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Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, als Robert verschwand, und das Sonderbarste an seinem Verschwinden war, daß niemand es bemerkt hat, nicht einmal seine Mutter.
Robert sitzt vor dem Fernseher. Was ist bloß mit seinen Augen los? Er reibt sich und plötzlich findet er sich in einer Filmszene wieder, in einer fremden Zeit, an einem fremden Ort. Er ist im 1956 im sowjetischen Nowosibirsk. Das Abenteuer kann beginnen.

Produktbeschreibung
Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, als Robert verschwand, und das Sonderbarste an seinem Verschwinden war, daß niemand es bemerkt hat, nicht einmal seine Mutter.

Robert sitzt vor dem Fernseher. Was ist bloß mit seinen Augen los? Er reibt sich und plötzlich findet er sich in einer Filmszene wieder, in einer fremden Zeit, an einem fremden Ort. Er ist im 1956 im sowjetischen Nowosibirsk. Das Abenteuer kann beginnen.
Autorenporträt
Hans Magnus Enzensberger, 1929 in Kaufbeuren geboren, lebt heute in München. Er zählt zu den renommiertesten Schriftstellern der deutschen Literatur seit 1945. Neben seinen vielen Büchern für Erwachsene schreibt er auch für Kinder und Jugendliche.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Trittbrettfahrt in kurzen Hosen
Der fliegende Robert als Lehrjunge in Hans Magnus Enzensbergers Werkstatt / Von Hubert Spiegel

Der Sturm ist vorüber, der Wind hat nachgelassen, der fliegende Robert ist wieder gelandet. Hat er je erzählt, was er alles gesehen hat, wo er überall gewesen ist? Ist er je gefragt worden, was Hans Magnus Enzensberger jetzt im Titel seines jüngsten Buches fragt: "Wo warst du, Robert?"

Wer Enzensberger kennt, weiß, daß dieser Autor die Fragen, die er stellt, selbst zu beantworten pflegt. Mit einem Satz, einem Aphorismus, einem Gedicht oder einem Essay. Nur nicht mit einem Roman. Seit 1972 "Der kurze Sommer der Anarchie" erschienen ist, gilt Enzensberger, nicht zuletzt auch in seiner eigenen Einschätzung, als Schriftsteller, der keine Romane schreiben kann. Ist "Wo warst du, Robert" ein Kinderbuch für Erwachsene? Oder ein "Roman", wie auf dem Einband zu lesen steht, ein Roman für Kinder?

Im Jahr 1982 fragte sich Enzensberger, was der kleine Melanchthon, geboren im badischen Bretten, eigentlich gelernt haben mochte. Was las der Sohn eines Waffenschmieds als Siebenjähriger? In dem Gedicht "früher" stellte der Dichter die Frage, ob nicht die Vergänglichkeit zuverlässiger sei als die Vergangenheit, von der wir weniger zu wissen scheinen, je mehr wir über sie reden. Jetzt läßt Enzensberger die Vergangenheit selbst zu Wort kommen und sich gegen die Vergänglichkeit verteidigen: als Ort, an dem wir mehr über uns erfahren können als irgendwo sonst. Sein zeitreisender Robert ist ein Engel der Geschichte mit Regenschirm und kurzen Hosen. Zwei Winde sind es, die ihn vor sich her blasen, rückwärts durch die Jahrhunderte: der kalte Atem der Gegenwart und die warme Brise der Phantasie.

Es beginnt in einer Küche. Robert, ein Kind des fröhlichen Mittelstands, wird den Abend allein zu Hause verbringen. Der Vater ist wie so oft geschäftlich unterwegs, die Mutter legt gerade ihre Abendrobe an, rote Seidenhandschuhe zu schwarzem Moiré. Bevor der Autor seinen Helden auf die erste Zeitreise schickt, schildert er Robert als ganz normalen Jungen von vierzehn Jahren, der allerlei Gegensätze in sich vereint: ein fauler Zappelphilipp, ein hellwacher Träumer, der sich für alles interessiert, was um ihn herum vor sich geht, der alles liest, was ihm vor die Augen kommt, jene Augen, die "so sonderbar" sind, "sehr hell und ziemlich grün".

Die Tropfen, die ihm der Arzt verschrieben hat, weil es vor Roberts Netzhäuten so oft "flimmert", hat er in den Ausguß geschüttet. Er liebt die hellen und dunklen Flecken, die violetten und grünen Streifen, die sich in feurige Schlangen verwandeln. "Jetzt braucht er nur noch ein wenig zu reiben, ganz leicht mit den Knöcheln über die geschlossenen Lider", schon treten Bilder hervor: ein Meer, Vögel, Farne, Schiffe, Figuren. Tänzer, Ringkämpfer, sein Feind, der riesenhafte Koch. Aber an diesem Abend, als er müde über die Lider reibt, sieht er durch den Farbenflimmer auch eine fremde Stadt auf dem Fernsehschirm. Es ist Winter, Uniformierte laufen über verschneite Straßen, Frauen mit Kopftüchern schaufeln Schnee: Nowosibirsk, Roberts erste Station.

Siebenmal reibt Robert sich die Lider, siebenmal wird ihm schwarz vor Augen, siebenmal kommt er an jenem Ort wieder zu sich, den er vor seiner Ohnmacht zuletzt gesehen hatte: auf dem Fernsehschirm, einem Foto, einem Stich und zuletzt auf einem Gemälde, das er selber malt. Robert reist in die Sowjetunion des Jahres 1956 und entkommt dem KGB, der sich für den Besucher ohne Visum interessiert, mit einem Stempel, der ihm auf seiner dritten Station, ein Vierteljahrhundert früher, viel Ärger einbringen wird.

Auf seiner zweiten Station, Australien im Jahr 1946, freundet er sich mit den Kindern jener Frau an, der er 1930 in Deutschland als Tochter eines jüdischen Juweliers begegnet. In Norwegen möchte man einen Findling wie Kaspar Hauser aus ihm machen, auf Schloß Herrenlinden verliebt er sich in eine schnippische Prinzessin und lernt den Philosophen Leibniz kennen. Eine unheilvolle Begegnung: Robert zeigt dem Gelehrten, dessen Schüler er wird, eines Tages den kleinen Taschenrechner, den er aus der Zukunft mitgebracht hat. Als Robert ihn verläßt, um im Dreißigjährigen Krieg unter die Räuber zu geraten, liegt der Philosoph fiebernd im Bett, das mathematische Wunderwerk hat ihn um den Verstand gebracht.

Aber nicht der Taschenrechner, ein Spielzeugauto oder der andere Krimskrams aus seinen Hosentaschen sind das Wichtigste in Roberts Reisegepäck. Es ist das Wissen der Zukunft, das Wissen von Krieg und Zerstörung, von Panzern und Westfälischem Frieden, von Telefonen und Raumfahrt, das Robert hilft, seine Abenteuer zu bestehen und ihn zugleich in große Gefahr bringt. Denn der Reisende lernt, daß es immer schon gefährlich werden konnte, anders zu sein als die anderen.

Zwei Jahre, so scheint es, dauert Roberts Flug durch die Zeit. Auf seiner letzten Station, in Amsterdam zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, geht Robert bei einem Meister in die Lehre, um das Handwerk der Malerei zu lernen. Aber bei aller Mühe, die er sich gibt, bleibt diese schöne Kunst Mittel zum Zweck. Roberts wahre Profession ist eine andere, und sein Lehrherr heißt Hans Magnus Enzensberger. Robert ist nicht der Zauber-, aber der Zeitlehrling seines Autors.

"Wo warst du, Robert?" ist ein Bildungsroman, der sich das Gewand des historischen Jugendromans umgeworfen hat. Man mag darüber streiten, wer mehr Vergnügen an der Lektüre empfinden wird, erwachsene oder jugendliche Leser, wenn man nicht ohnehin der Ansicht ist, daß Eltern und Kinder dieses Buch gemeinsam lesen müssen. Aber hat der Autor sich die Sache nicht doch zu leicht gemacht? Und der Rezensent erst? Ernste Fragen. Begibt Enzensberger sich etwa auf dem Trittbrett der Jugendliteratur hinter die Frontlinien einer Avantgarde, der er selber angehört hat und die der Auffassung war, der Komplexität der Welt sei mit traditionellen Erzählformen nicht mehr beizukommen? Ach ja, schon möglich. Auf diesem Trittbrett mitzufahren ist jedenfalls ein wunderschönes Vergnügen.

Hans Magnus Enzensberger: "Wo warst du, Robert?". Roman. Hanser Verlag, München 1998. 277 S., geb., 34,- DM.

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