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Der Korridor gehört keinesfalls zu den gepriesenen Räumen. Auf Sympathien kann er kaum hoffen. Er scheint dazu verdammt, seine Bahnen durch Elends-Cluster ziehen zu müssen.»(...) ein widerwärtiger Dunst schlug uns entgegen, als wir oben durch den langen Korridor schritten.« So berichtet beispielsweise Theodor Storms Erzähler in Pole Poppenspäler. Auch Walter Benjamin schildert in seinen Portraits bürgerlicher Interieurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts wenig Erhebendes aus »langen Korridoren«: Sie seien »allein der Leiche eine adäquate Behausung«. Korridore gelten üblicherweise als »dunkel«,…mehr

Produktbeschreibung
Der Korridor gehört keinesfalls zu den gepriesenen Räumen. Auf Sympathien kann er kaum hoffen. Er scheint dazu verdammt, seine Bahnen durch Elends-Cluster ziehen zu müssen.»(...) ein widerwärtiger Dunst schlug uns entgegen, als wir oben durch den langen Korridor schritten.« So berichtet beispielsweise Theodor Storms Erzähler in Pole Poppenspäler. Auch Walter Benjamin schildert in seinen Portraits bürgerlicher Interieurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts wenig Erhebendes aus »langen Korridoren«: Sie seien »allein der Leiche eine adäquate Behausung«. Korridore gelten üblicherweise als »dunkel«, »finster« und »endlos«. Sind wir in ihnen dem auf der Spur, was man »Un-Architektur« nennen könnte?
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Dunkelmänner im Alltagsleben

Hindurch und vorbei: Stefan Trüby widmet sich mit dem Korridor auf eindrückliche Weise einem gern übersehenen Element der Architektur.

Angesichts der Klassenkämpfe nach dem Ersten Weltkrieg hatte Thomas Mann eine große Sorge: "Die Lösung der Dienstbotenfrage liegt weiter im Dunkel." Mit dem Freiheitsstreben aller, warnte er 1918, verschwinde der "stolze Gehorsam" und das "Dienenwollende" im Menschen.

Doch für eine Herrschaft ohne Dienerschaft hatten moderne Ingenieure und Architekten längst vorgesorgt: durch Mechanisierung und Selbstbewirtschaftung im dienstbotenlosen Haus. Sie schufen Apparate und Architekturen, die das Nutzerverhalten entlang genau bemessener Tätigkeitsflächen in spezialisierten Raumzuschnitten regulierten. Gebäude bekamen eine erziehende und lenkende Zuständigkeit und ersetzten die Fremdherrschaft über das Gesinde durch die Selbstdisziplinierung der Brotherren.

Sozialhistorische Umwälzungen auf der Mikroebene von Gebäudegrundrissen zu spiegeln und dabei einen stummen Kronzeugen zu entdecken, der überall anwesend war, aber bislang übersehen wurde - das ist dem Stuttgarter Architekturtheoretiker Stephan Trüby mit seiner "Geschichte des Korridors" gelungen, hervorgegangen aus seiner Dissertation bei Peter Sloterdijk. Bislang waren Flure und Korridore nur "dienende" Wege zur Versorgung von "bedienten" Räumen mit Gütern und Menschen. Sie galten als Randphänomene ohne Eigenleben - genauso wie das Hauspersonal, das in ihnen zirkulierte. "Niemand hat den Korridor erfunden", schreibt der Autor, "er ist der Architektur schlicht unterlaufen."

Doch für dessen unheimliche Ausbreitung kennt Trüby einen Grund: "Korridore sind das Unbeobachtbare schlechthin, nämlich das Instrument der Beobachtung." Mit welcher Wucht und sozialen Prägekraft dieser verfemte Teil der Architektur in Konflikt- und Krisenzeiten sich durchsetzt, macht das Buch an Festungsbauten, Palästen, Klöstern, Krankenhäusern und Gefängnissen bis hin zu heutigen Wohnmaschinen deutlich. Durch ihren Doppelcharakter als Eingang und Ausgang übernahmen Korridore im Krieg oder Frieden immer wieder entgegengesetzte Funktionen.

Trüby beginnt historisch mit ihrer militärischen "Exit"-Funktion, weil Korridore - abgeleitet vom lateinischen "currere" (laufen) - außenräumlich als Rundwege zwischen Graben und Glacis verliefen. Im Vatikan errichtete Bramante Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts einen ersten gedeckten Hochweg als Papst-Korridor zum Belvederehof, dann baute Vasari für die Medici in Florenz einen mehr als tausend Meter langen Fluchtkorridor von den Uffizien über den Ponte Vecchio bis zur Residenz im Palazzo Pitti. Und schließlich dehnte sich der Korridorbegriff strategisch in die Aufmarsch- und Durchgangsräume für kriegerische Grenzoperationen aus.

Dagegen steht die andere Entwicklungsgeschichte der "Entry-Funktion" des Korridors als gebaute Willkommenskultur, die der Autor von den Triumphportalen der Antike bis in die freien, fließenden Grundrisse der Moderne verfolgt. Dazwischen entbrannte jedoch ein heftiger zivilisatorischer Kampf um die Intimität oder Distanz in den Begegnungsräumen von Haushaltsmitgliedern, deren Freizügigkeit oder Affektkontrolle die Grundrisse ihrer Häuser prägte.

Die Entwicklung führte, geometrisch gesprochen, vom transversalen Hindurchgehen durch Zimmer zum tangentialen Vorbeilaufen im Korridor. Das ist, sozialpsychologisch gesprochen, der Übergang vom extrovertierten Gruppenleben zur isolierten Privatexistenz. Diese Verhaltensänderungen wurden zwar in den Zivilisationsgeschichten und Machttheorien von Norbert Elias bis Michel Foucault reflektiert, aber Trüby hat endlich den Korrridor als mächtigen Dunkelmann im Sozialgeschehen des Alltags dingfest gemacht.

Alberti und Palladio kannten in ihren Renaissance-Palästen noch gar keine Korridore. Vielmehr öffneten sie alle Zimmer zu Durchgangsräumen mit möglichst vielen Türen, um szenographische Durchblicke durch das ganze Haus zu schaffen: "Denn das bereitet Vergnügen", schrieb Palladio. In Frankreich jedoch führte zur selben Zeit das komplizierte Hofzeremoniell zur Trennung von Königs- und Dienerwegen, woraus zwei separate Zirkulationssysteme mit Tapetentüren und Geheimkorridoren entstanden. Die Isolation und Körperlosigkeit der Bewohner erlebte in der viktorianischen Landhausideologie des neunzehnten Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Um die Seele gegen die Versuchungen der sündigen Welt zu wappnen, entwickelten puritanische Reformarchitekten den "moralischen Grundriss" zur Trennung von Mann und Frau, Herr und Knecht. Anstelle des lustvollen Hindurchsehens durch Zimmer-Enfiladen gab es den keuschen Rückzug in die private Innerlichkeit.

Weit über ihre Transferleistung als Ein- oder Ausgang hinaus blühten Korridore immer dann, wenn sie Disziplinarmacht und Ordnungsstifter wurden. Am Ursprung dieser Erziehungsfunktion sieht Trüby die abendländische Klosterbaukunst, die den Zelle-Korridor-Komplex zum Idealraum für Subjektivierung und Läuterung machte. Nahezu alle sozialstaatlichen Versorgungsbauten im neunzehnten Jahrhundert bildeten aus diesen monastischen Wurzeln immer differenziertere Korridor-Labyrinthe. Das Aufatmen der Kranken im Pavillonsystem der Reformmedizin um 1900 wurde längst wieder von der Korridor-Architektur der Großkliniken erstickt.

Überzeugend vermag Trüby auch, seine Raumtheorie ortsspezifisch zu konkretisieren. Kafka als bedeutendster Korridor-Autor des zwanzigsten Jahrhunderts verarbeitete für ihn zeitlebens seine Kindheitserfahrungen in den sogenannten "Pawlatschen"-Häusern von Prag. Das waren Innenhöfe mit umlaufenden Laubengängen, die an Gefängniskorridore erinnerten und in Kafkas Romanen zu Labyrinthen der Ausgeschlossenheit wuchsen.

Bleibt die Frage nach dem Korridor heute. Einerseits erfuhr er seine Entgrenzung in den Millionärsvillen von Mies van der Rohe oder Le Corbusier, die ihre offenen Grundrisse mit Treppen, Rampen und Balkonen zu großen Transiträumen machten. Immerhin bewahrten sie noch eine Erinnerung an den Luxus mediterraner Baukunst, in der Raum- und Erschließungssystem identisch waren. Andererseits wurden die Flure in den taylorisierten Grundrissen des Neuen Bauens restlos eingespart, indem "Frankfurter Küchen" und minimierte Wege die Effizienz der Hauswirtschaft ins Fabrikmäßige steigerten.

Zugleich sind seitdem die Riesenflure millionenfach in Wohnmaschinen und Verwaltungsbauten als innere Erschließungsstraßen wieder aufgetaucht, in denen die Exit-Funktion als Flucht- und Brandwege alles dominiert. Wer bislang nur eine dunkle Aversion gegen Korridore hatte, der kann jetzt im Licht von Trübys Erkenntnissen genau sagen, warum er diese Schattenexistenzen der Architektur nicht leiden mag.

MICHAEL MÖNNINGER

Stephan Trüby: "Geschichte des Korridors".

Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2018. 380 S., Abb., geb., 79,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Gänge durch dunkelste Flure
Der Architekturhistoriker Stephan Trüby erzählt die „Geschichte des Korridors“ und zeigt
auf vergnüglichste Weise, dass dieser Raumtyp mehr bietet als Kunstlicht und Kommunikationsabbruch
VON PETER RICHTER
Von allen Räumen im Haus hat kaum einer eine so schlechte Reputation wie der Korridor. Schlafgemächern, Wohnzimmern, selbst Küchen werden gewisse Aufenthaltsqualitäten und damit auch poetische Potenziale zugebilligt. Von Korridoren hingegen erwartet man sich lediglich eine „Mischung aus Kunstlicht und Halbdunkel“, wie einst Rainer Paris in „Warten auf Amtsfluren“ bemerkte, und eine inszenierte Geschäftigkeit, herumgetragene Akten, zügiges Gehen, denn: „Jeder Aufenthalt auf dem Gang ist legitimierungsbedürftig.“
Bei Carl Schmitt galten sie sogar als die eigentlichen „Schlachtfelder“ vor den Türen zur Macht, bevölkert von Schranzen, die sich in den „Korridorfähigkeiten“ des Antichambrierens üben. Und viel freundlichere Gedanken haben auch andere Autoren nicht auf den Korridor verwendet – wenn ihm überhaupt mal welche zuteil wurden. Umso verdienstvoller, dass der Münchener Architekturhistoriker Stephan Trüby jetzt gleich eine ganze „Geschichte des Korridors“ vorgelegt hat, denn trotz ihrer bemerkenswerten Unbeliebtheit sind Korridore doch eine ebenso bemerkenswert feste Größe in der Architektur, und zwar weltweit und seit langen Zeiten.
„Die Omnipräsenz des Korridorraums steht in einem krassen Gegensatz zu seiner nur spärlichen Theoretisierung“, stellt Trüby fest. Dass er zumindest diesem Missstand entschlossen entgegentreten möchte, machen Sätze klar wie dieser: „Die beiden naheliegendsten unter den darwinistisch geprägten Theorieansätzen haben sich für eine evolutionstheoretisch grundierte Analyse des Korridors allerdings als Sackgassen erwiesen: die Memetik und Niklas Luhmanns Systemtheorie.“
Und zwar eignet sich Luhmann schon deswegen nicht zur Klärung der Korridorfrage, weil die für ihn so zentrale Kategorie der Kommunikation hier an der architektonischen Tücke des Objekts scheitern muss: „Bauliche Vorrichtungen für mutwilligen Kommunikationsabbruch (Korridore etc.) kann sein Theoriedesign nicht verarbeiten.“ Schließlich: „Könnte es sein, dass der Korridor sich nur deshalb so verbreiten konnte, weil er das Unbeobachtbare schlechthin, nämlich das Instrument der Beobachtung war?“
Man bekommt es hier mit anderen Worten zwar ganz klar mit der Buchversion einer Dissertation zu tun, aber mit einer von hinreißender Vergnüglichkeit. Vielleicht, wer weiß, hat es ja auch damit zu tun, dass der Doktorvater Peter Sloterdijk hieß, wenn diese Gänge durch die dunkelsten Flure von sowohl Architekturgeschichte als auch Psychosoziologie gewissermaßen mit heiterem Pfeifen zurückgelegt werden. Und die große historische Bewegung, der sein Schüler Trüby da folgt, ist tatsächlich faszinierend: Erst ist der „corridóio“, der sich nun einmal vom lateinischen Wort fürs Rennen ableitet, ein offener Laufgang auf oder hinter Festungsmauern, dann bohrt er sich für ein paar Jahrhunderte durch das Innerste der westlichen Architektur, um schließlich im 20. Jahrhundert wiederum ins Freie zu treten als Metapher für geopolitische und militärische Räume, wie im sogenannten Polnischen Korridor, mit dem nach dem Versailler Vertrag der östliche Teil Preußens vom Rest des Deutschen Reiches abgetrennt wurde: „Zwischen einer Epoche vormoderner ‚Kriegskorridore‘ und einer Epoche nachmoderner ‚Kriegskorridore‘ spannt sich ein Zeitalter der Moderne, deren gesamte Architekturproduktion vom Phänomen des ‚zivilen Korridors‘ geprägt ist.“
Nachzuverfolgen, wie der nun aber zustande kam, ist schon deshalb eine große Lesefreude, weil auf diesem Wege – und zwar wie in einer der Enfiladen aufeinanderfolgender Säle, die im Schlossbau den Korridoren vorausgingen – auch gleich die wichtigsten Kapitel der zivilen Architekturgeschichte Europas abgeschritten werden: von der italienischen Villa zum französischen Schloss und weiter zum englischen Landhaus, von Gefängnissen und Armenasylen zu Krankenhäusern, schließlich Mietskasernen, und von dem überdachten Fluchttunnel, der vom Vatikan auf die Engelsburg führt, zu den „Exit Architekturen“, die schon länger Trübys Spezialthema sind: die Fluchtwege, die heute, sehr zum Unwillen vieler Architekten, der zwingende Ausgangspunkt jeder Gebäudeplanung zu sein haben. Denn wo einst „design codes“ herrschten, herrschen nun „building codes“, wo es einst ums Decorum ging, also Vorschriften zu einem angemessenen Aussehen, geht es beim Bauen heute im Kern nur noch um wenig anderes als den Brandschutz.
Wobei die Architekturgeschichte das eine ist, das andere aber die geistesgeschichtliche Deutung. Trübys Material legt nahe, dass es der Puritanismus war, der die Vervielfältigung der Korridore vorangetrieben hat, um das Selbst gegen die sündige Welt zu wappnen, wie das damals hieß – also in jeweils eigene Räume zu pferchen, die das einst nach allen Seiten offene Zimmer zu abgeschlossenen Zellen machen.
Die Karriere der Korridore in Strafanstalten und Krankenhäusern erweist sich natürlich als Musterbeispiel einer Foucault’schen Entwicklung zur Verfeinerung der Überwachung hin. Und ihre Rolle in den Mietshäusern der Jahrhundertwende erweist sich nicht zuletzt in dem psychologischen Stellenwert, den sie in den Schriften von Freud, Benjamin und Kafka einnehmen, bevor die Architektur der Moderne die Korridore einerseits aus der Wohnung verdammt, sie bestenfalls durch „architektonische Promenaden“ ersetzt, schlimmstenfalls durch funktionalistisch abgezirkelte Minimalstgrundrisse, und sie dafür aber außerhalb der Wohnung als sozialistische Gemeinschaftsräume oder dunkle
Rues Interieures in den Wohnmaschinen wieder aufleben lässt.
Das alles ist am Ende auch wieder nur ein Baustein zu einer Vervollständigung des Bildes, das man sich auf der Ebene der gebauten Umwelt von dem machen muss, was Norbert Elias den Prozess der Zivilisation genannt hat. Man kann gar nicht oft genug an das heroische Projekt des WDR erinnern, diesen Prozess in einer Serie zu verfilmen, was zwar scheiterte, aber immerhin so epochale Arbeiten wie die von Wolfgang Schivelbusch über die Geschichte der Eisenbahnreise oder die von Martin Warnke über die Entwicklung von Wohnzimmer und Couchecke hervorgebracht hat.
Rem Koolhaas hatte die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes früh erkannt und Trübys Dissertation zu einem der Ausgangspunkte für seine gefeierte Biennale-Ausstellung und Publikationen über die „Elements“, die einzelnen Elemente der Architektur, gemacht. Man wünscht sich dermaßen ausführlich in die kulturhistorischen Tiefe hineinbohrende Studien wie die von Trüby über die Korridore nun natürlich auch für Türen, Treppenhäuser, Keller, Dachböden, Klosetts und Badezimmer – und zwar, so flüssig wie „Die Geschichte des Korridors“ geschrieben ist, am besten ebenfalls von Trüby.
Stephan Trüby: Die Geschichte des Korridors. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2018. 383 S., 79 Euro.
Das Selbst wurde in einzelne
Räume gepfercht, einst offene
Zimmer wandelten sich zu Zellen
Nun wünscht man sich auch
Studien über Keller, Dachböden,
Bäder, Treppenhäuser
Vielleicht hat sich der Korridor so verbreiten können, „weil er das Unbeobachtbare schlechthin, nämlich das Instrument der Beobachtung war“?
Foto: picture alliance / dp a
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