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Erich Honecker war 169 Tage in Berlin-Moabit inhaftiert, ehe er Anfang 1993 nach Chile ausreiste. Im Gepäck hatte er ein Tagebuch, etwa 400 handschriftlich gefüllte Seiten. "Für Margot" stand auf dem Deckblatt. Darin berichtet er über den Gefängnisalltag, sein Befinden, Gespräche und Eindrücke. Es sind vermutlich die einzigen persönlichen Notizen, die Erich Honecker je zu Papier brachte. Sie erscheinen im Jahr, in welchem er 100 geworden wäre.

Produktbeschreibung
Erich Honecker war 169 Tage in Berlin-Moabit inhaftiert, ehe er Anfang 1993 nach Chile ausreiste. Im Gepäck hatte er ein Tagebuch, etwa 400 handschriftlich gefüllte Seiten. "Für Margot" stand auf dem Deckblatt. Darin berichtet er über den Gefängnisalltag, sein Befinden, Gespräche und Eindrücke. Es sind vermutlich die einzigen persönlichen Notizen, die Erich Honecker je zu Papier brachte. Sie erscheinen im Jahr, in welchem er 100 geworden wäre.
Autorenporträt
Erich Honecker, geboren 1912, war von 1971 bis 1989 erste Mann in der SED. Seit 1976 war er auch Staatsratsvorsitzender. Mit seinem Namen sind sowohl die internationale Anerkennung der DDR und deren engagierte Friedenspolitik ("Koalition der Vernunft") wie auch der innenpolitische Niedergang der DDR-Gesellschaft und deren Auflösung in den 80er Jahren verbunden. Erich Honecker verstarb 1994.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2012

Moabiter Duett
Honeckers "letzte" Notizen

Von Moskau an das wiedervereinigte Deutschland ausgeliefert, war Erich Honecker, der im Oktober 1989 gestürzte SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzende, vom 29. Juli 1992 an für 169 Tage in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit. Während der Untersuchungshaft verfasste er briefähnliche Notizen - oft in Form einer Zwiesprache mit seiner Frau Margot, die sich bereits in Santiago de Chile aufhielt. Die mittlerweile fast 85 Jahre alte frühere DDR-Ministerin für Volksbildung vermarktet jetzt die spärlichen Aufzeichnungen, indem sie dem am 29. Mai 1994 verstorbenen Ehemann mit einer langatmig-verherrlichenden Kommentierung antwortet. Das Buch ist etwas für DDR-Nostalgiker, für all die, denen der gescheiterte Arbeiter- und Bauernstaat weiterhin am Herzen liegt und die sich zurücksehnen nach der Geborgenheit des langen Eingemauertseins.

Laut der dreisten Verlagswerbung gibt das Buch "Auskunft über das Innenleben eines ehemaligen Staatsmannes, der, schon todkrank, von einer gnaden- und seelenlosen Justiz zu Tode gehetzt werden soll". Auf dieser Linie lesen sich die O-Töne Honeckers samt Anmerkungen über weite Strecken wie alte SED-Propaganda. Honecker versuchte, sich als ewigen antifaschistischen Helden zu stilisieren - was ihm erleichtert wurde, weil er 1935 als Hitler-Gegner schon einmal in Moabit inhaftiert worden war. Für ihn war Stalin der Größte, Gorbatschow der Gemeinste. Überhaupt hätte die DDR überlebt, wenn sie nicht von der Sowjetunion verraten worden wäre! Die imperiale und militaristische "BRD" sei "kein Rechtsstaat, sondern ein Staat der Rechten", in dem sich Neonazis breitmachen könnten. Ziel des Prozesses gegen ihn sei, "den totgesagten Sozialismus noch einmal zu töten". Am 13. Januar 1993 durfte der in der Öffentlichkeit stets Haltung bewahrende schwer erkrankte Honecker nach Chile ausreisen, nachdem man dem Berliner Landgericht unterstellt hatte, "dass der Gerichtssaal für den Angeklagten zum Sterbezimmer werden soll".

RAINER BLASIUS

Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen. Mit einem Vorwort von Margot Honecker. edition ost, Berlin 2012. 192 S., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2012

Der heimliche Leitstern
Erich Honeckers „Letzte Aufzeichnungen“ zeigen:
Er wünschte eine Konföderation mit der Bundesrepublik
Im Gedächtnis unserer Zeit lebt Erich Honecker fort als eine hölzerne Jammergestalt. Die greise Hand zur Faust geballt, den Blick starr in die Ferne gerichtet, trat er im Januar 1993 aus dem Gerichtssaal, in dem seiner Herrschaft nach dem Untergang des SED-Staates der Prozess gemacht wurde – ohne Reue und Mitleid, ohne Einsicht, ein aus der Zeit gefallenes Fossil des 20. Jahrhunderts und des Konkurrenzkampfes um die beste Ordnung der Moderne. In seinen „Letzten Aufzeichnungen“ unterstreicht Honecker diesen Habitus des störrischen Greises: Seine Moabiter Haftnotizen lesen sich wie ein Ruf aus einer Diktaturvergangenheit, die mit faszinierender Eindrücklichkeit ihre Abgelebtheit offenbart.
Eine Frage aber lässt das als Ausdruck moralischer und intellektueller Unzulänglichkeit gelesene Honecker-Tagebuch offen: Wie hatte ein Parteifunktionär wie Erich Honecker sich so lange an der Macht halten können? Eine Antwort auf diese Frage findet nur, wer Honeckers Welt etwas ernsthafter rekonstruiert und in ihrer biographischen Sinngebung zu erfassen sucht. Die in der Untersuchungshaft 1992/93 entstandenen Tagebuchnotizen bieten eine Reihe von Anhaltspunkten, die die Bindungskraft des kommunistischen Gesellschaftsentwurfs noch in seinem Scheitern erahnen lassen.
Wie Honecker seinen tiefen Sturz biographisch verarbeitete, steckt nicht hinter, sondern in den dürren und banalen Zeilen seiner Tagesbeobachtungen. Er bewältigt sie mit einem typischen Grundmuster der kommunistischen „Wir-Biographie“, die das eigene Schicksal ganz im politischen Auftrag aufgehen lässt. Der kommunistische Held kennt nur das Opfer für die Sache, aber nicht die Opfer der Sache. Weil er sich selbst nicht schont, kann er ohne „wehleidige Bedenken“ über die menschlichen Kosten seines Regimes hinwegsehen und selbst über die Verbrechen Stalins. An Stalin hält der schreibende Ex-Diktator auch in der Haftzelle fest, weil der eben nicht gescheitert ist: „Was für die Bourgeoisie Napoleon, das ist für die Arbeiterklasse Stalin“, bekräftigt Honecker am 22. August 1992.
Entsprechend unbewegt hat er am
7. August die Nachricht von seiner lebensbedrohenden Erkrankung aufgenommen, die ihm der Chefarzt des Haftkrankenhauses persönlich überbrachte: „Gegen 16 Uhr bestätigt mir Dr. Rex (...) meine Vermutung. Der Tumor ist bösartig.“ Doch der Patient braucht keinen ärztlichen Trost; den Krebs betrachtet er weniger als Krankheit denn als Waffe, deren Tödlichkeit im Sinne der kommunistischen Wir-Biographik nur politische, keine persönliche Bedeutung hat: „Ich muss umdisponieren. Diese Schlacht muss noch geschlagen werden. (...) Also um unsere Sache steht es nicht schlecht.“
Aus diesem Grund kam die bis zuletzt mögliche Krebsoperation für Honecker gar nicht in Frage: Sie hätte vielleicht sein Leben gerettet, aber zugleich seine Selbstwahrnehmung bedroht. Die ärztliche Diagnose begriff Honecker in einem aufschlussreichen Eintrag zu seinem 80. Geburtstag als Todesurteil einer ihn seit 1933 verfolgenden Justiz, dank derer „ich heute unter dem Galgen stehe“.
Der Krebs als Galgen – durch das ganze Tagebuch zieht sich das Bemühen, die kleinmütige Angst vor dem Sterben im großen Ganzen der Partei einzufangen. Doch mit fortschreitender Prozessdauer und schwächer werdender Konstitution zeigten sich Risse in Honeckers Ich-Gehäuse, die dem Autor zu schaffen machten: „Die blöde Krankheit beschäftigt mich doch mehr, als ich mir anmerken lassen will. Es ist ein Warten auf den Tod, der nach den Erklärungen, die man mir gab, mit großem Schmerz kommen soll.“ (17. 9.) Und kurz darauf klagt Honecker, dass „alles so unbestimmt“ sei – mit der einen Ausnahme: „Aber (...) womit ich mich abfinden muss, das ist – bei aller Gefasstheit – keine Kleinigkeit. Meine Zukunft ist also schon klar bestimmt durch das, was in meiner Leber wächst.“
Im scheiternden Bemühen, sein Schicksal als Etappe eines am Ende siegreichen Kampfes zu verarbeiten, spiegeln Honeckers Notizen sowohl die Suggestionskraft wie auch die Bemächtigungsgrenzen der kommunistischen Sinnwelt und ihrer Biographik.
Bemerkenswert sind Honeckers letzte Aufzeichnungen aber nicht allein aus legitimationsgeschichtlicher Sicht. Sie geben zugleich eine versteckte Antwort auf die Frage, welche Zukunftsvorstellungen die SED-Führung in der finalen Krise entwickelte. Bekannt ist, dass der nächste Parteitag der SED von 1991 auf 1990 vorgezogen werden sollte, damit Honecker eine abermalige Wiederwahl leichter durchsetzen konnte. Aber der Bonn-Besuch 1987 und der Verlust des Moskauer Rückhalts hatten ihn offenbar auch dazu gebracht, neben dem bloßen „Weiter so“ zugleich – stärker als bisher bekannt – auf die weitere Annäherung an den Westen zu setzen.
„Wenn man heute zurückblickt auf 1987, so kann man sagen, dass wir die Gunst des Augenblicks genutzt haben, um zu Ergebnissen zu kommen“, heißt es in einer etwas rätselhaften Eintragung vom 23. August. Und weiter: „Gorbatschow wusste, dass keineswegs der Preis durch unser Handeln gesenkt wurde.“ Welcher Preis? Die Auflösung findet sich an anderer Stelle, wo Honecker gegen Gorbatschow wütet: „Hätte der ‚große Reformer‘ noch ein Jahr mit dem Verkauf der DDR gewartet, dann hätte vielleicht mit einer anderen Regierung in der BRD die Regierung der DDR die Zukunft des Volkes der DDR und der BRD verbinden können.“ (18.8.)
Das kontrafaktische „Wenn“, das der entmachtete Diktator im Moabiter Gefängnis zu Papier bringt, ist ein politisches Hirngespinst, und seine Suggestionskraft steht im umgekehrten Verhältnis zu seiner tatsächlichen Ohnmacht. Aber in Honeckers Gedankenwelt wurde der konföderative Zusammenschluss mit der Bundesrepublik offenbar in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zum heimlichen Leitstern der politischen Überlebensstrategie. Und war das so völlig weltfremd, wie es sich im Nachhinein liest?
Ohne den Fall der Mauer hätte die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine bei den Bundestagswahlen 1990 wohl vor einem sicheren Wahlsieg gestanden und mit ihm eine sozialdemokratische Deutschlandpolitik Oberhand gewonnen, die noch in den Monaten des Umbruchs 1989/90 auf integrative Anerkennung setzte statt auf entschlossene Auflösung der DDR. Für Honecker war vorstellbar, dass dann zwei Saarländer die Zukunft einer deutschen Nation in zwei miteinander verbundenen Staaten hätten sichern können. Es kam anders, und dem Moabiter Untersuchungshäftling blieb nur der ohnmächtige Zorn eines von der Macht Vertriebenen, der sich an der Verfolgung seiner besseren Vision gehindert fühlte, als sie ihm politisch gerade heranzureifen schien.
MARTIN SABROW
ERICH HONECKER: Letzte Aufzeichnungen. Vorwort von Margot Honecker. edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2012, 192 Seiten, 14,95 Euro.
Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Derzeit arbeitet er an einer Biographie Erich Honeckers.
Honecker sah sich als Opfer
der Geschichte, dazu zählte er auch
seine Krebserkrankung.
Für Gorbatschow hatte
Honecker nichts übrig, der habe
die DDR „verkauft“.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als ganz der Alte präsentiert sich Erich Honecker der Rezensentin Barbara Bollwahn in seinen Aufzeichnungen aus der Untersuchungshaft in Berlin-Moabit zwischen Sommer 1992 bis Januar 1993, nämlich "gewohnt nüchtern", fast emotionslos und nach wie vor ideologisch unbeirrt. Zwischen dem Festhalten medizinischer Symptome und Reaktionen auf Zeitungsartikel entdeckt die Rezensentin auch einen, wenn auch allgemein gehaltenen Kommentar zur an die Gefangenen kostenlos verteilten taz, den sie uns nicht vorenthält. Überraschendes enthüllen die Aufzeichnungen ebenso wenig, wie sie einen Geläuterten zeigen, betont Bollwahn.

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