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Die meisten TV-Leute wollten eigentlich zum Film. Dafür waren sie aber nicht gut genug. Das Fernsehen hat also nicht nur die Zuschauer, die es verdient.»Irgendwas mit Medien!« Das sagen sich ganze Abiturklassen zum Zeugnisempfang. Das zeigt Hoffnung, aber auch Orientierungslosigkeit. Am Set folgt dann schnell die Ernüchterung: Mit frischem Regiediplom in der Tasche wird man erst mal zum Kaffeekochen verdonnert. Man muss sich seine Sporen verdienen, muss leiden, denn Fernsehen ist Krieg. Und am wichtigsten ist: Man muss mutig sein und wollen.Kai Tilgen arbeitet seit 32 Jahren beim Fernsehen,…mehr

Produktbeschreibung
Die meisten TV-Leute wollten eigentlich zum Film. Dafür waren sie aber nicht gut genug. Das Fernsehen hat also nicht nur die Zuschauer, die es verdient.»Irgendwas mit Medien!« Das sagen sich ganze Abiturklassen zum Zeugnisempfang. Das zeigt Hoffnung, aber auch Orientierungslosigkeit. Am Set folgt dann schnell die Ernüchterung: Mit frischem Regiediplom in der Tasche wird man erst mal zum Kaffeekochen verdonnert. Man muss sich seine Sporen verdienen, muss leiden, denn Fernsehen ist Krieg. Und am wichtigsten ist: Man muss mutig sein und wollen.Kai Tilgen arbeitet seit 32 Jahren beim Fernsehen, seit 26 Jahren ist er Regisseur. Bei seinem ersten Job ohne Bezahlung, als Produktionsassistent in München, hat er drei Monate im Auto übernachtet.Fernsehen machen ist eine Leidenschaft mit Glücksversprechen und Enttäuschungsgarantie. Es geht um Teamgeist, Manipulation, Kreativität und Vertrauen.In seinem Buch schildert Kai Tilgen die lustigsten, schlimmsten und absurdesten Momente. Und er lüftet das Geheimnis über »Bwn«.DAS THEMAWas hinter den Kulissen der Fernsehproduktion vorgeht, ist absurd, lustig, spannend, entlarvend, peinlich und manchmal auch ergreifend. Zwänge, Überforderung, Profilneurose, Druck und Neid kämpfen dort gegen Authentizität und Begeisterung. Das Fernsehen lügt, hört man immer wieder. Stimmt! Das Fernsehen ist aber auch ein wunderbarer Ort zum Erzählen von Geschichten, die begeistern und berühren.Vielleicht ist die Zeit des Farbfernsehens, dieses liebenswürdigen Dinosauriers, den wir seit 1967 schön und bunt an jedem Abend in unseren Wohnzimmern grasen lassen, auch wegen der digitalen Jagdgründe, bald vorbei. Und immer mehr »Fernsehfuzzis« wenden sich von dem Geschäft ab und machen endlich etwas Anständiges, so wie es sich ihre Eltern eigentlich direkt gewünscht hätten.Warum ist das so? Und was passiert hinter den Kameras, wenn Talente gesucht, Kilos verloren, Verschollene gefunden und Polizisten gerufen werden? Davon erzählt dieses Buch.DAS BUCHMachen wir uns nichts vor, erfolgreich beim Fernsehen arbeiten, heißt heute, die Zeit zwischen den Werbeblöcken füllen. Und zwar mit einer Emotionschoreografie, die den Umschaltedaumen lähmt.Gleichzeitig ist man am Set dem Druck der vorbereitenden Produktion und Redaktion ausgesetzt. Auch was nach normalem Menschen- und Fernsehfuzzi-Verstand nicht schaffbar und nicht machbar ist, wird in der TV-Produktion oft verlangt. Der Eindruck, die im Büro mögen diejenigen am Set nicht, greift Raum. »Die am Set werden das schon machen«, heißt es immer wieder, was zu falschen Drehorten, ungeeigneten Requisiten, und - noch schlimmer - schlechten Darstellern führt.Kreativphimose, Mutlosigkeit, Entscheidungsfurcht und Vorgesetzte, die einen im letzten Jahr noch als Fahrer vom Flughafen abgeholt haben, mindern den Spaß, die Qualität und die Kraft eines Mediums, das uns so viel bedeutet und noch mehr bedeuten könnte.
Autorenporträt
Kai Tilgen, geb. 1961 in Essen, sechs Monate nach der Hochzeit des Rechtsanwalts und der Bäuerin. 1974 nach dem Film »Harold and Maude« die Erkenntnis: Papa, ich werde Regisseur! Bis 1985 Studien in Essen, Heidelberg und Freiburg. Scheitern an Filmhochschulen und Regieassistenz am Theater Essen. Bis 1994 von der Kabelhilfe zum Regisseur. Und dann vorwiegend Regie auf der dunklen Seite der Macht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2018

Notizen aus der Hölle
Kai Tilgen verrät, was beim "Trash-TV" los ist

"Regie geführt bei DSDS, in der ,Dom-Rep' gedreht und plötzlich ein Tattoo auf dem Rücken gehabt": Das ist so eine der Anekdoten, die der Regisseur Kai Tilgen festhält. Und zwar in Buchform, auf 238 Seiten, unter dem Titel: "Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe". Zusatz: "Ein Regisseur von ,DSDS', ,The Biggest Loser', ,Versteckte Kamera', Scripted Reality sowie vielen Doku- und Deko-Soaps gewährt einen tiefen Blick hinter die Kulissen der (Alb-)Traumfabrik".

Im Jahr 2009 dreht der Regisseur also in der Dominikanischen Republik für einen sogenannten Recall der damals siebten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). Das war jenes Format, in dem halbprofessionelle und halbprominente "Experten", angeführt von Dieter Bohlen, die Träume junger - mal mehr, mal weniger talentierter - Menschen filetierten. Tilgen beschreibt, wie er nach getaner Arbeit am Strand entlangläuft - hinter einer Riege junger "Damen, die mehr wegen ihrer Bikinifigur in diesem Gesangswettbewerb weitergekommen waren" - und die Stimme "des Checkers" hört, der ihn mit "Kreef" anspricht, weil auf der Rückseite seines T-Shirts das Wort "Crew" steht. Da sei ihm klargeworden, dass "der Checker" (einer der Kandidaten) kein Englisch versteht und "dass man von den Kindern, deren Ausbeutung man mehrere Monate begleitet, noch nicht zu viel erwarten darf". An diesem Tag beschloss Tilgen, sich das Wort "Regie" in Großbuchstaben auf den Rücken tätowieren zu lassen. Das sei zwar schmerzhaft gewesen, "aber nicht so schmerzhaft wie manches, was sich an den folgenden Drehtagen eingebrannt hat".

Tilgen macht uns bekannt mit Tiefen und Triumphen. Beziehungen, Beruf und Verdauung, von allem wird in anfangs originell wirkendem Ton erzählt, als würde man den Autor zufällig am Tresen einer Kneipe treffen. Doch schnell wird daraus eine Erfahrungswerte-Anekdoten-Suada, die an eine von zu viel Kalauerdampfgeplauder bestimmte Hochzeitsrede erinnert. Einige Passagen liest man mit Gewinn, etwa wenn der Regisseur die Zufallsmechanik produktionsrelevanter Entscheidungen benennt. Da wird eine Homestory über einen Kandidaten gedreht, weil der in derselben Stadt wohnt wie die Freundin des Regisseurs. Den Gewerken hinter der Kamera zollt Tilgen Respekt. Bei all den Unprofessionellen aber, die sich freiwillig (oder aus Geldnot?) vor die Kamera stellen, kennt er keine Gnade. Mittlerweile wüssten junge Menschen, was in Castingshows auf sie zukomme, weil sie mit den Sendungen aufgewachsen sind. Seinerzeit sei das noch anders gewesen. "Das Schwein im Schlachthof" wisse ja auch nicht, was ihm droht. Tilgen sagt, er habe an beiden Orten gedreht: In echten Schlachthöfen ebenso wie in den metaphorischen des Privatfernsehens. Über sein Wirken macht er sich keine Illusionen, er nimmt es mit Zynismus: Früher habe er den Medien als "Kopfrevolutionär aus gutem Hause" vorgehalten, "für das selbstgefällige Einschläfern der Massen zuständig zu sein". Heute helfe er selbst mit, ein derartiges "Beruhigungsprogramm" herzustellen. Schlimmer noch: "Wir Fernsehfuzzis geben ihnen nur das Gefühl, auch groß und wichtig werden zu können, indem wir Einzelne vorführen, indem wir sie vorführen." Der Beschreibung dieser Welt hätte ein sachlicherer und nüchterner Ton gutgetan. Gerecht wird der Regisseur Tilgen vermutlich nur sich selbst.

wei.

Kai Tilgen, Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2018, 238 Seiten, 12,99 Euro.

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