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Im Mittelpunkt des vierten und letzten Bandes des Briefwechsels zwischen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno steht die gemeinsame Verantwortung für die Forschung und Lehre an der Frankfurter Universität und am Institut für Sozialforschung in den Jahren des Wiederaufbaus, die von dem schwierigen Versuch geprägt sind, die Kritische Theorie mit der empirischen Sozialforschung zu verbinden. Sorge, ja geradezu »Angst«, wie Adorno schreibt, bereitet den beiden auch die Frage nach der Wiederveröffentlichung der Schriften aus der Emigrationszeit, insbesondere der Dialektik der Aufklärung »wegen…mehr

Produktbeschreibung
Im Mittelpunkt des vierten und letzten Bandes des Briefwechsels zwischen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno steht die gemeinsame Verantwortung für die Forschung und Lehre an der Frankfurter Universität und am Institut für Sozialforschung in den Jahren des Wiederaufbaus, die von dem schwierigen Versuch geprägt sind, die Kritische Theorie mit der empirischen Sozialforschung zu verbinden. Sorge, ja geradezu »Angst«, wie Adorno schreibt, bereitet den beiden auch die Frage nach der Wiederveröffentlichung der Schriften aus der Emigrationszeit, insbesondere der Dialektik der Aufklärung »wegen gewisser exponierter Formulierungen, besonders solcher, welche die institutionelle Religion betreffen «. Die letzten Briefe Adornos vor seinem Tod handeln von der Spannung zwischen Horkheimer und Adorno auf der einen und Herbert Marcuse auf der anderen Seite, und zwischen den Zeilen wird bereits die Zeitenwende erkennbar, die mit der Studentenbewegung einsetzt. Mit diesem Band kommt einer der großen intellektuellen Briefwechsel des vergangenen Jahrhunderts zum Abschluß. Vom geradezu euphorischen Beginn der gemeinsamen Arbeit in den zwanziger Jahren über die dunkle, schwierige Zeit der Emigration und des Exils bis hin zu den Jahren des Neubeginns nach 1950 begleiten die Briefe den wechselvollen Lebensweg der beiden Gründerväter der Kritischen Theorie. Sie sind das Dokument einer rückhalt-, aber nie kritiklosen Identifikation mit der gemeinsamen Theorie und einer fast fünfzig Jahre währenden philosophischen und menschlichen Freundschaft.
Autorenporträt
Adorno, Theodor W.Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.

Gödde, ChristophChristoph Gödde ist Mitarbeiter am Theodor W. Adorno Archiv in Frankfurt am Main und gibt im Suhrkamp Verlag die Nachgelassenen Schriften sowie den Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer heraus (zusammen mit Henri Lonitz). Im August erscheinen im Suhrkamp Verlag: Theodor W. Adorno, Briefe an die Eltern 1939-1951, herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz, sowie Adorno. Eine Bildmonographie, herausgegeben vom Theodor W. Adorno Archiv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2007

Nilpferd glänzt vor Mammut
Vollständig ediert: Der Briefwechsel von Adorno und Horkheimer

Mit dem nun vorliegenden vierten Band der Korrespondenz zwischen Adorno und Horkheimer ist die Ausgabe abgeschlossen. Sie umfasst mehr als vierzig Jahre Zeitgeschichte und bietet etliche Überraschungen.

Die Korrespondenz zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer umfasst mehr als vierzig Jahre Zeitgeschichte und ist allein schon deshalb höchst aufschlussreich und immer wieder für Überraschungen gut. Den ersten Brief der nun in vier Bänden vorliegenden Sammlung, die in bewährter Weise Christoph Gödde und Henri Lonitz vom Adorno-Archiv herausgegeben und annotiert haben, schreibt Horkheimer im Herbst 1927 an den "lieben Herrn Wiesengrund"; der letzte, den Adorno wenige Tage vor seinem überraschend frühen Tode an Horkheimer schickt, datiert vom 31. Juli 1969. Insgesamt hat die Korrespondenz dieser beiden Hauptrepräsentanten jener Sozialtheorie, die als Frankfurter Schule um die Welt ging, den gewaltigen Umfang von 1060 Briefen.

Neben ihrem biographischen Wert spiegeln diese Briefe Entwicklungen, Wandlungen und Wirkungen des philosophischen und politischen Denkens dieser älteren Generation kritischer Theorie. Adorno, dem man fälschlich politische Blindheit nachgesagt hat, sagt schon zu Beginn des Jahres 1938 in einem Brief voraus, dass es zum Krieg kommen wird und "in Deutschland die noch vorhandenen Juden ausgerottet werden: denn als Enteignete wird kein Land der Welt sie aufnehmen". Horkheimer zögert nicht, zu schreiben, dass der Antisemitismus "die Frage der gegenwärtigen Gesellschaft" sei. Beide bekunden in ihren Briefen Einigkeit darüber, dass für die Klärung dieser Frage, also für die Analyse des Zusammenhangs von Totalitarismus und Antisemitismus, die Weiterentwicklung der eigenen Gesellschaftstheorie unbedingte Voraussetzung sei. Als Kritik der instrumentellen Vernunft verdankt sich dieses neue Theoriekonzept nicht zuletzt den Dialogen der Briefpartner seit den vierziger Jahren.

In der Korrespondenz zeigt sich nicht nur, wie eng das Netzwerk persönlicher Beziehungen war. Vielmehr wird auch sichtbar, welche tiefsitzenden Animositäten es zwischen jenen Personen gegeben hat, die in einer Beziehung zum Institut für Sozialforschung beziehungsweise zu seinem Direktor Horkheimer standen. Kein Zweifel, er hatte großes Geschick darin, sich die Eifersüchteleien zunutze zu machen. Auch wenn Adorno eine gewisse, vielleicht gespielte Naivität im Hinblick auf die horkheimerschen Strategien, seiner Sympathie- und Antipathiebekundungen an den Tag gelegt hat. Er scheute keineswegs davor zurück, andere dann zu diffamieren, wenn er ihre theoretische Position glaubte ablehnen zu müssen, mit der Qualität der literarischen Produkte nicht einverstanden war oder die Befürchtung hegte, den Kürzeren bei Horkheimer zu ziehen.

Während er Walter Benjamin und auch Alfred Sohn-Rethel dem skeptisch gesinnten Horkheimer gegenüber verteidigt, nimmt er im Fall der anderen Mitstreiter kein Blatt vor den, sei es ironischen, sei es sarkastischen Mund. So erklärt er, Siegfried Kracauer sei ein "schwieriger Fall", ja sogar "verrückt"; dessen Buch über den Komponisten Jacques Offenbach halte er für "ein starkes Stück Konformismus und Rückständigkeit". Leo Löwenthal handhabe die "Kategorie des dialektischen Materialismus in einer Weise, die der roten Tinte des Lehrers nicht ganz unähnlich sieht". Und Herbert Marcuse sei schlicht ein durch Judentum verhinderter Faschist.

Solche offen bekundeten Invektiven stehen im krassen Widerspruch zu der Überzeugung Adornos, die er Horkheimer in einem Brief vom September 1941 zum Ausdruck bringt, er könne nicht verstehen, "dass ein Mensch, der spricht, ein Schurke sein oder lügen soll". Im Hintergrund dieser Bemerkung steht die Meinung: "Die Rede an einen richten heißt im Grunde, ihn als mögliches Mitglied des zukünftigen Vereins freier Menschen anzuerkennen."

Horkheimer ist derjenige, der in einer Vielzahl von Briefen Anweisungen gibt, Aufträge erteilt, Entscheidungen trifft. Adorno reagiert meist verständnisvoll, zuweilen geradezu beflissen zustimmend. Er ist in der Regel bereit, auszuführen, was erwartet wird. Er, Nilpferd, macht sich zum Medium von Mammut, wie sich beide in ihren Briefen titulieren, die erst im hohen Alter zum Du finden. Adorno, der seine "tiefste Einsamkeit" als Schriftsteller bekennt, "im Widerstand gegen den Markt einen seiner gründenden Impulse hat", betont stets aufs Neue, dass Horkheimer der einzige Mensch sei, mit dem er sich "in solcher Breite einig" wisse. Dabei ist Adornos Drang unverkennbar, sich ihm gegenüber, dem Übervater, ins rechte Licht zu rücken. Er brilliert in den Briefen mit Projektvorschlägen und Reflexionen, um seine Vorzugsstellung zu sichern. Dazu gehören auch die Versuche, durch Schlagfertigkeit oder durch Witz zu glänzen. So etwa in einem Brief, den er im August 1941 von New York an Horkheimers kalifornische Adresse schreibt: "Sodomie kommt meist aus Not, Sadismus macht die Backen rot."

Dennoch war Adorno zu keinem Zeitpunkt Horkheimers Adlatus. Im Gegenteil, Adorno hat keine Hemmungen, Horkheimers Formulierungen dann zu kritisieren, wenn er es für notwendig hält. Seit sie im kalifornischen Exil erstmals gemeinsam an der "Dialektik der Aufklärung" schreiben, ist der Jüngere derjenige, der den Älteren drängt, der stets neue Ideen entwickelt und Sorge trägt, dass das Manuskript zum Abschluss gebracht wird. Die Briefwechsel stellen unter Beweis: Im Hinblick auf das theoretische Programm ihres alsbald als gemeinsam deklarierten Denkens liefert Adorno die entscheidenden Impulse und Begründungen, während Horkheimer sich zunehmend darauf beschränkt, das Institut nach außen zu repräsentieren und politisch zu steuern.

Das gilt zumal für die Zeitphase, als Horkheimer sich in den fünfziger Jahren ganz darauf konzentriert, das nach dem Krieg neu errichtete Institut in der Bundesrepublik zu etablieren. Auch wenn er, wie Tagebuchaufzeichnungen belegen, keineswegs seine sozialkritische Überzeugung über Bord geworfen hat und die politische Entwicklung in Deutschland mehr als skeptisch betrachtet, so ist er auf eine geradezu groteske Weise bemüht, das Institut beziehungsweise deren Mitarbeiter aus tagespolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Zudem will er jeden Anschein vermeiden, als gäbe es eine Affinität zwischen der vom Institut vertretenen kritischen Theorie und dem Marxismus.

In diesen Zusammenhängen steht jener Brief, den Horkheimer an Adorno wegen des jungen Assistenten Jürgen Habermas schreibt. Als der Achtundzwanzigjährige sich im Mai 1958 durch eine Rede auf dem Frankfurter Römerberg an einer der Kampagnen gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr beteiligt, moniert Horkheimer brieflich die unbekümmerte Art des Assistenten als "Propagandisten, der Anti-Atom-Bewegung". Adorno hat sich hier nicht einschüchtern lassen. Schon gar nicht von der herben Kritik des inzwischen am Comer See weilenden Emeritus an einer Veröffentlichung von Habermas mit dem Titel "Zur philosophischen Diskussion um Marx und den Marxismus", die in der "Philosophischen Rundschau" erschienen war. Horkheimer schreibt empört: "Revolution bedeutet ihm eine Art affirmative Idee, ein vermeintliches Absolutum, einen Götzen, der Kritik und kritische Theorie, wie wir sie meinen, gründlich verfälscht." Und an zentraler Stelle schreibt Horkheimer dann einen Satz, der erklärt und vorwegnimmt, weshalb es 1968 zwischen der studentischen Oppositionsbewegung und den beiden antibürgerlichen Bürgern zu tiefgreifenden Konflikten kommen sollte: "Selbst in den Jahren, während der Nationalsozialismus heraufzog, wussten wir um die Vergeblichkeit des Gedankens an Rettung durch Revolution."

Später sollte Habermas genau diese revolutionskritische Position vertreten. Damals warnt Horkheimer: "Aber wir dürfen durch die wahrlich unbekümmerte Art dieses Assistenten das Institut nicht ruinieren lassen." An dieser Stelle des Briefes, der zahlreiche, hier festgehaltene Annotationen Adornos enthält, bemerkt er "nein - ungerecht!". Adorno kannte seinen Assistenten und dessen wahre Gesinnung besser als Horkheimer, der ihn bis dahin nie persönlich gesprochen hatte. Es gehört zur Ironie dieser Geschichte, dass sechs Jahre nach diesem Beschwerdebrief niemand anders als Jürgen Habermas den Lehrstuhl von Max Horkheimer übernimmt.

STEFAN MÜLLER-DOOHM

Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: "Briefwechsel". Band IV: 1950 bis 1969. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2006. 1078 S., geb., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2007

Etwas Aktionsähnliches
Die Wege trennen sich: Adorno und Horkheimer 1950 bis 1969
Lag hier das Kriegsbeil begraben? Die Polizei räumte Anfang 1969 das von Studenten besetzte Frankfurter Institut für Sozialforschung. Der alte Theoriekamerad Herbert Marcuse schlug sich da auf die Seite der Studenten, was den Institutsdirektor Theodor W. Adorno um so mehr schmerzte, als Marcuse seine alten Freunde nicht einmal nach ihrer Version der Geschichte gefragt hatte.
Es war in der Tat das Verhältnis von Theorie und Praxis, das den kalifornischen und den Frankfurter Flügel der Kritischen Theorie schließlich entzweite, nach Jahrzehnten fruchtbarer Zusammenarbeit. Das bezeugt auch der abschließende Band der Korrespondenz Adornos und Max Horkheimers in der Suhrkamp-Edition, der die Briefe von 1950 bis 1969 dokumentiert und dabei Marcuse an entscheidender Stelle als Dritten im Bunde berücksichtigt.
„Ich würde Dir auch konzedieren, dass es Momente gibt, in denen die Theorie von der Praxis weitergetrieben wird”, schrieb Adorno im Mai 1969 an Marcuse, „weder jedoch herrscht heute objektiv eine derartige Situation, noch hat der öde und brutale Praktizismus, dem jedenfalls wir hier konfrontiert sind, mit Theorie das mindeste zu schaffen. Das stärkste, was du anzuführen hast, ist, die Situation sei so grauenhaft, dass man versuchen müsse auszubrechen, auch wenn man die objektive Unmöglichkeit erkenne.” Dann bricht die Geschichte in den Text ein: „Wir, Du nicht anders als ich, haben seinerzeit eine noch viel schauerlichere Situation, die der Ermordung der Juden, aus der Entfernung ertragen, ohne dass wir zur Praxis übergegangen wären, einfach deshalb, weil sie versperrt war.”
Genau das traf allerdings nicht zu. Auch wenn es dem jugendbewegten siebzigjährigen Marcuse kaum bewusst war: Der Geist des Antifaschismus hatte emigrierte Linksintellektuelle in Scharen zu Engagement und Kriegseinsatz auf Seiten der USA getrieben. Ihre Praxis reichte von politischen Analysen bis zum Fallschirmabsprung hinter den deutschen Linien. Marcuse trat wie sein Freund und Mittheoretiker Franz Neumann in die Dienste des Office of Strategic Services, Neumann gar als Leiter des „War Crimes Unit”, das Beweismaterial für die Nürnberger Prozesse sicherstellte und auswertete. Adornos Gewissheit, die Praxis sei „versperrt” gewesen, widersprach Marcuses Erfahrung.
Dieser Briefband versteckt seine Schätze zwischen Hunderten Seiten von „Müll”, wie Adorno selbst die akademische Verwaltungsarbeit nannte. Die Selbstironie markierte einen wunden Punkt. Günther Anders hatte Adorno in einem amüsanten Brief 1963 Professorenhabitus und „betont bürgerliches Auftreten” vorgehalten, was sich kaum mit dem „Revolutionär” der Theorie vertrage. Seine politische Abstinenz räche sich, indem Adorno versuche, „mit sprachlichen Mitteln etwas Aktionsähnliches zu erzeugen, mindestens dem Leser etwas anzutun”.
Das sind Grundmuster der Adorno-Kritik bis heute. In den Briefen bestätigt sich, wie sehr Adorno akademische Besitzstandswahrung betrieb. Die völlige Identifikation mit dem Institutsbetrieb beschwor am Ende nicht nur den unvermeidlichen Konflikt mit den randalierenden Studenten, sondern auch den Bruch mit alten Mitstreitern wie Marcuse und Leo Löwenthal herauf. Viele geistreiche Bemerkungen in den Briefen entkräften jedoch den Spott über Adornos Sprache. Wie er, witzig, messerscharf und politisch klug, auf Edward Shils entgegnet, einen Impresario der liberalen Intellektuellen des Kalten Krieges, bis sich dessen schlampig durchdachte Kritik an der „Autoritären Persönlichkeit” in Luft auflöst – das ist Adorno als öffentlicher Intellektueller. Wenn er wollte, konnte er ein glänzender politischer Polemiker sein.
Das politische Denken des späten Horkheimer enthüllt der berüchtigte Brief an Adorno vom September 1958, in dem Horkheimer auf befremdliche Weise mit dem jungen Jürgen Habermas abrechnet. Dabei schwört Horkheimer der Revolution ab, diese bedeute „den Übergang zum Terror, welcher Schattierung auch immer”. Wie Adornos kritische Anmerkungen am Rand offenbaren, trennten sich damit die politischen Wege der Philosophenfreunde, auch wenn beide es bis zu ihrem Lebensende zu kaschieren suchten. Horkheimers Schluss ist konsequent: „Was es heute zu verteidigen gilt, scheint mir ganz und gar nicht die Aufhebung der Philosophie in Revolution, sondern der Rest bürgerlicher Civilisation zu sein.” Zum Schlüsselereignis seiner politischen Erinnerung stilisiert er „die scheußliche Ermordung der Zarenfamilie mit den Kindern, die der Auftakt zum endlosen Terror war”.
Das ist die Sprache eines politischen Renegaten. Sie findet ihre Entsprechung in Horkheimers außenpolitischer Haltung. Anschwellende Empörung über die „östlichen Henker” wird in der antitotalitären Logik seines Zeitalters begleitet von Unterstützung der US-Politik. Horkheimer war ein „Kalter Krieger”, der selbst dem Krieg in Vietnam mehr als nur Verständnis entgegenbrachte. Als ihn das zum Angriffsziel der Studenten macht, muss Adorno 1967 mit einem heute wieder vertrauten Argument sekundieren: „Was wird in Südvietnam geschehen, wenn die Amerikaner wirklich den Krieg aufgeben und sich zurückziehen? Wahrscheinlich doch ein Massaker an Millionen von Menschen, das man sich kaum vorstellen kann.” Und wer „gegen das Grauen der Napalmbomben” protestiere, müsse ebenso demonstrieren „gegen die unsäglichen Folterungen chinesischen Stils, welche die Vietcong dauernd verüben. Denkt man das nicht mit, so hat der Protest gegen die Amerikaner etwas Ideologisches. Auf eben jenen Punkt legt Max mit vollem Recht großen Wert.”
Adorno fand bis zuletzt (er starb 1969) seine politische Heimat auf der Linken. Im Juni 1967 bekundet er gleichzeitig seine Solidarität mit dem „toten Berliner Kommilitonen Benno Ohnesorg” und dem bedrohten Israel, „der Heimstätte zahlloser vor dem Grauen geflüchteter Juden”. Unterdessen wechselte Horkheimer stillschweigend die Fronten. Setzt man die gesellschaftstheoretischen und außenpolitischen Motive zur einer halbwegs kohärenten ideologischen Haltung zusammen, ergänzt sie um die salonrevolutionäre Herkunft, den philosophischen Versuch, über einen Schülerkreis zu wirken, die späte Kritik an der Gegenkultur, so tritt eine ziemlich scharfe politische Physiognomie hervor. Man muss den späten Horkheimer wohl einen Neokonservativen zu nennen – einen klassischen Neokonservativen der fünfziger und sechziger Jahre, nicht zu verwechseln mit dem intellektuell degenerierten Spätstadium, das sich zuletzt als Neocons verkauft hat.
Das größte Verdienst um die politische Kultur der Bundesrepublik erwarben sich Adorno und Horkheimer, als sie den politischen Anstand gegen eine konservative Gelehrsamkeit verteidigten, die erst kurz zuvor ihre braunen Hemden abgestreift hatte. Eine Massenkonversion hochbegabter Naziwissenschaftler hatte mit dem Systemwechsel stattgefunden. Gleich blieb die unbedingte Bejahung der bestehenden Ordnung. Aus glühenden Nazis waren erst skeptische Nazis und schließlich die „skeptische Generation” von Bundesrepublikanern geworden. Es verwundert kaum, dass Helmut Schelsky und Arnold Gehlen die Hauptgegner waren.
„Wer sich ganz auf der Höhe der Zeit befindet, ist immer auch ganz angepasst, und will es darum auch nicht anders haben”, merkt Adorno zu Schelsky an, dem er manches hochschulpolitische Schnippchen schlagen konnte. In einem Gutachten seziert er Gehlens ideologisches Gehäuse, bis nichts als ein klappriges braunes Gerippe übrig bleibt. Gehlens „Bejahung sozialer Gebilde auf Kosten der Menschen läuft auf nicht weniger hinaus als die von nationalsozialistischen Ideologen propagierte These, dass nur das Opfer frei mache”, sein „rabiater Irrationalismus ist offen antihumanistisch”, und als Resümee: „Das gesamte Instrumentarium des Faschismus ist beisammen, nur, gegenüber der völkischen Ideologie, formalisiert und ausgelaugt.” Wenn der Siegeszug des vorauseilenden Gehorsams der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft nicht vollständig war, wenn sich trotz der vorherrschenden Anpassung an die „Realität” ein Rest dialektischen Denkens erhalten hat, dann haben wir das vor allen anderen diesen beiden zu verdanken, Adorno und Horkheimer. TIM B. MÜLLER
THEODOR W. ADORNO, MAX HORKHEIMER: Briefwechsel 1927-1969. Band 4: 1950-1969. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006. 1078 S., 49,90 Euro.
Mit diesem Band findet die Edition des Briefwechsels ihren Abschluss
Der späte Horkheimer war ein klassischer Neokonservativer
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als überaus bedeutendes zeitgeschichtliches wie biografisches Dokument würdigt Rezensent Stefan Müller-Doohm den Briefwechsel von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, von dem nun der vierte und letzte Band vorliegt. Doch spiegelt der Band seines Erachtens nicht nur die Entwicklung des philosophischen und politischen Denkens der beiden wichtigsten Köpfe der kritischen Theorie. Auch das Netz persönlicher Beziehungen am Institut für Sozialforschung sowie die Animositäten unter den dort Tätigen werden für ihn sichtbar. Aufschlussreich scheinen ihm die Briefe auch im Blick auf die Rollenaufteilung zwischen Adorno, der zum intellektuellen Impulsgeber avancierte, und Horkheimer, der vor allem darauf bedacht war, das Institut zu repräsentieren und politisch zu steuern. In diesem Zusammenhang hebt Müller-Doohm die Auseinandersetzung um Jürgen Habermas hervor, den Adorno gegen Horkheimers Kritik in Schutz nahm.

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