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Furchtlos befragt Sibylle Lewitscharoff in ihrem neuen Roman unsere Gottes- und Seinsvorstellung, unsere Wahrnehmung von Ich und Welt, von Leben und Sterben. Ihr unbehauster Erzähler driftet durch den Himmel über Berlin, erscheint mal hier, mal dort, ein stiller Beobachter, Zeuge von Schönem und Schrecklichem, mit übernatürlicher Hör- und Sehkraft begabt, doch zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, seine Zukunft ungewiss. Was darf er hoffen, was muss er fürchten: Hölle? Fegefeuer? Paradies?
Am Ende dieser kühnen Seelenreise durch das Berlin der Gegenwart, in
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Produktbeschreibung
Furchtlos befragt Sibylle Lewitscharoff in ihrem neuen Roman unsere Gottes- und Seinsvorstellung, unsere Wahrnehmung von Ich und Welt, von Leben und Sterben. Ihr unbehauster Erzähler driftet durch den Himmel über Berlin, erscheint mal hier, mal dort, ein stiller Beobachter, Zeuge von Schönem und Schrecklichem, mit übernatürlicher Hör- und Sehkraft begabt, doch zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, seine Zukunft ungewiss. Was darf er hoffen, was muss er fürchten: Hölle? Fegefeuer? Paradies?

Am Ende dieser kühnen Seelenreise durch das Berlin der Gegenwart, in das Zwischenreich der Lebenden und Toten löst sich jede Ordnung auf: Sie mündet in eine fiebrige Apotheose, die eine überraschende Selbsterkenntnis bereithält.


Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, veröffentlichte Radiofeatures, Hörspiele, Essays und Romane. Für Pong erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Roman Apostoloff wurde 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. 2013 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Ihr erstes Theaterstück, Vor dem Gericht, wurde 2012 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Lewitscharoff war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Berliner Akademie der Künste. Sibylle Lewitscharoff verstarb am 14. Mai 2023 im Alter von 69 Jahren in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2019

Im Himmel über Berlin
Metaphysisches Kabarett: Sibylle Lewitscharoff erteilt in ihrem Roman einem dampfplaudernden Geist das Wort

Dass der Mensch eine unsterbliche Seele hat, die nach dem Hirntod in höhere Regionen entschwebt - man muss das Biologiebuch schon sehr entschieden zuklappen, um an dergleichen noch zu glauben. In der Literatur aber ist das Leben nach dem Tod nach wie vor ein ergiebiges Motiv, denn im Reich des gut Erfundenen herrschen andere Gesetze. Seelenlose Körper (Zombies) oder körperlose Seelen (Geister) beleben viele Geschichten.

Sibylle Lewitscharoff hat es mit den körperlosen Seelen. In ihren Werken wird immer wieder zur Geisterstunde geläutet. Im Roman "Consummatus" wurde ein Gymnasiallehrer in seinem Stammcafé umflattert von prominenten Verstorbenen, die unermüdlich auf ihn einwisperten, darunter Jim Morrison und Andy Warhol. Zuletzt erlebte im Roman "Das Pfingstwunder" ein Kongress von Dante-Forschern seine überraschende Himmelfahrt. Schon klar, Lewitscharoff hält nicht viel vom platten Realismuseifer in der Literatur. Die Kraft eines Textes komme aus anderen Regionen.

In anderen Regionen befindet sich nun auch der Held ihres neuen Romans. Er ist gestorben, aber doch nicht völlig. Als "Seelenmotte" schwebt er willenlos über dem "Berliner Stadtfladen", irrt umher zwischen Leben und Tod. Viele Erinnerungen sind weg, Namen erloschen, selbst an den eigenen kann er sich nicht erinnern. Durch offene Balkontüren dringt er in Wohnungen ein, bevorzugt in den westlichen Innenstadtbezirken. Offenbar zieht ihn etwas dorthin, was mit seinem früheren Leben zu tun hat. Er spioniert bei alten Freunden, wo er nicht nur erfreuliche Einblicke erhält, aber auch bei Menschen, die er vermutlich nie gekannt hat. Als bloßer Beobachter, zur Passivität verdammt, schaut er auf die unheilvollen Lebensverstrickungen und das Leiden der Menschen. Und fühlt sich ziemlich porös dabei.

Die stärkeren Episoden dieses Romans ergeben so einen Reigen der Verzweifelten, Scheiternden und Geschundenen. Ein junger Mann wird zu Tode geprügelt, ohne dass man erfahren würde, warum. Ein Mädchen sucht den Tod und springt vom Dach. Ein Paar verbeißt sich im rituell gewordenen Streit. Manche Kapitel tendieren auch zur Komödie: Da verirrt sich der Geist in einen Psycho-Workshop, in dem Frauen ein kollektives "Lachtraining" absolvieren, und in ein riesiges Sado-Maso-Studio, wo es "Frühbucherrabatt" gibt.

Auch einen Abstecher in die Wohnung der Bundeskanzlerin unternimmt er; sie liest gerade am Küchentisch Akten. "Wurde ich hergeführt, weil sie Anteil an meinem Leben hatte?" Eher wohl, weil Lewitscharoff ein wenig über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin räsonieren möchte, ohne dem Thema indes eine neue Wendung geben zu können. In einer der Wohnungen, in der der Geist zu Gast ist, laufen im Fernsehen gerade die Bilder der Kavanaugh-Anhörung im amerikanischen Justizausschuss. Ganze fünf Seiten schwadroniert er daraufhin, wenig originell, über die "bigotten" Amerikaner. In einer anderen Wohnung läuft das Lied "Across the Border" von Bruce Springsteen, worauf der Songtext im Roman vollständig abgedruckt wird, weil er "so gut zur aktuellen Lage unter Trump passt". Versucht die Autorin mit solchen politischen Exkursen nach ihrer angefeindeten Dresdener Rede vor fünf Jahren wieder in den Bereich wohlwollend akzeptierter Meinungen zurückzukehren? Für solche mäßigen Kommentarspalten das Leben nach dem Tod zu bemühen erscheint allerdings ein bisschen albern.

Allmählich lüftet sich die Identität des Ich-Erzählers. Er war zu Lebzeiten Philosophieprofessor an der FU Berlin. Sein akademisches Gepäck hat er nicht im Diesseits zurückgelassen. Ausgiebig plaudert er über Heidegger, Thomas von Aquin, die Kabbala oder Kafka. Dessen Erzählung vom Jäger Gracchus, der auf seiner Barke ruhelos zwischen Leben und Tod herumirrt, mutet ihn sehr spiegelbildlich an. Ausgiebig grübelt er über den "Prozess", und wir lesen Einsichten über Kafka, die eher schal als genial anmuten: "Der scharfe Wächter über seine Sätze war Jurist und durchgehend um Präzision bemüht."

Einigen verblichenen Größen des alten West-Berlin werden heftige Tritte verpasst. Da gibt es einen gewissen Nicodemus Lombart, der als selbstverliebter Salonlöwe und intellektueller Poseur firmiert; unschwer ist als Vorbild Nicolaus Sombart zu erkennen. Der Geist lästert über die Seminar-Moden, damals, als nach dem Abklingen des Neomarxismus die Franzosenkrankheit mit Lacancan und Derridada grassierte: eine "tolldreiste Spielwiese" voll "plapperndem Unsinn". Auf der anderen Seite waren die "furztrockenen Gedankenbiskuits moderner Sprachwissenschaftler" auch nicht erfreulicher. Zu schweigen von der verkorksten Gegenwartslyrik. Aber "gottlob sind immer noch Könner am Werk, die mich begeistert haben, Durs Grünbein etwa". Das wird den Dichter freuen, dass er auch im Himmel über Berlin einen Fan hat.

Ob fettleibige Kinder, die von ihren Eltern mit Burgern und Limonade abgefüllt werden, ob die "Blutsudelei" von Islamisten, die "sich selbst den Gottesgnadenpass ausstellen", oder das jüngste Werk von Martin Mosebach - dieser Geist hat zu allem eine Meinung und kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen. Obwohl die Erzählerfigur ein Mann ist, hört man ständig Sibylle Lewitscharoff selbst mit ihren Aversionen, Vorlieben und Idiosynkrasien. Wie eine Bauchrednerpuppe wirkt der Geist dieses Geisteswissenschaftlers.

Schwer zieht an ihm die Erlösungssehnsucht. Ist sein Geplapper nur ein panisches Anschwätzen gegen die "antwortlose Stummheit" von oben, die erst im überraschenden Finale zu enden scheint? Zum Sprung in den Glauben fehlt die Kraft; ein paar metaphysische Hopser sind aber immer drin. "Buß und Reu knirscht das Sündenherz entzwei", wird die Matthäuspassion zitiert. Mit wirklicher Reue haben die ständigen Selbstbezichtigungen des Ex-Philosophen aber wenig zu tun. "Was für ein halbverstandenes Geschwurbel ließ ich auf meine Freunde los", jammert er. Um sogleich weiterzuschwurbeln.

In einer der stärksten Episoden, in der er über dem Restauranttisch schwebt, um den sich sein alter Freundeskreis versammelt hat, muss er sich allerdings selbst üble Nachrede gefallen lassen. Ein gernegroßer Besserwisser sei er gewesen, der jedoch nicht einmal wusste, dass sein bester Freund Gerhard ein Verhältnis mit seiner Lebensgefährtin Marie hatte. "Bei unserem Möchtegernphilosophen handelt es sich definitiv um eine Gurke", meint einer. Leider muss man sagen, dass dieses Buch mit seinen postumen Dampfplaudereien einem geistigen Gurkensalat gleicht. Eine Fusselbürste für Ideen wäre hilfreich gewesen. Ein Fehler vielleicht auch, dass "Roman" auf dem Umschlag steht. Als "metaphysisches Kabarett" hätte man sich die Sache eher gefallen lassen.

WOLFGANG SCHNEIDER

Sibylle Lewitscharoff: "Von oben". Roman.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 240 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen Roman kann Wolfgang Schneider in Sibylle Lewitscharoffs neuem Buch nicht erkennen, viel eigennütziges Geplapper allerdings schon. Schneiders Vermutung: Die Autorin möchte mit ihrer Figur eines untoten Philosophieprofessors, der im Zwischenreich über Heidegger bramarbasiert, die Kanzlerin beim Aktenstudium beobachtet, alten Berliner Freunden und Feinden begegnet und über sie herzieht, eigene politische Verfehlungen geraderücken, indem sie die arme Seele "wenig originell" über Flüchtlingspolitik und "bigotte" Amerikaner nachgrübeln und ihre eigenen Aversionen und Vorlieben durchblicken lässt. Für Schneider schmeckt das wie "geistiger Gurkensalat".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2019

Aus dem Totenreich
Ein Erzähler aus dem Jenseits blickt auf eine Welt voller Geschwätz und schlecht gekleideter Menschen. Soweit alles beim Alten bei Sibylle Lewitscharoff.
Doch ihr neuer Roman „Von oben“ ist gerade da am stärksten, wo seine Textur am zartesten ist
VON MEIKE FESSMANN
Irgendwo zwischen Himmel und Erde, recht nah noch am Boden, da schwebt er, der zappelnde Geist dieses Ich-Erzählers, immer wieder in Auflösung begriffen, dann wieder ganz da, aber völlig willenlos, getrieben wie ein Rauchwölkchen, das in der Luft hin und her geweht wird. Man hält beim Lesen den Atem an, während man zusieht, wie etwas Ungewöhnliches entsteht – einfach, zart, bescheiden, dringlich, leichtfüßig, demütig, wehmütig. Die Vokabeln, die sich einstellen, während man zu fassen versucht, was in diesem Roman geschieht, sind alles keine Begriffe, die man auf Anhieb mit Sibylle Lewitscharoff in Verbindung bringen würde. Die 1954 in Stuttgart geborene Schriftstellerin, mit nahezu allen bedeutenden Literaturpreisen der Republik ausgezeichnet, hat sich eine Zeit lang als wahrer Poltergeist betätigt. Wo immer es ging, plädierte sie für Streit, für Auseinandersetzung und für einen gern „alttestamentarisch“ genannten Zorn. Auch die Literaturkritik bekam einen Tritt in den Hintern. Sie solle gefälligst schärfer werden, härter und klarer urteilen.
Zusammen mit Martin Mosebach kultivierte sie den Stil als literarisches Hochamt, mitunter an der Grenze zum Manierismus. Katholisch der eine, schwäbisch-pietistisch geprägt die andere, brachten sie religiöse Begriffe ins Spiel, um eine Literatur, die allzu gemütlich im Realismus herumdümpelte, zu beflügeln. Während Brigitte Kronauer, die im Juli verstorbene größte Stilistin der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, ohne Sendungsbewusstsein auskam, wiegelt Sibylle Lewitscharoff gern auf. In ihrer „Dresdner Rede“, die sie am 2. März 2014 zum Thema „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“ im Schauspielhaus hielt, gingen die rhetorischen Gäule mit ihr durch. Es war wohl ihr Pointierungswille, der sie dazu verführte, ausgerechnet an einer Stelle, an der ein Gedanke höchstens mit größter Vorsicht ausgedrückt werden darf, umso schärfer zu formulieren. Die mithilfe der Reproduktionsmedizin gezeugten Kinder nannte sie „Halbwesen“, „zweifelhafte Geschöpfe“. Ein Sturm der Entrüstung entbrannte, durchaus zu Recht, und blies sie aus dem Paradies der Hofierten. Es war ein gnadenloser Absturz von einer der gefragtesten Schriftstellerinnen, die Podien und Rednertribünen mit starken Positionen belebte, zu einer Persona non grata, von der sich sogar ihr Verlag distanzierte. Dass die Medien, die unsere Gegenwart prägen, eben doch keine himmlischen Sendboten sind, sondern exponentielle Verstärker von Effekten, die zugunsten oder zuungunsten eines Individuums ausschlagen können, hat Lewitscharoff am eigenen Leib erfahren.
Wozu das noch einmal aufwärmen? Um den Resonanzraum zu skizzieren, in dem sich dieser Roman entfaltet. Seine Fallhöhe steckt schon im Titel. „Von oben“, das meint nicht nur den Blick des Erzählers, es umreißt auch seine Dislokation. Mit dem Erzähler hat es eine besondere Bewandtnis. Auch ein auktorialer Erzähler, also eine Erzählinstanz, die nicht in Erscheinung tritt, sondern allwissend über allem schwebt, kann bekanntlich „von oben“ erzählen, man nennt das gern gottähnlich. Der Erzähler des Romans aber ist ein personaler Erzähler. Und er ist tot, erfahren wir gleich am Anfang. Dennoch spricht er in der ersten Person. Wie kann das sein? Sind da Hexenkünste am Werk, hat Gott die Hand im Spiel? Nun denn, dieser Tote kann das einfach. Er spricht, obwohl er keinen Körper mehr hat. Sibylle Lewitscharoff setzt, wie häufiger schon, auf ein Verfahren, das sie bei Franz Kafka gelernt hat und in einem klugen Essay über die unvollendete Erzählung „Der Bau“ als dessen Geheimnis formuliert: „etwas Unmögliches oder nicht ganz Mögliches einfach zu behaupten, ohne Wenn und Aber. (...) Ein simpler, aber durchschlagend wirksamer Trick. (...) Es ist der feststellende Behauptungswille des Autors, der Franz Kafkas Texte durchglüht und sie so unwiderstehlich macht.“
Die gewählte Perspektive ist in der Literatur ein Unterschied ums Ganze. Sie macht den Ton, die Magie eines Romans aus, die Art seiner Welterfassung, seine Stimmung, seine Drift. Dabei weiß der Erzähler nicht, wie ihm geschieht. Lange erinnert er sich nicht einmal an den eigenen Namen. Auch bei seinem Geschlecht ist er sich zunächst nicht ganz sicher, allmählich dämmert ihm aber doch, dass er Philosophie-Professor an der FU in Berlin gewesen sein muss. Und verheiratet war er auch, mit Marie, einer Anwältin, die vor nicht allzu langer Zeit an Krebs gestorben ist. Das weiß er nicht, wie es eine reale Person wüsste. Es weht ihn an und verschwindet auch wieder. Sein Bewusstsein stellt sich ein und verblasst. Er steigt, er sinkt, er fällt und löst sich auf. Er gerät hierhin und dorthin. So treibt es ihn quer durch Berlin, vor allem durch den Westen, nach Zehlendorf zum Schlachtensee und an die Rehwiese, in die Nassauische Straße in Wilmersdorf, wo er gewohnt hat, in die Niebuhr- und die Mommsenstraße in Charlottenburg, dort lebte er zu Studentenzeiten in einer WG. Gerhard, sein bester Freund, wohnt heute noch dort. Als er nachts einmal in dessen Zimmer blickt, bietet der Freund wahrlich keinen erbaulichen Anblick. Er ist auf dem Sofa eingeschlafen, die leere Rotweinflasche neben sich, der Bauch quillt aus dem offenen Hemd heraus, ein überfüllter Aschenbecher steht herum.
Offenbar wird der Erzähler oder das, was von ihm übrig ist, von den Dingen und Ereignissen angezogen, auch von solchen, die scheinbar nichts mit ihm zu tun haben. So hört er nicht nur mit an, wie ein paar Freunde in einer seiner Stammkneipen über seine „Besserwisserei“ lästern. Er wird auch Zeuge, wie eine junge Frau vom Dach in den Tod springt. Eine Krähe hat sie dabei beobachtet, vielleicht sogar angefeuert. Nach dem Sprung umkreist sie die Tote auf dem Boden. In der Wilmersdorfer Landhausstraße legt sich ein Mann auf die Fahrbahn, mehrere Menschen bemühen sich um seine Rettung.
Die meisten Exkursionen geschehen nachts. Manchmal ist Gewalt und sehr oft sind Tiere im Spiel. Einmal streift ihn ein Uhu und verschwindet schneller, als ihm lieb ist. Denn dieser Erzähler ist nicht einfach nur tot. Er ist einsam. Seine Einsamkeit ist abgrundtief, und sie ist das, was er am häufigsten bekundet. Nicht gesehen zu werden, nicht gehört zu werden, nicht eingreifen zu können, wo die Situation danach verlangt, das ist die Strafe, die der Tod für ihn bereithält. Hat er Schuld auf sich geladen? Er weiß es nicht. Aber er würde es jederzeit bekennen, wenn es ihn aus der Isolation befreien könnte. „Geschwätz“, könnte es gewesen sein, „Klatschsucht“ oder die „Dämonen des Ehrgeizes und der Selbstsucht“. „Von oben“ ist auch ein Roman über den sozialen Tod.
Von „Consummatus“ über „Apostoloff“ und „Blumenberg“ bis hin zu ihrem 2016 erschienenen Dante-Roman „Das Pfingstwunder“ ist der Tod als Stachel der Dramaturgie eine Konstante ihres Werks. Der Vater der Schriftstellerin, ein aus Bulgarien stammender Stuttgarter Gynäkologe, hat sich erhängt, als sie elf war. Im selben Jahr verstarb die über alles geliebte schwäbische Großmutter. Der Wunsch, mit Toten Kontakt aufzunehmen, irgendwie einen Transfer zwischen Diesseits und Jenseits hinzubekommen, gehört zur lebenslang geübten Gedanken-, Zeichen- und Schreibakrobatik. Doch dieses Mal ist der Ton nicht triumphal. Er sagt nicht: Seht her, ich setze einen aus dem Totenreich zurückgekehrten Studienrat ins Café und lasse ihn mit seinen toten Heroen Zwiesprache halten; seht her, ich lasse zwei Schwestern die Urne ihres toten Vaters nach Bulgarien bringen und ihn und sein Herkunftsland beschimpfen; seht her, ich lege dem Philosophen Hans Blumenberg einen leibhaftigen Löwen auf den Buchara-Teppich, den keiner sieht außer ihm.
In seinen besten Passagen ist dieser Roman von einer Zartheit und Demut, die ans Poetische rührt. Man erlebt das hautnahe Abenteuer, wie aus einem beinahe Nichts ein Etwas entsteht, das Wunder der Kunst, das uns an imaginäre Gebilde glauben lässt, obwohl wir wissen, dass ihnen nichts entspricht, was man Realität nennen kann. Es gibt hinreißend poetische Szenen. Etwa die Erinnerung an eine Ballonfahrt über die schneebedeckten Hügel Bayerns, ein Inbild der Levitation, des sanften Gleitens und der glücklichen Gemeinschaft: mit Gerhard, dem allerbesten Freund, und einer Handvoll anderer.
Selbst der zufällige Besuch Am Kupfergraben 6 in Mitte, wo der Erzähler auf die friedlich arbeitende Kanzlerin blickt, die sich in ihrer Küche für ein Treffen mit Emmanuel Macron vorbereitet, vermittelt einen Eindruck diskreter Poesie.
Überall dort, wo der fragile Schwebezustand des Bewusstseins nur eben gerade so viel zu fassen bekommt, dass sich die Bewegung zu einem Bild verdichtet, geht der Zauber des Romans auf. Er überstrahlt die Schwächen, die sich bemerkbar machen, wenn Sibylle Lewitscharoff das Bewusstsein ihres Erzählers mit Dingen unterfüttert, die zum kulturkritischen Standardrepertoire gehören, wie Fettsucht, mangelnde Erziehung, schlecht gekleidete Menschen, reimlose Lyrik. Auch wo sie tiefer in die Zeitgeschichte abtaucht und die philosophischen Grabenkämpfe der 1970er-Jahre beschreibt, wird es allzu vorhersehbar. Nach vielen Jahren ist „Von oben“ der erste Roman, der die Stimmung von „Pong“ aufnimmt, der Spiel- und Spiegelfigur, für deren erste Ausprägung Sibylle Lewitscharoff 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt.
Es ist eine Poetik der einfachen Sätze, die mit den Phantasmen der Moderne und der Technik spielt, der Sehnsucht nach Flügen zum Mond, gleichermaßen melancholisch wie tröstlich. Zweimal griff sie die Fantasiegestalt wieder auf, zuletzt 2017, in „Pong am Ereignishorizont“, illustriert mit Zeichnungen und Lithografien von Friedrich Meckseper, ihrem Mann. Er ist im Juni gestorben.
„Von oben“ umschreibt mit feinen Strichen die dünne Membran, die einsame Menschen von ihrer Umgebung trennt. Liebe, Krankheit, Tod, Verrat, das sind die großen Themen der Literatur, die sie in unterschiedlichsten Stoffen durchspielen kann. „Von oben“ ist aus Lebensstoff gewebt, nicht überall hat der Roman die gleiche Textur, doch gerade dort, wo er am zartesten ist, liegt seine große Stärke.
Nach ihrer „Dresdner Rede“
wurde Lewitscharoff
zur Persona non grata
Eine dünne Membran
trennt einsame Menschen
von ihrer Umgebung
In seinen besten Passagen ist Sibylle Lewitscharoffs neuer Roman von einer Zartheit und Demut, die ans Poetische rührt.
Foto:Holger John/imago 
Sibylle Lewitscharoff:
Von oben. Roman.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2019.
240 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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» ... ein fulminanter Roman, der wie eine Summe vieler Themen aus Sibylle Lewitscharoffs Literatur wirkt und der Pathos gleichermassen erzeugt, wie er es vernichtet.« Paul Jandl Neue Zürcher Zeitung 20190909