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Kurt Biedenkopfs Tagebücher der Jahre nach der Wende. Ein bedeutendes Zeitdokument.
Kurt Biedenkopf, der 1990 zum Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen gewählt wurde, führte in den neunziger Jahren ein Tagebuch: Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1990 bis 1994 beschreiben auf brillante Weise die Zeit nach der Wende und das schwierige Ringen um die innere Einheit. Schonungslos offen und auf höchstem intellektuellen Niveau reflektiert Biedenkopf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im wiedervereinten Deutschland.

Produktbeschreibung
Kurt Biedenkopfs Tagebücher der Jahre nach der Wende. Ein bedeutendes Zeitdokument.

Kurt Biedenkopf, der 1990 zum Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen gewählt wurde, führte in den neunziger Jahren ein Tagebuch: Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1990 bis 1994 beschreiben auf brillante Weise die Zeit nach der Wende und das schwierige Ringen um die innere Einheit. Schonungslos offen und auf höchstem intellektuellen Niveau reflektiert Biedenkopf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im wiedervereinten Deutschland.
Autorenporträt
Kurt Biedenkopf wurde 1930 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Er war Jurist und Wirtschaftswissenschaftler. In den sechziger Jahren war er Rektor der Universität Bochum, von 1973 bis 1977 Generalsekretär der CDU, in den achtziger Jahren Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen. Von 1990 bis 2002 war er Ministerpräsident der Freistaates Sachsen. Kurt Biedenkopf starb 2021.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Nur Vermerke zur Selbstermutigung

Kurt Biedenkopf, einst Ministerpräsident von Sachsen und Kanzler in Lauerstellung, scheitert als Tagebuchschreiber über die spannenden Jahre 1990 bis 1994.

Von Georg Paul Hefty

Verliebte Mädchen schreiben Tagebücher, selbstverliebte Politiker verfassen Vermerke zum Nachweis gewissenhafter Tätigkeit. Wer Kurt H. Biedenkopfs zum Besten Gegebenes "Aus meinem Tagebuch" - so der auf Ausgewähltes und somit historisch Zerstückeltes hindeutende Untertitel - über die Jahre 1990 bis 1994 durchackert, gibt bald die Hoffnung auf eine verführerische, gar mitreißende Lektüre auf. Intime Absätze wie diese sind unter Massen deklaratorischer Seiten verstreut: "Rita berichtet auch, Kohl habe den Bayern versprochen, sie werde keine wesentliche politische Position mehr erhalten. Eine solche Zusage wäre eine Ungeheuerlichkeit, entspräche aber genau dem alten Kohl. Wie gut, dass ich jetzt meine eigene politische Basis habe und auf Kohl nicht mehr angewiesen bin."

Der Eintrag - es ist der erste im Band - stammt den Angaben nach vom 9. November 1990. Auffallend, dass der Ältere vom "alten Kohl" spricht. Von einer "eigenen politischen Basis" konnte der eindeutige Sieger der sächsischen Landtagswahl zu Recht schreiben. Aber wieso sollte der Ministerpräsident eines neuen Bundeslandes einen Monat nach dem Beitritt des heruntergewirtschafteten Ostens zum überwölbenden Westen auf den Kanzler der Einheit schon "nicht mehr angewiesen sein"? Immerhin weißt das Namensregister des ersten Bandes 77 und das des Folgebandes 94 Erwähnungen Kohls aus.

Die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl stand noch bevor - und angesichts der Schwarzmalereien des SPD-Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine hing es sehr wohl von Kohls Wahlerfolg ab, wie viel Geld in absehbarer Zeit dem CDU-Ministerpräsidenten und seinem Land Sachsen aus Bonn zur Verfügung gestellt werden würde. Den vormaligen Wirtschaftsprofessor trieben jedoch nicht derartige Überlegungen um, wenn er seiner Tages-Akte Vertrauliches anvertraute. Viel lieber schrieb er über sich selbst solche Sätze: Die eigene "Regierungserklärung hatte Gehalt", er habe "eine brauchbare Regierung gebildet und eine ordentliche Regierungserklärung abgegeben". Und nun soll das in Buchform auch denen nahegebracht werden, die das damals noch nicht so gesehen oder inzwischen vergessen haben.

Doch die Politikstudenten von heute werden das Fehlen von Fußnoten verfluchen. Bis sie aus dem Register herausgefunden haben, zu welchem Familiennamen die erwähnte Rita oder Christa gehören, müssen sie lange suchen, ebenso um unter den drei registrierten Meyer herauszufinden, wer gemeint ist mit "Meyer, der neben mir sitzt, hält Gies für eine Katastrophe. Man müsse das Land auflösen. Ich sage ihm, dass man darüber nicht reden, sondern Fakten schaffen solle." Offenbar hätte Biedenkopf gerne ein um Teile eines Nachbarlandes vergrößertes Gebiet regiert; um welches Land es sich gehandelt hat, müssen Leser, die den genannten Gies nicht mehr selbst erlebt haben, im Register suchen. Der Rückgriff auf die hinteren Seiten hilft jedoch nicht, wenn Ereignisse - wohl wegen der schwer leserlichen Handschrift - in der Druckausgabe dem Jahr 1990 zugeordnet werden, die 1989 stattfanden.

Bezeichnender ist, dass Biedenkopf die "Anfänge" des "Umbruchs" fälschlicherweise auf den "8. Oktober 1990 in Dresden und den 9. Oktober 1990 in Leipzig" datiert und die ganze Sprengkraft der Fluchtbewegung vom Sommer 1989 sowie die Unruhen um die Flüchtlingszüge nicht zur Kenntnis nimmt, die vom 3. bis zum 5. Oktober1989 zwischen Bad Schandau, Dresden und Plauen den Widerstand gegen die SED offenlegten.

Es erfordert vom Leser große Anstrengungen, um die Systematik dieser Tagebücher herauszufinden und zu durchschauen. Unter dem 12. November 1990 heißt es: "Präsidium und Bundesvorstand" mutmaßlich der CDU - " in Bonn. Für die Beratungen habe ich mir einen Text zurechtgelegt:". Besagt dieser Doppelpunkt, dass nun der "zurechtgelegte" Text folgt - oder ist der jetzt gedruckte Text der in Bonn tatsächlich vorgetragene Diskussionsbeitrag? Formal ist der Unterschied bedeutend, politisch jedoch nicht, denn es geht um Aussagen wie: bei eventuellen Steuererhöhungen zur "solidarischen" Finanzierung des Aufbaus Ost "ist darauf zu achten, dass die konjunkturelle Entwicklung nicht beeinträchtigt wird". Angesichts des damaligen Nachholbedarfs eines Viertels der Bundesbevölkerung und in den Landschaften eines Drittels des Bundesgebiets bestehe die Gefahr, dass einige Punkte mehr an Steuern die ganze Konjunktur eintrüben könnten? Überzeugen konnten solche Lehr-Formeln wohl niemanden im CDU-Präsidium.

Unter dem 23. November 1990 vermerkt Biedenkopf: "Görlitz: Belastung der Stadt mit Grenzverkehr wird unerträglich." Man ist im dreizehnten Monat nach dem Mauerfall und im Jahr eins des freien Mitteleuropas - und schon wird der Grenzverkehr als "unerträglich" empfunden. Und dann folgt eine Seite, die an der Absicht bei der Führung des Tagebuchs nur noch rätseln lässt. Geht es um Merkzettel für die Agenda der nächsten Zeit, um Notizen geführter Gespräche, Eindrücke aus der Tagesarbeit und aus dem öffentlichen Leben? Keines der Themen wird vertieft erörtert, sondern mit Sätzen bedacht wie: "Unterstützung bei der Unterbringung von Asylanten: gebraucht werden Gebäude, die frei sind (so die Offiziersschule)." Oder "Rückerstattungsantragsflut wird immer größer. Auftreten der Antragsteller immer aggressiver."

Dann Sprung zum nächsten Thema: "Stasi-Syndrom und alte Seilschaften machen Sorge. Wie kann man Situation beruhigen? Sorge auch vor Denunziation." Kein Wort mehr, keine Frage, keine Aussage über eigene Überlegungen und Zielsetzungen in der Sache. Nichts ist zu spüren von der geistigen Größe eines Mannes, der Mitte der siebziger Jahre in Westdeutschland als Hochschullehrer auf dem Posten des Generalsekretärs der CDU seine Partei und auch das sozialliberale Publikum beeindruckte, der sich damals jedoch auch einbildete, anstelle seines Parteivorsitzenden und Mentors Helmut Kohl der bessere Kanzlerkandidat für das Jahr 1976 zu sein, und für diese Anmaßung - vergeblich - die Unterstützung der Allensbacher Demoskopin Noelle-Neumann suchte.

Auch seit Jahrzehnten gewohnte Themen werden wenig aufschlussreich abgehandelt. Die Wiedergabe eines Redebeitrags im Berliner Aspen Institut am 29. November 1990 mag damals der Selbstbestätigung gedient haben, bringt jedoch dem Leser keine fruchtbaren Erkenntnisse: "Eine einheitliche Ordnung unter souveränen Staaten reicht nicht mehr. Denn durch die Interdependenz haben wir unsere nationale Souveränität relativiert. Die Ordnung muss deshalb mehr erfassen als nur eine Ordnung autonomer Staaten. Sie muss bestimmte Werte verwirklichen." Damit endet dieser Eintrag. An mehreren anderen Stellen bemängelt Biedenkopf, dass sich die CDU und Kohl zu wenig der Außenpolitik gewidmet hätten - obwohl er selbst es Jahre zuvor angeregt habe.

Publikumswirksam wäre allerdings wohl auch seine Doziererei nicht geworden, wie man an diesen Texten sieht. Am erhellendsten sind die Eintragungen, welche die Diskussionen im Präsidium und im Bundesvorstand der CDU wiedergeben. An diesen Stellen protokolliert Biedenkopf nur in geringem Maße, was er selbst zu sagen hatte, sondern hält die Aussagen seiner Kollegen ausführlich fest. Solche Einblicke haben zumindest Unterhaltungswert. Über die sächsische Landespolitik ist den vielen Seiten zum Trotz wenig zu erfahren: Zwar werden Gesprächstermine genannt, jedoch das Spiel von Rede und Gegenrede und erst recht die Unterschiede von Absprachen und letztlichen Beschlüssen nicht dargelegt.

Auf einer Doppelseite gegen Ende des hier ersten Bandes - es ist Juli 1992 - trifft der Leser auf ein ungewolltes Selbstporträt des gewiss bekanntesten Professors der deutschen Politik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. "Auf der Rückfahrt nach Dresden habe ich nicht Akten gelesen, wie ich es eigentlich hätte tun sollen, sondern den jüngsten Katalog der Lehmann-Eisenbahn. Vielleicht komme ich nun wirklich einmal dazu, sie aufzubauen!" Und auf der gegenüberliegenden Seite: "Kohl, das war allgemeine Meinung unter uns, spüre das Ausmaß der Änderung. Aber er sei der neuen Aufgabe nicht gewachsen. Dazu sei er zu sehr Epigone Adenauers. Er könne deshalb das neue deutsche Bewusstsein nicht inhaltlich gestalten. Er könne allenfalls seine Notwendigkeit betonen." Soll besagen: ständige Unterforderung des einen, ständige Überforderung des anderen.

Fast zwei Jahre später hält es Biedenkopf nicht mehr auf seinem Stuhl in der deutschen Provinz. Unter dem 23. März 1994 ist im Folgeband zu lesen: "Würde ich in Sachsen überzeugend wiedergewählt, so würde ich nicht ausschließen, nach der Bundestagswahl gegen Kohl als Parteivorsitzender anzutreten, falls er noch einmal kandidieren sollte. Würde ich gewählt, dann hätte ich die Möglichkeit, auch auf die Kandidaturen in NRW noch einmal einzuwirken." Merkwürdigerweise geht Biedenkopf nach einigen Zeilen unter demselben Datum umstandslos auf "die Entwicklung der Schulfragen" in Sachsen über, ohne sich - damals - selbst einzugestehen, dass eine Wahl zum CDU-Vorsitzenden wohl unmittelbar mit der Übernahme des Kanzleramtes vom innerparteilich geschlagenen Kohl verbunden wäre und damit sein vorgebliches Ziel, endlich in Nordrhein-Westfalen, seiner politischen Heimat, aufzutrumpfen, nebensächlich werden würde.

Insoweit ist dem Tagebuchschreiber Hartnäckigkeit nicht abzusprechen: zumindest achtzehn lange Jahre hindurch gab er seinen Traum von 1976 nicht auf, anstelle seines übergroßen Parteivorsitzenden selbst die Partei und die Bundesrepublik zu führen. Demnach ist Biedenkopf wohl nach seinem Empfinden an den eigenen Zielsetzungen gescheitert. Doch in Wahrheit war er nicht weniger als ein sehr erfolgreicher Landespolitiker, den es jedoch immerfort schmerzen mochte, dass er sein höchstes Staatsamt in erster Linie dem kraftvollen Zupacken Kohls bei der Herstellung der deutschen Einheit zu verdanken hatte.

Kurt Biedenkopf: "Ein neues Land entsteht". Aus meinem Tagebuch November 1990 bis August 1992.

Siedler Verlag, München 2015. 528 S., geb., 29,99 [Euro].

Kurt Biedenkopf: "Ringen um die innere Uhr". Aus meinem Tagebuch August 1992 bis September 1994.

Siedler Verlag, München 2015. 528 S., geb., 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Georg Paul Hefty staunt höchstens über die Hartnäckigkeit, mit der Kurt Biedenkopf seine Tagebucheinträge ableistet. Die nun vorliegenden Einträge der Jahre 1990-1992 bieten dem durchaus neugierigen Rezensenten leider keine größeren Einsichten, weder in die geistige Größe Kurt Biedenkopfs noch in die Umbruchsituation jener Tage. Allzu unsystematisch, meint Hefty, geht der Schreiber bei seinen Aufzeichnungen vor, stellt Bemerkungen zur eigenen Gewissenhaftigkeit neben kaum je vertiefte Notate über Agendas, Gespräche und Eindrücke. Schier zur Verzweiflung bringen den Rezensenten Biedenkopfs Sprunghaftigkeit, das Fehlen von Fußnoten und ein undurchsichtiges Register. Am aufschlussreichtsten erscheinen ihm noch Biedenkopfs Eintragungen zu Präsidiumsdiskussionen und den Sitzungen des Bundesvorstands der CDU, weil der Autor hier nahezu ganz von sich absieht und die Aussagen der Kollegen protokolliert. Das scheint Hefty zumindest unterhaltsam.

© Perlentaucher Medien GmbH