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Angst kennzeichnet eine Zeit, in der in Europa Populisten von rechts im Anmarsch sind, in der sich unter ganz normalen Leuten Erschöpfungsdepressionen ausbreiten und in der der Kapitalismus von allen als Krisenzusammenhang erlebt wird. Angst ist der Ausdruck für einen Gesellschaftszustand mit schwankendem Boden. Die Mehrheitsklasse fühlt sich in ihrem sozialen Status bedroht und im Blick auf ihre Zukunft gefährdet. Man ist von dem Empfinden beherrscht, in eine Welt geworfen zu sein, die einem nicht mehr gehört. Am Leitfaden des Erfahrungsbegriffs der Angst erfasst Heinz Bude eine Gesellschaft…mehr

Produktbeschreibung
Angst kennzeichnet eine Zeit, in der in Europa Populisten von rechts im Anmarsch sind, in der sich unter ganz normalen Leuten Erschöpfungsdepressionen ausbreiten und in der der Kapitalismus von allen als Krisenzusammenhang erlebt wird. Angst ist der Ausdruck für einen Gesellschaftszustand mit schwankendem Boden. Die Mehrheitsklasse fühlt sich in ihrem sozialen Status bedroht und im Blick auf ihre Zukunft gefährdet. Man ist von dem Empfinden beherrscht, in eine Welt geworfen zu sein, die einem nicht mehr gehört. Am Leitfaden des Erfahrungsbegriffs der Angst erfasst Heinz Bude eine Gesellschaft der verstörenden Ungewissheit, der heruntergeschluckten Wut und der stillen Verbitterung. Das betrifft die Intimbeziehung genauso wie die Arbeitswelt, das Verhältnis zu den politischen Angeboten ebenso wie die Haltung zur Finanzdienstleistung. Es handelt sich weniger um die Angst vor einem "großen Anderen", es ist die Angst vor den eigenen, schier unendlich wirkenden Möglichkeiten, zu denen wir uns verleiten lassen. Das Angstbild, das sich nach den Funktions- und Legitimationskrisen des Kapitalismus wie des Internets ausbreitet, ist das Bild von selbstregulativen Systemen, die auf den Reaktionen und Entscheidungen der beteiligten Individuen beruhen. Welchen gesellschaftlichen Entwicklungen sehen sich die Menschen ausgeliefert, wo fühlen sie sich verlassen, bevormundet oder übergangen? Wie kann unser Ich der Angst standhalten und in welchen Ritualen und Diskursen kann es sich mit anderen über die gemeinsamen Ängste verständigen?
Autorenporträt
Heinz Bude, Prof. Dr. phil., einer der führenden zeitgenössischen deutschen Soziologen, Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel und am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig. Seine Diagnosen zu Themen wie Armut und Exklusion, die Berliner Republik, die Rolle der Kirchen oder zum Bildungsstand finden ein großes Echo in der Öffentlichkeit und in den überregionalen deutschen Medien. Er ist u. a. Autor des Erfolgstitels "Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.09.2014

Das Gefühl, im Grunde im Nichts zu stehen
Heinz Bude, der subtile Chronist und Analytiker der modernen Gesellschaft, hat ein neues Buch geschrieben: „Gesellschaft der Angst“.
Es ist eine Gesellschaft, die keine Mitte mehr kennt. Ein Gespräch über Panik und Emotionsmacht, über Zurückweichen, Abwarten und Wegdenken
INTERVIEW: JENS BISKY
Wir leben in einer Gesellschaft auf schwankendem Boden, in einer „Gesellschaft der Angst“, sagt der Soziologe Heinz Bude in seinem neuen Buch. Wir trafen ihn in Berlin zu einem Gespräch über seine neue Zeitdiagnose.
SZ: „Gesellschaft der Angst“ – hätte man das nicht gut über die bundesrepublikanische Gesellschaft der Achtziger sagen können: Angst vor Atomstaat, vor Waldsterben, vor Atomkrieg. Klingt Angst nicht sehr nach den Achtzigern?
Heinz Bude: Das stimmt. Ich glaube auch, dass dieser Angstdiskurs vorbei ist. Ich habe dieses Buch geschrieben unter dem Eindruck von 2008 und der für mich erstaunlichen Erkenntnis, dass es keine „German Angst“ mehr gibt. Die deutsche Gesellschaft ist wahrscheinlich die, die am ruhigsten auf diese doch ungeheure Finanz- und Wirtschaftskrise reagiert hat. Aber das genau ist vielleicht das Problem.
Wieso ist eine ruhige, besonnene Reaktion ein Problem?
Ich habe den Eindruck, dass wir in einer gesellschaftlichen Situation leben, in der die Deutschen sich unwohl fühlen, weil es ihnen nicht nur ökonomisch gut geht, sondern auch, weil sie den Eindruck haben, dass die europäischen Nachbarn in der bundesrepublikanischen Funktionstüchtigkeit nicht mehr den nationalsozialistischen Leistungsfanatismus vermuten. Der sozialdemokratische Merkelismus wird von vielen sogar als Vorbild wahrgenommen. Das ist nicht nur angenehm. Sind wir jetzt die Amerikaner Europas? Was haben wir Europa zu geben? Was können wir eigentlich von unseren Nachbarn verlangen? Das sind Fragen, die unsere Stimmung berühren. Und die ist doch eher von der Frage beherrscht, ob das alles gut gehen wird.
Welche Anzeichen gibt es für diese Stimmung?
Im September 2008, als Lehman Brothers den Bach runterging, war ich zufällig in den USA. Als ich nach Deutschland zurückkam, war das uneheliche Kind Horst Seehofers das große Thema. Auch bei meinen Freunden und Bekannten spürte ich eine Haltung des Zurückweichens, Abwartens und Wegdenkens. Hoffentlich geht das bald vorbei. Nicht Panikstarre, sondern Angstverlorenheit.
Also äußert sich Angst in der Scheu, Entscheidungen zu treffen?
Ja, aber ich meine nicht heroische Aufgeblasenheit, sondern innere Gesammeltheit. Ich denke an Situationen, in denen man sich zur Disposition stellt und das Gefühl aushält, im Grunde im Nichts zu stehen. Für die Angsttheorie sind zwei Motive wichtig, das eine kommt von Kierkegaard: Du musst dein Leben selbst führen. Da kann dir kein König und kein Gott helfen. Das andere kommt von Sartre: Das Einzige, das Halt verspricht, ist der andere – aber die anderen sind in modernen Zeiten prinzipiell unzuverlässig.  
Das Kapitel über Liebe und Beziehungen kommt in Ihrem Buch sehr früh. Aber ist es nicht lebensklug, dramatische Liebesentscheidungen zu vermeiden und stattdessen auf das abgekühlte Konzept der Freundschaft zu setzen?
Da bin ich vielleicht romantisch. Ich bin für Leidenschaft und hoffe auf Begegnungen. Daher ist „Gesellschaft der Angst“ auch ein Buch darüber, wie es gesellschaftlich zum Vermeiden von Leidenschaft und zum Überspielen von Engagement kommt.
Nun sagen Sie in Ihrem Buch, dass wir mit standardisierten Erwartungen ständig auf nicht-standardisierte Situationen treffen. Wenn das stimmt, wäre Leidenschaft ein zu hohes Risiko.
Hinter diesem Versuch, vorsichtig, vernünftig, kalkulatorisch mit der Welt umzugehen, sehe ich die Angst vor der Angst. „You only get something if you lose something.“ Aber ich bin kein oberschlauer Beobachter, ich bin ein berührter Teilnehmer der Angst. Ich bin mittendrin.
Ängste lernt man, man kann sie auch wieder verlernen. Ein Psychoanalytiker würde schauen, wie man hysterisches Elend in gewöhnliches Unglück verwandelt. Gegen Flugangst helfen Therapeuten. Was hat eine Gesellschaft der Angst vom Soziologen zu erwarten?
Der Soziologe kann sagen, wir haben kollektive Zustände, die einem Angst machen können. Wir leben in einer Welt, in der nicht beherrschbare Kräfte und Strukturen am Werk sind. Denken Sie an den globalen Finanzmarkt oder die ungeheuren Datensammlungen. Man kann also mit Gründen Angst haben. Nur: Der Soziologe muss dann erklären, dass es keine gesellschaftliche Veränderung gibt, die diese Angst austreiben könnte. Wir können keine Gesellschaft einrichten, in der es keinen Grund für Angst mehr gäbe. So wie ich untergründig für Leidenschaft plädiere, plädiere ich für die Hoffnung in der Angst: Wer Angst hat, ist der Meinung, dass die Welt, so wie sie ist, nicht das letzte Wort ist. Wer sich diese Angst abtrainieren will, der sucht – mit Paul Tillich – einen Zustand vollendeter Resignation.
In Ihrem Essay gibt es existentielle, zum Mensch-Sein gehörende Angst, daneben Angst, die mit der modernen Welt aufkommt. Was aber ist spezifisch gegenwärtig an der Angst?
Es gibt in der deutschen Mittelklasse eine defensive Gestimmtheit, die in der Überzeugung zum Ausdruck kommt, dass die Kinder Schwierigkeiten haben werden, den sozialen Status ihrer Eltern zu erhalten. Sie werden es nicht besser haben. Man erkennt gläserne Decken für Karrieren und schwarze Löcher in der Sozialstruktur. Hinzu kommt der Eindruck, dass der Segen des Kapitalismus nur mit der Hinnahme von Krisen zu haben ist. So trifft die eigene Statusirritation zusammen mit einer grundlegenden Systemirritation. Man kann heute einen heimatlosen Antikapitalismus in Deutschland identifizieren, von dem merkwürdigerweise so prokapitalistische Parteien wie die AfD profitieren.
Das Argument heißt also: Mir geht es gerade noch gut, aber Bekannten nicht, und wie wird es erst meinen Kindern ergehen.
Genau. Wenn Sie VW-Arbeitern sagen, euch geht es doch ziemlich gut, dann sagen die: Ja, bei uns ist alles in Ordnung, aber ringsum herrscht ein mörderischer Kapitalismus. Das ist ja nicht falsch. Die globale Mittelschicht wächst, besonders in den Schwellenländern wie Brasilien, Indien oder Südafrika, aber in den „alten
Ökonomien“ des Westens schrumpft sie – oder sie wächst nicht weiter wie in Deutschland.
Ein Verteidiger der Mittelschichten würde sagen, nun, diese befinden sich tatsächlich in einer schwierigen Situation, drohen zerrieben zu werden zwischen den Ausgeschlossenen unten und Eliten, die sich selbst ausschließen.
Ich würde es noch zuspitzen: Denken Sie an Großbritannien, denken Sie an die USA, wo man den Eindruck haben kann, es sind wieder Zwei-Klassen-Gesellschaften. Eine große Gruppe der Privilegierten und eine noch größere Gruppe der Unterprivilegierten stoßen ohne Mitte aufeinander. Die Mittelosigkeit von Gesellschaften unserer Art ist eine reale Gefahr. Unsere Elterngeneration konnte zudem Gefahren mit dem Gefühl begegnen, das Schlimmste hinter sich zu haben. Dieses Gefühl ist ab dem Jahrgang 1964 in Deutschland nicht mehr da. Die sind heute überzeugt, dass das Schlimmste noch kommen kann.
Kinder sind Opfer dieser sozialen Angststörung, sie werden von panischen Eltern durch ein Bildungssystem gepeitscht, zu dem kaum einer Vertrauen hat.
Die Kinder sind Empathieopfer. Sie haben die Angst der Eltern verinnerlicht.
Nun ist die Angst der Mittelschichten nicht die allgemeine Angst. Wie geht es denen unten? Wenn man nichts zu verlieren hat, muss man da noch Angst haben?
Es ist in Deutschland ein neues Proletariat entstanden, ein Dienstleistungsproletariat. Leute, die hart arbeiten, verantwortlich arbeiten und körperlich gefordert sind.
Wir reden über Paketzusteller, Altenpfleger, Gebäudereiniger . . . 
Auch Lagerarbeiter, Lkw-Fahrer, all die Leute, die mit 45, 50 Stunden Wochenarbeitszeit vielleicht tausend Euro netto im Monate haben. Wir reden über 12 bis 14 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Die werden auf Linie gehalten durch personale Herrschaft. In diesen Dienstleistungsjobs ist durch Mechanisierung nicht viel zu machen. Die einzige Rationalisierungslogik in diesem Bereich ist eine soziale, die Logik personaler Herrschaft, die auf den Körper geht: Du bist draußen, wenn du es körperlich nicht mehr schaffst. Diese Beschäftigten befinden sich, um einen Titel von Göran Therborn aufzugreifen, in den „killing fields of inequality“. Dieses Proletariat ist weiblicher geworden, qualifikatorisch diffuser und ethnisch heterogener. In der Putzkolonne schafft eine ehemalige Staatsanwältin aus Moldavien. Und es ist ein Proletariat, das uns ins Haus kommt.
Und die Mittelschicht braucht es für ihren Lebensstil.
Dann treffen da beide Angstregister in einem Haus zusammen: Statuspanik und das Gefühl, wer nicht spurt, ist draußen. Draußen heißt: 3000 Euro Abfindung nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit und fertig sein, körperlich am Ende. Das ist der eigentliche Skandal der meritokratischen Gesellschaft: Die strengen sich an und haben nichts.
Was passiert in den Haushalten, wenn die Angstmilieus aufeinandertreffen?
Die einen haben ein schlechtes Gewissen und hoffen auf den Mindestlohn, die anderen stehen unter Druck und legen die nötige Dienstleistungsfreundlichkeit an den Tag. Diejenigen, die beliefert und bedient werden, vertreten zwar noch das Aufstiegsversprechen für alle Willigen und Fleißigen, glauben aber im Grunde selbst nicht mehr so richtig daran; diejenigen, die liefern und bedienen, haben den Glauben ans Fortkommen und Aufsteigen längst aufgegeben und versuchen, ihre Kräfte für den Tag zu sammeln und die Lust am Leben nicht ganz zu vergessen. Beide Parteien sind sich darin einig, dass heute das Aufstiegsversprechen durch die Exklusionsdrohung ersetzt worden ist. Man muss lebenslang lernen, sich geschmeidig zeigen und die anderen in Schach halten. Ein gutes Trinkgeld kann daher Wunder bewirken. Nicht als paternalistische Geste, sondern als Anerkennung einer Leistung, die nicht angemessen bezahlt wird.
Auch wenn man die Angst nicht austreiben kann, muss man sie doch politisch bearbeiten. Was tun?
In Gesellschaften unserer Art wird die politische Emotionsmacht immer wichtiger. Gefühle bestimmen, ob man wählt, wen man wählt und wie man sich zu den öffentlichen Angelegenheiten verhält. Entscheidend ist dabei, ob die politischen Affekte Zukunft eröffnen oder Zukunft verschließen. In Deutschland haben wir eine mittlere Lösung: auf Sicht fliegen, sich Optionen offenhalten, sich Szenarien ausdenken. Damit kommt Angela Merkel den Bedürfnissen und Befürchtungen der Mehrheitsklasse sehr entgegen. Sie lässt aber die Gesellschaft mit ihren Ängsten allein. Es ist schwer vorstellbar, dass sie so einen Satz wie der amerikanische Präsident Roosevelt ihn 1933 sagte, sagen könnte: „The only thing we have to fear is fear itself.“   
  
Heinz Bude, geboren 1954 in Wuppertal, ist Professor für Soziologie an der Universität Kassel. Zuletzt erschienen von ihm „Die Ausgeschlossenen“ (2008) und „Bildungspanik“ (2011). Foto: bodo dretzke/HIS
  
  
  
  
  
  
Heinz Bude: Gesellschaft der Angst. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 168 Seiten, 16 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

So ganz scheint Uwe Justus Wenzel dem fröhlich durch die unterschiedlichsten Angstszenarien unserer Zeit schweifenden Heinz Bude nicht immer folgen zu können: Angst vor dem Internet, vor der Minderheit, der Mehrheit, vor dem Ausschluss, Angst vor dem Nichts. Auch wenn der Autor dem Rezensenten "bildkräftig" und mit soziologischer Fantasie und Empathie Angstwelten erschließt, bleibt der Text für Wenzels Dafürhalten recht essayistisch. Dass der deutsche Wohlfahrtsstaat sein Integrationsversprechen nicht hält und so Ängste schürt, wie Bude erläutert, leuchtet Wenzel ein. Nur wer und warum genau ist hier verantwortlich?

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