Manche Entscheidungen lassen dich nie mehr los. Mit der Wiederbeschaffung gestohlenen Plutoniums beauftragt, stellt Ethan Hunt (Tom Cruise) das Wohl seines Teams über die Vollendung der Mission, wodurch Nuklearwaffen in die Hände eines tödlichen Netzwerks hochspezialisierter Terroristen gelangen. Um den drohenden atomaren Holocaust zu verhindern, sind Ethan und sein IMF-Team (Simon Pegg, Ving Rhames, Rebecca Ferguson) zur Zusammenarbeit mit dem schonungslos agierenden CIA-Agenten Walker (Henry Cavill) gezwungen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Goldenes Handwerk ist, wenn ein Star für sein Selbstbild die eigenen Knochen riskiert, statt die des Stuntpersonals zu gefährden: Tom Cruise lehrt in "Mission Impossible - Fallout" die hohe Moral der Dauerimprovisation.
Es gibt ja diese Typen, von denen man überhaupt nicht denkt, dass sie einem gefehlt haben - bis man sie nach langer Zeit wiedertrifft. Ethan Hunt ist ein solcher Typ. Spätestens wenn sich Tom Cruise als Agent für die unmöglichen Missionen wieder gegen die tickende Anzeige eines Zünders anrennend an einen fliegenden Hubschrauber hängt und sich wenig später - nach Verfolgungsjagden, Schusswechseln, Faustkämpfen und diversen Totalschäden für Mensch und Maschine - zwecks Verhinderung einer gigantischen Katastrophe als Freeclimber an eine senkrecht in die Tiefe stürzenden Felswand krallt, als wäre dies erst der zweite "Mission Impossible"-Film und nicht der sechste, stellt sich ein euphorisches Gefühl ewiger Jugend ein.
"Warum rennt er nur dauernd im Kreis herum?", stöhnt in "Mission Impossible - Fallout" der gute alte Benji (Simon Pegg) im Backoffice beim Blick auf den Monitor, der die per GPS getrackte Hatz seines Chefs quer durch London anzeigt. Dabei kann Hunt doch gar nicht anders: Jede Heldenreise ist ein Zirkelschlag, und wenn Hunt zu Beginn des Films die notorischen Worte: "Ihre Mission, sollten Sie sie annehmen . . ." hört, ist er innerlich auf dem Weg, noch bevor die Botschaft sich Sekunden später in Rauch auflöst.
Mit selbstzerstörerischen Aufträgen begann es schon, als "Mission Impossible" noch eine Fernsehserie war (die bei uns "Kobra, übernehmen Sie" hieß). So ging es weiter, als 1996 Tom Cruise das Franchise im Kino übernahm und in klassischer Vatermörder-Manier dem zum Verbrecher mutierten Jim Phelps alias John Voight die Gummimaske des Guten herunterriss, um ihn als Teamchef zu ersetzen. Und so raucht es auch jetzt wieder. Was also soll dieser stillstehende Sturmlauf?
Was Benji am Monitor nicht sieht: Hunt rennt nicht im Kreis, er jagt eine Wendeltreppe hinauf, was ein schönes Bild dafür abgibt, wie Action-Heldentum in Serie idealerweise vorankommt: immer rotierend, aber sich dabei bitte stets auf die Höhe der Zeit schraubend. "Fallout" versucht das, indem das von Christopher McQuarrie geschriebene und inszenierte Drehbuch Ethan Hunt mit einer ziemlich gegenwärtigen (aber auch zeitlosen) Form des Bösen konfrontiert: massenmörderischem Welterlösungswahn. Unser Agent bekommt es mit einer transreligiösen Verbrecherorganisation zu tun, die Leid über die Menschheit bringen will, auf dass diese zur Besinnung komme. "Je größer der Schmerz, desto größer der Friede", lautet ihr Credo. Mittel der Wahl sind Pockenepidemien und Atombombenschläge. Skrupellose Broker wie die märchenhafte "Weiße Witwe", als die "The Crown"-Star Vanessa Kirby betören darf, helfen dem Netzwerk.
Hunts Einsatz freilich beginnt mit einem Debakel: Er soll undercover waffenfähiges Plutonium aus dem Verkehr ziehen und scheitert - weil er nicht bereit ist, auf dem Weg zur Weltrettung seinen alten Freund Luther (wie eh und je Ving Rhames) zu opfern. Das, betont der Film am Ende noch einmal überpastoral, unterscheidet den Humanisten von denjenigen, die um der vermeintlichen Menschlichkeit willen über Leichen gehen. Wer anfängt, Einzelschicksale gegen Millionen Leben aufzurechnen, ist schon am Ende. Tom Cruise als Ethan Hunt aber ist es nicht.
Dabei könnte er es längst sein. Sechsundfünfzig ist Cruise inzwischen, und will immer noch so gut wie möglich aussehen, während er so viele und so spektakuläre Stunts wie möglich absolviert. Seit er mit "Top Gun" die Rolle seines Lebens gefunden hat - Actionheld mit Tausend-Watt-Lächeln -, hat er selbst immer neue Zyklen der Boulevardberichterstattung durchlaufen: Heirat, Scheidung, Scientology, wieder Heirat, Kind, Gehüpfe auf Oprahs Sofa, neue Scheidung und so weiter. Die Sektenspinneraura konnte Cruise erfolgreich von seinen Rollen fernhalten, dennoch er gehört nicht zu den Schauspielern, die hinter ihren Charakteren verschwinden, im Gegenteil: Seine Wirkung auf der Leinwand gründet immer auch darauf, dass er wirkt, als wolle er allen Ernstes der Held werden, den er da verkörpert, körperlich in blendender Verfassung und ohne ein graues Haar, und als müsse schon deshalb möglichst viel echt sein an der Action: echte Hubschrauber (für "Fallout" lernte Cruise, Helikopter zu fliegen), echtes Motorradgerase, echte Wegrennerei vor echten Explosionen, echtes Gehumpel nach einem echt bei einem Hechtsprung während der Dreharbeiten gebrochenen Knöchel.
Das könnte schnell ziemlich albern wirken, diese renitente Weigerung, erwachsen zu werden. Im Gegensatz zu Hunts Vorgesetztem, den Alec Baldwin als freundlichen älteren Onkel gibt, hält die CIA-Cefin Erica Sloane (Angela Bassett) die ganze "Impossible Mission Force" für einen kindischen Mummenschanz. Tatsächlich sind die unvermeidlichen Hütchenspiele mit Masken und Identitäten genau das. Aber sie sind auch ein Vehikel für die Selbstironie, die Hunt und sein Team vor den Identitätskrisen eines James Bond bewahrt.
In "Mission Impossible - Fallout" brennt - wie bei jedem werktätigen Menschen - beruflich nach dem Urlaub die Hütte, muss sich Hunt mit einem unliebsamen neuen Kollegen (Henry Cavill) herumschlagen und ist der Running Gag "Wir arbeiten daran" Programm, weil nichts glattläuft und die komplett unglaubwürdige Aufgabe nur in gemeinschaftlicher Dauerimprovisation zu bewältigen ist. Konflikte zwischen Liebe und Job - Michelle Monaghan taucht als Hunts Ehefrau wieder auf - werden nebenbei gelöst, und Rebecca Ferguson steigt als Agentin des britischen Geheimdienstes MI6 (ironischerweise auch Kürzel des Filmtitels) zur fast gleichberechtigten Partnerin in diesem familiären Actionzirkus auf.
Die wahre Stärke von "Fallout" liegt darin, dass der Film sein Versprechen einlöst: Seine Story ist mehr als dürftig, aber in 145 Minuten, von denen vielleicht dreißig überflüssig waren, bietet er ein aufwendig choreographiertes, absolut 3D-taugliches Spektakel nach dem anderen - Schlägereien, Sprünge aus dem Flugzeug durch einen Gewittersturm, Kletterpartien, Entfesselungen und sogar einen Kuss -, dazu heroische Landschaftsaufnahmen, Kameraausflüge nach Berlin, Paris, London und in die Weiten Kaschmirs und eine zuverlässig mit satten Bläsersätzen protzende Filmmusik, die ihr Thema kennt. Zeigt uns Tom Cruise, dass das postheroische Zeitalter längst wieder historisch ist? Solche Fragen sind viel zu kompliziert. "Mission Impossible: Fallout" erklärt uns nicht die Welt, sondern zeigt, wie ziemlich perfektes Popcornkino aussieht. In seinem Fall wie ein ziemlich überdrehter Looping. Übrigens dreht Cruise gerade die Fortsetzung von "Top Gun". So viel zum Thema "Im-Kreis-Rennen".
URSULA SCHEER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main