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Viktor Schklowski (1893-1984) schrieb »Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise« Anfang 1923 in Berlin, wo sich zu der Zeit eine ganze Kolonie russischer Autoren und Künstler aufhielt. Schklowski hatte sich in Alja (Elsa) Triolet verliebt (die Schwester von Majakowskis Geliebter Lilja Brik wurde später als französische Schriftstellerin bekannt), stieß jedoch nicht auf Gegenliebe. Da Alja ihn auf Distanz hielt, schrieb er ihr Briefe, die auf Wunsch der Adressatin aber nicht von Liebe handeln durften. Aus dieser Spielregel entstand ein höchst ungewöhnliches Buch, in dem reales…mehr

Produktbeschreibung
Viktor Schklowski (1893-1984) schrieb »Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise« Anfang 1923 in Berlin, wo sich zu der Zeit eine ganze Kolonie russischer Autoren und Künstler aufhielt. Schklowski hatte sich in Alja (Elsa) Triolet verliebt (die Schwester von Majakowskis Geliebter Lilja Brik wurde später als französische Schriftstellerin bekannt), stieß jedoch nicht auf Gegenliebe. Da Alja ihn auf Distanz hielt, schrieb er ihr Briefe, die auf Wunsch der Adressatin aber nicht von Liebe handeln durften. Aus dieser Spielregel entstand ein höchst ungewöhnliches Buch, in dem reales Dokument und Fiktion unmöglich auseinanderzuhalten sind - eine flirrende literarische Illusion. »Zoo« erschien noch 1923 in Berlin: Es wurde Schklowskis größter literarischer Erfolg.Der verliebte Korrespondent macht aus der ihm diktierten Auflage das Beste: Seine Briefe erzählen vom mühsamen Alltag im Exil, von Streifzügen durch die deutsche Metropole und ihre Kunstszene, aber auch vom Heimweh nach Russland und den politischen Umbrüchen der Zeit. Doch wo es nirgends um Liebe gehen soll, handelt zugleich alles von ihr - Schklowskis und Triolets Briefe sind durchdrungen von Sehnsucht und Begehren. Traurig und komisch, ironisch und paradox: Olga Radetzkajas Übersetzung zeichnet Schklowskis oft abrupte Tonart- und Themenwechsel in ihrer Übersetzung präzise nach und legt die literarischen, biografischen und politischen Schichten des Textes frei. »Zoo« ist ein raffiniertes Vexierspiel, das tänzelnd alle Genregrenzen sprengt - und zugleich ein berührender Einblick in das Liebesleid eines unglücklichen Berliner Exilanten.
Autorenporträt
Viktor Schklowski (1893-1984), Sohn eines jüdischen Volksschullehrers und Enkel eines deutschstämmigen Großvaters, studierte in St. Petersburg Philologie. Im Februar 1917 stellte er sich als Soldat mit seiner Einheit auf die Seite der Revolution und wurde Armeekommissar an der galizischen Front und später in Persien. In Petrograd lehrte er nach der Oktoberrevolution am Institut für Kunstgeschichte und spielte eine führende Rolle im kulturellen Leben der Stadt. Im Bürgerkrieg kämpfte er gegen die Weißen und musste schließlich wegen drohender Verhaftung über die Ostsee nach Finnland und 1922 nach Berlin fliehen. 1923 kehrte er nach Moskau zurück, nachdem sich Gorki und Majakowski für seine Rückkehr eingesetzt hatten. Schklowski überlebte den Stalinismus und arbeitete als Literatur-, Theater- und Filmkritiker sowie als Drehbuchautor und Essayist. Er gehörte als Mitbegründern des OPOJAS (der Gesellschaft zum Studium der poetischen Sprache) zu den Hauptvertretern des russischen Formalismus und schrieb einflussreiche Biografien u. a. über den Filmregisseur Sergej Eisenstein sowie Lew Tolstoi und Wladimir Majakowski.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Judith Leister entdeckt mit Viktor Schklowski einen humorvollen Porträtisten des migrantischen Berlins von 1920. Die deutsche Erstveröffentlichung des Originals von 1923 macht ihr sichtlich Freude. Ob der Autor Künstler-Zeitgenossen bissig zeichnet oder über die Gleichform der Stadt und autobiografisches Liebesleid klagt - stets beschwingt sein assoziativer, energetischer Stil, verspricht Leister. Allerdings hat der Autor seinen Roman auch als systematische Enttäuschung von Lesererwartungen angelegt, warnt sie. Abschweifungen und Verwirrungen muss man daher in Kauf nehmen, so Leister.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2022

Der leere Akku in der Fremde
Viktor Schklowskis meisterhaftes Buch „Zoo“ über sein Leben im Berliner Exil Anfang der Zwanzigerjahre
erscheint ausgerechnet heute neu, da wieder viele Menschen aus der Ukraine und auch Russland fliehen
Zu den meistgeteilten Bildern in den sozialen Medien gehörte in den vergangenen Wochen ein Foto des überfüllten Bahnsteigs von Charkiw, dessen Dramatik so eindringlich war, dass viele Kommentatoren extra betonen mussten, es handele sich um eine aktuelle Aufnahme. Manche Nutzer verwandelten das Bild sogar in ein Schwarz-Weiß-Foto, um die unglaubliche Wiederkehr europäischer Flüchtlingsströme, wie man sie nur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennt, grafisch zu unterstützen. Die Popularität dieser Aufnahme macht deutlich, dass für Erfahrungen von Krieg, Flucht und Exil in Europa keine zeitgenössischen Bilder vorliegen; man muss sich auf frühere, längst historisch geglaubte Szenarien beziehen, um das Ungeheuerliche zu begreifen.
Bilder des Exils, die das Verständnis dieser Erfahrung für die nachfolgenden Generationen geprägt haben, wurden im 20. Jahrhundert vor allem auch durch die Literatur erschaffen, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, aber auch in den Jahren des russischen Bürgerkriegs ab 1917 und der gewaltsamen Entstehung der Sowjetunion. Ein Zufall der Verlagsplanung will es, dass ausgerechnet in diesen Tagen zum ersten Mal die Originalfassung des Buches „Zoo: Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise“ von Viktor Schklowski in deutscher Sprache erscheint, in vorzüglicher Übersetzung von Olga Radetzkaja. Es ist eines der eindringlichsten literarischen Zeugnisse über das Leben im Exil überhaupt. Schklowski (1893 – 1984), zusammen mit Roman Jakobson Begründer der formalistischen Literaturtheorie, stand Anfang 1922 als Mitglied der „Partei der Sozialrevolutionäre“ kurz vor der Verhaftung und floh von St. Petersburg über die gefrorene Ostsee zuerst nach Finnland und dann nach Berlin, wo er zwischen Sommer 1922 und Herbst 1923 lebte. Dort schrieb er sein Erinnerungsbuch „Sentimentale Reise“ über die Zeit von 1917 bis 1921 zu Ende und arbeite dann an „Zoo“, einem Roman in Briefen zwischen dem namenlosen Ich-Erzähler und einer Frau namens Alja: „Ich habe mir eine Frau und eine Liebe ausgedacht, um ein Buch über das Nichtverstehen zu schreiben, über fremde Menschen, fremdes Terrain.“
Berlin war Anfang der Zwanzigerjahre ein Zentrum für Flüchtlinge des russischen Bürgerkriegs und des sowjetisch-ukrainischen Kriegs; von den vier Millionen Einwohnern der Stadt stammten etwa 350 000 aus dem Gebiet der neuen Sowjetunion, darunter eine Vielzahl bekannter Schriftsteller und Künstler. Es gab russische Tageszeitungen und russische Verlage. Als Viktor Schklowski in Berlin lebt, trifft er dort auf Vladimir Nabokov, Maxim Gorki, Marina Zwetajewa, Ilja Ehrenburg, Wladimir Majakowski, Boris Pasternak; Memoirenbücher wie „Erinnerung, sprich“ von Nabokov oder „Menschen Jahre Leben“ von Ehrenburg haben dieses russische Berlin detailliert überliefert.
Schon am Ende des Buches „Sentimentale Reise“, das von der Ankunft Schklowskis in Berlin erzählt, heißt es: „Jetzt lebe ich unter Emigranten und verwandle mich langsam in einen Schatten unter Schatten“, und er schreibt von seiner Angst, „im fliegenden Sarg der Berliner Untergrundbahn“ zu sterben. Die Briefe an Alja dann sind durchzogen von der Klage über die Einsamkeit „in diesem ungläubigen, untätigen russischen Berlin“, über die Sprödheit des preußischen Temperaments, über die Konturenlosigkeit der Jahreszeiten, über die Verirrungen deutscher Mode (die Bundfalte in Herrenhosen), über die Sehnsucht nach dem Essen in der Heimat – in Russland sei „das Schwarzbrot weißer als eine deutsche Semmel“, schreibt er in „Sentimentale Reise“.
Aufschlussreich ist, dass Schklowskis Distanz zu Berlin an jene Beschreibungsmuster erinnert, die im späteren 20. Jahrhundert den Blick Westeuropas auf die sozialistischen Großmetropolen kennzeichnen. Er leidet vor allem an der Einheitlichkeit und Standardisierung der Stadt: „Die Häuser sind gleichförmig wie Koffer“; „Trambahnen gibt es viele, aber damit zu fahren hat keinen Zweck, da die Stadt überall gleich aussieht. Paläste von der Stange. Denkmäler wie ein Satz Tafelgeschirr“; das Leben in Berlin sei nichts als „öde Konfektion“. Vielleicht ist die Erfahrung des Fremden immer die Erfahrung des Ununterscheidbaren, so wie das Bild Moskaus oder Kiews für alle in der BRD groß Gewordenen von den fugenlosen Plattenbauten und Aufmarschplätzen geprägt war, vor denen die Fernsehreporter mit ihren Mikrofonen standen. (Und viele Jahre danach die Überraschung beim ersten Besuch in Kiew, dass diese Großstadt in Wahrheit grüner und beschaulicher ist als fast alle anderen in Europa.)
Ein zentraler Gegenstand in „Zoo“ sind Autos, wie immer in den frühen Texten Viktor Schklowskis; in seinem Buch „Kindheit und Jugend“ erklärt er diese Obsession vierzig Jahre später damit, dass es ihm als Jude im russischen Militär verwehrt war, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, und er deshalb im Bürgerkrieg zu einer „Automobil-Kompagnie“ kam. In Berlin arbeitet Schklowski für eine russische Film- und Werbeagentur und schreibt Reklametexte für Kraftfahrzeuge und Motorräder. „Von Liebe sprechen schadet mir. Sprechen wir von Autos“, heißt es einmal in „Zoo“, und dieser Satz kann beinahe als eine Losung des Buches verstanden werden; Schklowskis Briefeschreiber verfasst lange Elogen und Verrisse von Automarken, vor allem das überteuerte spanische Poser-Modell „Hispano-Suiza“ erregt seinen Unmut.
Autos werden in „Zoo“ aber vor allem zur Metapher für die Existenz im Exil, und das Buch ruft dabei ein technologiegeschichtliches Faktum in Erinnerung, das heute fast vollständig vergessen ist. Schklowski schreibt über die trostlosen Fahrten in Berliner Taxis, „am traurigsten in einem Taxi mit Elektromotor. In ihm schlägt kein Herz, es ist geladen und voll schwerer Akkus, aber sobald die Platten sich entladen, bleibt es stehen.“ In den Zwanzigerjahren fuhr eine Vielzahl der Autos nicht mit Motor-, sondern mit Batterieantrieb, bei dem das aufwendige Ankurbeln entfiel. Elektroautos sind also keine zukunftsweisende Erfindung des 21. Jahrhunderts, sondern eher eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Kraftfahrzeuggeschichte. In „Zoo“ werden sie, in einer der anrührendsten Passagen des Buches, zu Stellvertretern der russischen Identität in Berlin: „Wie ein totes Batterieauto, geräusch- und hoffnungslos, sollst du durch die Stadt stromern. Halt die Luft an und spule ab, was dir gehört hat, und wenn du am Ende der Spule bist, stirb.“
Viktor Schklowskis Buch löst beim Leser nicht zuletzt deshalb große Faszination aus, weil es sich jeder Gattungsbestimmung entzieht; es ist, trotz des Titels, ein Briefroman über die Liebe, ein Mosaik an Beobachtungen aus der fremden Stadt, eine Sammlung von Erzählfragmenten und literaturtheoretischen Passagen. „Zoo“ lässt sich als eine Verwirklichung des poetologischen Programms lesen, das Schklowski in seinen formalistischen Aufsätzen wie „Kunst als Verfahren“ oder „Literatur ohne ,Sujet‘“ in dem 1925 erschienenen Essayband „Theorie der Prosa“ formuliert hat – ein Roman ohne das Joch der kohärenten Handlung, das die einzelnen Wahrnehmungs- und Erzählsplitter, auf die es ankommt, notdürftig verknüpfen muss. In „Zoo“ dagegen wird einmal das Varieté-Theater zum Vorbild der Romangattung ernannt, eine Abfolge von Momenten, ohne inneren Zusammenhang. Praxis der Prosa. Schklowski ist Erzähler und Erzähltheoretiker zugleich, eine Synthese, die im frühen 20. Jahrhundert häufiger versucht wurde und heute fast ausgestorben ist.
Als der Berliner Guggolz Verlag das Manuskript von „Zoo“ in Druck gab, als Marcel Beyer sein Nachwort schrieb, das auch kurz Schklowskis Rolle im sowjetisch-ukrainischen Krieg von 1917 bis 1921 erwähnt, war von den Ereignissen der letzten Wochen (zumindest aus der selbstgenügsamen deutschen Perspektive) nichts zu ahnen. Nun hat dieses Buch plötzlich große Aktualität gewonnen, und die Behaglichkeit des Lesers, der „Zoo“ vielleicht auf einer Zugfahrt nach Berlin zu Ende liest und die literarische Meisterschaft dieses hundert Jahre alten Werks bewundert, weicht fast einem Gefühl von Scham, wenn er am Hauptbahnhof ankommt und unter dem Gewimmel der Reisenden die heutigen Nachfahren Viktor Schklowskis sieht, nicht auf den ersten Blick erkennbar, nur an dem Gepäck auf dem Boden, das eine Spur improvisierter und ungeordneter wirkt als das der anderen Passanten. Für ihr Schicksal gibt es noch keine Bilder und Formen.
ANDREAS BERNARD
Die Briefe an Alja sind
durchzogen von der Klage
über die Einsamkeit
Autos werden hier vor
allem zur Metapher für
die Existenz im Exil
Soldaten der Armee der Ukrainischen Volksrepublik während der Ausbildung.
Foto: SZ Photo/Scherl
„Die Häuser sind gleichförmig wie Koffer“: Mit Berlin wurde Viktor Schklowski nicht wirklich warm.
Foto: Wikimedia Commons
Viktor Schklowski: Zoo. Briefe nicht über die Liebe oder Die dritte Heloise. Berlin: Guggolz Verlag, 2022, 192 Seiten, 22 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2022

Durch so viele Formen geschritten

Viktor Schklowskis

"Zoo - Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise" wirft ein Schlaglicht auf die

Russlandsehnsucht des Emigranten.

Ob sie sich kannten, der große Ich-Sager und der große Wir-Sager? Gottfried Benn und Viktor Schklowski? Beide lebten damals, in den Zwanzigerjahren, in Berlin, beide blickten bereits auf literarische Erfolge zurück, für beide blieb alles erlitten: ihre Umwelt, die Zeit, das Weltgeschehen. Über den Weg gelaufen sein dürften sie sich trotzdem nicht. Schklowski lebte in seinen russischen Emigrantenkreisen, in Charlottengrad, und letztlich litten beide unterschiedlich.

Ein Buch kann viele Schicksale durchschreiten. Es kann gefeiert, verboten oder verrissen werden. Viktor Schklowskis "Zoo - Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise" ist jetzt nach seiner Erstfassung als Neuübersetzung von Olga Radetzkaja erschienen. Sein Schicksal ist es, dass diese Publikation geplant wurde, bevor Putin im Februar einen Krieg gegen die Ukraine angefangen hat. Das schärft den Blick nach, der im Text oft am "wir" hängen bleibt. Da ist vom "Unmut über den falschen Gebrauch des Pronomens ,wir' in Berlin" die Rede, da beschwert sich der namenlose Briefschreiber: "Wir, das heißt: ich und noch irgendwer. In Russland ist das ,wir' stabiler." Der Mann fühlt sich ausgeschlossen, "Europa macht uns kaputt, in Europa regen wir uns auf und nehmen alles ernst", und: "Ich kann nicht in Berlin wohnen." Bis auf den letzten Brief, der an das Zentrale Exekutivkomitee geht und um Wiederaufnahme in Russland bittet, sind alle an eine Alja gerichtet, in die der Verfasser verliebt ist, der er aber nicht mit der Liebe kommen darf.

Einige (unterzeichnete) Briefe sind von Alja selbst. Ihr Vorbild ist Elsa Triolet, die von Radetzkaja als Ko-Autorin ins Spiel gebracht wird. Sie hätte ihr gern ein eigenes Nachwort spendiert, belässt es aber bei dem Hinweis, die spätere Frau des Schriftstellers Louis Aragon sei von den Männern an ihrer Seite zu Unrecht überstrahlt worden, "ein bekanntes Muster". Kein Wort darüber, wie sehr sich die überzeugte Kommunistin in Frankreich dem Licht der strahlenden Zukunft entgegengesonnt hat. Bei Kanten im Text kann die Biographie glattgebügelt werden . . .

Aufgrund der internen Zensurvorgabe - nichts über Liebe! - bündeln die Briefe Beobachtungen über Berlin und Bügelfalten, skizzieren einige wenige Russen - solche Porträts sind ungleich besser bei dem nach Frankreich ausgewanderten Paar Nina Berberova und Wladislaw Chodassewitsch nachzulesen - und stimmen ein großes Lamento an: Ich will nach Hause. Der sprunghafte assoziative Stil hat seinen Reiz, kann auch witzig-grotesk sein, beispielsweise in einem Dialog zwischen Regenfluten und Aljas Stiefeletten: "Ganz Berlin treibt kieloben, man sieht nur noch Tausendmarkscheine auf den Wellen! Wir sind realisierte Metaphern. Richten Sie Alja aus, dass sie wieder eine Insel ist." Am Ende schält sich jedoch ein Erzähler mit klarem Russlandverständnis heraus.

Er fleht seine Freunde an: "Geht alle auf die Straße, zieht über den Newski-Prospekt und bittet, fordert, dass man mich zurückkehren lässt." Dass er geflohen war: vergessen. Von Nikolai Gumiljow, der 1921 erschossen worden war, kein Wort (auch nicht im Nachwort). Zum Philosophen Juli Aichenwald bei Schklowski nichts, in den Anmerkungen nur, dass er ausgewiesen wurde und das Land 1922 verließ, "auf dem sogenannten ,Philosophenschiff'. In Berlin hielt er Vorträge . . ." Man wusste, wie man kritische, für die Zivilgesellschaft eintretende Stimmen loswird.

Schklowski macht sich für eine etwaige Rückkehr nichts vor: "Ich weiß, ich werde lügen müssen." Doch das erträgt er, im Gegensatz zu Michail Bulgakow, der Stalin rund zehn Jahre später in einem Brief bittet, ihn ausreisen zu lassen. Schklowskis Aufenthalt in Berlin gewinnt damit etwas von einem Ehekrach. Die (Nicht-)Liebesbriefe an Alja kulminieren in dem letzten Brief, in dem er um die Gunst der wahren Angetrauten buhlt. Das "Wir" dient dem Verfasser auch dazu, sich nicht mit einem "Ich" zu äußern, letztlich ein Kniff, jede Verantwortung von sich zu weisen: Nicht sein politisches Engagement sollte ihn nach Berlin gebracht haben, nein, ein Zufall, denn er lebte doch gut, damals, als "das Leben noch nicht die Tür nach Russland vor mir zugeschlagen und mir die Finger darin eingeklemmt hatte".

Diese Entlastungsstrategie weitet der Verfasser (in einer späteren Ausgabe) auf russische Soldaten aus, die im Bürgerkrieg gewütet haben. "Eine Frau wurde vergewaltigt." Die Männer sagen bei der Vernehmung, ihnen sei langweilig gewesen. Sie erhalten die Todesstrafe. Dazu der Verfasser: "Bürger, hört: Diese Männer waren nicht schlechter als andere. Es waren Jungs aus der Garage, die wussten, wie man ein Auto repariert und wie kalt Eisen bei Frost wird. Die schnellen Autos, der Trompetenklang der Hupe hatten sie aus der Bahn geworfen. Inmitten des fußläufigen Moskau hatte das Auto seinen Fahrer zum Verbrecher gemacht." Welch ein Freispruch fürs Ich, dieses ansonsten vielgeschmähte! Wenn auch noch nicht in dieser ersten Fassung.CHRISTIANE PÖHLMANN

Viktor Schklowski: "Zoo". Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise.

Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Guggolz Verlag, Berlin 2022. 189 S., geb., 22,- Euro.

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