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Die Opposition Freiburger akademischer und kirchlicher Gruppen gegen das nationalsozialistische Regime hat mittlerweile unter dem Begriff 'Freiburger Kreise' einen festen Platz in der Widerstandsliteratur gefunden. Eine herausgehobene Bedeutung kommt in diesen Kreisen den Freiburger Wirtschaftswissenschaftlern um Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe zu. Sie waren aktiv in die Opposition gegen die NS-Diktatur eingebunden und entwickelten umfangreiche wirtschafts- und sozialpolitische Pläne für eine Nachkriegsordnung. Der Band dokumentiert die Referate des Symposiums 'Freiburger…mehr

Produktbeschreibung
Die Opposition Freiburger akademischer und kirchlicher Gruppen gegen das nationalsozialistische Regime hat mittlerweile unter dem Begriff 'Freiburger Kreise' einen festen Platz in der Widerstandsliteratur gefunden. Eine herausgehobene Bedeutung kommt in diesen Kreisen den Freiburger Wirtschaftswissenschaftlern um Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe zu. Sie waren aktiv in die Opposition gegen die NS-Diktatur eingebunden und entwickelten umfangreiche wirtschafts- und sozialpolitische Pläne für eine Nachkriegsordnung. Der Band dokumentiert die Referate des Symposiums 'Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand', das im Juli 2004 aus Anlass des sechzigsten Jahrestages des Attentats auf Adolf Hitler stattfand und sich mit der Rolle Freiburger Ökonomen im Umfeld von Universität, Kirche und Öffentlichkeit beschäftigte.
Autorenporträt
ist Professor für Kontextuale Ökonomik und ökonomische Bildung an der Universität Siegen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2006

Ein Aufstand des Gewissens
Freiburger Ökonomen und der Widerstand im Dritten Reich

"Alle Juden werden beurlaubt oder aus dem Staatsdienst entlassen. Überall Mißhandlungen. Diese Sünde, die das deutsche Volk begeht, indem es wehrlose Menschen seelisch und körperlich mißhandelt, wird sich an ihm furchtbar rächen. Gott ist auch ein rächender Gott." Diese so hellsichtigen wie bewegend bitteren Worte finden sich in einem Tagebucheintrag von Walter Eucken vom 21. Oktober 1935. Der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler, Begründer der Tradition des Ordoliberalismus und einer der führenden Köpfe der Freiburger Schule, ist der braunen Versuchung nie erlegen. Schon früh erkannte er, der durch seine Ehe mit der ihm intellektuell kongenialen, halbjüdischen Edith Eucken-Erdsiek selbst "belastet" war, welche Gefahr der Nationalsozialismus für das Land, die Menschen und die Zivilisation bedeutete.

Zunächst stemmte sich Eucken vor allem gegen die Gleichschaltung der universitären Lehre und gegen die Einführung des Führerprinzips unter der Ägide des damaligen Rektors der Freiburger Universität, des Philosophen Martin Heidegger. Nach der "Kristallnacht" traf er dann in einer Art Aufstand des Gewissens regelmäßig mit Mitstreitern in diversen, sich überlappenden Freiburger Kreisen zusammen - dem Freiburger Konzil, der Arbeitsgemeinschaft Beckerath und im Bonhoeffer-Kreis. In diesen Kreisen ging es zunächst darum, sich in einer Zeit des öffentlichen Verfalls aller sittlichen Werte wieder zu besinnen und die damals auch in anderen oppositionellen Zirkeln heiß debattierte Frage nach einem Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt zu klären.

Bald schon dienten die Treffen auch dazu, grundsätzliche Entwürfe für den Aufbau einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung für die Nachkriegszeit zu erarbeiten. Diese wurden in geheimen Gutachten und Denkschriften festgehalten. Am bekanntesten dürfte die sogenannte Anlage 4 der Denkschrift des Bonhoeffer-Kreises sein, von der Teile nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 in die Hände der Gestapo gerieten. Constantin von Dietze, Adolf Lampe, Gerhard Ritter, Franz Böhm, Walter Bauer und Friedrich Justus Perels wurden daraufhin verhaftet und gefoltert. Dietze, Lampe und Ritter blieben bis Kriegsende in Berlin-Moabit und im Konzentrationslager Ravensbrück interniert; sie entgingen nur knapp dem Tod. Im Fall von Walter Eucken und Erik Wolf blieb es bei schweren Verhören.

Diese Freiburger Geschichte ist heute nur noch wenig bekannt. In aller Breite ist dieses Kapitel der Vergangenheit lange nicht aufgearbeitet und erforscht worden - bis vor kurzem. Zu den nunmehr treibenden Kräften gehört der Theologe und Ökonom Nils Goldschmidt, Forschungsreferent am Walter-Eucken-Institut in Freiburg. Im Sommer 2004 hatte Goldschmidt ein Symposion zum Thema "Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand" organisiert, aus dem nun ein Sammelband hervorgegangen ist. Dieser dokumentiert neben den Referaten auch Zeitzeugen-Berichte und biographische Notizen.

Hier ist tatsächlich der ganze aktuelle Forschungsstand zusammengetragen; die Materialfülle ist beeindruckend. Vorrangig geht es dem Herausgeber aber um die wissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung der Rolle der Freiburger Professoren - und diese gelingt ihm blendend. So untersuchen die Autoren, wie die Entstehung der Freiburger Kreise mit der Herausbildung der Freiburger Schule und des ordoliberalen Forschungsprogramms verknüpft war; wie all dies mit dem Zeitgeist, den philosophischen Strömungen und der dominanten Form der ökonomischen Forschung zusammenhing; wie die sozialen Akteure aus Wissenschaft und Kirche miteinander in Berührung kamen und worin trotz großer Einigkeit doch ihre Differenzen lagen; wie die Entwürfe der Freiburger Ökonomen die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen nach 1945 geprägt haben. Bei allem wissenschaftlichen Anspruch bleibt das Buch für Laien gut lesbar. Es ist unendlich spannend und berührend. Es ist, schlicht gesagt, ein wichtiges Buch.

Der erste große Themenblock ist dem 20. Juli 1944 gewidmet, dem Tag des gescheiterten Attentats auf Hitler. Besonders erhellend ist hier der Beitrag von Detlef Blesgen (Bundesministerium für Wirtschaft). Dieser zeichnet die wissenschaftliche Entwicklung Constantin von Dietzes nach und leuchtet dessen tragende Bedeutung für den Freiburger Widerstand und für die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik aus. Darüber hinaus setzt er sich - zugleich kritisch und verständnisvoll - mit dem antisemitisch anstößigen Anhang 5 der Denkschrift des Bonhoeffer-Kreises auseinander, der aus der Feder Dietzes stammt.

In dem zweiten großen Themenblock des Buches widmen sich die Autoren streiflichtartig einzelnen Wissenschaftlern, deren Werk das geistige Klima der Zeit erklären kann: Neben Robert Liefmann und Elisabeth Liefmann-Keil sind dies der esoterische, den Nationalsozialisten zugewandte Josef Back sowie der Betriebswirtschaftler Martin Lohmann. Der dritte Block dann ist den Freiburger Kreisen und der Freiburger Schule gewidmet. Helge Peukert (Universität Erfurt) untersucht die wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen des Freiburger Kreises, wobei er wichtige Meinungsverschiedenheiten ans Tageslicht befördert. Nils Goldschmidt beschäftigt sich mit Walter Eucken und destilliert heraus, daß sich dessen Handeln stets an drei konsistenten Maximen orientiert hat: Freiheit, Ordnung und Wahrhaftigkeit. Diese Handlungsmaximen brachten ihn zum Widerstand; sie prägten ihn aber auch als Wissenschaftler in einer Art und Weise, die konzeptionelle Konsequenzen hatte. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.

Rainer Klump (Universität Frankfurt) schließlich verdeutlicht, daß die Freiburger Kreise um Eucken, Dietze und Lampe als Wurzel für die Entwicklung des Konzepts der "Sozialen Marktwirtschaft" anzusehen sind. Vor allem Eucken habe den Weg zu einer sinnvollen Weiterentwicklung der deutschsprachigen Nationalökonomie gewiesen und die Basis für deren politischen Einfluß gelegt. Zudem hätten Eucken, Dietze und Lampe große Wirkung auf die Haltung des deutschen Protestantismus zu wirtschaftspolitischen Reformen gehabt, ohne den wesentliche Entscheidungen der Nachkriegszeit nicht hätten getroffen werden können. Schließlich hätten sich in den Diskussionen der Freiburger Kreise auch Ansätze eines Modells wissenschaftlicher Politikberatung entwickelt - und dieses sei in der Folge zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft gereift.

KAREN HORN

Nils Goldschmidt (Herausgeber): Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2006, 510 Seiten, 59 Euro.

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