prägnant", jedenfalls bis zum Moment der Reichsgründung - danach komme, wie im wirklichen Leben, ein wenig Sand ins Getriebe. Bismarck selbst wird sehr freundlich behandelt. Wer der freilich - so der Rezensent - "absurden" Idee anhänge, Bismarck sei der "Dämon der Deutschen" gewesen, werde mit der Biografie gewiss nicht glücklich. Ganz entschlossen und ausdrücklich zeichnet Schmidt den Kanzler nämlich als "großen Mann", der den Lauf der Geschichte verändert hat. Obgleich Kolb nicht in allen Urteilen mit dem Autor übereinstimmt, kommt er doch zu einem sehr freundlich Resümee: Schmidt biete "solide sachliche Information mit klug austarierten Urteilen und ansprechender sprachlicher Gestaltung".

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