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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zerrissenheit
Judith Butlers antizionistische
Definition des Jüdischen
Mit diesem Buch wird die Kritik an der Verleihung des Adorno-Preises 2013 an Judith Butler wohl endgültig ins Leere laufen. Das heiße Eisen, das die neben Martha Nussbaum prominenteste Philosophin für globale Gerechtigkeit hier anrührt, besteht in dem Nachweis, dass man aus Solidarität mit den Wurzeln des Judentums zu einer Kritik am Zionismus kommen kann – und muss. Das Terrain, auf dem dabei zu operieren ist, ist ein Minenfeld, da mit einem harten Kern zu rechnen ist, der den Zionismus noch immer für eine hinreichende Legitimation für die Vertreibung der Palästinenser vom Boden des israelischen Staates hält und die hinter jeder Kritik an dieser Legitimation eine antisemitische Haltung vermutet.
Butler eröffnet dagegen einen Diskurs, der nicht polemisch gehalten ist und für dessen Durchführung sie weit ausholt. Unter Einsatz von – ausdrücklich zu Zwecken der politischen Philosophie „umformulierten“ – jüdischen Quellen wie auch unter Berufung auf einige ihrer eminenten Ausleger wie Walter Benjamin oder Emanuel Lèvinas, trägt sie Argumente dafür zusammen, dass eine Opposition gegen den Zionismus nicht allein „den Bruch mit einem exklusiv jüdischen Denkrahmen der Ethik sowie der Politik“ verlangt, sondern dass solche Opposition überhaupt erst plausibel ist, wenn sich der aggressive Zionismus de facto als unjüdisch erweist.
Jüdische Werte, erklärt sie, könnten als solche nur Geltung bewahren, „wenn sie nicht ausschließlich jüdische Werte sind“. Butler sucht deshalb nach einer jüdischen Identität außerhalb des Exklusivitätsdogmas, auf dessen Geltungsanspruch die Politik des Staates Israel ungebrochen beruht. Ihre hegelianische Schulung erleichtert es ihr, Schlüsselbegriffe wie „Zerstreuung“ oder „Alterität“ bewusst doppeldeutig einzusetzen: Zerstreuung sei verstanden als Widerspruch zum Ideal einer homogenen Identität – Zerstreuung, wie sie nicht nur im Faktum der Diaspora ihren Niederschlag gefunden hat, sondern wie sie bekanntlich sowohl historisch als auch definitorisch den Anfang der Geschichte Israels ausmacht. Faktum est Fatum. „Jüdischsein“ gilt Butler als „anti-identitäres Projekt“: „Jude sein impliziert die Aufnahme einer ethischen Beziehung zum Nicht-Juden“ heißt es in erkennbarer Anlehnung an den Sprachgebrauch von Lèvinas.
Die historisch belegte Spannung zwischen Identität und Zerrissenheit habe dem Judentum eine Dynamik verliehen, die Exklusivitätsansprüche von Grund auf dementiert und „Identitätsverschiebungen“ positiv zu bewerten nötigt. Koexistenz, auch in der paradoxen Gestalt von „Binationalität“, sei ein Postulat, dem sich „das Jüdischsein“ nicht entziehen darf: „Daher muss am Anfang jedes Koexistenzprojektes die Demontage des politischen Zionismus stehen.“ Diese Schlussfolgerung betrifft natürlich unmittelbar die Frage nach der Rolle der Religion, für deren Definition sich die Autorin auf den marxistischen Philosophen Étienne Balibar als Gewährsmann beruft: Religion sei das „Unübersetzbare“. In eigenwilliger Auslegung dieser These deutet Butler Religion als das kulturelle Element, das durch permanente Nötigung zu interkultureller Übersetzung „fortgeschrieben, disseminiert und verwandelt“ wird.
Was liegt da näher, als – mit Edward Said – daran zu erinnern, dass der eigentliche Gründer der jüdischen Religion ein Ägypter war, dass also „eines der zentralen Gründungsmomente des Judentums, die Übergabe des Gesetzes an das Volk, sich um eine Figur zentriert, die gar keinen gelebten Unterschied zwischen Araber und Jude kennt.“ So weit, so klar – eine antizionistische Definition des Jüdischen wird auf diese Weise unmittelbar mit einer Historisierung der religiösen Grundlagen politischer Identität verknüpft. Am Ende deuten sich dem Leser sogar die Konturen eines inklusiven „Jüdischseins“ an, in dem – in Gestalt einer zeitgemäßen „Republique des Lettres“ – so unterschiedliche Autoren wie Lévinas, Said und Balibar zu einer Bewegung vereint werden.
Dass ein solches Buch, das die Betroffenheit der Autorin nie verhehlt, in prophetisch anmutenden Andeutungen endet, überrascht deswegen nicht. Wem das zu vage ist, der sei auf die bewegende Würdigung verwiesen, die Butler den Erfahrungen des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi im Umgang mit dem real existierenden Israel zukommen lässt. Die Würdigung kulminiert in dem Zitat aus einem Artikel, den Levi 1982 als Protest gegen die Besetzung des Libanon durch israelische Truppen veröffentlichte: „Jeder ist der Jude von irgendjemandem. Und heute sind die Palästinenser die Juden der Israelis“. Niemand wagte es, dem Autor 1987 die Verleihung des Antonio-Feltrinelli-Preises wegen dieser Worte streitig zu machen.
ENNO RUDOLPH
„Jude sein impliziert die
Aufnahme einer ethischen
Beziehung zum Nicht-Juden.“
Judith Butler:
Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus. Aus dem Englischen von Reiner Ansén. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. 278 Seiten, 29,80 Euro.
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