Produktdetails
  • Collection Folio 5887
  • Verlag: Gallimard
  • Seitenzahl: 263
  • Erscheinungstermin: 9. März 2016
  • Französisch
  • Abmessung: 178mm x 109mm x 14mm
  • Gewicht: 170g
  • ISBN-13: 9782070462452
  • ISBN-10: 2070462455
  • Artikelnr.: 44598848
Autorenporträt
Françoise Giroud, Ministerin unter Giscard d'Estaing und Mitherausgeberin von 'L'Express', lebt heute als Schriftstellerin in Paris. Zahlreiche Buchpublikationen, darunter 'Alma Mahler' und 'Die Männer und die Frauen' mit Bernard Henri-Levy.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016

Ihre Freiheit war eine seltsame

Was für ein Dokument des Lebens einer starken Frau: der neu entdeckte Rechenschaftsbericht der französischen Publizistin Françoise Giroud.

Von Lena Bopp

Diese Geschichte ist schaurig und schön. Schaurig, weil sich Françoise Giroud in einem "verheerenden Zustand" befand, nachdem sie von ihrem Gefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber verlassen worden war. Gemeinsam mit ihm hatte sie 1953 die französische Zeitschrift "Express" gegründet und geleitet, und außerdem hatten sich die beiden geliebt, auf eine Weise, die sich den gesellschaftlichen Konventionen ebenso diskret wie glamourös entzog. Aber nach etwa sieben Jahren kündigte Servan-Schreiber den Pakt zugunsten einer jüngeren Frau, von der er sich Kinder erhoffte (und bekam), woraufhin Giroud also den Partner und den Job verlor. Dem Freitod entkam sie nur, weil ein wachsamer Freund gerade noch rechtzeitig die verriegelte Tür ihres Schlafzimmers aufbrach, in dem sie das Telefon sorgsam ausgestöpselt und das Licht gelöscht hatte.

Was ist schön an dieser Sache? Schön ist, dass sie sich als Märchen erzählen lässt und als Heldengeschichte. Beides tut Françoise Giroud in ihrem Buch "Ich bin eine freie Frau". Alix de Saint-André hat das lange Zeit verlorengeglaubte Manuskript, das Giroud in der Zeit ihrer Rekonvaleszenz verfasste, in einem Kloster nahe Caen aufgetrieben. Vor einigen Jahren erst, so schreibt Saint-André im Vorwort, sei sie dort auf eine Kiste mit autobiographischem Material gestoßen, das andere Biographen der 2003 verstorbenen Giroud wundersamerweise übersehen hatten. Das Dokument mit dem Originaltitel "Histoire d'une femme libre" hat SaintAndré dann mit Notizen von Giroud vervollständigt, redigiert und zur "allerersten Autobiografie von Françoise Giroud" deklariert, was angesichts der doch nicht unbeträchtlichen Eingriffe ein wenig übertrieben scheint. Doch gelungen ist das Unterfangen allemal.

Weil man sich die Situation so wunderbar vorstellen kann: die verlassene Frau, die sich, schwer verwundet, in das Haus von Freunden nach Südfrankreich zurückzog, um dort, mit ihrer Schreibmaschine bewaffnet, die Herrschaft über ihr Leben zurückzugewinnen. Aber auch, weil der Text mehr als einem Klagelied oder einer Abrechnung - für beides hätte man Verständnis gehabt - einer Bestandsaufnahme gleicht, in der Giroud alles beim Namen nennt, Fehlschläge als Fehlschläge erkennt, aber Erfolge eben auch als Erfolge. Der Lebensmut, so wirkt es, mag ihr zwischenzeitlich verlorengegangen sein. Aber der Scharfsinn, überhaupt der Sinn für den Wert vor allem ihrer Arbeit, ist ihr erhalten geblieben.

Giroud schaut auf ihre Kindertage, die sie teils im Internat verbrachte, wo sie einmal beschuldigt wurde, unerlaubt das Gelände verlassen und einen Jungen getroffen zu haben. Sie war unschuldig, aber ihre Mutter - der Vater verstarb früh - war mittellos, und so musste Françoise wegen des Vergehens einer anderen, aus reichem Haus stammenden Schülerin büßen: Zwei Wochen wurde sie in ein Gewächshaus verbannt, wie eine Aussätzige, die seither das Gefühl nie mehr loswurde, schuldig zu sein. Schuldig an der eigenen Existenz. Ihr ganzes folgendes Leben betrachtet Giroud durch dieses Prisma. Über die Monate in der Haftanstalt Fresnes, wohin sie im Frühjahr 1944 von der Gestapo wegen ihres Engagements in der Résistance verschleppt wurde, schreibt sie den unglaublichen Satz: "Subjektiv gesehen bin ich für die Erfahrung dankbar, von Männern geschlagen, beleidigt und zwangsweise entkleidet worden zu sein, dankbar zu wissen, wie schwer ein paar Handschellen wiegt, wenn es einem die Hände im Rücken fesselt, und wie schwer die Stunden lasten, wenn sie in einer Zelle verstreichen."

Später erinnert sie sich an ihre Zeit als leitende Redakteurin der "Elle", eine Stelle, die sie nur bekommen habe, weil es die Zeit unmittelbar nach Kriegsende war, und obwohl sie "keine, wirklich nicht die geringste Ahnung" von Journalismus hatte. Immerhin gelang es ihr in diesen Jahren, von 1946 bis 1953, ihre politische Feder derart zu schärfen, dass sie Servan-Schreiber auffiel. Ihr gemeinsames Projekt des "Express" (den es noch heute gibt) ermöglichte es Giroud damals, "gleichzeitig die Karriere eines Mannes und das Leben einer Frau zu meistern".

Was dieses Leben ausmachte, war neben ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit (ungewöhnlich genug für eine Frau in den Fünfzigern) und der publizistischen Möglichkeit, bestimmte politische (meist linke) Positionen zu verteidigen, eine diesen Freiheiten im Grunde widersprechende emotionale Abhängigkeit von Servan-Schreiber. Bloß, dass Giroud diesen Widerspruch nicht als solchen empfand. "Als er mich zur Königin ernannte", schreibt sie einmal ohne Ironie, "hatte mir dieser kleine König einen Platz freigeschaufelt, an dem sich alle Aspekte meines Lebens zusammenfügten. Ich war nützlich, weil meine Arbeit hehren Zwecken diente. Ich war schön, weil er mich dafür hielt. Ich war frei, weil uns nur der gemeinsame Wille verband, den wir unaufhörlich überprüften." Noch den eigenen Suizidversuch deutet sie als konsequent im Sinne des Bündnisses, das sie mit ihm eingegangen war.

Und so ist ihr Buch nicht nur erstaunlich, weil es mit dieser schmerzhaften Aufrichtigkeit geschrieben ist, zu der sich manchmal fähig sieht, wer mit dem Rücken zur Wand steht. Sondern auch, weil es Einblicke in ein Frauenleben gewährt, in dem die Freiheit zwar schon viel galt, aber etwas ganz anderes bedeutete, als man sich heute noch vorzustellen vermag.

Françoise Giroud: "Ich bin eine freie Frau".

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 237 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016

Auf Drachenjagd
Eine Frau in der Revolte – Françoise Giroud kämpft sich von den Dreißigern in die Fünfziger
„Ich bin eine freie Frau. Eine glückliche Frau war ich auch, vermag es also zu sein – was gibt es Selteneres auf der Welt?“ So beginnt Françoise Giroud ihre Geschichte zu erzählen im Sommer 1960. Es ist ein Pamphlet, für die Unbedingtheit der Freiheit und für ihre Vermessenheit. Sie weiß, wovon sie spricht. In der Nacht des 11. Mai hat sie mit einer tödlichen Dosis Gift versucht, sich das Leben zu nehmen.
  In der Sonne des Sommers, auf Capri, hat sie dann versucht, in dieses Leben zurückzufinden, und zur Rekonvaleszenz gehörte auch das Schreiben. Undruckbar, befand dann aber die Freundin Florence Malraux, die den Text prüfte, zu dicht, zu nah dran, und er wurde gehorsam weggelegt. Später, nach Girouds Tod 2003, meinte man, sie hätte ihn vernichtet, aber er hat überlebt, ganz offen. „Möglicherweise liegt das am ewig gültigen Prinzip des entwendeten Briefs“, schreibt im Vorwort die Herausgeberin Alix de Saint-André. „Alle Krimiliebhaber wissen: Was man verstecken will, lässt man am besten offen liegen.“
  Ein offenes Buch, eine wirklich freie Frau. Der Selbstmordversuch fiel in einen Moment der Leere für Giroud, die Arbeit an der Zeitschrift L’Express war beendet, die sie gemeinsam mit dem Lebensgefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber, dem Starintellektuellen der Nachkriegszeit, lange geformt hatte, und auch die Liebe zu JJSS war passé. Die Kämpferin Giroud hatte nichts mehr, wofür sie kämpfen sollte. Von ihren Kämpfen, ihren Drachenjagden ist das Buch voll, schon früh, als Tochter einer unabhängigen, allein erziehenden Mutter aus der unteren Klasse. Vaterfiguren werfen Schatten in diese Jugend, ihr Vater ist türkischer Herkunft, in seiner Heimat zum Tode verurteilt. Er ging am Tag ihrer Geburt, dem 21. September 1916, in die türkische Botschaft in Genf und hat „mit lauter Stimme verkündet, ein Kind sei auf die Welt gekommen, leider weiblichen Geschlechts, und werde, ob es den Herrschaften gefalle oder nicht, einen schönen Namen tragen: France.“ Wie ein weiterer Vater, ähnlich anmutig und kühn, ist Camus – der starb wenige Monate vor dem Selbstmordversuch bei einem Autounfall.
  Giroud schätzte den Glamour, aber die Kämpferin war natürlich Kommunistin, sie trat im gewerkschaftlichen Kampf erstmals auf, als sie in der Kinoindustrie arbeitete, als Scriptgirl, dann als Drehbuchautorin. Der junge Marc Allegret hatte sie – sie war fünfzehn – dorthin geholt, der damals, 1932, für Marcel Pagnol und seine kleine Compagnie arbeitete. Eine Lichtgestalt, am Steuer seines Voisin-Cabrios. „Außerdem hatte er einen hochangesehenen Onkel: André Gide.“ Die Filmleute gestalteten damals eine Utopie der gesellschaftlichen Formate, das Hohe und das Niedere, das Strenge und das Orgiastische kamen hier offen zusammen: „Keinerlei Doppelmoral. Sie mochten dicke Zigarren, also rauchten sie welche. Sie liebten Gold, also behängten sie sich damit.“
  Es ist eine eigene französische Erinnerungskultur, die in diesem Buch wirkt, mit einer Tradition von Stendhal zum Strukturalismus. Sie handelt von der Freiheit und vom Glück, ist emotional und kühl analytisch. Beim L’Express wurden die Artikel zunächst nicht namentlich gezeichnet. „Die wahre Freude ist das letzte, niedergeschriebene Wort, das endlich Befreiung und Erlösung schenkt. Danach haben sogar die Schweigsamen Lust zu reden, sich mitzuteilen.“
FRITZ GÖTTLER
Françoise Giroud: Ich bin eine freie Frau. Hrsg. Alix de Saint-André. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 239 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Die wahre Freude
ist das letzte,
niedergeschriebene Wort . . .“
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