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Der deutsche Arzt Friedrich Joseph Haass wird im Volksmund bis heute der »heilige Doktor von Moskau« genannt. Als Modearzt der Moskauer Oberschicht nach Russland gegangen, nimmt er sich immer mehr der Ärmsten der Armen an, verbessert die Situation der nach Sibirien Verbannten, versorgt Obdachlose und Cholerakranke. Sein gesamtes Vermögen setzt er dafür ein und stirbt schließlich verarmt. Eine spannende und eindrucksvolle Biografie über einen in Deutschland wenig bekannten Mann, der bald selig gesprochen werden soll.

Produktbeschreibung
Der deutsche Arzt Friedrich Joseph Haass wird im Volksmund bis heute der »heilige Doktor von Moskau« genannt. Als Modearzt der Moskauer Oberschicht nach Russland gegangen, nimmt er sich immer mehr der Ärmsten der Armen an, verbessert die Situation der nach Sibirien Verbannten, versorgt Obdachlose und Cholerakranke. Sein gesamtes Vermögen setzt er dafür ein und stirbt schließlich verarmt. Eine spannende und eindrucksvolle Biografie über einen in Deutschland wenig bekannten Mann, der bald selig gesprochen werden soll.
Autorenporträt
Dirk Kemper, Prof. Dr. Dr., ist Leiter des Thomas Mann-Lehrstuhls an der Russischen Staatsuniversität für Geisteswissenschaften (RGGU) in Moskau und Direktor des Instituts für russisch-deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kerstin Holm freut sich über Dirk Kempers Biografie des zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Moskau praktizierenden deutschen Arztes Joseph Haas. Haas als sozialmedizinischer Reformer, der die Fußfessel "humaner" gestaltete, einen ärztlichen Notfalldienst ins Leben rief und auf Naturheilmittel setzte, erscheint Holm im Text vor dem Hintergrund der geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen seiner Zeit. "Profund" findet sie Kempers Arbeit in der Darstellung der Voraussetzungen aus Tradition, Progression und Reaktion, mit denen Haas agierte. Haas erscheint Holm hier als Mann beharrlicher Nächstenliebe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2022

Beeilt euch, Gutes zu tun!
Eine Lebensbeschreibung des "heiligen" deutschen Arztes in Moskau Friedrich Joseph Haass

Der "heilige" deutsche Doktor Friedrich Joseph Haass (1780 bis 1853) ist ein bis heute lebendiger Mythos in Moskau. Sein Grab auf dem Wwedenski-Prominentenfriedhof im Stadtbezirk Lefortowo, das Nachbildungen der von ihm entwickelten erleichterten "Haassschen" Eisenfesseln für Strafgefangene schmücken sowie sein in Stein gemeißelter Wahlspruch "Beeilt euch, Gutes zu tun!", ist auch jetzt gepflegt und mit frischen Blumen geschmückt.

Der in Bad Münstereifel zurzeit der französischen Besatzung aufgewachsene Haass war als junger Arzt - wie viele deutsche Mediziner - nach Moskau gekommen, wo er als Modedoktor der besseren Gesellschaft reüssierte. Doch berühmt wurde er durch seine sozialmedizinischen Reformen und die Gefangenenfürsorge, die sein nicht unbeträchtliches Vermögen nach und nach aufzehrten. Eine Lebensbeschreibung verfasste 1904 der Jurist Anatoli Koni, vor fünf Jahren wurde in Moskau die Oper "Doktor Haass" uraufgeführt (siehe F.A.Z. vom 18. Juli 2017), 2018 sprach die katholische Kirche Friedrich Haass selig. Nun hat der Germanist Dirk Kemper, der seit 2005 an der Moskauer Geisteswissenschaftlichen Universität lehrt, nachgereicht, was fehlte: eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Studie, die Beweggründe und Kontext dieses außergewöhnlichen Lebens aufzeigt. Entsprechend untertitelt Kemper seine Abhandlung: "Biografie einer Legende".

Haass' Lehrjahre fielen in eine Zeit des Umbruchs in der Wissenschaft, und der Sohn eines Apothekers, zeitlebens ein gläubiger Katholik, profitierte von einer vergleichsweise modernen französischen Schulbildung und von Wegbereitern heilkundlicher Empirie an den Universitäten Jena und Göttingen. Kemper vergegenwärtigt, was es hieß, um 1800 in Deutschland Medizin zu studieren, als die in der Antike wurzelnde Vorstellung von der Balance der verschiedenen Körpersäfte noch gebräuchlich war, während der wissenschaftliche Fortschritt und romantische Philosophie physiologische Kenntnisse verbesserten, aber auch die Interaktion von Seele und Körper hervorhoben. Der Autor breitet historische Geisteslandschaften aus, er schildert die Pioniertaten des Gynäkologen und Anatomen Justus Christian Loder, bei dem Haass lernte, und skizziert das naturwissenschaftliche Denkgebäude von Friedrich Schelling, das mit dem schottischen Arzt John Brown Krankheiten durch ein Übermaß beziehungsweise den Mangel an Erregung erklärte, mit seinem ganzheitlichen Therapiebegriff aber auch Haass' wissenschaftliches Interesse an Heilquellen inspiriert haben dürfte.

Haass ging 1806 nach Russland, in einer Zeit, da das Zarenreich um ausländische Fachkräfte und speziell um deutsche Mediziner warb. Der junge Arzt, der auch an den Gründungszentren der Ophthalmologie Göttingen und Wien studiert hatte, kurierte in Moskau erfolgreich Augenleiden, er erforschte den Krupp, war medizingeschichtlich ein Pionier der Anamnese und setzte zugleich auf Naturheilmittel, die das Immunsystem stärken und Krankheiten verhindern konnten. Als Vertrauensarzt der Aristokratie residierte er in einer Villa im Stadtzentrum, fuhr zeitweise vierspännig durch Moskau und erwarb sogar ein Gut, um dort eine Tuchfabrik zu errichten.

Im Amt des Moskauer Stadtphysikus, das Haass ein Jahr innehatte, organisierte er einen ärztlichen Notfalldienst, konnte der grassierenden Bindehautentzündung und dem Typhus im Butyrka-Gefängnis Einhalt gebieten. Als er 1828 ins Moskauer Gefängnisschutzkomitee eintrat, fand sein Leben in diesem repressiven System einen neuen Mittelpunkt. Bis zu seinem Lebensende inspizierte er in der Sammelstelle auf den Sperlingshügeln, wo heute die stalinistische Staatsuniversität steht, die Strafgefangenen, bevor sie auf den Fußmarsch nach Sibirien geschickt wurden. Er behielt Kranke im Lazarett zurück, womit er die Gefängnisverwaltung gegen sich aufbrachte. Er setzte sich dafür ein, dass Eisenfesseln mit Leder gepolstert und dass die Stange (prut'), an der bis zu zehn wegen leichterer Vergehen Verurteilte während des gesamten Marsches - Gesunde und Kranke, tagsüber und nachts, selbst während der Notdurft - fixiert waren, durch eine leichtere, von ihm selbst getestete Kette ersetzt wurden. Doch trotz einiger Erfolge blieben die Widerstände bei der Administration groß, und der reaktionäre Moskauer Generalgouverneur Arseni Sakrewski, der nach 1848 die leichteren Ketten wieder durch die Stange ersetzte, hielt Haass vor, er habe "den Arrestanten unverdiente Bequemlichkeiten" verschaffen wollen. Für Sakrewski war es erklärtermaßen von höchster Priorität, den Aufsehern ihre Arbeit zu erleichtern.

Kempers profunde Abhandlung zeigt, in welchem Geflecht aus Tradition, Aufbruch und Reaktion Haass agierte, den Ideen der Aufklärung und der Menschenwürde ebenso beseelt haben dürften wie die theologischen Konzepte der europäischen Gefängnisschutzbewegung und die christliche Auffassung seines Heilberufs. Indem er sich bis ins Alter im französischen Habit des achtzehnten Jahrhundert kleidete und Briefe mit "Frédéric" unterzeichnete, betonte er sein kulturelles Anderssein in der repressiven Wahlheimat auch äußerlich. Durch seine beharrlich tätige Nächstenliebe, die manchen Zeitgenossen übertrieben und lächerlich vorkam, hat er aber in Russlands kulturellem Gedächtnis einen Ehrenplatz erobert. KERSTIN HOLM

Dirk Kemper: "Das

außergewöhnliche Leben des Friedrich Joseph Haass". Biografie einer Legende.

Herder Verlag, Freiburg 2022.

315 S., Abb., geb., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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