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Soziologische Betrachtungen der gegenwärtigen Lage der Moderne sind von Verwirrung gekennzeichnet. Die Deutungen reichen vom "Ende des Subjekts" bis zum "neuen Individualismus", von der "Auflösung der Gesellschaft" zur Wiedererstehung der "Zivilgesellschaft", vom "Ende der Moderne" über die "andere Moderne" bis zur "Neomodernisierung". Peter Wagner rückt diese verschiedenen Befunde im Rahmen einer historischen Soziologie der sogenannten modernen Gesellschaften während der letzten zwei Jahrhunderte in ein rechtes Licht und macht dabei deutlich, warum bestimmte normative Orientierungen der…mehr

Produktbeschreibung
Soziologische Betrachtungen der gegenwärtigen Lage der Moderne sind von Verwirrung gekennzeichnet. Die Deutungen reichen vom "Ende des Subjekts" bis zum "neuen Individualismus", von der "Auflösung der Gesellschaft" zur Wiedererstehung der "Zivilgesellschaft", vom "Ende der Moderne" über die "andere Moderne" bis zur "Neomodernisierung". Peter Wagner rückt diese verschiedenen Befunde im Rahmen einer historischen Soziologie der sogenannten modernen Gesellschaften während der letzten zwei Jahrhunderte in ein rechtes Licht und macht dabei deutlich, warum bestimmte normative Orientierungen der Aufklärungstradition heute nur schwer zu realisieren sind. Dazu gehören vor allem die Schaffung von sozialen Identitäten als Bindungen zwischen Menschen, die auch eine sinnhafte Verwirklichung individueller Autonomie erlauben, sowie die Möglichkeit von Politik im Sinne kommunikativer und kooperativer Regelung der Angelegenheiten, die Menschen teilen und gemeinsam haben.Wagners historische Soziologie der Moderne bietet eine fazinierende und erhellend Lektüre. Sie kann gesehen werden als Prolegomena zu jeglichem künftigen Diskurs über Moderne und Postmoderne. Nach der Lektüre ist der Leser weiser als vorher, und zwar durch eine Fülle von Einsichten, wie sie nur ein verantwortlicher Denker vermitteln kann.Zygmunt Baumann in Times Literatury supplement
Autorenporträt
Peter Wagner ist Professor für Soziologie an der Universität Trient. Er war zuvor Professor für Politik- und Gesellschaftstheorie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Professor für Soziologie an der Universität Warwick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie Gastwissenschaftler u.a. an der Ecole des hautes études en sciences sociales in Paris, dem Swedish Collegium for Advanced Study in Uppsala, dem Institute for Advanced Study in Princeton und der University of California in Berkeley.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.1996

In Flitter und in Lumpen
Und durchschaut nur vom Auge der Theorie: Peter Wagners Soziologie der Moderne

"Majestätisch und bieder, prunkvoll und nachlässig, in Flitter und in Lumpen, immer brutaler, rascher, lärmender schreitet die Moderne voran" - so poetisch beschrieb 1962 der französische Soziologe Henri Lefebvre in seiner "Einführung in die Modernität" die Doppelgesichtigkeit unserer Zeit. Tradition und Moderne, Chancen und Krisen, Fortschritt und Gefahren - seit ihrem Bestehen bastelt die Soziologie aus diesen Begriffspaaren ihre Metaphorik. Die Janusköpfigkeit der von den Menschen selbstentfesselten Prozesse des Individualismus, Rationalismus und Universalismus der Moderne setzte begleitend ein munter tätiges Räderwerk soziologischer Versuche in Gang, solche Paradoxien analytisch, begrifflich, theoretisch und empirisch zu erfassen.

Peter Wagner versucht mit seinem hier zu besprechenden "Essay" eine Synthese, die über solche Antithesen hinausreicht. Er unternimmt es, "eine Darlegung in gesellschaftstheoretischen Begriffen mit einer historisch-soziologischen Beschreibung zu verknüpfen und beide mit den Problematiken einer normativen politischen Theorie zu verbinden".

Die waghalsige Übung vollzieht sich in fünf Teilen und elf Kapiteln: Nach den "Grundlagen der Moderne" (Teil I) wird deren "erste Krise" (Teil II) behandelt, die mit deren "Schließung" endete (Teil III); nach der Darstellung der "zweiten Krise der Moderne" (Teil IV) entwirft der Autor eine Skizze von Wegen zu einer "erweiterten liberalen Moderne" (Teil V). Mit knappen Strichen entwirft Wagner zu Anfang das Bild zweier intellektueller Diskurse über das "Projekt der Moderne", wie sie uns in den vergangenen zwei Jahrhunderten überliefert wurden und in denen es um das alte Thema der Freiheit und Autonomie des einzelnen Menschen in der Gesellschaft ging. Er unterscheidet zwei wirkungsmächtige "Porträts der Moderne" voneinander, die er "Diskurs der Befreiung" und "Diskurs der Disziplinierung" nennt.

Für gedankenlos hält Peter Wagner alle, die dem Begriff der Moderne den einer "Postmoderne" entgegenstellen wollen. In seinen Augen kann es allein darum gehen, ein angemesseneres Bild der Moderne dadurch zu entwerfen, daß die Mehrdeutigkeit der Moderne auch begrifflich erfaßt wird und daß durch den historischen Vergleich ganz unterschiedlicher Modernisierungen, dazu durch den räumlichen Vergleich der Varianten "real existierender Modernen" in den Vereinigten Staaten, Westeuropa und der (ehemaligen) Sowjetunion, zu einer Neubeschreibung gefunden wird.

Sein eigener theoretischer Bezugspunkt ist das Konzept des britischen Soziologen Anthony Giddens. Giddens geht von einer "Dualität von Struktur" aus, was heißen soll, daß gesellschaftliche Institutionen, die durch menschliches Handeln geschaffen und verändert werden, gleichermaßen ermöglichend und beschränkend, befreiend und disziplinierend auf individuelle Freiheit wirken. Auf dieser Basis entwickelt Wagner sein Begriffspaar "Freiheit" und "Disziplin", vor allem in der prozeßhaften Fassung von "Befreiung" und "Disziplinierung".

Halbierte Freiheit

Wagners historischer Ausgangspunkt ist eine ursprüngliche liberale Vision, die er utopisch nennt. Das Projekt einer "liberalen Gesellschaft", gegründet auf die Idee der menschlichen Autonomie, sei prinzipiell universell und grenzenlos gedacht gewesen. Als man freilich die gesellschaftliche Gefährlichkeit dieser so entworfenen Moderne erkannte, sei die Forderung nach ihrer "Eindämmung" laut geworden: bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sei so eine "restringiert liberale Gesellschaft" entstanden.

Spannend lesen sich bei Wagner die Passagen über die sukzessive Grenzziehung zu den "niederen", arbeitenden Klassen, zu den Frauen und den "Verrückten", die jeweils und zusammen als Bedrohungen der liberal-bürgerlichen sozialen Ordnung ausgegrenzt wurden. Diese "erste Krise der Moderne" mit solchen Prozessen der Unterdrückung führte nach Wagner zur Ausbildung einer "unvollständigen Moderne", was sich bei der (Nicht-)Lösung der "sozialen Frage" und der "nationalen Frage" bis hin zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs auswirkte.

Als man die Instabilitäten und Ungerechtigkeiten wahrgenommen hatte, suchte man das Heil in den Konstruktionen einer "organisierten Moderne", womit Wagner den sowjetischen Sozialismus, den Faschismus, den Nationalsozialismus und den New Deal auf einen Begriff zu bringen versucht. Ihr gemeinsamer Nenner war die Schaffung neuer Kohärenz von Praktiken und Orientierungen, die sich mit den Stichworten Nation, Klasse und Staat überschreiben lassen. In der ihm eigenen Zeitraffer-Methode skizziert Wagner, insbesondere mit Blick auf die fünfziger Jahre, die krisenhafte Entwicklung und den Niedergang dieser "organisierten Moderne", wobei das Jahr 1968 eine entscheidende Rolle spielt. Die organisierte Moderne "bricht auf", eine "erweiterte liberale Moderne" bricht sich Bahn.

In dieser erweiterten liberalen Moderne befinden wir uns gegenwärtig, wobei Wagner betont, daß wir nicht wissen, wo es mit ihr hinauswill. Mit den derzeit besonders marktgängigen Entwürfen des "Postmodernismus" und des "Kommunitarismus" setzt er sich sehr kritisch auseinander, sein eigenes Ideal einer "liberalen Moderne" liest sich dagegen wie ein (liebenswertes) Märchen. Sie könnte nämlich eine sein, "in der es möglich ist, allen Praktiken nachzugehen, jegliche Art der Institution gemeinsam mit denen zu begründen, mit denen man substantielle Verständnisse vom guten Leben teilt".

Das dicht geschriebene und stringent argumentierende Buch ist keine einfache Lektüre. In nüchterner und zugleich engagierter Sprache zeigt es, daß die wissenschaftliche Soziologie nicht immer wieder aufs neue das Rad erfinden muß. Zumindest dann nicht, wenn sie sich ihrer Geschichte systematisch erinnert und über den Tellerrand der rein nationalen Diskussionen hinaussieht. Manchmal stehen allerdings auf wenigen Zeilen recht viele Namen; und es kann einem schon etwas schwindlig werden, wenn nicht nur Karl Marx, Max Weber und Emile Durkheim rauf und runter dekliniert und die Großentwürfe von Norbert Elias, Michael Foucault und Anthony Giddens selbstverständlich als bekannt vorausgesetzt werden, sondern auch der Baron Haussmann und Robert Moses, Charles Baudelaire und Jean Baudrillard, Walter Benjamin und sogar die Helden von "Miami Vice" kommen und gehen.

Insgesamt aber ist das kompakte Buch gutes und hartes Schwarzbrot, gebacken aus zwei Jahrhunderten sozialwissenschaftlicher Reflexion. Wer sich die Arbeit des Lesens und Mitdenkens macht, wird viel über die Gesellschaften, in denen wir heute leben, lernen können. Und seine Arbeit verlockt dazu, sich mit dem Autor über die Möglichkeiten eines "guten Lebens" zu streiten. Was kann man Besseres über ein soziologisches Buch sagen? DIRK KÄSLER

Peter Wagner: "Soziologie der Moderne". Freiheit und Disziplin. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 1995. 309 S., br., 49,80 DM.

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