richtig Urlaub gemacht. Mit seinen schwarzen Händchen und dem pusteblumenähnlichen Propeller auf dem überdimensionalen, mondrunden Kopf umgibt ihn auch keine vertrauenserweckende Aura. Trotzdem sucht Schornsteiner zielstrebig nach seinem "neuen Chef", wie er es nennt, reist von Belgien nach Köln, zu Fuß, per Modellflugzeug und mit dem Auto, vor allem aber - Heidelbachs Lesern wird dieses Transportmittel als widerspenstiges und unberechenbares bekannt sein - per Mädchen.
Es gibt kein angemessenes Wort, um all die Mädchen-Figuren zu charakterisieren, durch deren schwitzige Hände Schornsteiner wandern muss, bevor er sein Ziel erreicht (ein finster dreinblickendes Baby namens Leonard Faust). Sie heißen Else oder Frieda, Erika oder Olga, prügeln sich, sind "kurzsichtig" und "gierig", haben aus unerklärlichen Gründen Blumendraht in der Hosentasche und eine Vorliebe für fusselige Lutscher aus den Turnbeuteln ihrer Freundinnen, für die sie sogar einen Glücksbringer wie Schornsteiner eintauschen.
Heidelbachs Zeichnungen, in ihrer Mischung aus Schemenhaftigkeit und beinahe übertriebener Genauigkeit an luzide Träume erinnernd, zeigen die Mädchen mit schlammpfützenbraunem oder waldmausbraunem oder champignonbraunem Haar, das sie zu ganz oben auf dem Kopf sitzenden, sehr engen Pferdeschwänzen binden. Sie sind wunderschön - nicht wie Illustrationen in einem Kinderbuch, sondern wie aufdringliche, interessante, lebendige Menschen.
Auch der Text scheint die Charaktere weniger zu beschreiben, als sie dabei zu belauschen, wie sie ihr Leben leben. Vieles bleibt dabei, wie im Leben und im Lauschen üblich, ein Rätsel. Woher weiß etwa eine Möwe "natürlich", dass ein Talisman sich erst einmal selbst Glück bringen muss? Poesie entsteht so beiläufig wie Schornsteiners Reiseplanung - mal durch eine scheinbare Dahingesagtheit, mal durch einen Überfluss an Ausrufezeichen, mal durch Vergleiche, die Fragen eher aufwerfen, als sie zu beantworten: "Schornsteiner blieb ruhig wie ein Balken."
Überhaupt "Schornsteiner" - ist das nun ein Nachname, eine Berufsbezeichnung oder eine Beschimpfung aus der Feder eines früheren Chefs? Vielleicht ist das Glück, das Schornsteiner beschert, gerade die Unmöglichkeit, ihn jemals vollständig zu beschreiben. Dass man ihn kennenlernen muss und kennenlernen will, macht dieses Buch über die Unbeschreiblichkeit der Dinge zu einer ebenso vieldeutigen, schillernd lebendigen Kreatur, wie sein Held eine ist.
Nikolaus Heidelbach: "Schornsteiner".
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2017. 44 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 5 J.
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