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Die Frühzeit Roms ist umrankt von spannenden Legenden, doch spätestens mit dem Galliersturm zu Beginn des 4. Jahrhunderts betritt man historisch gesicherten Boden. Von diesem Zeitpunkt an vollzieht sich der Aufstieg Roms zur Weltmacht - doch nicht, ohne dass der Stadtstaat immer wieder gefährlich militärisch herausgefordert wird. Wolfgang Blösel liefert eine kenntnisreiche, differenzierte und anregende Darstellung, die von den mythischen Anfängen Roms in der Königszeit bis zum Untergang der Republik in den Stürmen der Bürgerkriege reicht. Die Ständekämpfe zwischen Patriziern und Plebejern, die…mehr

Produktbeschreibung
Die Frühzeit Roms ist umrankt von spannenden Legenden, doch spätestens mit dem Galliersturm zu Beginn des 4. Jahrhunderts betritt man historisch gesicherten Boden. Von diesem Zeitpunkt an vollzieht sich der Aufstieg Roms zur Weltmacht - doch nicht, ohne dass der Stadtstaat immer wieder gefährlich militärisch herausgefordert wird. Wolfgang Blösel liefert eine kenntnisreiche, differenzierte und anregende Darstellung, die von den mythischen Anfängen Roms in der Königszeit bis zum Untergang der Republik in den Stürmen der Bürgerkriege reicht. Die Ständekämpfe zwischen Patriziern und Plebejern, die Entwicklung des römischen Ämterwesens, Konflikte mit mächtigen Gegnern - nicht zuletzt mit Karthago - und der Konkurrenzkampf innerhalb der aristokratischen Elite bilden weitere Schwerpunkte seiner Darstellung. Sein besonderes Augenmerk liegt schließlich auf dem Zerbrechen der Solidarität in der Führungsschicht und dem Aufstieg von Protagonisten wie Pompeius und Caesar, die das Ende der Republik befeuern, aus dem Octavian siegreich hervorgeht und als Augustus mit dem Prinzipat eine neue Herrschaftsform etabliert.
Autorenporträt
Wolfgang Blösel ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2015

Pocahontas in Kleinasien

Pralle Wege führen nach Rom: Zwei exzellente Bände erzählen die Geschichte der Antike - im Zentrum steht das Versagen einer Elite.

Ein Rundblick in die aktuelle Welt zeigt inzwischen beunruhigend häufig den Zerfall von Staaten und das Versagen institutioneller Gefüge. Formative Epochen der Geschichte gewinnen vor dieser Erfahrung neues Interesse. Zwei von ihnen lassen sich jetzt in neuen, handlichen Überblicksdarstellungen studieren: das frühe Griechenland, an dessen Ende um 500 vor Christus die institutionalisierte Polis stand, und die römische Republik, die an ihrem Ende eine blutige Umwälzung der inneren Machtstrukturen erfuhr, ohne aber von außen als Machtbildung gefährdet zu sein.

Elke Stein-Hölkeskamp verweigert sich freilich allen teleologischen Zumutungen, das archaische Hellas stracks in die athenische Demokratie münden zu lassen. Im Sinne der neueren, aber auch schon der älteren Forschung entfaltet sie das komplexe Panorama einer Epoche des Aufbruchs, der Innovation und des Experimentierens, wägt Bruch und Kontinuität zwischen den bronzezeitlichen Palästen und den sehr einfach strukturierten Gemeinden der "dunklen Jahrhunderte" ab und lässt nacheinander die mykenischen Herrschaftsbildungen und ihren Zusammenbruch, die Welten Homers, den Aufbruch in neue Welten, die Polis sowie die Lebenswelten der Bauern, der Aristokraten, der Tyrannen und schließlich der Polisbürger entstehen.

Ausführlich, für nichtakademische Leser manchmal wohl zu detailreich, werden archäologische Befunde ausgebreitet, denen die Autorin ein Vetorecht gegen die unzuverlässigen späteren Texte zumisst, skizziert die Autorin dichte Fallstudien, um die genannten Lebenswelten wieder zusammenzuführen, und formuliert Bilanzen. Glänzend gelungen und originell ist die Schilderung der sogenannten griechischen Kolonisation. Sie muss man sich in der Tat eher wie die Erschließung Nordamerikas durch die Europäer vorstellen, die im achtzehnten Jahrhundert in kleinen Gruppen eng mit den Indianern zusammenlebten, bevor die großen Massen der Siedler kamen und rückblickend eine ganz andere Geschichte, die der triumphalen, auf Überlegenheit gegründeten Landnahme, erzählt wurde. Die Autorin verweist einmal beiläufig, aber treffend auf Pocahontas.

Man wird in der akademischen Lehre gern zu dem Werk greifen, weil es den aktuellen Forschungsstand trefflich bündelt. Aber dem Bemühen, "auf die Konstruktion von jeglicher Art von Linearität oder gar Kausalität zu verzichten", ist manches zum Opfer gefallen, so der Aufbruch des Denkens seit Thales oder die faszinierende Gestalt Solons als ein Höhepunkt der Archaik. Bezeichnenderweise fehlt Christian Meiers Darstellung der gleichen Epoche, "Kultur, um der Freiheit willen", im ansonsten durchaus nicht schmalen Literaturverzeichnis.

Die Aufgabe einer zeitgemäßen Geschichte der römischen Republik stellt sich anders dar. Abgesehen von der Frühzeit bis etwa 400, die wegen der Quellenlage eher einen breiten Pinsel und eine gewisse konstruktive Phantasie benötigt, liegt das Gerüst an chronologisch abzuarbeitenden Fakten fest und gibt es wirkmächtige Meistererzählungen von Mommsen bis Meier. Da diese auf dem gleichen Quellenbestand beruhen, der auch uns vorliegt, erscheinen sie zwar durch ihren zeitgenössischen Hintergrund beeinflusst, sind aber nicht einfach durch grundlegend neue Erkenntnisse überholt.

Wolfgang Blösel gibt dem Rahmen und der Tradition insofern Kredit, als auch er den Verlauf der zahlreichen Kriege relativ ausführlich, hier und da vielleicht sogar zu detailliert schildert. Die Rechtfertigungsklimmzüge früherer Generationen um Kriegsschuldfragen und Imperialismus schiebt er indes entschlossen beiseite: Seine Römer brechen Verträge, führen Kriege mindestens präventiv, wenn auch ohne "grand strategy", und folgen dem Ruf des Ruhms und des Goldes.

Allenfalls implizit, in manchen Akzentuierungen geht Blösel das historiographische Kernproblem an: Wie kann man die Geschichte der römischen Republik einer Leserschaft nahebringen, die Leistungen und Leidensfähigkeit im Krieg längst nicht mehr für selbstverständlich oder gar bewundernswert hält, sondern eher postheroisch befremdet und verstört darauf schaut, wie sich die Römer höchst aktiv und immer bereit, fremdes wie eigenes Blut zu vergießen, zu Herren der antiken Welt machten?

Blösel erklärt die atemberaubende Dynamik der Expansion und den nahezu unersättlichen Eroberungsdrang der Römer aus der bis zum Ende der Republik verbindlichen stadtstaatlichen Struktur der Republik und der Konstruktion der politisch führenden Aristokratie, der Nobilität. Alle Wege führten tatsächlich nach Rom, nur hier, auf dem Forum, dem Comitium und bei den jährlichen Wahlen der Amtsträger auf dem Marsfeld, wurden Ämter, Rang und Prestige vergeben, nur hier fanden die Triumphzüge statt, wurde die Beute zur Schau gestellt und verausgabt.

Die Ausweitung des Herrschaftsgebietes führte also nicht zu einer Dezentralisierung der soziopolitischen Prozesse in die Peripherie; es gab weder einen Reichsadel noch eine föderale Vertretung oder Organisation. Als die Verbündeten der Römer in Italien einmal in diese Richtung vorstießen, führte das zu einem recht kurzen, aber heftigen Krieg, der die Hemmschwelle gegenüber der Anwendung von Gewalt im an sich befriedeten Binnenraum nochmals erheblich senkte und für die Generation Ciceros zum prägenden Trauma werden sollte.

Je mehr Erfolge Rom aber in der weiten Fläche errang, desto schärfer wurde der Wettbewerb um Ämter, Rang und Status im Zentrum und desto schlechter funktionierte das ohnehin höchst labile politische System, das durch das Veto von Volkstribunen leicht paralysiert werden konnte und von allen Beteiligten viel Disziplin und Aushandlungsbereitschaft verlangte. Dieser Zusammenhang ist geläufig. Aber Blösel kann aus eigener jüngster Forschung einen wichtigen neuen Akzent setzen: Die Konzentration militärischer Kompetenz und Machtmittel auf wenige Einzelpersonen wie Marius, Sulla, Pompeius, Caesar und am Ende Oktavian ergab sich keineswegs systemnotwendig, weil etwa "das Reich" neue Formen und Dimensionen militärischer Vollmachten erfordert hätte oder weil diese ambitionierten Führernaturen so rücksichtslos waren. Vielmehr schoss sich die lange so breit gelagerte und erfolgreiche Nobilität selbst aus dem Rennen, indem sie seit dem zweiten Jahrhundert ihre Aktivität verstärkt auf die Metropole konzentrierte und, plakativ gesagt, über dem Rhetorikstudium das Kriegführen verlernte.

Die zweite Hälfte des Buches bietet insgesamt die kühle Autopsie eines Elitenversagens; Blösel nennt Wahrnehmungsdefizite, "politische Arroganz", einen starrsinnigen Senat und "dramatischen Verlust an zentralen Leitungskompetenzen". Er zitiert die Quellen sparsam und berichtigt sie gern, aber in dieser Zuschreibung tatsächlicher und persönlicher Verantwortung liegt er näher bei Sallust als bei Montesquieu. Wie das alles zusammenhing, die rasante Expansion Roms unter Führung der Nobilität, deren militärische Dequalifizierung und Legitimitätsverlust sowie die Überwältigung des republikanischen Systems durch wenige Militärs, die aber aus der Wertemitte der römischen Gesellschaft kamen, all das wird hier präzise und gedankenreich entwickelt, vieles auch, was vielleicht noch halbwegs geläufig ist, etwa die Ständekämpfe, der alte Cato oder die Gracchen, neu und originell beleuchtet.

Die beiden Bücher sind zweifellos Aktivposten in der rasch auf vier Bände von geplanten sechs angewachsenen "Geschichte der Antike" des Beck-Verlages (F.A.Z. vom 24. Mai 2014); sie kartographieren den Strom und die Stromschnellen der jeweiligen Epoche in einem traditionellen Format, aber auf sehr hohem Niveau.

UWE WALTER.

Elke Stein-Hölkeskamp: "Das archaische Griechenland". Die Stadt und das Meer.

Verlag C. H. Beck, München 2015. 302 S., Abb., br., 16,95 [Euro].

Wolfgang Blösel: "Die römische Republik". Forum und Expansion.

C. H. Beck Verlag, München 2015. 304 S., Abb., br., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2015

Im Übergriff
Neue Bücher von Greg Woolf und Wolfgang Blösel analysieren die Politik des römischen
Weltreichs. Sie war doppelzüngig und beruhte immer auf Gewalt und Expansion
VON SIMON STRAUSS
Ein Vampir auf der gierigen Suche nach frischem Blut? Eine Epidemie, die Millionen von Menschen infiziert? Eine Lawine, die stetig anwächst und alles unter sich begräbt? Oder ein Ballon, der rasch aufsteigt und irgendwann mit lautem Knall zerplatzt? Viele Bilder hat man bemüht, um den Charakter des Römischen Reichs zu beschreiben. Seine Wesensart zu erfassen und sich seinem Mysterium zu nähern. Keine Metapher ist wirklich überzeugend. Das Geheimnis dieser einzigartigen Geschichtsmacht, Rom, das vom winzigen Dorf am Ufer des Tibers zum gewaltigen Weltreich aufstieg, über eineinhalb Jahrtausende als Faktum und weit darüber hinaus als Idee existierte, lässt sich nicht so einfach packen. Man kann aber versuchen, Roms einzelne Entwicklungsstufen zu verfolgen und Vermutungen darüber anzustellen, welche Faktoren seinen ungeheuren Erfolg bewirkten. Zwei Bücher wagen dieses Unterfangen aus ganz verschiedenen Richtungen.
  Greg Woolf, Althistoriker an der schottischen Universität St. Andrews, hat den weitest möglichen Blickwinkel gewählt – hat sich gleich die gesamte „Biografie“ des Weltreichs Rom vorgenommen, von der Königszeit bis weit in die Spätantike hinein. Die römische Geschichte, schreibt er in der Einleitung, sei für ihn ein „gewaltiger Sandkasten“, in dem er alle möglichen Theorie-Konstellationen durchspielen könne.
  Physische Gewalt steht dabei von Anfang an im Zentrum. Das beginnt schon im Mythos. Aeneas’ Landnahme in Mittelitalien, Romulus’ Brudermord, der Raub ausländischer Frauen – die Römer sahen sich selbst in einer Tradition der Gewalttätigkeit verwurzelt, die den expansiven Übergriff auf das „Andere“ zu einem Charakteristikum ihrer Mentalität stilisierte und mithin legitimierte. Roms Imperium, das schon dem Begriff nach eine militante Bedeutung impliziert, dehnte sich im Verlauf seiner Geschichte kontinuierlich aus, erst auf das Weichbild der Stadt, dann auf ganz Italien und den Westen und schließlich auf den gesamten Mittelmeerraum. Die Biografie Roms, vom Kind bis zum alten Mann, ist geprägt von einer Vielzahl „gerechter Kriege“, die immer wieder auf territoriale Verschiebungen hinausliefen. In den schlimmsten Tagen der Punischen Kriege starb etwa ein Sechstel der erwachsenen Männer auf dem Schlachtfeld.
  Aber allein mit Gewalt lässt sich – damals wie heute – auf lange Sicht kein Reich erhalten. Und so lag Roms eigentlicher Trumpf auch nicht in einer speziellen militärtechnologischen Überlegenheit oder repressiven Untertanenkontrolle, sondern gerade in seiner besonderen Integrationskraft. Denn Roms Sprache der Herrschaft war doppelzüngig: zwar unterwarf es zunächst erbarmungslos, gestand dann aber den eroberten Gebieten durchaus einen gewissen Grad an Autonomie und Selbstbewusstsein zu. Nicht als geknechtete Untertanen, sondern als Mitbürger, als Teil eines großen Ganzen durften sich die Provinzialen fühlen. Roms Anziehungskraft lag darin begründet, dass es seine Herrschaft als Angebot formulierte, dem man selbstbestimmt Folge leisten konnte. Auf lokaler Verwaltungsebene wie im kulturellen Bereich ließ Rom Eigenheiten bestehen, nahm mitunter sogar Anregungen auf. Statt auf einer identitären Romanitas zu beharren, ließ es etwa eine Vielzahl griechischer Einflüsse zu. Die Werte, die die Römer hochhielten, waren „größer als jede nationale Kultur“, pointiert Woolf. Zwischen den provinzialen und römischen Eliten bestanden zudem zahlreiche persönliche Beziehungen; einflussreiche Senatoren vertraten die Interessen ihrer schutzbefohlenen Provinzen, lokale Führer unterstützten Rom mit Truppen. Die Reichsorganisation basierte zum Großteil auf Patronage.
  Darin lag zugleich aber auch eine der zentralen Strukturschwächen der römischen Hegemonie. Denn statt die Herrschaft in föderale Bahnen zu lenken, blieb die Provinzverwaltung und damit die Verpachtung der Steuereinnahmen immer in der Hand Einzelner. Das beförderte die Korruption der Verwalter und den Widerstand der Provinzialen.
  Rom, das ein Imperium erobert hatte, noch bevor es einen Imperator krönte, änderte mit dem Aufkommen der Kaiserherrschaft seine Taktik. Nach Augustus, der noch mal ganz Europa eroberte und nach dem Trauma der Varusschlacht 9 n. Chr, rückte das Bedürfnis nach Sicherung des Bestehenden in den Vordergrund. Woolf bringt die Entwicklung auf die eingängige Formel vom „Eroberungsstaat“ zum „Tribut-Reich“, das nicht mehr blind nach Beute gierte, sondern auf ein nachhaltiges Steuereinkommen zielte. Zu diesem Zweck wurde zu Beginn des dritten Jahrhunderts auch das Bürgerrecht auf alle Bewohner des Reiches ausgeweitet. Die Monarchie selbst erwies sich als erstaunlich effektive Organisationsform, die die Kommunikationsprobleme durch permanente Reiseaktivität des Kaisers und ein System von Meldestationen zu lösen suchte.
  Und doch. Schließlich zerbrach das Weltreich. Warum? Woolf lässt sich hier nicht leicht aus der Deckung locken. Er sieht eine fatale Mischung aus abrupten äußeren Bedrohungen und einer allmählichen Auflösung der innenpolitischen Stabilität als Verursacher der Krise. Zwischen 235 und 284 regierten mehr als zwanzig Kaiser, Diokletian führte ein neues Steuer- und Rechtssystem, Konstantin eine neue Religion ein. Aber weder die Institutionen noch die christliche Religion boten noch genug Integrationskraft. Schon Ende des 5. Jahrhunderts war das halbe Imperium von Barbarenkönigen beherrscht. Der letzte westliche Kaiser wurde 476 abgesetzt. Der Reichsballon, der in der späten Republik aufgestiegen war, zerplatzte endgültig.
  Greg Woolfs Rom-Biografie ist – auch wenn ihr Autor kein mitreißender Erzähler ist – ein beeindruckender Parforceritt durch die Epochen und Probleme des Imperium Romanum. Dass Woolf sich dabei noch die Zeit für den einen oder anderen Seitenblick auf andere Weltreiche nimmt, Rom mit Persien, dem Maurya-Reich in Nordindien oder China nach dem Ende der Qin-Dynastie vergleicht, um Gemeinsamkeiten und Spezifika gegenüberzustellen, verleiht seiner Studie eine globalhistorische Dimension. Allein, wer Rom besser verstehen will, der darf sich mit keiner noch so detaillierten Analyse der äußeren Reichsherrschaft zufriedengeben, der muss den Blick auch auf das Innere, Ursprüngliche, mithin auf die republikanische Ordnung Roms richten.
  Eine gute Gelegenheit dazu bietet Wolfgang Blösels neues Buch über „Die römische Republik“. Anders als bei Woolf wird hier vor allem vom Forum aus auf die römische Expansion geschaut, werden ihre sozialen und innenpolitischen Voraussetzungen ins Visier genommen. Die militärischen Erfolge Roms sind nämlich immer auch im Kontext einer inneraristokratischen Konkurrenzsituation zu sehen: Ein Schlachtenerfolg versprach traditionell mehr als jede innenpolitische Aktivität Ruhm und Ehre und wurde von den Bürgern mit politischen Ämtern und sozialem Prestige honoriert. Die fast alljährlichen Feldzüge waren somit weniger Ergebnis einer ausgeklügelten Sicherheitspolitik, sie waren zuvörderst dem politischen Ehrgeiz und Leistungsdruck aufstrebender Magistrate geschuldet. Zehn Eroberungszüge musste ein Kandidat im 3. Jahrhundert v. Chr. angeblich absolviert haben, bevor er sich für die Quästur bewerben konnte. Solange die soziopolitische Führungsschicht, die „Nobilität“, den Kriegs-Erfolg als notwendige Basisqualifikation ansah, um in ihre Reihen eintreten zu dürfen, wuchs also das Reich. Sehr zum Nutzen auch der einfachen Bevölkerung, die als Legionäre an der Beute beteiligt und als Siedler in den neuen Kolonien mit Ackerland versorgt wurden. Die Triebkraft der römischen Expansion ging somit vom Forum aus. Hier wurde der siegreiche Feldherr mit Triumphzug und Ämtern geehrt, hier dankte man ihm seine Risikobereitschaft und Aufopferung für das Gemeinwesen.
  Allerdings änderten sich im Lauf des zweiten Jahrhunderts v. Chr. – als das Reich seinen Zenit erreicht hatte – die Parameter der kollektiven Wertschätzung. Anstelle des Feldzuges fernab von Rom galt nun vor allem die rhetorische Leistung bei Gerichtsreden als besondere Auszeichnung. Statt im Wahlkampf auf seine Kriegsnarben zu verweisen, erinnerte man bald nur noch an gewonnene Prozesse. Blösel spricht von einer rasch um sich greifenden „militärischen Dequalifizierung“ der Nobilität – und bald standen nun Politiker an der Spitze der res publica, die militärisch völlig unerfahren waren. Die vernichtenden Niederlagen im Spanischen und Jugurthinischen Krieg sowie in den Kämpfen gegen Kimbern und Teutonen zeugen von einer gravierenden militärstrategischen Inkompetenz, so Blösel. Verstärkt waren Magistrate nun auf Spezialisten angewiesen, die den Krieg für sie führten und durch die Übertragung „außerordentlicher Kommandos“ gewaltige Machtpositionen einnahmen. Der Aufstieg erfolgreicher Feldherren wie Marius, Sulla und Pompejus, schließlich auch Caesar, die sich von der traditionellen politischen Oberschicht emanzipierten und mit ihren Soldaten als Druckmittel alle republikanischen Kontrollmechanismen außer Kraft setzten, war das Resultat. Noch einmal bäumte sich die alte Senatsaristokratie gegen ihre Marginalisierung auf, indem sie Caesar hinmordete, aber bald musste sie ihren alten Herrschaftsanspruch für immer aufgeben. Ein Kaiser trat an ihre Stelle.
  Blösel häuft Schlachtenberichte aneinander und gönnt dem Leser wenig geschichtstheoretische Reflexion. Aber obwohl sich der Duisburger Althistoriker mitunter arg in die ereignisgeschichtliche Paraphrase verbeißt, lohnt sich die Geduld. Denn sein immer wieder auftauchendes Plädoyer, Roms Expansionspolitik in engem Zusammenhang mit der Karrierestrategie der römischen Elite zu sehen, ist überzeugend und schließt mit seiner sozialgeschichtlichen Orientierung eine Lücke, die das Buch von Greg Woolf lässt.
  Und doch: Alles erklärt ist auch mit diesen beiden Büchern noch lange nicht. Seit Gibbon hat jede Epoche immer wieder neuen Anlauf genommen, um den Aufstieg und Fall des Imperium Romanum zu beschreiben. Dabei ging es immer auch darum, das eigene Schicksal in Roms Geschichte zu spiegeln. Diese Sehnsucht scheint momentan erschöpft zu sein. Statt nach Identifikationsmustern zu fahnden, weitet man lieber den Blickwinkel und kombiniert diverse Theorieangebote. So ähnelt der römische Althistoriker heute einem Spieler, der – wie sein strahlender Protagonist Caesar – die Würfel in Ungewissheit des Resultats in die Luft wirft, aber nicht (wie er of fälschlich zitiert wird) sagen kann „die Würfel sind gefallen“.
Die Biografie Roms ist
geprägt von einer Vielzahl
„gerechter Kriege“
  
  
  
Greg Woolf: Rom. Die Biografie eines Weltreichs. Aus dem Englischen von Andreas Wittenburg. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015, 495 Seiten, 29,95 Euro. E-Book: 23,99 Euro.
Geschichte, geschrieben in einer Tradition von Gewalttätigkeit – Szene aus dem Film „Centurion“.
Foto: mago stock&people
  
  
  
  
Wolfgang Blösel: Die römische Republik. Forum und Expansion. Verlag C. H. Beck, München 2015. 304 Seiten, 16,95 Euro. E-Book 13,99 Euro.
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"Nicht nur Geschichtsstudenten dürfen sich freuen."
Berthold Seewald, Welt Online, 15. Juni 2015