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Er zählt zu den Großen der modernen Architektur: Was aber hat Walter Gropius wirklich gebaut? Nicht viel. Und das ist nicht erstaunlich, denn nach zwei Jahren Studium war klar, dass ihm jedes Talent zum Architekten fehlte. Doch er gründete ein Architekturbüro, wo andere jene Bauten entwarfen, die heute als Ikonen der Moderne gelten. In seinem Netzwerk tauchen alle Namen auf, die in der Geschichte der Architektur und des Designs im 20. Jahrhundert eine Rolle spielen. Wer wollte da an seiner Bedeutung zweifeln? Bernd Polster hat Gropius' Leben akribisch erforscht - man wird es in Zukunft nicht…mehr

Produktbeschreibung
Er zählt zu den Großen der modernen Architektur: Was aber hat Walter Gropius wirklich gebaut? Nicht viel. Und das ist nicht erstaunlich, denn nach zwei Jahren Studium war klar, dass ihm jedes Talent zum Architekten fehlte. Doch er gründete ein Architekturbüro, wo andere jene Bauten entwarfen, die heute als Ikonen der Moderne gelten. In seinem Netzwerk tauchen alle Namen auf, die in der Geschichte der Architektur und des Designs im 20. Jahrhundert eine Rolle spielen. Wer wollte da an seiner Bedeutung zweifeln? Bernd Polster hat Gropius' Leben akribisch erforscht - man wird es in Zukunft nicht mehr als Heldengeschichte, sondern als Schelmenroman erzählen.
Autorenporträt
Bernd Polster, Jahrgang 1952, Publizist und Künstler, hat zahlreiche Bücher über die Moderne veröffentlicht. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen das Bauhaus und die Geschichte des Designs. Seine fünfbändige Buchreihe Designlexika (1999-2003) erschien in sechs Ländern. Und kann man darauf auch sitzen? (2011), die erste kritisch-satirische Designgeschichte, wurde für den Deutschen Designpreis nominiert. Seit zwei Jahrzehnten entwickelt er im büro formweh Buchkonzepte für deutsche und internationale Verlage. Die meisten seiner mehr als 40 Titel wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Bei Hanser erschien: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms (2019). Mehr Informationen auf www.berndpolster.de
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019

Der ewige
Husar
Schelmenroman statt Heldengeschichte:
Bernd Polster erzählt das Leben
des Architekten Walter Gropius
VON JENS BISKY
Am 11. April 1919 unterzeichnete Walter Gropius in der Bastille am Weimarer Schloss einen Anstellungsvertrag, der ihm „die Leitung der Hochschule für bildende Kunst einschließlich der ehemaligen Kunstgewerbeschule“ übertrug. Am Tag darauf teilte das Hofmarschallamt mit – „Großerzogl. Sächs.“ ist auf dem Papier von Hand gestrichen –, die republikanische provisorische Regierung genehmige den Antrag, die Lehranstalten neu zu benennen: „Staatliches Bauhaus in Weimar“. Der Ruhm dieser Einrichtung und ihres ersten Direktors ist seither ins Mythische gewachsen. Da schaut man nicht immer genau hin, wärmt das moderne Gemüt lieber an programmatischen Floskeln: Aufgehen der Künste in der Werkstatt, „Kathedrale des Sozialismus“, gemeinsames Wirken am „neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird“ und irgendwie auch „kristallenes Sinnbild eine neuen kommenden Glaubens“.
Das erste Manifest der Kunstschule sah im Bau das „Endziel aller bildnerischen Tätigkeit“. So hatte es Walter Gropius formuliert. Er betrieb zwar sein privates Architekturbüro im Haus der Schule, aber diese selbst kam über Jahre ohne Architekturabteilung aus. Und kaum war eine solche gegründet, schied Gropius vom Bauhaus.
Wie die legendäre Schule in der Übergangszeit zwischen Kaiserreich und Republik entstand, will man erst recht im Jubiläumsjahr genauer wissen. Was führte dazu, dass die Weimarer zu ihrem Leiter diesen Berliner machten, der sein Studium nicht abgeschlossen und weit weniger Bauten und Publikationen vorzuweisen hatte als andere? Warum Gropius, der nicht einmal zeichnen konnte und dafür schon im Studium Hilfskräfte bezahlte?
Protektion, glückliche Zufälle und sein Geschick, andere zu blenden, führten ihn nach Weimar, behauptet der Publizist Bernd Polster in seinem Buch gegen die Gropius-Legende. Er schildert den oft verklärten Übervater des Neuen Bauens als raffinierten Hochstapler. Das größte Gebäude des Walter Gropius sei die Kathedrale seines Ruhms. Seine Biografie gleiche nicht einer Heldengeschichte, sondern einem Schelmenroman. Damit widerspricht Polster vor allem der umfänglichen Biografie, die Reginald R. Isaacs „in enger Verbindung mit dem großen Architekten zu dessen Lebzeiten und mit tätiger Mithilfe von Frau Ise Gropius, unter Auswertung des gesamten Nachlasses“ erarbeitet hat. Sie erschien zuerst 1983/84 in deutscher Übersetzung und ermüdet durch Nebensächlichkeiten und distanzlose Bewunderungsprosa. Polster setzt dagegen Zweifel, zieht eine Fülle von Einzelstudien und eigene Recherchen heran.
Der Bleistift war für Gropius ein Schmerzenskind. In einem Brief an die Mutter klagte der 24-Jährige: „Meine absolute Unfähigkeit, auch nur das einfachste aufs Papier zu bringen, trübt mir manches schöne und läßt mich oft mit Sorgen auf meinen zukünftigen Beruf sehn. Ich bin nicht imstande einen geraden Strich zu ziehen.“ Ein Architekt, der nicht zeichnet, erinnert an einen Dirigenten, der weder Klavier spielt noch ein anderes Instrument beherrscht. Gropius wusste die Schwäche zu kompensieren: durch gutes Aussehen, elegante Kleidung, eine gewinnende Art, indem er andere für sich arbeiten ließ. Sein Habitus glich dem eines Angehörigen der wilhelminischen Eliten. Im Pferdesattel machte er eine gute Figur, auf dem Gut eines Onkels und auf Baustellen lernte er, Untergebene zu kommandieren. Groß war der militärische Ehrgeiz des jungen Gropius. Und er hatte Glück.
In Spanien traf er zufällig Karl Ernst Osthaus, den Förderer der Reformbewegung. Dann fand er eine Stelle im Büro des AEG-Chef-Designers Peter Behrens. Das wurde später zur Legende. Aber was hat Gropius bei Behrens wirklich getan? Er war so etwas wie „ein Mädchen für alles“, begleitete den Chef auf Reisen, spielte Tennis mit dessen Tochter. Und er lernte bei Behrens den Architekten Adolf Meyer kennen, mit dem er über Jahre gemeinsam arbeiten würde. Die berühmten Frühwerke – das Fagus-Werk in Alfeld und die Musterfabrik auf der Werkbund-Ausstellung 1914 – hat wesentlich Adolf Meyer entworfen. Im Werkbund fiel Gropius auch Henry van de Velde auf, der ihn als seinen Nachfolger in Weimar empfahl, obwohl er kein Werk von ihm kannte. Osthaus warb in Briefen, der Großherzog freute sich, einen Husaren zu sehen. Gropius kam in Uniform von der Front zur Audienz.
Der Krieg hat auch ihn radikalisiert. 1917 schrieb Gropius, der Kapitalismus sei grotesk, müsse wohl an sich selbst zugrunde gehen. „Wir alle sind schuld, daß es so gekommen ist, wir haben die Juden unbehindert groß werden lassen. Ich fürchte, die frische Kraft zu einem Pogrom ist nicht mehr in uns.“ Völlig zurecht schreibt Polster, dass diese Anschauungen gut zu einem Freikorpsmann gepasst hätten. Gropius aber traf Bruno Taut, ging in den „Arbeitsrat für Kunst“ und lernte nun das kulturrevolutionäre Idiom. Gropius erhielt den Direktorenposten in Weimar, weil er gleichermaßen die Männer der Reformbewegung, die Vertreter der alten Obrigkeit und linke Kulturrevolutionäre überzeugte. Im folgenden Streit, in der Verteidigung der neuen Kunstschule, die als Spartakistennest verunglimpft wurde, setzte sich das Bauhaus als „eine Marke der Moderne“ durch.
Ob es um die Affäre und die Ehe mit Alma Mahler geht, den Umzug nach Dessau, den Abschied vom Bauhaus, Kontakte zu NS-Politikern, die ersten Schritte in England und den USA – Polster fragt nach dem tatsächlichen Geschehen, den an den Rand gedrängten Mitarbeitern. Die Biografie bietet viel Material für eine andere Geschichte des Neuen Bauens, eine, die nicht auf Heilslehren und Manifeste aus ist. Hier soll ein Heldendenkmal gestürzt werden. Aber der Biograf hat auch Sinn und Blick für die Stärken des Walter Gropius, der ein großes Organisationstalent besaß, Talente entdeckte und wusste, wie wichtig Reklame und Imagepflege sind.
Polster zeichnet einen Mann, der zeitlebens tief im Wilhelminismus verwurzelt blieb, einen „ewigen Husaren“. Daher figuriert Walter Gropius in diesem Buch nicht als Meister der modernen Architektur, was er wohl auch nicht war, sondern als „Herrenreiter“ „Ideenverwerter“, „versierter Diplomat“, „Guru“, „chronischer Ideendieb“, „Studienabbrecher“, „Prinzipienreiter“. Im Aufklärungseifer verfehlt Polster leider mehrfach Ton des Schelmenromans und wechselt ins Genre der Empörung. Immer wieder lässt er Glücksfeen über Gropius flattern und versammelt die Verdrängten zu Totengesprächen im Abseits. Das ist zwei-, dreimal erhellend, langweilt aber in der Wiederholung.
Ein Lektorat hätte dies und unnötige Fehler – selbst die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht ist falsch datiert – vermeiden können. Gut wäre es gewesen, noch einen Schritt weiter zurückzutreten und zu fragen, welchem Bedürfnis die Übertragung des Starsystems auf die Kunstgeschichte entgegen kam. Warum halten sich die Legenden, obwohl man es seit Jahren besser wissen könnte? Warum kommt ausgerechnet die Erinnerung an die künstlerische Moderne des 20. Jahrhunderts so schwer ohne verschmockten Geniekult aus, mit dem man sich unter Liebhabern Raffaels, Goethes oder Beethovens nicht mehr sehen lassen kann?
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere beriet Gropius gemeinsam mit Pietro Belluschi die Architekten des Pan Am Buildings. Das Ergebnis erzürnte die New Yorker, ein Kritiker resümierte: „Wenn Pan Am der Beitrag ist, den einer der größten Theoretiker der modernen Architektur zur Stadt geleistet hat, ist es kaum zu vermeiden, nicht die ganze Theorie in Frage zu stellen“. Das sind vergangene Kämpfe. Seit ihrem Ende droht das Bauhaus-Erbe zum mythischen Nippes für Bessermeinende zu verkommen. Für alle verständlich hat Polster den Schutt weggeräumt, der einem neuen Blick auf die Modernisierungsbewegungen im Wege steht. Als Schelm ist Gropius allemal interessanter denn als Heros.
Die Biografie bietet viel
Material für eine andere
Geschichte des Neuen Bauens
Bernd Polster:
Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms. Carl Hanser
Verlag, München 2019.
656 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2019

Hochstapler und Herrenreiter?

Da möchte man lieber vergessen werden, als einen solchen Biographen zu haben: Bernd Polster vergreift sich zum hundertsten Geburtstag des Bauhauses an Walter Gropius.

Biographien zu Lebzeiten, zumal autorisierte, bleiben meist großen Politikern vorbehalten. Dagegen wurde der Architekt Walter Gropius (1883 bis 1969) schon auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn seit 1950 dreimal mit Lebensgeschichten gefeiert. Nach den Kunsthistorikern Giulio Carlo Argan, Sigfried Giedion und Hans Maria Wingler legte schließlich der amerikanische Architekturprofessor Reginald R. Isaacs eine Biographie vor, an der Gropius noch mitgearbeitet hatte. Das zwölfhundert Seiten starke Werk, das erst 1983 erschien, galt mit seiner Fülle an Dokumenten bislang als Schlussstein im Ruhmestempel des Bauhaus-Gründers.

Rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag des Weimarer Bauhauses legt der Bonner Publizist Bernd Polster eine neue Biographie von Gropius vor. Anstelle weiterer Mystifizierung soll sie der krachenden Demontage des "Silberprinzen" (Paul Klee) dienen. Etwas Denkmalsschändung hatten zuvor bereits Charles Jencks, Heinrich Klotz und Tom Wolfe versucht, aber nie mit dem Anspruch, schonungslos die Wahrheit über Gropius aufzudecken, den Bernd Polster nun abwechselnd "Messias", "Erlöser", "Krisenheiliger", "Herrenreiter", "Husar", "Ideendieb" und "Hochstapler" nennt. Auch attackiert der Autor sämtliche Biographen als "Geschichtsköche des Legendenbreis, der Gropius schmeckte". Mehrfach beklagt er Lücken in den Lebensgeschichten, die er allerdings nirgends - abgesehen von einem Gespräch mit der Adoptivtochter - durch eigene Forschungen füllt.

Sicherlich wäre Ernüchterung in den aktuellen Erinnerungsfeiern für das Bauhaus durchaus willkommen. Denn in Weimar war Gropius' Gewerbeschule anfangs eine parareligöse Sekte mit mittelalterlichen Heilsvisionen und wurde in Dessau 1925 zur Brutstätte für Maschinenästhetik. Mit dem von Gropius dekretierten Geschichtsekel und Nachahmungsverbot entstand das "Helle&Grelle&Reine&Feine&Leere&Hehre", das laut Tom Wolfe die Nutzer von Bauhaus-Entwürfen seitdem an den Rand des sinnlichen Entzugskomas brachte.

Polster will die unbekannten Episoden im Leben des Studienabbrechers rekonstruieren, der nicht zeichnen konnte, aber ein hervorragender Kavallerie-Reiter war. Doch über die elterliche Beamtenfamilie, die auf ein Braunschweiger Pastorenhaus zurückgeht, erfährt man ebenso wenig Neues wie über die Kindheit im "Geheimratsviertel" des südlichen Berliner Tiergartens oder über seine Verwandtschaft mit ostelbischen Junkern. Heraus kommt dabei weniger ein Porträt als ein Steckbrief von Gropius: ein lebenslanger Laie und Autodidakt, der nur auf Baustellen sein Metier lernte und der kunst- wie bildungsfern alle Energien auf Selbststilisierung und Machtzuwachs richtete.

Wirklich neu ist der onkelhafte Ton, mit dem der Autor den "Walter" durch sein bewegtes Leben begleitet. Er konstruiert eine Schein-Intimität durch erfundene Schlüssellochblicke in die elterliche Wohnung, wo "der kleine Walter" am "Rockzipfel" von Manon Gropius eine "hohe Dosis mütterlicher Gefühlsinjektion" abbekam und Weihnachten "im schummrigen Glitzerlicht" mit Anker-Bausteinen seine ersten Würfelarchitekturen fertigte. An der Ostsee übte sich Walter ganz wilhelminisch als "Baumeister von Sandburgen" und verwandelte "Strände in künstliche Wall- und Kraterlandschaften". Und sonntags gab es "gefüllte Kohlrouladen mit Salzkartoffeln". Es können aber auch, da sollte man vorsichtig sein, Königsberger Klopse gewesen sein.

Schon nach wenigen Kapiteln wird die Methode dieses Buches klar. Es ist die Produktion von Atmosphäre, wie man sie von Stummfilm-Dokumentationen der Kaiserzeit kennt, die nachträglich mit Hufgetrappel und Säbelrasseln vertont und von Hand koloriert wurden. Stimmungsfreudig lässt der Autor ganz Berlin unter Blasmusik und Militärparaden erbeben, bis das dicke Ende des Ersten Weltkriegs kommt, als Gropius bei einem Granatenangriff in Nordfrankreich 1918 beinahe lebendig begraben wurde. Zu Kriegsbeginn kämpfte der junge Kavallerieoffizier, so Polster, "wie ein teutonischer Löwe", nun halluziniert er unter Trümmern "die stolze Erinnerung an die militärischen Leistungen einer jeden Generation, die wie ein Film ablief".

Das liest sich wie ein Zitat von Gropius, stammt aber von Reginald Isaacs und bezieht sich wiederum auf Gropius' Vetter Richard, der schon im Deutsch-Französischen Krieg gekämpft hatte. Das merkt aber nur derjenige, der parallel zu Polster die zu Unrecht geschmähte Biographie von Isaacs liest. Ohne dieses Exerzitium weiß der Leser über weite Strecken nicht mehr, wer da spricht: der Bauhaus-Meister, sein Biograph, ein Zeitzeuge oder Bernd Polster. Der Autor verteilt Geschmacksnoten wie "pikant", "delikat" und "heikel". In der Freundschaft mit dem Mäzen und Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus - "zwei gertenschlanke Dandys mit feurigem Herzen" - wittert Polster gar "eine homoerotische Komponente".

Beim ersten Bewerbungsgespräch in Weimar 1916 belauscht der Autor den Großherzog Wilhelm Ernst und den Selfmade-Architekten, wie sie "über edle Pferde, freche Franzosen und den kommenden deutschen Sieg schwadronieren". Das ist nicht mehr bloß narratives Dekor, sondern unhistorische Phantasie, die ihren traurigen Höhepunkt erlebt, als Polster dem vom Krieg traumatisierten Gropius vorwirft, nie "ein Wort der Reue und des Mitleids" für seine Kriegsgegner gefunden zu haben. Der Autor kennt offenbar keinerlei Demut vor der Geschichte.

In Weimar agierte Gropius nur als "Ideendieb", der vom Berliner "Arbeitsrat für Kunst" das Programm und von Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" das künstlerische Lehrpersonal übernahm. Der Bauhaus-Gründer sei eine "Fehlbesetzung" gewesen, habe zeitlebens private Architekturgeschäfte mit seinem öffentlichen Amt vermischt und Mitarbeiter wie Studierende finanziell und ideell ausgebeutet. Tatsächlich aber kann es nützen, wenn praktische Entwurfsarbeit ins Studium einfließt und Nachwuchskräfte sich mit prominenten Architektennamen schmücken. Sicherlich war Gropius' Mitarbeiter Adolph Meyer der bessere Architekt, doch verschwiegen werden seine Beiträge in den Werkmonographien nirgends. Und Polsters Anklage, dass Gropius' Egomanie Mitstreiter wie Lauweriks, Itten, Doesburg oder Wagner völlig in Vergessenheit brachte, ist einfach falsch.

1928 gab Gropius die Leitung des Dessauer Bauhauses auf, um in Berlin Bauprojekte zu entwickeln. Sein späteres Appeasement mit den Nationalsozialisten schildert der Autor korrekt auf Basis der Forschungen von Reginald Isaacs und Winfried Nerdinger, und auch die Übersiedlung nach England und schließlich Amerika 1938 wird nicht mehr als Exil beschrieben, sondern als wirtschaftlich motivierte Suche nach neuen Aufträgen, die Gropius in der Heimat fehlten. Hier ist Polsters Empörung endlich einmal angemessen: Denn er mied den Kontakt zu anderen Emigranten und verweigerte praktische Hilfe, um seine guten Beziehungen zur Berliner Reichskulturkammer nicht zu gefährden.

Seine glückliche Hand in Kulturdiplomatie und Beziehungspflege verschaffte ihm schließlich die Berufung nach Harvard, wo er, wie Heinrich Klotz berichtete, erst einmal die historische Bibliothek ausräumen ließ. Seine begeisterte Aufnahme bei der Ostküsten-Intelligenz machte ihn zum ersten "Stararchitekten" des zwanzigsten Jahrhunderts mit großer Wirkung: Von 1960 an lehrten mehr als hundert Architekturprofessoren in den Vereinigten Staaten, die bei Gropius studiert hatten.

Doch worauf sein Charisma beruhte und wie er seine Studierenden begeisterte, kann der Autor nirgends erklären. In penetranter Wiederholung greift er zur Dramaturgie eines Deus ex Machina: Das gesamte Buch durchschweben "Glücksfeen", die den Architekten singend von Erfolg zu Erfolg geleiten, aber nichts zum Verständnis beitragen. Noch ärgerlicher ist Polsters zweiter Kunstgriff, alle Weggenossen, von denen Gropius profitierte, zu Totengesprächen in einem fiktiven Verlies zu versammeln. Nach in einem Dutzend dieser surrealen Aufzeichnungen aus dem "Keller der Vergessenen und Verdrängten" fühlt man sich eher an "Wischmeyers Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten" aus der "Heute Show" erinnert. So werden selbst scharfe Gropius-Kritiker nach der Lektüre dieses Buches zu Anhängern des Architekten. Denn Polsters Geringschätzung und Häme gegenüber Gropius gibt eine Ahnung davon, gegen welche Widerstände deutscher Kleinbürger und Spießer der Bauhaus-Gründer einst kämpfen musste.

MICHAEL MÖNNINGER

Bernd Polster: "Walter Gropius". Der Architekt seines Ruhms.

Carl Hanser Verlag, München 2019.

654 S., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Ronald Berg ist heilfroh, dass endlich mal jemand den "Mythos Gropius" entlarvt. Von Autor Bernd Polster lernt er, dass der gefeierte Bauhausarchitekt keine eigenen Ideen hatte - der Mann konnte nicht mal zeichnen! -, sondern lieber die Ideen anderer als eigene ausgab, dass er ein hervorragender Propagandist der eigenen Sache war, der seine Helfer und Ideengeber "erfolgreich vergessen machen konnte"  und überhaupt gerne auf andere herabsah. Polster schließt das laut Berg offenbar aus der Tatsache, dass Gropius hervorragend reiten konnte - er nahm als Husar am Ersten Weltkrieg teil - und so die Gewohnheit hatte, vom hohen Ross auf andere herabzublicken. Die ganze Kritik trieft so vor Schadenfreude darüber, dass Gropius hier zurechtgestutzt wird, dass sie sich entgegen der Absicht des Rezensenten nicht als Empfehlung für das Buch liest.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Biografie bietet viel Material für eine andere Geschichte des Neuen Bauens, eine, die nicht auf Heilslehren und Manifeste aus ist. (…) Als Schelm ist Gropius allemal interessanter denn als Heros." Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 19.03.19