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"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" - so rechtfertigte Hans Filbinger seine verhängnisvolle Tätigkeit als NS-Marinerichter und löste damit einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik Deutschland aus. Der politische Skandal um Hans Filbinger, den ehemaligen NS-Marinerichter und späteren Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, liegt nun schon länger zurück. Schon die historischen Fakten, die exemplarisch eine Karriere erst im NS-Staat und dann in der Bundesrepublik Deutschland offenbarten, waren empörend genug. Filbingers Versuch einer Selbstverteidigung…mehr

Produktbeschreibung
"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" - so rechtfertigte Hans Filbinger seine verhängnisvolle Tätigkeit als NS-Marinerichter und löste damit einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik Deutschland aus. Der politische Skandal um Hans Filbinger, den ehemaligen NS-Marinerichter und späteren Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, liegt nun schon länger zurück. Schon die historischen Fakten, die exemplarisch eine Karriere erst im NS-Staat und dann in der Bundesrepublik Deutschland offenbarten, waren empörend genug. Filbingers Versuch einer Selbstverteidigung aber machte aus der Empörung einen handfesten Skandal, der den Ministerpräsidenten schließlich zu Fall bringen sollte. Obwohl der Fall Filbinger schon 1978 von Journalisten gut recherchiert wurde, gibt es bis heute in Buchform nur parteipolitisch motivierte Apologien, aber keine umfassende, sachliche und kritische Darstellung.
Beiträge von: Otto Gritschneder, Manfred Messerschmidt, Tilmann Moser, Florian Rohdenburg, Andreas Streit, Wolfram Wette, Ricarda Berthold, Helmut Kramer, Joachim Perels, Anton Maegerle, MWalter Moßmann.
Autorenporträt
Wolfram Wette, Jahrgang 1940, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Von 1971-1995 war er am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg tätig. Seit 1998 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Universität Freiburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2007

Schrecklich gutes Gewissen
Der Fall Filbinger und die lange nachwirkende Militärjustiz
Am 7. August 1978 trat Hans Filbinger von seinem Amt als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurück. Während des Zweiten Weltkrieges hatte er als Marinerichter an Todesurteilen mitgewirkt. Der Schriftsteller Rolf Hochhut hatte ihn deshalb einen „furchtbaren Juristen” genannt. Filbinger klagte, bestritt und beharrt bis heute auf seinem – wie der SPD-Politiker Erhard Eppler damals befand – „pathologisch guten Gewissen”.
Der Herausgeber Wolfram Wette vertritt die These, dass es nicht die Todesurteile waren, die Filbinger zu Fall brachten, sondern vielmehr dessen Unfähigkeit, gut 30 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus seine Rolle selbstkritisch zu reflektieren. Durch seine Behauptung, nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben, habe Filbinger eine selbst für seine Parteifreunde inakzeptable Kontinuität von NS-Diktatur und der jungen Bundesrepublik hergestellt.
Die neun Beiträge des Buches thematisieren nicht allein die Person Filbingers. Im Fokus stehen vielmehr die Verantwortung der NS-Militärrichter insgesamt – und ihre Karrieren nach 1945. Wette geht es dabei um „wahrheitsgemäße Erinnerung”. Sieht man vom etwas sperrigen Pathos ab, benennt er damit zu Recht, was vor allem jüngeren Generationen zunehmend schwerer zu vermitteln ist: wie hart die politischen Auseinandersetzungen der (Nach-)Kriegskinder mit den Filbingers und ihren „Kameraden” gewesen sind.
Der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt beleuchtet in einem Beitrag die „Elastizität” der militärjustiziellen Rechtsprechung und damit eine bisher kaum bearbeitete Forschungsfrage. Messerschmidt zeigt das hohe Maß an Eigeninitiative der Wehrmachtjuristen: Gerade die Verantwortungsträger in den Oberkommandos formulierten die mit zunehmender Kriegsdauer immer schärferen Gesetze oft selbst; starrer Führerglaube und NS-konforme Vorstellungen über „Kriegsnotwendigkeiten” hätten ernsthafte Konflikte zwischen Militärrichtern und der politischen Führung nicht aufkommen lassen. Durch das Leitprinzip der „Aufrechterhaltung der Manneszucht” ließen sich selbst NS-kritische Richter für die von der Führung geforderte harte Strafpraxis gewinnen.
Einen Höhepunkt bedeutete die am 5. Mai 1944 erlassene Ergänzung des Paragraphen 5a der sogenannten Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Diese als Zersetzungsparagraph bekannt gewordene Strafnorm gab den Militärrichtern die Möglichkeit, auch dann die Todesstrafe anzuwenden, „wenn der regelmäßige Strafrahmen nach gesundem Volksempfinden zur Sühne nicht ausreicht”. Zwar ist noch weitgehend unerforscht, wie diese Terrorbestimmung von den Wehrmachtrichtern tatsächlich angewandt wurde – allein die fürchterliche Bilanz von weit über 20 000 vollstreckten Todesurteilen zeigt jedoch, wie weitgehend sich die Militärjustiz den Vernichtungskrieg zu eigen gemacht hatte.
Helmut Kramer wie auch Joachim Perels beschreiben die Karrieren der Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik: Figuren wie Werner Hülle oder Erich Schwinge brachten es zu höchsten Ämtern in Justiz und Politik. Juristisch sind diese Schreibtischtäter niemals zur Verantwortung gezogen worden; als einflussreiche Akteure prägten sie an den Universitäten nachfolgende Juristengenerationen – oder sie wirken, wie Anton Maegerle am Fall Filbinger zeigt, in konservativen Netzwerken mit weitläufigen Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum.
Besonders verstörend wirkt der von Perels nachgewiesene Umgang mit Tätern und Opfern in Straf- und Entschädigungsverfahren nach 1945: Westdeutsche Gerichte wendeten den Filbingerschen Satz, dass heute nicht Unrecht sein könne, „was damals Recht war” bis in die 80er Jahre an. So sah 1968 das Landgericht Nürnberg die Anwendung des „Blutschutzgesetzes” auch im Nachhinein als gerechtfertigt an. Einen wegen „Rassenschande” verurteilten Juden hätten demnach die NS-Richter zwar nicht zum Tode, wohl aber zu einer Zuchthausstrafe verurteilen können. Perels weist anhand weiterer Beispiele nach, dass ehemalige NS-Juristen in der Bundesrepublik ihr „gesetzliches Unrecht” von einst „in eigener Sache” neu legitimierten.
Bis in die 70er Jahre hinein konstatiert Perels einen breiten gesellschaftlichen Konsens solcher Rechtspraxis. Die Rechtsprechung höchster deutscher Gerichte seit Anfang der 90er Jahre, zwei „Wehrmachtsausstellungen” und die Rehabilitierung der meisten NS-Militärjustizopfer im Jahre 2002 dürften diesen Konsens in Frage gestellt haben. Der Sammelband über die historische Bewertung der Wehrmachtjustiz markiert in dieser Hinsicht eine wichtige Positionsbestimmung. MAGNUS KOCH
WOLFRAM WETTE (Hg.): Filbinger – eine deutsche Karriere. Zu Klampen, Springe 2006. 191 Seiten, 18 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rudolf Walther begrüßt diesen von Wolfram Wette herausgegebenen Sammelband über den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Hans Filbinger, der 1978 wegen seiner Vergangenheit als NS-Militärrichter zurücktreten musste und sich bis heute als Opfer einer "Rufmordkampagne" betrachtet. Den acht Beiträgen des Bandes attestiert er eine gründliche Analyse und Dokumentation des Falls Filbinger. Deutlich wird für ihn, dass dessen Beteuerungen, keine Todesurteile gefällt zu haben, nicht der Wahrheit entsprachen. Besonders hebt er den Beitrag des Militärhistoriker Manfred Messerschmidt hervor. Dieser belege die großen Handlungsspielräume der Nazirichter hatten, die sie aber nicht nutzen wollten, um den NS-Oberen zu gefallen.

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