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Nach mehrjähriger Tätigkeit in der niedersächsischen Ministerialverwaltung und einem Aufenthalt bei Talcott Parsons in Harvard wechselte der studierte Jurist Niklas Luhmann Anfang der 1960er Jahre an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Dort entstand der Entwurf einer allgemeinen Theorie der Verwaltung, welche die Verwaltungswissenschaft auf ein neues Fundament stellen sollte. Er wird nun unter dem Titel Die Grenzen der Verwaltung erstmals publiziert.
In souveräner Argumentation bestimmt Luhmann darin zunächst, was er als die Aufgabe einer Verwaltungsorganisation sieht:
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Produktbeschreibung
Nach mehrjähriger Tätigkeit in der niedersächsischen Ministerialverwaltung und einem Aufenthalt bei Talcott Parsons in Harvard wechselte der studierte Jurist Niklas Luhmann Anfang der 1960er Jahre an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Dort entstand der Entwurf einer allgemeinen Theorie der Verwaltung, welche die Verwaltungswissenschaft auf ein neues Fundament stellen sollte. Er wird nun unter dem Titel Die Grenzen der Verwaltung erstmals publiziert.

In souveräner Argumentation bestimmt Luhmann darin zunächst, was er als die Aufgabe einer Verwaltungsorganisation sieht: das Erzeugen verbindlicher Entscheidungen, um sich dann der wesentlichen Herausforderung zuzuwenden, der sich ein solches soziales System gegenübersieht: dem Management seiner eigenen Grenzen. Mit wenigen systemtheoretischen Begriffen und angereichert durch die eigene praktische Erfahrung, zeigt er, wie Verwaltungen die unterschiedlichen Erwartungen ihrer Umwelten so ausbalancieren, dass ihre Grenzen stabil und ihre Strukturen funktionsfähig bleiben. Auch knapp 60 Jahre nach der Niederschrift erweist sich dies als ein höchst origineller Zugriff auf die Verwaltung - das Rückgrat der modernen Gesellschaft.
Autorenporträt
Niklas Luhmann wurde am 8. Dezember 1927 als Sohn eines Brauereibesitzers in Lüneburg geboren und starb am 6. November 1998 in Oerlinghausen bei Bielefeld. Im Alter von 17 Jahren wurde er als Luftwaffenhelfer eingezogen und war 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Von 1946 bis 1949 studierte er Rechtswissenschaften in Freiburg und absolvierte seine Referendarausbildung. 1952 begann er mit dem Aufbau seiner berühmten Zettelkästen. Von 1954 bis1962 war er Verwaltungsbeamter in Lüneburg, zunächst am Oberverwaltungsgericht Lüneburg, danach als Landtagsreferent im niedersächsischen Kultusministerium. 1960 heiratete er Ursula von Walter. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Seine Ehefrau verstarb 1977. Luhmann erhielt 1960/1961 ein Fortbildungs-Stipendium für die Harvard-Universität. Dort kam er in Kontakt mit Talcott Parsons und dessen strukturfunktionaler Systemtheorie. 1964 veröffentlichte er sein erstes Buch Funktionen und Folgen formaler Organisation. 1965 wird Luhmann von Helmut Schelsky als Abteilungsleiter an die Sozialforschungsstelle Dortmund geholt. 1966 wurden Funktionen und Folgen formaler Organisation sowie Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung als Dissertation und Habilitation an der Universität Münster angenommen. Von 1968 bis 1993 lehrte er als Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. 1997 erschien sein Hauptwerk, das Resultat dreißigjähriger Forschung: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Johannes Schmidt ist wissenschaftlicher Koordinator des Akademieprojekts »Niklas Luhmann – Theorie als Passion. Wissenschaftliche Erschließung und Edition des Nachlasses« an der Universität Bielefeld. Christoph Gesigora ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Akademieprojekts »Niklas Luhmann – Theorie als Passion. Wissenschaftliche Erschließung und Edition des Nachlasses« an der Universität Bielefeld.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2021

Geschencke für den Kopf (Fortsetzung von Seite 20)
Andrian Kreye
EINE HILFE
Bruno Mars und Anderson .Paak lieben die Grooves der Siebziger und haben deswegen zusammen ein Album eingespielt, das wie ein Defibrillator für die Seele wirkt. Hemmungslos nostalgisch und zutiefst ironisch blasen sie jede Form von Wintertrübsal und Pandemie-Elend in eine Supernova aus Funk-Brettern und Erotiksoul.
Bruno Mars and Anderson .Paak: An Evening with Silk Sonic. Atlantic.
EIN GROSSER SPASS
Colson Whitehead spielt mit dem Krimi-Genre so lässig wie ein Jazzvirtuose mit einem Broadway-Schlager. Doch hinter der Schurkengeschichte aus dem Harlem der Sechzigerjahre steckt ein zeitloses Sittengemälde Amerikas.
Colson Whitehead: Harlem Shuffle. Hanser Verlag. 384 Seiten, 25 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Bert Stern war Modefotograf. Sein Film über das Newport Jazz Festival von 1958 war deswegen eher Zeitgeiststudie als Musikdoku. Weil er sich auf Bilder und Stimmung konzentrierte und nicht nur auf die Musik in jenem Moment, als der Jazz auf der Wiese des Tennisklubs am Meer zum Kanon wurde. In den letzten Jahren war der Film selten zu sehen. Jetzt wurde er restauriert und erscheint bei den Diamantschürfern der Filmgeschichte, Rapid Eye Movies.
Jazz an einem Sommerabend. Regie: Bert Stern. Mit Louis Armstrong, Thelonious Monk, Anita O’Day u. a. Blue Ray. Rapid Eye Movies.
Sonja Zekri
EIN LIEBESBEWEIS
Kohl gilt als unansehnlich, schwer verdaulich und oh so yesterday. Zu Unrecht! Angelika Overaths „Krautwelten“ eröffnen ein Reich der Sinne mit kosmopolitischem Wirsing und freundlichem Brokkoli, antiken Krautfreunden (Cato) und vergessenen Berufen (Kohlschneider). Overath legt sogar das feministische Potenzial von Kohl offen. Aktueller, politischer war selten ein Gemüse. Angelika Overath: Krautwelten, Insel Verlag. 117 Seiten, 15 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Die letzten Kriegstage bei Leipzig. Ein Mann, der Erzähler, hat sich auf eine Insel gerettet. Bitter schaut er auf sein leeres Haus am anderen Ufer. Dort lebte er mit seiner Familie. Wurde sie entführt? War es die Rache des hinkenden Dorflehrers? Viel hat der Mann nicht mitgenommen, ein paar Konserven, Akten und das Medikament Luminal, von dem er sich bald ausschließlich ernährt. Warum klagt er, dass der Krieg „widernatürlich selektiert“? Und welche Beziehung hatte er zu einem kleinen Mädchen namens Luise? Seite um Seite versinkt der Erzähler tiefer im Schlamm, Seite um Seite führt tiefer in den Abgrund deutscher Geschichte. Francis Nenik, der diesen Namen als Pseudonym benutzt, hat ein Buch geschrieben, das man nicht mehr loswird. Meisterhaft, verstörend.
Francis Nenik: E. oder die Insel. Verlag Voland & Quist. 290 Seiten, 24 Euro.
Miryam Schellbach
EINE HERAUSFORDERUNG
Gedichtanfänge wie diese müssen mindestens 20 Mal gelesen werden, bevor es klickt: „Auf den erfragten Fersen / im düsteren Seitengraben / den Mund überantworten“. Dass „Ferse“ und „Verse“ Homophone, aber keine semantischen Verwandten sind, ist ein linguistischer Fakt. Was es aber bedeuten kann, sich so tief in den Bergbau der Semantik zu graben, dass aus dem homophonen Ersetzungsspiel ein Sinn entsteht, den nur die lyrische Feinschliff-Sprache bergen kann, das bezeugt Leo Pinke mit seinem starken dichterischen Debüt „Schräg am Federbug“. Die Referenzen werden gleich mitgeliefert, denn Pinke stellt, unüblich für die Lyrik, vielen seiner Gedichte Prosaminiaturen, etwa von Walter Benjamin, oder Briefe, zum Beispiel von Kafka, voran.
Leo Pinke: Schräg am Federbug. Matthes & Seitz. 140 Seiten, 18 Euro.
EINE HILFE
Es ist ein alter Hut, dass technischer Fortschritt auch an der Kunst nicht spurlos vorüberzieht. Kolja Reichert, Kurator an der Kunsthalle Bonn, beschreibt und entschlüsselt das vielleicht größte Mysterium der Gegenwart, die Krypto-Kunst. Weil dieses Mysterium, das sich sehr kurz damit zusammenfassen lässt, dass sehr viele Leute online für sehr viel Geld Kunstwerke kaufen, die ihnen dann nicht materiell, sondern nur qua zertifiziertem Beschluss gehören, noch sehr jung ist, sieht er in seinem Buch einem neuen Hype beim Entstehen zu. Kolja Reichert: Krypto-Kunst. Wagenbach. 80 Seiten, 10 Euro.
Jens-Christian Rabe
EINE HILFE
Warmer Siebziger-Softrock irgendwo zwischen Lou Reed, Steely Dan, Stevie Wonder. Funky zurückgelehnt. Und dann auch noch solche Zeilen: „It’s just the melting of the sun / I wanna watch you watch it burn.“ Wiegenlieder für den Weltuntergang. Schlauer, genauer und lässiger als Annie Clark alias St. Vincent kann man die Tragik unserer taumelnden Popmoderne nicht in Musik gießen. St. Vincent: Daddy’s Home. Caroline (Universal).
EIN GROSSER SPASS
Die Essays des Jahres darüber, was die irre Inszenierung, die wir Gegenwart nennen, mit uns selbst zu tun hat.
Jia Tolentino: Trick Mirror. Über das inszenierte Ich. Fischer. 368 S., 22 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Aufgewühlte Zeiten brauchen nicht nur eine bessere Bürokratie und Verwaltung, sie brauchen auch eine bessere, also vor allem weniger triviale Kritik an Bürokratie und Verwaltung. Noch immer lässt sich dafür von niemandem so viel lernen wie von Niklas Luhmann.
Niklas Luhmann: Die Grenzen der Verwaltung. Suhrkamp. 254 S., 28 Euro.
EIN AUFREGER
Schwungvoll, aber immer nachdenklich und selbstkritisch versucht sich der linke griechische Ökonom Giorgos Kallis an einer Antwort auf die Frage unserer Zeit: „Wie kann sich eine Gesellschaft im Namen des guten Lebens einschränken?“ Giorgos Kallis: Grenzen. Matthes & Seitz, 171 S., 20 Euro.
Gustav Seibt
EIN GROSSER SPASS
Gabriel Yoran, lustiger Zeitgenosse auf Twitter, erfreut seine Follower regelmäßig mit erfundenen Synonymen: „Warum heißt es Hantel und nicht Pumpernickel?“ „Warum heißt es Erkenntnisproblem und nicht Feststellbremse?“ Ein Spiel mit der Willkür sprachlicher Zeichen, mit ihrer Offenheit, das jeder fortsetzen kann. Nun auch als Buch mit Bildern. Gabriel Yoran, Christoph Rauscher: Warum heißt es Traum und nicht Memoryschaum. Frohmann Kleine Formen. 130 Seiten, 20 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
„So war’s eben“ lautet der Titel eines bislang ungedruckten, 600 Seiten dicken Romans von Gabriele Tergit, der großen Erzählerin von Berlin im 20. Jahrhundert. Der Titel setzt den Ton: deutsch-jüdische Familiengeschichten über drei Generationen seit 1890, mit kalter Präzision, unerbittlicher Feststellungskraft, ein eiliger Film. Man kann nicht aufhören zu lesen.
Gabriele Tergit: So war’s eben. Schöffling Verlag. 618 Seiten, 28 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Die langen Winterabende gibt es ja eigentlich nicht mehr. Man muss sie sich nehmen. Man sollte es tun für die mehr als 200 deutschen Jahrhundertstimmen, die der Historiker Ulrich Herbert (und andere) gesammelt und erläutert hat. Politiker, Philosophen, Künstler – alle überwältigen uns mit Präsenz. Ulrich Herbert, Michael Krüger u. a.: Jahrhundertstimmen 1900–1945. Hörverlag.
Peter Richter
EINE HERAUSFORDERUNG
„More Than I Can Chew“ heißt eines der Stücke. Das beschreibt auch das Doppelalbum: Mastodon geben mit „Hushed And Grim“ wirklich etwas zu Kauen, und das ist so reich, das reicht so weit, von Protometal bis Progressive Rock, von Blues bis zur Ballade, von Grübelhöllen bis in die heiligen Himmel der Sinnsucher, dass man noch lange damit zu tun haben wird. Die Zwanzigerjahre wären gerettet. Mastodon: Hushed And Grim. Reprise Records.
EIN LIEBESBEWEIS
Der Urgroßvater hatte, wo eben noch Feld war, ein kleines Stadtviertel aus dem Boden gestampft, mit Postamt und Kirche. Fabriken wuchsen, Kaiserreich, Weimar, Nazis und DDR gingen darüber, dann wurde die Familie vertrieben, der Enkel kam wieder – und hat jetzt ein erstaunliches Buch darüber geschrieben: Martin Wiebels „Berlin Upper East Side – eine Friedrichshain-Biografie“ erzählt Stadt- als Familiengeschichte und umgekehrt. Sutton Verlag. 344 Seiten, 19,99 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Diese Sammlung von Erzählungen des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase erschien wohl zuerst in der DDR, war aber schnell vergriffen. Wer ihnen daher zuerst in dieser Neuauflage begegnet, wird a) sein Glück kaum fassen können, und b) nicht mehr für möglich halten, ohne dieses Buch ausgekommen zu sein. Wolfgang Kohlhaase: Erfindung einer Sprache und andere Erzählungen. Wagenbach. 192 Seiten, 18 Euro.
Alexander Gorkow
EINE LIEBESERKLÄRUNG
Nicht nur der Romantiker, vor allem der Modernist Frédéric Chopin erstrahlt in dieser grandiosen Vinyl-Kompilation von Martha Argerich. Ihren 80. Geburtstag feiert die Deutsche Grammophon mit einer Auswahl ihrer Solo- und Konzertaufnahmen Chopins aus 40 Jahren. Allein die beiden Klavierkonzerte hört man sonst nur von Arthur Rubinstein und Daniil Trifonov in solcher Klarheit, aber mit diesem Temperament, dieser Wucht?
Frédéric Chopin, Martha Argerich, Solo & Concerto Recordings. 5 LPs. Deutsche Grammophon.
EINE HERAUSFORDERUNG
Der Historiker Malinowski ist detailversessen – und ein brillanter Erzähler. Seine Geschichte der HohenzollernKollaboration mit den Nazis ist das Sachbuch des Jahres, es erhellt die Parteinahme des Kronprinzen und die Preußen-Premium-Mischung aus Größenwahn, Faschismusbegeisterung und Selbstmitleid. Enthält Grauen wie Hochkomik. Nimmt zum zweiten Mal richtig Fahrt auf ab 1945 und ist topaktuell. Binge-Reading-Alarm! Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Propyläen. 752 Seiten, 35 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Kafka war auch beim Zeichnen unbestechlich. Seine Aquarelle und Skizzen sind wie seine Texte: klarsichtig, verbogen, bitterschön und oft sehr komisch. Ein Schatz. Andreas Kilcher (Hrsg.): Franz Kafka. Die Zeichnungen. C. H. Beck. 366 Seiten, 45 Euro.
Tobias Kniebe
EINE HERAUSFORDERUNG
Die französische Regisseurin Julia Ducournau hat dieses Jahr beim Cannes-Festival gewonnen, mit ihrem posthumanen Verwandlungsspektakel „Titane“. Fast noch packender ist aber ihr wenig bekannter erster Spielfilm „Raw/Grave“. Er folgt der scheuen Studentin Justine zum Studium der Tiermedizin, wo sie mit ihrer rabiaten Schwester, rauen Wohnheim-Ritualen, Hunde-
Autopsien und wild aufkeimenden
Gelüsten klarkommen muss. Als sich diese auf rohes Fleisch ausweiten, in toter und sogar lebendiger Form, ist niemand mehr geschockt als die überzeugte Vegetarierin … Steht quer zu allen aktuellen Befindlichkeiten und beweist dennoch eindrucksvoll, dass die Zukunft weiblich ist.
Julia Ducournau: Raw/Grave. Auf Import-Bluray und VoD.
EIN GROSSER SPASS
Wann immer die Stimme von Isabelle Geffroy alias Zaz erklingt, beginnt die Seele zu schwingen, das ist bei ihrem neuen Album „Isa“ nicht anders. Wenn dann aber bei einem Song überraschend eine dunkle Männerstimme mitsingt und die sich als Till Lindemann entpuppt, ist der Effekt wirklich erstaunlich. Und schon kann man herrlich rätseln, wie es wohl zu dieser deutsch-französischen Mésalliance kam, die im „jardin des larmes“, dem kleinen Reich der Tränen, spielt.
Zaz: Isa. Warner Music International.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wolfgang Seibel erfährt Wissenswertes über den Konnex von Systemstabilität und "multirationalen" Kompromissen in der Verwaltung in diesem aus dem Nachlass publizierten Fragment von Niklas Luhmann. Luhmanns Abstraktionen lassen für Seibel die (deutsche) Verwaltungsrealität durchaus scharf durchscheinen. Dem Leser legt Seibel ans Herz, zuerst das Nachwort der Herausgeber zu lesen, um etwa die Überschneidungen des Textes mit Luhmanns "Funktionen und Folgen formaler Organisation" von 1964 oder auch seine Bezüge zu biologischen Systemen oder der Theorie sozialer Organisation bei Talcott Parson besser zu erkennen. Über die Natur "semipermeabler Grenzen zwischen Innen und Außen" in der öffentlichen Verwaltung lässt sich in dieser systemtheoretischen Behandlung des Themas einiges lernen, meint Seibel, auch wenn Luhmanns Zugriff eher konventionell ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2022

Elastische Gleichgewichte
Eine Nachlass-Edition präsentiert Niklas Luhmanns frühen Anlauf zu einer Theorie der Verwaltung

Manche Bücher sagen mehr aus über ihren Autor als über ihren eigentlichen Gegenstand. Der nun aus dem Nachlass veröffentlichte Band von Niklas Luhmann ist so ein Fall. Grundlage ist ein 1963/1964 entstandenes Typoskript des 1998 verstorbenen Bielefelder Soziologen. Zur Nachbearbeitung der Herausgeber gehört die Rekonstruktion eines - allerdings nur online zugänglichen - Literaturverzeichnisses und des umfangreichen Anmerkungsapparats. Nahezu dreißig Seiten umfasst das gedankenreiche Nachwort, dessen Vorablektüre zu empfehlen ist.

Beim vorliegenden Text handelt es sich um ein Fragment, das lediglich zwei von ursprünglich geplanten acht Teilen umfasst. Das dürfte den Verzicht auf eine Veröffentlichung erklären, zumal Luhmann zur selben Zeit das erste seiner frühen Hauptwerke vorlegte, "Funktionen und Folgen formaler Organisation" (1964), das deutliche Überlappungen mit dem fragmentarischen Manuskript zu den "Grenzen der Verwaltung" aufweist. Die Titelwahl selbst geht allerdings auf die Herausgeber zurück, im Original des Manuskripts, dessen vollständiges Inhaltsverzeichnis erhalten ist, lautete er unbescheiden "Allgemeine Theorie der Verwaltung". Es blieb beim Plan zu diesem Buch, Luhmanns zwei Jahre später erschienene schmale Schrift "Theorie der Verwaltungswissenschaft - Bestandsaufnahme und Entwurf" war nur noch ein schwacher Reflex des Projekts einer "Allgemeinen Theorie". Hauptgrund war, dass der Verwaltungsjurist Niklas Luhmann inzwischen noch viel anspruchsvollere Pläne hatte. Bei der "Allgemeinen Theorie" sollte es nun nicht mehr bloß um Verwaltung gehen, sondern gleich um die Gesellschaft als Ganzes.

Diese Entwicklung hatte biographische und zeitgebundene fachliche Wurzeln. Luhmann war als Oberregierungsrat im niedersächsischen Kultusministerium 1960 für ein Fulbright-Stipendium an der Harvard University beurlaubt und 1962 als Referent an das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung an der Hochschule Speyer abgeordnet worden. Was denn nun eigentlich die theoretische und methodische Basis einer fächerübergreifenden Verwaltungswissenschaft sein solle, war und blieb eine Standardfrage unter den Experten, und Luhmann brachte aus Harvard und von dem dort tonangebenden Soziologen Talcott Parsons die Antwort mit: Systemtheorie. Genau dies bildet den Duktus des nun veröffentlichten Textfragments von knapp zweihundert Seiten, ergänzt durch die Verarbeitung der damals jungen und innovativen Beiträge zur Organisationstheorie als Entscheidungstheorie durch den späteren Nobelpreisträger Herbert A. Simon und seine Partner Richard M. Cyert und James G. March.

Aus diesem übersichtlichen theoretischen Besteckkasten bediente sich Luhmann zum eigenen Vorteil und dem der nichtjuristischen Verwaltungswissenschaft. Der Titel "Die Grenzen der Verwaltung" ist gut gewählt. In den zwei fertiggestellten Teilen seines Textes charakterisierte Luhmann die Systemeigenschaft der öffentlichen Verwaltung durch deren Fähigkeit zur Bildung semipermeabler Grenzen zwischen Innen und Außen. Das waren Anleihen bei der "General Systems Theory" des Biologen Ludwig von Bertalanffy und dem mehrdimensionalen Schema von Strukturierungs- und Anpassungsleistungen sozialer Systeme, das Talcott Parsons seit den späten Dreißigerjahren entwickelt hatte.

Der später bei Luhmann - erstmals und noch indirekt in "Zweckbegriff und Systemrationalität" (1968) - prominente Begriff der Selbstreferenz (Autopoiesis) klingt hier an: Die Eigenstabilität sozialer Systeme ist nicht trivial, sondern zum einen Ergebnis des zweckfreien Mit-sich-selbst-Beschäftigens und zum anderen notwendige und oftmals prekäre Bedingung weiterer Systemleistungen und damit auch jeder zweckrationalen Effektivität. Diese Stabilität beruhe, so Luhmann, im Binnenverhältnis auf der kommunikativen Generalisierung von Erwartungshaltungen - ein Konsens darüber, was machbar, üblich, legitim ist - und auf flexiblen Antworten auf unterschiedliche und nicht selten miteinander konkurrierende Leistungsanforderungen der "Umwelt". Zu dieser zählt Luhmann das Publikum der Verwaltung - also Bürgerinnen und Bürger und insbesondere auch die öffentliche Meinung -, politische Entscheidungsträger und, erstaunlicherweise, das verwaltungseigene Personal. Aber der Aufbau eines guten Betriebsklimas gehört eben genauso zu den Voraussetzungen effektiven Verwaltens wie das Vertrauen des Publikums in ordnungsgemäße Abläufe und die Stützung durch das politische Umfeld. Hier elastische Gleichgewichte herzustellen und gegebenenfalls nur bedingt legitime Kompromisse hinzunehmen sei "der eigentliche Kern des Organisationserfolgs".

Anders als die von ihm so umfangreich aufgearbeitete amerikanische Verwaltungswissenschaft spricht Luhmann allerdings nicht die Frage an, welche personellen Träger diesen Erfolg zustande bringen sollten. Der von ihm mehrfach zitierte Philip Selznick hatte immerhin schon 1957 den einschlägigen Klassiker "Leadership in Administration" vorgelegt. Doch beim Thema Leadership hätte der ambitionierte Nachwuchswissenschaftler vermintes Gelände betreten müssen. Zu Luhmanns Speyerer Mentoren zählten neben dem aus der Emigration zurückgekehrten Fritz Morstein-Marx, der das Vorwort zu "Funktionen und Folgen formaler Organisation" beisteuerte, auch vormals NS-affine Professoren - außer Arnold Gehlen namentlich sein Betreuer am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, der Koellreutter-Schüler Carl Hermann Ule, der sich 1940 mit einer Arbeit über "Herrschaft und Führung im nationalsozialistischen Reich" habilitiert hatte.

Luhmanns systemtheoretischer Zugriff auf die "Grenzen der Verwaltung" blieb insofern konventionell. Handelnde Individuen reduzierte er im Sinne des klassischen Strukturfunktionalismus zu Rollenträgern. Die von Morstein-Marx aus naheliegenden Gründen betonten Anforderungen an die Ethik und das Verantwortungsbewusstsein der Entscheidungsträger in der Verwaltung haben ihn, der im Hannoveraner Kultusministerium Wiedergutmachungsanträge von unter der NS-Diktatur entlassenen Lehrern zu bearbeiten hatte, in theoretischer Hinsicht nicht interessiert.

Es bleibt das theoriegeschichtliche Kuriosum, dass ein seinerzeit innovativer Beitrag zur Theorie der Verwaltung von einem Autor geleistet wurde, dem der Gegenstand selbst nur als Vehikel zur Weiterentwicklung einer soziologischen Generaltheorie diente, die ohne diesen Ehrgeiz ihre Blütezeit bereits Mitte der Sechzigerjahre hinter sich gehabt hätte. Von den Ambitionen einer "General Systems Theory" blieb nichts übrig, die Systemtheorie Luhmann'scher Prägung blieb eine deutsche Angelegenheit von begrenzter internationaler Ausstrahlung. Über den Zusammenhang von Systemstabilität und multirationalen Kompromissbildungen im Staatsapparat erfährt man in "Die Grenzen der Verwaltung" gleichwohl viel Hilfreiches, weil das Werk den Blick auf die konkrete Wirklichkeit der Verwaltung gerade durch konsequente Abstraktion schärft. WOLFGANG SEIBEL

Niklas Luhmann: "Die Grenzen der Verwaltung".

Hrsg. von J. Schmidt und Ch. Gesigora, Nachwort v. A. Kieserling und J. Schmidt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 254 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Aus der Beschäftigung mit der Verwaltung ging nicht nur seine fabelhafte Organisationssoziologie ... hervor, sondern überhaupt die Entwicklung von Zentralbegriffen seiner Gesellschaftstheorie: System, Erwartungen, Struktur.« Jürgen Kaube Frankfurter Allgemeine Zeitung 20211107