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Noch heute gilt «Dreißigjähriger Krieg» als Metapher für die Schrecken des Krieges schlechthin, dauerte es doch Jahrzehnte, bis die Verwüstungen überwunden waren, die der längste Krieg auf deutschem Boden angerichtet hatte. Dabei war, als am 23. Mai 1618 protestantische Adelige die Statthalter des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand II. aus den Fenstern der Prager Burg stürzten, kaum abzusehen, was folgen sollte: ein Flächenbrand, der erste im vollen Sinne «europäische Krieg».
Fesselnd erzählt Herfried Münkler vom Schwedenkönig Gustav Adolf und dem Feldherrn Wallenstein, von Kardinälen und
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Produktbeschreibung
Noch heute gilt «Dreißigjähriger Krieg» als Metapher für die Schrecken des Krieges schlechthin, dauerte es doch Jahrzehnte, bis die Verwüstungen überwunden waren, die der längste Krieg auf deutschem Boden angerichtet hatte. Dabei war, als am 23. Mai 1618 protestantische Adelige die Statthalter des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand II. aus den Fenstern der Prager Burg stürzten, kaum abzusehen, was folgen sollte: ein Flächenbrand, der erste im vollen Sinne «europäische Krieg».

Fesselnd erzählt Herfried Münkler vom Schwedenkönig Gustav Adolf und dem Feldherrn Wallenstein, von Kardinälen und Kurfürsten, von den Landsknechten und den durch Krieg und Krankheiten - ein Viertel der Bevölkerung fand den Tod - verheerten Landschaften Deutschlands. Auch die europäische Staatenordnung lag in Trümmern - und doch entstand auf diesen Trümmern eine wegweisende Friedensordnung, mit der eine neue Epoche ihren Ausgang nahm.

Herfried Münkler führt den Krieg in all seinen Aspektenvor Augen, behält dabei aber auch unsere Gegenwart im Blick: Der Dreißigjährige Krieg kann uns, wie er zeigt, besser als alle späteren Konflikte die Kriege der Gegenwart verstehen lassen. Eine packende Gesamtdarstellung, die historische Erzählung und politische Analyse vereint.
Autorenporträt
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und eine unverzichtbare, prägende Stimme in den Debatten unserer Gegenwart. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa «Imperien», «Die Deutschen und ihre Mythen», für das er den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, «Der Große Krieg» oder «Die neuen Deutschen», allesamt «Spiegel»-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Unvermeidlich war nur der Frieden

Neue Blicke auf ein historisches Trauma: Peter H. Wilson und Herfried Münkler erzählen von der Tragödie des Dreißigjährigen Krieges.

Von Andreas Kilb

Am 3. Mai 1945 hält Albert Speer als Rüstungsminister der Reichsregierung Dönitz in Flensburg eine Rundfunkansprache. Darin ruft er die Bevölkerung zur Geduld auf. Der Sinn des Weiterkämpfens, so Speer, liege jetzt einzig darin, "deutsche Menschen" vor den Sowjetarmeen zu retten. Denn: "Die Verwüstungen, die dieser Krieg Deutschland brachte, sind nur mit denen des Dreißigjährigen Krieges vergleichbar." Darum gelte es nun, wenigstens die Bevölkerungsverluste zu begrenzen.

Es ist vermutlich das letzte Mal in der deutschen Geschichte, dass der Dreißigjährige Krieg als Begründung für staatliches Handeln herangezogen wurde. Seitdem hat der Konflikt, der fünf Tage nach Speers Rede zu Ende ging, seinen barocken Vorläufer als Maßstab für die größte denkbare Katastrophe abgelöst. Der britische Historiker Peter H. Wilson, der die "Europäische Tragödie" der Frühen Neuzeit auf knapp tausend Textseiten schildert, macht für diesen Wandel den Einfluss des Fernsehens und anderer Bildmedien verantwortlich, welche "die Greuel aus jüngerer Vergangenheit" allgemein publik gemacht hätten.

Wilsons deutscher Kollege Herfried Münkler, der ebenfalls ein Panorama des Dreißigjährigen Krieges zeichnet, drückt sich differenzierter aus. Der Zweite Weltkrieg, erklärt Münkler, habe den Dreißigjährigen im Gedächtnis der Deutschen verdrängt, weil er ihn im größerem Maßstab wiederholte: durch planmäßige Vernichtung der Zivilbevölkerung und ihrer Lebensräume.

Nur wurde bei diesem Paradigmenwechsel die angestammte Opferrolle der Deutschen durch die des Täters ersetzt. Die Zerstörung Mitteleuropas als Folge von Hitlers Eroberungskriegen ließ sich keiner auswärtigen Macht mehr anlasten. Genau dies aber versuche, so Münkler, eine revisionistische Geschichtsschreibung, die das "Trauma- und Opfernarrativ" des Dreißigjährigen Krieges im Hinterkopf habe.

Dadurch sähen sich andere Autoren wiederum herausgefordert, dieses Narrativ zu widerlegen. Beides will Münkler vermeiden. Er erzählt nicht von Schlachten, Belagerungen und Kongressen, um sich in einer Historikerdebatte über die Rolle Spaniens oder der Kurie oder die wahren Absichten Wallensteins auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Stattdessen möchte er den Dreißigjährigen Krieg als "Analysefolie" für die Krisen der Gegenwart nutzen, zumal für die bewaffneten Konflikte in der arabischen Welt. Das klingt stark nach Hauptseminar. Dennoch ist es die originellste Idee, die seit langem zu diesem Thema vorgetragen wurde.

Wahrscheinlich ist es ungerecht, die Bücher von Münkler und Wilson jener Parallellektüre zu unterziehen, die ihre beinahe gleichzeitigen Erscheinungstermine nahelegen. Wilson hat seine Studie vor acht Jahren veröffentlicht, der Jahrestag des Prager Fenstersturzes im nächsten Mai, zu dem sie der deutsche Verlag jetzt vorauseilend auf den Markt bringt, lag nicht in seinem Kalkül. Münkler dagegen schreibt für den Tag und die Stunde, er macht kein Hehl daraus, dass er sein Wissen über die Ereignisse vor allem aus zweiter Hand bezieht, aus dem Berg von Einzel- und Gesamtdarstellungen, Biographien, Aufsätzen und Untersuchungen, die in den vergangenen vierhundert Jahren erschienen sind. Dabei setzt er die übliche Hierarchie des Zitierfähigen auf anregende Weise außer Kraft. In einer Passage über Wallensteins Machtanspruch ruft er nacheinander den Althistoriker Christian Meier, den Romancier Döblin, den Rechtsphilosophen Carl Schmitt und den Staatsdenker Machiavelli in den Zeugenstand. Man kann bei Münkler fast von einem Patchwork der Gedankensplitter reden, ohne damit den Eigensinn seiner Darstellung im mindesten schmälern zu wollen.

Der Unterschied zwischen beiden Bänden wird schon im Inhaltsverzeichnis deutlich. Wilson braucht, nach einem kurzen szenischen Anreißer, fast dreihundertfünfzig Seiten, um zum Kriegsausbruch zu gelangen, während Münkler schon nach gut hundert Seiten in medias res ist. Dafür bringt Wilson aber auch das ganze Menü der Mächte auf den Tisch, die für die lange Dauer des Konflikts gesorgt haben. Das Reich und die Fürsten, die Union und die Liga, die Habsburger und ihr "Bruderzwist", das spanische Weltreich, die Türkei und Siebenbürgen, die Wasa-Dynastie in Polen und Schweden und ihr dänischer Gegenspieler, sie alle werden in ausführlichen Kapiteln vorgestellt.

Der einzige Player, den Wilsons Rundumschau vernachlässigt, ist Frankreich, und hier bekommt die Gründlichkeit des Autors einen polemischen Zug. Die jüngere britische Militärgeschichtsschreibung um Geoffrey Parker hat den Dreißigjährigen Krieg vor allem als Episode des säkularen Konflikts zwischen der französischen Monarchie und der Casa de Austria gelesen. Wilson dagegen sieht ihn als von außen gesteuertes Ringen um die Reichsverfassung, die in Münster und Osnabrück neu justiert wurde. Den strategischen Plänen Richelieus, die letztlich zur Niederlage Habsburgs führten, widmet sein Tausendseitenbuch kaum zehn Seiten. Dabei tritt der Grundwiderspruch von Wilsons Ansatz schon in der Einleitung zutage. Der Krieg, lautet eine seiner Hauptthesen, sei "nicht in erster Linie ein Religionskrieg" gewesen. Zugleich war er, so Wilson, "keineswegs unvermeidlich". Beides zugleich kann nicht stimmen. Der Krieg wurde unvermeidlich, weil er eben kein Kampf der Religionen, sondern ein europäischer Mächtekonflikt war. Das erklärt auch, warum der Friedensschluss sich so lange hinzog, obwohl religiöse Gegensätze nach Gustav Adolfs Tod keine entscheidende Rolle mehr spielten. Frankreich hatte keinen Grund zum Frieden, solange es nicht Breisach und das Elsass bekam, und der Kaiser konnte beides nicht abtreten, ehe er nicht endgültig besiegt war.

Als Standardwerk zum Thema ist Wilsons Buch gleichwohl unverzichtbar. Die schiere Breite seiner Schilderungen der Kriegsereignisse und ihrer Hintergründe hebt seine Darstellung auch über die neuere deutsche Forschungsliteratur zum Dreißigjährigen Krieg weit hinaus. Man darf nur nicht den Fehler machen, Wilsons Prosa an der makellosen Sprache von Cicely Veronica Wedgwoods historischem Klassiker von 1938 zu messen. Es gibt Bücher, die durch die Forschung zwar überholt, aber nie eingeholt werden können, und Wedgwoods Werk gehört dazu.

Das Kapitel, das von den "kulturellen Auswirkungen" des Krieges handelt, hätte Wilson sich und uns besser erspart. Man merkt, dass ihm der Gegenstand fremd ist, wenn er Schiller als Teil der romantischen Bewegung bezeichnet und zu den Bilderzyklen Callots und Francks nur dürre Allgemeinplätze parat hat. Über die deutschen Barockdichter weiß Wilson resümierend zu sagen, dass "ihr umfangreiches Werk oft stark introvertiert" sei. Hat er je etwas von Gryphius, Opitz, Fleming oder Logau gelesen? Offenbar nicht.

Ganz anders Münkler. Das Kulturelle ist seine Stärke, die Schlachtbeschreibung oft nur eine Pflichtübung. Eine der besten Passagen seines Buches erzählt vom Wandel der Ikonographie zwischen Velázquez' "Übergabe von Breda" und Rubens' "Folgen des Krieges". Binnen weniger Jahre hat das Martialische in der Kunst seinen Glanz verloren. Es ist dieselbe Zeit, in der auch das spanische Finanzsystem durch die Aufstände in Portugal und Katalonien und nach dem Verlust mehrerer Silberflotten an die Niederlande zusammenbricht und die schwedisch-französische Allianz endgültig die Oberhand gewinnt.

Bis dahin haben Epochengestalten wie Mansfeld, Wallenstein und Gustav Adolf das Geschehen geprägt, ab jetzt sind Kriegshandwerker am Zug, denen Münkler nur Skizzen widmet. Das wahre Drama spielt an den Kabinettstischen. Man muss Münklers Politologendeutsch nicht mögen, wenn er feststellt, Frankreich habe mehr "Machtsorten" in seinem Portfolio gehabt als Habsburg; aber es trifft den Punkt. Auch seine Analyse des Westfälischen Friedens ist präziser als die Wilsons: In Münster und Osnabrück fand eine "Umstellung von Hierarchie auf Gleichgewicht" statt. Fortan war der Kaiser in Wien nur ein Monarch unter vielen.

Am Ende hat auch Münklers Buch seine Achillesferse, und es ist gerade die Stelle, an der es stark sein will. Die "Analysefolie", mit der Münkler die heutigen Konflikte im Nahen Osten und den Maghrebstaaten historisch unterlegen will, erweist sich bei näherem Hinsehen als reichlich brüchiges Gewebe. Es ist eine Sache, die Aufstände in den Niederlanden und Böhmen als "strukturanalog" zum Arabischen Frühling zu bezeichnen und den Machtverfall der Habsburger mit dem Ansehensverlust Ägyptens nach Camp David zu vergleichen. Eine andere Sache ist es, daraus irgendwelche historischen Schlüsse ziehen zu wollen.

Auch hört man gern, dass der Westen im syrischen Bürgerkrieg in der Rolle Richelieus sei, aber zuletzt helfen solche Bonmots doch ziemlich wenig bei der Beantwortung der Frage, wie die aus Syrien kommenden Flüchtlingsströme auf Europa verteilt werden sollen. Schließlich ist der IS kein Söldnerstaat, wie Münkler zutreffend bemerkt. Und die Russen sind keine Schweden, die Saudis keine Spanier und Erdogans türkische Divisionen keine Wallensteinschen Regimenter. Und Herfried Münkler ist kein Thukydides, auch wenn er ihn gern zitiert. Aber man liest ihn trotzdem mit Gewinn.

Herfried Münkler: "Der Dreißigjährige Krieg".

Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648.

Verlag C. H. Beck, München 2017. 976 S., geb., 39,95 [Euro].

Ab dem 20.10.2017 im Buchhandel.

Peter H. Wilson: "Der Dreißigjährige Krieg". Eine europäische Tragödie.

Theiss Verlag/WBG, Darmstadt 2017. 1160 S., Abb., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2017

Die Kalküle des Mars
Als die Warlords in Europa die Bühne betraten: Herfried Münklers
großes Buch über den Dreißigjährigen Krieg schreibt Geschichte in Möglichkeiten
HERFRIED MÜNKLER
VON GUSTAV SEIBT
Am Ende seiner monumentalen Darstellung des Dreißigjährigen Kriegs erklärt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler noch einmal sein Interesse an diesem Stoff: Es geht ihm um eine „modelltheoretische Betrachtung“, auch mit Blick auf aktuelle Konflikte in Afrika und im Nahen Osten. Modelltheoretisch, das heißt, dass der Krieg typologisch beschrieben und in Faktoren, Bedingungen, Motive zerlegt wird. Der große Krieg in Deutschland zwischen 1618 und 1648 war ein „Amalgam“ aus Verfassungskonflikt, Religionskrieg, Bürgerkrieg und europäischem Hegemonialkrieg.
Er begann mit einem Ständeaufstand in Böhmen, bei dem es auch um freie Religionsausübung ging. Doch sehr bald ging es dann auch um die Frage, wer im Heiligen Römischen Reich überhaupt das Sagen haben würde, der Kaiser oder die Reichsstände. Diese Auseinandersetzung hatte strategische Bedeutung für Spanien, das in einem jahrzehntelangen Krieg mit den abgefallenen Niederlanden stand und dafür die große Durchmarschstraße von den Westalpen bis nach Flandern brauchte, an der ausgerechnet das pfälzische Territorium des erwählten böhmischen Königs lag. Frankreich und Schweden nahmen vitales Interesse an diesen Auseinandersetzungen, sie griffen direkt und indirekt ein, das katholische Frankreich an der Seite der Protestanten.
Auch diese aber waren nicht einig, Sachsen und Kurbrandenburg verhielten sich jahrelang neutral oder wohlwollend zum Kaiser. Hätte dieser rein machtpolitisch gehandelt, hätte der Krieg schon 1629 zu Ende sein können, doch mit seinem vorwiegend religiös motivierten Restitutionsedikt, das die Rückgabe des seit siebzig Jahren säkularisierten Kirchenguts verlangte, sorgte er für die zweite, die schwedische Runde, auf die eine dritte, französische folgte. All das zeichnet Münkler mit einem Detailreichtum nach, den es in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung seit mehr als hundert Jahren nicht mehr gegeben hat.
Neben den typologischen Unterscheidungen interessieren ihn präzise gesonderte Interessen, Faktoren und Bedingungen, von der Finanzierung bis zur Militärtechnik. Hier erreicht seine Kasuistik eine Präzision und Tiefenschärfe, die aus dem dicken Band ein Lehrbuch für Strategie und Taktik macht, und zwar bis in die Ebene scheinbarer Nebenakteure: Was bewegte Hessen-Kassel im Streit mit Hessen-Darmstadt um Hessen-Marbach? Wir erfahren es, und es ist hochinteressant, weil es in dem großen Drama seine Rolle spielte. Am interessantesten ist die Beschreibung der Kriegsökonomie, von den riesigen Finanzströmen, gewonnen aus südamerikanischen Silberminen oder aus Ostseezöllen, bis zur brutalen Auspressung von Städten und Bauern vor Ort.
Damit kommt ein außerstaatlicher Akteur in den Blick, der Kriegsunternehmer oder Warlord, der die Bühne heute wieder betreten hat. Mansfeld, Wallenstein lauten die berühmten Namen, zu unterscheiden von einem loyalen Fürstendiener wie Tilly oder einem selbst kämpfenden König wie Gustav Adolf von Schweden. Der Krieg ist staatlich, halbstaatlich, oft einfach selbsternährend. Und er verändert sich: In seinen letzten anderthalb Jahrzehnten, im schon ausgesaugten, von Hunger und Krankheiten entleerten Land wird er kleinteilig und volatil, weil er nur noch die verbliebenen Reste abfressen kann. Zu Beginn konnten die Armeen sich umso besser ernähren, je größer sie waren; auch ihr Kredit auf den Finanzmärkten wuchs mit ihrem Umfang. Der angesparte Reichtum von siebzig Jahren Frieden wurde planmäßig verfeuert, die Bevölkerungszahl dürfte um 40 Prozent gesunken sein.
Münklers Methode ist dabei nicht nur die Zergliederung in Typen und Faktoren, sondern auch das Denken in Alternativen. An jedem Punkt seiner Erzählung fragt er, was die anderen Entscheidungsmöglichkeiten gewesen wären. Jede gewonnene oder verlorene Schlacht öffnet neue Optionen, schon in den Himmelsrichtungen des Weitermarschs: Wo steht der Feind, wo ist ein gutes Winterquartier, wessen Interessen müssen geschont werden? Wäre jetzt der Moment für Friedensverhandlungen, für ein neues Bündnis?
So wird aus dem Ablauf der Ereignisse ein Mobile von Möglichkeiten, von ergriffenen oder ausgeschlagenen Chancen. Kaum etwas ist notwendig, vor allem nicht die lange Dauer dieses Schlachtens. Auch Charaktere sind Faktoren: Gustav Adolfs Kühnheit oder Wallensteins Zaudern, die Starrheit Kaiser Ferdinands, die geizige Selbstsucht des Bayern Maximilian oder die schlaue Ängstlichkeit des biertrinkenden sächsischen Kurfürsten.
Es gibt allerlei hochfliegende Exkurse zu Thukydides und dem „Besitz für immer“, den Historie sichert, zu Analogiebildungen zwischen damals und heute. Jacob Burckhardt unterschied trocken zwischen „klug für ein andermal“ und „weise für immer“, und darauf läuft es am Ende hinaus: Analogien sind nur Annäherungen, interessanter ist die Fähigkeit zur situativen Genauigkeit, und sie ist es, die Münkler trainiert.
Münklers Möglichkeitsdenken kann aber auch auf sein Werk angewendet werden: Wie hätte eine alternative Darstellung aussehen können? Das scheint an einigen Punkten immerhin auf. So beschreibt er das Kontributionssystem Wallensteins in dessen erstem Generalat als eine Form der Besteuerung, vergleichbar jener, die in der gleichen Epoche in den Niederlanden und England zu Revolutionen führte. Deren deutsches Pendant war dann Wallensteins Absetzung 1630. Als Revolution wurde diese Fürstenopposition aber nicht erkennbar, weil sie mit einem Krieg verbunden war, der gleichermaßen als innerstaatlicher wie zwischenstaatlicher geführt wurde: „Der Unterschied zwischen Verfassungswahrung und Verfassungsbruch wurde dadurch unklar.“ So kam es – für Münkler ist das eine Konkretisierung des deutschen „Sonderwegs“ – nicht zur Konstituierung einer revolutionären Partei, denn es genügte, einen General abzusetzen.
Doch solche weiträumigen Durchblicke bleiben die Ausnahme. Münkler unterscheidet lieber „Machtsorten“, er beobachtet Fall für Fall die Übersetzung der Kriegstypen ineinander oder er beschreibt im typischen Münkler-Sound, wie die schwedische Intervention die „Grammatik der politischen Entscheidungen“ auf die „Ordnung des Binären“ umgestellt habe: „In Gefahr und höchster Not/ bringt der Mittelweg den Tod“, zitiert er dazu den Dichter Friedrich von Logau.
Die möglichkeitsoffene Erzählung muss sich natürlich auch den militärischen Entscheidungen zuwenden, und so brilliert Münkler in Hans-Delbrück-haft ausführlichen Schlachtenbeschreibungen. Hier vor allem kommt der Zufall zu seinem Recht; ein solcher war Gustav Adolfs Tod in der Schlacht von Lützen. Kontingenz, Möglichkeitsgeschichte, das ist Ereignisgeschichte. Münklers Buch fußt auf generationenlanger Forschungsarbeit, aber es ist bezeichnend, dass der am häufigsten zitierte Vorläufer der Historiker Moriz Ritter ist, dessen Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs 1908 (als Teil eines Sammelwerks) erschien, auf dem Höhepunkt der positivistischen Politikgeschichte. Hans-Ulrich Wehler nannte Diplomatie- und Kriegsgeschichte immer „blutleer“ – Münkler zeigt nun, dass in dieser Zitrone noch sehr viel Saft ist.
Dabei vernachlässigt er weder die Kriegsgräuel noch die damit verbundene Rezeptionsgeschichte als „deutsches Trauma“ völlig, doch spielen sie nur eine Nebenrolle. Der Hauptpreis, den diese Darstellungsform fordert, ist die Abkühlung der mimetischen Seiten von Historie, also des Versuchs darzustellen, wie es sich angefühlt haben mag. Religiöse Leidenschaft ist eben vor allem ein Faktor; dass Kaiser Ferdinand II. so viel betete, kreidet ihm Münkler in einem Akt nachträglicher Politikberatung als Zeitverlust an: „Diese Zeit fehlte ihm dann bei der Bewältigung seiner politischen Aufgaben.“
Jacob Burckhardt sagte, in der Geschichtsschreibung müsse Jubel und Jammer zu Erkenntnis werden. Münkler setzt, und das charakterisiert sein Werk mit einem Satz, ganz auf Erkenntnis, Jubel und Jammer treten in die zweite Reihe. Damit wird allerdings auch ein wichtiger Zugang zur Vergangenheit, die Empathie, vernachlässigt.
Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe und deutsches Trauma 1618-1648. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2017. 975 Seiten, 39,95 Euro. E-Book 29,99 Euro.
Im von Hunger und
Krankheiten entleerten Land
wird der Krieg kleinteilig
Dass Kaiser Ferdinand II.
so viel betete, kreidet
ihm Münkler als Zeitverlust an
Der Unterschied zwischen
Verfassungswahrung
und Verfassungsbruch
wurde durch das Zugleich
von innerstaatlichem
und zwischenstaatlichem
Krieg unklar.“
„Der durch Mars
verkörperte Krieg ist
hier zu einem
Akteur geworden, der
eine verzweifelte Europa hinter sich lässt.“
Herfried Münkler über
Peter Paul Rubens’
Gemälde „Die Folgen des Krieges“ (1638).
Foto: gemeinfrei
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Volker Reinhardt lässt sich nicht überzeugen von Herfried Münklers Versuch, den Dreißigjährigen Krieg anders als in historisierender Perspektive zu betrachten. Die angestrebte Analogie zwischen den Ereignissen von 1618-1648 und den heutigen Konflikten im Vorderen Orient und in Afrika hakt laut Reinhardt nicht nur, sie übergeht auch die Andersartigkeit der Geschichte. Dass der Autor den aktuellen Forschungsstand zum Thema zudem in großen Teilen übergeht und Figuren wie Richelieu bei ihm blass bleiben, hält der Rezensent für ärgerlich. Anschauliche Schlachtenschilderungen und Ereignisberichte hingegen bietet der Band zuhauf, so Reinhardt.

© Perlentaucher Medien GmbH
Eine der umfassendsten, bedeutendsten Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg, die zudem unsere Gegenwart stets im Blick hat. Der Tagesspiegel