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Produktdetails
  • Verlag: Brill Schöningh / Brill Schöningh
  • Artikelnr. des Verlages: 1919788
  • 2., NED
  • Seitenzahl: 636
  • Deutsch
  • Gewicht: 960g
  • ISBN-13: 9783506753366
  • ISBN-10: 3506753363
  • Artikelnr.: 07431343

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Autorenporträt
Hermann Weber, geb. 1928, Dr. phil., Dr. h. c., ist em.Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim.

Ulrich Mählert: Jahrgang 1968, Studium der Politischen Wissenschaften, Anglistik und Germanistik an der Universität Mannheim, 1994 Promotion, bis 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Arbeitsbereich DDR-Geschichte, seit 1999 Referent für Wissenschafts- und Archivförderung sowie internationale Zusammenarbeit in der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. 1998/99 Organisation des Geschichtsforums 1949/89/99 "Getrennte Vergangenheit - Gemeinsame Geschichte" in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die schlimmsten Feinde der Kommunisten
Ein Sammelband über die terroristischen "Parteisäuberungen" der Stalin-Zeit

Hermann Weber, Ulrich Mählert (Herausgeber): Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1998. X, 618 Seiten, 98,- Mark.

"Der Kommunismus war die einzige Bewegung der jüngeren Geschichte, die mehr ihrer eigenen Führer, Funktionäre und Mitglieder selbst umgebracht hat, als das ihre Feinde taten." Diese These Hermann Webers wird akribisch bewiesen und dokumentarisch belegt, sie ist wissenschaftlich unanfechtbar. Darin liegt der historiographische Wert des Sammelbandes, den der Mannheimer Historiker gemeinsam mit seinem Schüler Ulrich Mählert herausgegeben hat.

Gegenstand ist die Verfolgung von Kommunisten durch Kommunisten oder, genauer gesagt, die Problematik terroristischer Säuberungen zur Disziplinierung kommunistischer Parteien (nicht nur) unter dem Diktat Josef Stalins. Vor dem Hintergrund von Machtkämpfen in der Nomenklatura weist Mählert den Säuberungen fünf wesentliche Funktionen zu: "1. die Reinigung der Partei von tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden, 2. die Steuerung der Kaderpolitik, 3. die Erziehung der Mitglieder, 4. deren Mobilisierung für die Ziele der Partei und 5. die Präsentation von Schuldigen für die vielfältigen Defizite in Partei, Wirtschaft und Gesellschaft".

Der disziplinierte Funktionär, den eine kommunistische Führung brauchte, entstand durch ideologische Indoktrination einerseits und durch Angst andererseits, hervorgerufen durch die terroristische Verfolgung politischer "Abweichler", wie sie die Kommunistische Partei der Sowjetunion während der dreißiger Jahre mit ihren blutigen Säuberungen in den eigenen Reihen vorexerziert hatte. Für die Zeit der großen "Tschistka" von 1935 bis 1941 wurden knapp 20 Millionen Verhaftungen errechnet - Millionen Menschen wurden im Lande Stalins erschossen.

Webers Einleitung folgen acht Einzeluntersuchungen, die Wissenschaftler aus Deutschland, Rußland, der Schweiz und der Tschechischen Republik in beispielhafter Kooperation erarbeitet haben. Die Fülle der Daten und Dokumente, auf die sie ihre Darstellungen stützen, beeindruckt; es ist unmöglich an dieser Stelle, jede einzelne Arbeit des Sammelbandes ausführlich zu würdigen. Stichworte müssen genügen. Alexander Watlin, Dozent an der Moskauer Staatsuniversität, untersucht die Kaderpolitik und die Säuberungen in der Komintern in der Zeit, in der sie von Stalin in zunehmendem Maße außenpolitisch instrumentalisiert wurde. Dreizehn Dokumente aus den Archiven des Exekutivkomitees der Komintern und des NKWD ergänzen und verdichten die Analyse. Flankiert wird Watlins Studie durch einen Beitrag von Reinhard Müller, Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung (unter Mitwirkung der Pädagogin Natalija Mussijenko), der sich mit den Säuberungen unter den Politemigranten aus Deutschland in der Sowjetunion Stalins befaßt. In geradezu beklemmender Weise wird die Angst nachempfindbar, die damals in der "Hauptstadt der Weltrevolution" unter der deutschen kommunistischen Emigration grassierte. Auch Müller fügt aussagekräftige Dokumente bei - so das Todesurteil, das 1936 gegen Heinrich Süßkind, zeitweilig Chefredakteur der führenden Parteizeitung "Die Rote Fahne" und Kandidat des ZK der KPD, wegen "konterrevolutionärer und terroristischer Tätigkeit" durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR erging.

Fritz Nicolaus Platten, Dokumentarist aus dem Schweizer Sozialarchiv und mit 80 Jahren der älteste Autor dieses Kompendiums, hat eine fundierte Fallstudie zu Heinz Neumann beigesteuert, ehemals Mitglied des Politbüros der KPD, dem bekanntesten Stalin-Opfer unter den deutschen Exilkommunisten. Erstmals werden Anklageschrift und Urteil publiziert. Neumann, der aus Deutschland vertriebene Kommunist und Jude, dem Stalin 1935 die sowjetische Staatsbürgerschaft verlieh, um seine Auslieferung an die Nazi-Schergen durch die Schweiz zu verhindern, wurde in Moskau verurteilt, weil er "eine illegale Organisation für den Kampf gegen die Komintern und die KPdSU (B) im Interesse des Faschismus gebildet" haben sollte. Ein absurder Vorwurf mit letalen Folgen: Neumann wurde am 26. November 1937 erschossen.

Der Beitrag von Gennadij Bordjugow, auch er ist Dozent an der Moskauer Staatsuniversität, beleuchtet die ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen dem ZK der KPdSU, der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland beziehungsweise der Sowjetischen Kontrollkommission und der SED in der Nachkriegszeit. Im Ergebnis seiner Untersuchung erweist sich, daß der unmittelbare Einfluß der Besatzungsmacht auf die Politik der SED stärker war als bislang wahrgenommen.

Mählert thematisiert die Parteisäuberungen der SED und ihre Instrumentalisierung für die Kaderpolitik der zweiten deutschen Diktatur. Eine Untersuchung Webers über Schauprozeßvorbereitungen in der DDR schließt sich an. Tribunale gegen prominente Alt-Kommunisten wie Paul Merker, Bruno Goldhammer, Fritz Sperling und andere waren in Vorbereitung. Weber beschreibt eindringlich die politischen Hintergründe, deretwegen es dennoch nicht zu Schauprozessen in Ost-Berlin kam wie 1949 in Sofia und Budapest oder 1952 in Prag. Statt dessen wurden Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR inszeniert, sofern nicht wie in den Fällen Leo Bauer und Kurt Müller die Militärstrafjustiz der Besatzungsmacht das "schmutzige Geschäft" für die SED übernahm.

Den Sammelband beschließt eine äußerst materialreiche, umfangreich dokumentierte Arbeit über die politischen Säuberungen in der KPC von Karel Kaplan (Institut für Zeitgeschichte in Prag) und Frantisek Svátek (Karls-Universität Prag).

Was an der Lektüre frappiert, ist immer wieder die politische Absurdität der Anklagen und Urteile, die im Moskau der dreißiger Jahre gegen die über Nacht als "Parteifeinde" entlarvten Genossen erhoben wurden, gleichviel, ob es sich um russische Kommunisten, zumeist kampferprobte Helden des roten Oktober, oder die Elite der deutschen KP-Emigration im "Vaterland der Werktätigen" handelte.

Zum Beispiel sind, wie Weber belegt, von den Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros der KPD zwischen 1920 und 1933 mehr Genossen im Exil der Stalinschen Säuberung zum Opfer gefallen als dem Terror Hitlers.

Auch die Säuberungsaktionen und Schauprozesse, die in der Nachkriegszeit in den Ländern der Volksdemokratie und in der DDR durchgeführt beziehungsweise vorbereitet wurden, waren nach stets demselben ideologisch geprägten Grundmuster fernab aller politischen Realität angelegt. Und wie zuvor in der Sowjetunion, zumeist übrigens unter Kontrolle sowjetischer Instrukteure, bedienten sich die jeweils herrschenden Cliquen bis 1956 der Staatssicherheit und der Strafjustiz, um Machtkämpfe in der Partei für sich zu entscheiden. Der "Parteifeind" wurde als Staatsfeind geächtet und "ausgemerzt".

Der Wert der sorgfältigen Edition liegt in der zusammenfassenden Analyse, die den erreichten Forschungsstand widerspiegelt, und in der ausführlichen Dokumentation aus Moskauer Archiven. Schade, daß nicht auch zu Säuberungen in der SED Dokumente beigegeben wurden, etwa Verdikte der Zentralen Parteikontrollkommission oder signifikante Urteile des Obersten Gerichts der DDR.

KARL WILHELM FRICKE

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